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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

können? Das Kreuz ist später auf eine noch von mir ansgegcmgne Anregung von
unserm Kaiser einem Würdenträger der evangelischen Landeskirche verliehen worden.
Lie sunt iÄW hominum -- se rorum.

Der Gegensatz der Konfessionen war damals in meiner Heimat völlig in den
Hintergrund getreten. In Quedlinburg selbst gab es nur wenige vereinzelte Katho¬
liken. Eine katholische Gemeinde bestand noch nicht. Für die Befriedigung ihres
kirchlichen Bedürfnisses wandten sich die katholischen Einwohner der Stadt entweder
nach Halberstadt oder nach dem zwei Meilen entfernten Dorfe Hedcrsleben, wo
von alters her eine katholische Kirche und Gemeinde bestand. Mein Vater, für seine
Person gut protestantisch, war in religiösen Dingen duldsam. Er war bei der
Taufe eines ihm befreundeten katholischen Landwirth, auf dessen Grundstück später
die katholische Kirche erbaut wurde, Pate gewesen und dazu von dem katholischen
Geistlichen aus Hedersleben ohne jeden Anstand zugelassen worden. Am Fron-
leichnamstage pflegte er nach Hedersleben zu fahren und dort seine katholischen
Bekannten zu besuchen. Dazu hat er mich wiederholt mitgenommen. Natürlich
gingen wir dort auch mit zum Gottesdienst in die katholische Kirche. So habe
ich als Kind den katholischen Kultus zuerst kennen gelernt. Ich bewunderte den
mit Blumen reich geschmückten Altar, auch die reich gestickte" Meßgewänder des
das Hochamt haltenden Priesters, konnte aber im übrigen dem in der Hauptsache
mir wenig verständlichen Gottesdienste keinen Reiz abgewinnen. Ich stand durch¬
aus unter dem Eindruck der damals herrschenden Stimmung. Danach kam wenig
darauf an, ob man Gott auf protestantische oder katholische Art verehre. Jede
der beiden Konfessionen galt für unvollkommen und nur relativ für bevorzugt.
Nur mußte man -- das galt als selbstverständlich -- bei der Bekenntnisgemcin-
schaft, in der man geboren, getcinft und erzogen war, verbleiben. An Konversionen
aus Überzeugung glaubte man nicht. Kam wirklich ganz vereinzelt einmal ein
Übertritt vor, so schob man ihm äußere, gewinnsüchtige Beweggründe unter. Kon¬
versionen galten deshalb für unanständig. Nur wenn der äußere Vorteil, der
damit erreicht wurde, sehr groß war, also zum Beispiel die Erlangung eines großen
Majorats, eines Fürstentums oder eiues sehr großen Vermögens, dann pflegte man
wieder milder zu urteilen und den Mantel der Liebe nach Bedarf zu erweitern.
Dann waren auch die bekannten drei Ringe jederzeit bereit. Für eine Konversion
aus wirklicher Gewissensnot hatte man kein Verständnis. Daraus erklärt es sich
auch, daß von einer Propaganda weder bei der einen noch bei der andern Kirche
etwas zu spüren war. Man war tolerant gegeneinander, zuweilen tolerant bis zur
Schlafmützigkeit. Die Geistlichen beider Konfessionen -- das war hübsch -- ver¬
kehrten höchst freundschaftlich miteinander. Man erzählte sich, daß sie sich in Not¬
fällen mich gegenseitig bei der Vornahme von Amtshandlungen vertreten hätten.
Das mag auch bei Taufen wohl einmal vorgekommen sein. Daß es der kirchlichen
Ordnung nicht entsprach, wußte man recht gut. Kurz, die beiden Konfessionen
lebten damals äußerlich in gutem Frieden miteinander. Freilich unter der Asche
glühte doch noch manches von dem alten Gegensatze fort. So entsinne ich mich,
daß ich als Kind ganz erstaunt war, nnssprechen zu hören, einem Katholiken dürfe
man nicht trauen, alle Katholiken seien falsch, man könne sich nicht auf sie ver¬
lassen, sie hielten alles, auch alle Falschheit im Verkehr für erlaubt, weil sie sich
in der Ohrenbeichte hinterher für alle möglichen und unmöglichen Sünden Abso¬
lution verschaffen könnten. Mein Vater schüttelte zu solchen Beschuldigungen den
Kopf und bekämpfte sie. Er berief sich darauf, daß er im Verkehr mit Katholiken
ganz andre und mir gute Erfahrungen gemacht habe.r

In Hedersleben war früher ein Nonnenkloster gewesen. Das Kloster wa
aufgehoben und säkularisiert worden. In meiner Jugend lebten dort aber noch em
paar steinalte Nonnen, denen vom Staate die Wohnung in dem ehemaligen, jetzt
zur Domäne gehörenden Klostergebnude belassen wurde. Als ich zum erstenmal am
Fronleichnamstage mit nach Hedersleben genommen wurde, sah ich dort die beiden


Aus der Jugendzeit

können? Das Kreuz ist später auf eine noch von mir ansgegcmgne Anregung von
unserm Kaiser einem Würdenträger der evangelischen Landeskirche verliehen worden.
Lie sunt iÄW hominum — se rorum.

Der Gegensatz der Konfessionen war damals in meiner Heimat völlig in den
Hintergrund getreten. In Quedlinburg selbst gab es nur wenige vereinzelte Katho¬
liken. Eine katholische Gemeinde bestand noch nicht. Für die Befriedigung ihres
kirchlichen Bedürfnisses wandten sich die katholischen Einwohner der Stadt entweder
nach Halberstadt oder nach dem zwei Meilen entfernten Dorfe Hedcrsleben, wo
von alters her eine katholische Kirche und Gemeinde bestand. Mein Vater, für seine
Person gut protestantisch, war in religiösen Dingen duldsam. Er war bei der
Taufe eines ihm befreundeten katholischen Landwirth, auf dessen Grundstück später
die katholische Kirche erbaut wurde, Pate gewesen und dazu von dem katholischen
Geistlichen aus Hedersleben ohne jeden Anstand zugelassen worden. Am Fron-
leichnamstage pflegte er nach Hedersleben zu fahren und dort seine katholischen
Bekannten zu besuchen. Dazu hat er mich wiederholt mitgenommen. Natürlich
gingen wir dort auch mit zum Gottesdienst in die katholische Kirche. So habe
ich als Kind den katholischen Kultus zuerst kennen gelernt. Ich bewunderte den
mit Blumen reich geschmückten Altar, auch die reich gestickte» Meßgewänder des
das Hochamt haltenden Priesters, konnte aber im übrigen dem in der Hauptsache
mir wenig verständlichen Gottesdienste keinen Reiz abgewinnen. Ich stand durch¬
aus unter dem Eindruck der damals herrschenden Stimmung. Danach kam wenig
darauf an, ob man Gott auf protestantische oder katholische Art verehre. Jede
der beiden Konfessionen galt für unvollkommen und nur relativ für bevorzugt.
Nur mußte man — das galt als selbstverständlich — bei der Bekenntnisgemcin-
schaft, in der man geboren, getcinft und erzogen war, verbleiben. An Konversionen
aus Überzeugung glaubte man nicht. Kam wirklich ganz vereinzelt einmal ein
Übertritt vor, so schob man ihm äußere, gewinnsüchtige Beweggründe unter. Kon¬
versionen galten deshalb für unanständig. Nur wenn der äußere Vorteil, der
damit erreicht wurde, sehr groß war, also zum Beispiel die Erlangung eines großen
Majorats, eines Fürstentums oder eiues sehr großen Vermögens, dann pflegte man
wieder milder zu urteilen und den Mantel der Liebe nach Bedarf zu erweitern.
Dann waren auch die bekannten drei Ringe jederzeit bereit. Für eine Konversion
aus wirklicher Gewissensnot hatte man kein Verständnis. Daraus erklärt es sich
auch, daß von einer Propaganda weder bei der einen noch bei der andern Kirche
etwas zu spüren war. Man war tolerant gegeneinander, zuweilen tolerant bis zur
Schlafmützigkeit. Die Geistlichen beider Konfessionen — das war hübsch — ver¬
kehrten höchst freundschaftlich miteinander. Man erzählte sich, daß sie sich in Not¬
fällen mich gegenseitig bei der Vornahme von Amtshandlungen vertreten hätten.
Das mag auch bei Taufen wohl einmal vorgekommen sein. Daß es der kirchlichen
Ordnung nicht entsprach, wußte man recht gut. Kurz, die beiden Konfessionen
lebten damals äußerlich in gutem Frieden miteinander. Freilich unter der Asche
glühte doch noch manches von dem alten Gegensatze fort. So entsinne ich mich,
daß ich als Kind ganz erstaunt war, nnssprechen zu hören, einem Katholiken dürfe
man nicht trauen, alle Katholiken seien falsch, man könne sich nicht auf sie ver¬
lassen, sie hielten alles, auch alle Falschheit im Verkehr für erlaubt, weil sie sich
in der Ohrenbeichte hinterher für alle möglichen und unmöglichen Sünden Abso¬
lution verschaffen könnten. Mein Vater schüttelte zu solchen Beschuldigungen den
Kopf und bekämpfte sie. Er berief sich darauf, daß er im Verkehr mit Katholiken
ganz andre und mir gute Erfahrungen gemacht habe.r

In Hedersleben war früher ein Nonnenkloster gewesen. Das Kloster wa
aufgehoben und säkularisiert worden. In meiner Jugend lebten dort aber noch em
paar steinalte Nonnen, denen vom Staate die Wohnung in dem ehemaligen, jetzt
zur Domäne gehörenden Klostergebnude belassen wurde. Als ich zum erstenmal am
Fronleichnamstage mit nach Hedersleben genommen wurde, sah ich dort die beiden


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[0752] Aus der Jugendzeit können? Das Kreuz ist später auf eine noch von mir ansgegcmgne Anregung von unserm Kaiser einem Würdenträger der evangelischen Landeskirche verliehen worden. Lie sunt iÄW hominum — se rorum. Der Gegensatz der Konfessionen war damals in meiner Heimat völlig in den Hintergrund getreten. In Quedlinburg selbst gab es nur wenige vereinzelte Katho¬ liken. Eine katholische Gemeinde bestand noch nicht. Für die Befriedigung ihres kirchlichen Bedürfnisses wandten sich die katholischen Einwohner der Stadt entweder nach Halberstadt oder nach dem zwei Meilen entfernten Dorfe Hedcrsleben, wo von alters her eine katholische Kirche und Gemeinde bestand. Mein Vater, für seine Person gut protestantisch, war in religiösen Dingen duldsam. Er war bei der Taufe eines ihm befreundeten katholischen Landwirth, auf dessen Grundstück später die katholische Kirche erbaut wurde, Pate gewesen und dazu von dem katholischen Geistlichen aus Hedersleben ohne jeden Anstand zugelassen worden. Am Fron- leichnamstage pflegte er nach Hedersleben zu fahren und dort seine katholischen Bekannten zu besuchen. Dazu hat er mich wiederholt mitgenommen. Natürlich gingen wir dort auch mit zum Gottesdienst in die katholische Kirche. So habe ich als Kind den katholischen Kultus zuerst kennen gelernt. Ich bewunderte den mit Blumen reich geschmückten Altar, auch die reich gestickte» Meßgewänder des das Hochamt haltenden Priesters, konnte aber im übrigen dem in der Hauptsache mir wenig verständlichen Gottesdienste keinen Reiz abgewinnen. Ich stand durch¬ aus unter dem Eindruck der damals herrschenden Stimmung. Danach kam wenig darauf an, ob man Gott auf protestantische oder katholische Art verehre. Jede der beiden Konfessionen galt für unvollkommen und nur relativ für bevorzugt. Nur mußte man — das galt als selbstverständlich — bei der Bekenntnisgemcin- schaft, in der man geboren, getcinft und erzogen war, verbleiben. An Konversionen aus Überzeugung glaubte man nicht. Kam wirklich ganz vereinzelt einmal ein Übertritt vor, so schob man ihm äußere, gewinnsüchtige Beweggründe unter. Kon¬ versionen galten deshalb für unanständig. Nur wenn der äußere Vorteil, der damit erreicht wurde, sehr groß war, also zum Beispiel die Erlangung eines großen Majorats, eines Fürstentums oder eiues sehr großen Vermögens, dann pflegte man wieder milder zu urteilen und den Mantel der Liebe nach Bedarf zu erweitern. Dann waren auch die bekannten drei Ringe jederzeit bereit. Für eine Konversion aus wirklicher Gewissensnot hatte man kein Verständnis. Daraus erklärt es sich auch, daß von einer Propaganda weder bei der einen noch bei der andern Kirche etwas zu spüren war. Man war tolerant gegeneinander, zuweilen tolerant bis zur Schlafmützigkeit. Die Geistlichen beider Konfessionen — das war hübsch — ver¬ kehrten höchst freundschaftlich miteinander. Man erzählte sich, daß sie sich in Not¬ fällen mich gegenseitig bei der Vornahme von Amtshandlungen vertreten hätten. Das mag auch bei Taufen wohl einmal vorgekommen sein. Daß es der kirchlichen Ordnung nicht entsprach, wußte man recht gut. Kurz, die beiden Konfessionen lebten damals äußerlich in gutem Frieden miteinander. Freilich unter der Asche glühte doch noch manches von dem alten Gegensatze fort. So entsinne ich mich, daß ich als Kind ganz erstaunt war, nnssprechen zu hören, einem Katholiken dürfe man nicht trauen, alle Katholiken seien falsch, man könne sich nicht auf sie ver¬ lassen, sie hielten alles, auch alle Falschheit im Verkehr für erlaubt, weil sie sich in der Ohrenbeichte hinterher für alle möglichen und unmöglichen Sünden Abso¬ lution verschaffen könnten. Mein Vater schüttelte zu solchen Beschuldigungen den Kopf und bekämpfte sie. Er berief sich darauf, daß er im Verkehr mit Katholiken ganz andre und mir gute Erfahrungen gemacht habe.r In Hedersleben war früher ein Nonnenkloster gewesen. Das Kloster wa aufgehoben und säkularisiert worden. In meiner Jugend lebten dort aber noch em paar steinalte Nonnen, denen vom Staate die Wohnung in dem ehemaligen, jetzt zur Domäne gehörenden Klostergebnude belassen wurde. Als ich zum erstenmal am Fronleichnamstage mit nach Hedersleben genommen wurde, sah ich dort die beiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/752>, abgerufen am 01.09.2024.