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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Gobineau in französischer Beleuchtung

für ein Risiko berechnet sein, das ein ganzes Jahr lang getragen wird.
Danach ist sie offenbar zu hoch, wenn das Risiko im Laufe des Jahres weg¬
fällt. Oder rechnen die Versicherungstechniker schon an dieser Stelle damit,
daß erfahrimgsmüßig ein großer Teil der Versicherten durch eigne Ver¬
säumnisse den Entschädigungsanspruch zu verwirken pflege? Das wäre dann
freilich ein Nechnungsfaktor, über den kein weiteres Wort verloren zu werden
brauchte, und dessen rasche und gründliche Ausmerzung für die erstrebte Ge¬
sundung unsers Versicherungsrechts die allererste Voraussetzung wäre.




Gobineau in französischer Beleuchtung
(Schluß)

in Jahre 1869 wurde unser Diplomat nach Rio de Janeiro ver¬
setzt. Das dortige Klima bekam ihm nicht, und die südameri-
knnischen Zustände, wie überhaupt das ganze geschichtslosc und
von einem geradezu tollen Völkergemisch bewohnte Amerika
waren ihm widerwärtig. Nur die persönliche Freundschaft des
Kaisers Dom Pedro, der ihm fortan ein treuer Korrespondent blieb, entschädigte
ihn ein wenig; dagegen ließ ihn, der nur für den Menschen Interesse hatte,
die Pracht der Tropennatur kalt; as8 xa^8ag'68 inväirs nannte er diese un¬
historischen Landschaften. Im Frühjahr 1870 nahm er Urlaub. Während des
Krieges weilte er auf seinem Schlosse Trye-en-Vexin. Als Maire seiner Ge¬
meinde und Generalrat des Oisedepcirtements erwirkte er der Bevölkerung Er¬
leichterungen, die ihm nach Abschluß des Waffenstillstands eine Danksagung
von der Stadt Beauvais einbrachten. Die große Umwälzung wälzte auch sein
Denken und seinen Gemütszustand um. Seilliere nennt den noch übrigen
Lebensabschnitt Gobineaus seine asketische Periode. Von Haus aus war er
dem Asketismus nichts weniger als günstig gestimmt gewesen; feierte er doch
die arischen Helden als Männer der Tat; pessimistische Entsagung, Selbst-
Peinigungen, mystische Träumereien, Gaukeleien und Zauberkünste, wie sie die
orientalischen Magier und Mönche betreiben, gehören wahrlich nicht zum Ideal¬
bild eines homerischen oder germanischen Helden. Und wie ihm denn Buddha
überhaupt schon als Zerstörer der Kasten und Gleichmacher verhaßt war, so
hatte er ausdrücklich auch noch den "individuellen und willkürlichen" Asta-
tismus dieses Religionsstifters verurteilt. Der Aufenthalt in Persien, der
Verkehr mit Weisen orientalischen Stils stimmte ihn milder gegen diese Lebens¬
form. Er begann die Entsagung des Anachoreten erhaben zu finden, erhabner
als den Heldenmut des Kriegers. In Chiron sieht er einen vvrhvmerischen
Asketen, Asketismus sieht er in der Apotheose des sterbenden skandinavischen
Helden, und in seinen nach 1870 geschriebnen Briefen Preise er das Leiden.
Es mutet ein wenig komisch an, daß er nnn den Asketismus nicht bloß für
ernen Grundzug des arischen Charakters erklärt, sondern auch ganz besonders


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für ein Risiko berechnet sein, das ein ganzes Jahr lang getragen wird.
Danach ist sie offenbar zu hoch, wenn das Risiko im Laufe des Jahres weg¬
fällt. Oder rechnen die Versicherungstechniker schon an dieser Stelle damit,
daß erfahrimgsmüßig ein großer Teil der Versicherten durch eigne Ver¬
säumnisse den Entschädigungsanspruch zu verwirken pflege? Das wäre dann
freilich ein Nechnungsfaktor, über den kein weiteres Wort verloren zu werden
brauchte, und dessen rasche und gründliche Ausmerzung für die erstrebte Ge¬
sundung unsers Versicherungsrechts die allererste Voraussetzung wäre.




Gobineau in französischer Beleuchtung
(Schluß)

in Jahre 1869 wurde unser Diplomat nach Rio de Janeiro ver¬
setzt. Das dortige Klima bekam ihm nicht, und die südameri-
knnischen Zustände, wie überhaupt das ganze geschichtslosc und
von einem geradezu tollen Völkergemisch bewohnte Amerika
waren ihm widerwärtig. Nur die persönliche Freundschaft des
Kaisers Dom Pedro, der ihm fortan ein treuer Korrespondent blieb, entschädigte
ihn ein wenig; dagegen ließ ihn, der nur für den Menschen Interesse hatte,
die Pracht der Tropennatur kalt; as8 xa^8ag'68 inväirs nannte er diese un¬
historischen Landschaften. Im Frühjahr 1870 nahm er Urlaub. Während des
Krieges weilte er auf seinem Schlosse Trye-en-Vexin. Als Maire seiner Ge¬
meinde und Generalrat des Oisedepcirtements erwirkte er der Bevölkerung Er¬
leichterungen, die ihm nach Abschluß des Waffenstillstands eine Danksagung
von der Stadt Beauvais einbrachten. Die große Umwälzung wälzte auch sein
Denken und seinen Gemütszustand um. Seilliere nennt den noch übrigen
Lebensabschnitt Gobineaus seine asketische Periode. Von Haus aus war er
dem Asketismus nichts weniger als günstig gestimmt gewesen; feierte er doch
die arischen Helden als Männer der Tat; pessimistische Entsagung, Selbst-
Peinigungen, mystische Träumereien, Gaukeleien und Zauberkünste, wie sie die
orientalischen Magier und Mönche betreiben, gehören wahrlich nicht zum Ideal¬
bild eines homerischen oder germanischen Helden. Und wie ihm denn Buddha
überhaupt schon als Zerstörer der Kasten und Gleichmacher verhaßt war, so
hatte er ausdrücklich auch noch den „individuellen und willkürlichen" Asta-
tismus dieses Religionsstifters verurteilt. Der Aufenthalt in Persien, der
Verkehr mit Weisen orientalischen Stils stimmte ihn milder gegen diese Lebens¬
form. Er begann die Entsagung des Anachoreten erhaben zu finden, erhabner
als den Heldenmut des Kriegers. In Chiron sieht er einen vvrhvmerischen
Asketen, Asketismus sieht er in der Apotheose des sterbenden skandinavischen
Helden, und in seinen nach 1870 geschriebnen Briefen Preise er das Leiden.
Es mutet ein wenig komisch an, daß er nnn den Asketismus nicht bloß für
ernen Grundzug des arischen Charakters erklärt, sondern auch ganz besonders


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[0739] Gobineau in französischer Beleuchtung für ein Risiko berechnet sein, das ein ganzes Jahr lang getragen wird. Danach ist sie offenbar zu hoch, wenn das Risiko im Laufe des Jahres weg¬ fällt. Oder rechnen die Versicherungstechniker schon an dieser Stelle damit, daß erfahrimgsmüßig ein großer Teil der Versicherten durch eigne Ver¬ säumnisse den Entschädigungsanspruch zu verwirken pflege? Das wäre dann freilich ein Nechnungsfaktor, über den kein weiteres Wort verloren zu werden brauchte, und dessen rasche und gründliche Ausmerzung für die erstrebte Ge¬ sundung unsers Versicherungsrechts die allererste Voraussetzung wäre. Gobineau in französischer Beleuchtung (Schluß) in Jahre 1869 wurde unser Diplomat nach Rio de Janeiro ver¬ setzt. Das dortige Klima bekam ihm nicht, und die südameri- knnischen Zustände, wie überhaupt das ganze geschichtslosc und von einem geradezu tollen Völkergemisch bewohnte Amerika waren ihm widerwärtig. Nur die persönliche Freundschaft des Kaisers Dom Pedro, der ihm fortan ein treuer Korrespondent blieb, entschädigte ihn ein wenig; dagegen ließ ihn, der nur für den Menschen Interesse hatte, die Pracht der Tropennatur kalt; as8 xa^8ag'68 inväirs nannte er diese un¬ historischen Landschaften. Im Frühjahr 1870 nahm er Urlaub. Während des Krieges weilte er auf seinem Schlosse Trye-en-Vexin. Als Maire seiner Ge¬ meinde und Generalrat des Oisedepcirtements erwirkte er der Bevölkerung Er¬ leichterungen, die ihm nach Abschluß des Waffenstillstands eine Danksagung von der Stadt Beauvais einbrachten. Die große Umwälzung wälzte auch sein Denken und seinen Gemütszustand um. Seilliere nennt den noch übrigen Lebensabschnitt Gobineaus seine asketische Periode. Von Haus aus war er dem Asketismus nichts weniger als günstig gestimmt gewesen; feierte er doch die arischen Helden als Männer der Tat; pessimistische Entsagung, Selbst- Peinigungen, mystische Träumereien, Gaukeleien und Zauberkünste, wie sie die orientalischen Magier und Mönche betreiben, gehören wahrlich nicht zum Ideal¬ bild eines homerischen oder germanischen Helden. Und wie ihm denn Buddha überhaupt schon als Zerstörer der Kasten und Gleichmacher verhaßt war, so hatte er ausdrücklich auch noch den „individuellen und willkürlichen" Asta- tismus dieses Religionsstifters verurteilt. Der Aufenthalt in Persien, der Verkehr mit Weisen orientalischen Stils stimmte ihn milder gegen diese Lebens¬ form. Er begann die Entsagung des Anachoreten erhaben zu finden, erhabner als den Heldenmut des Kriegers. In Chiron sieht er einen vvrhvmerischen Asketen, Asketismus sieht er in der Apotheose des sterbenden skandinavischen Helden, und in seinen nach 1870 geschriebnen Briefen Preise er das Leiden. Es mutet ein wenig komisch an, daß er nnn den Asketismus nicht bloß für ernen Grundzug des arischen Charakters erklärt, sondern auch ganz besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/739>, abgerufen am 24.11.2024.