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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Ein Vergleich zwischen Stein und Bismarck liegt nahe. Der eine hat
den Grund zu dem neuen Preußen gelegt, indem er provinzielle Einrichtungen
auf den ganzen Staat ausdehnte, der andre hat das neue Deutsche Reich ge¬
gründet, indem er preußische Institutionen auf ganz Deutschland übertrug.
Beide waren praktische Landwirte und stolze Edelleute, aber ohne jede hoch¬
mütige Exklusivität, beide Protestanten, beide geniale Naturen von weitem
Blick, tiefer Leidenschaftlichkeit und unbeugsamer Willenskraft, beide erfüllt von
gesundem Wirklichkeitssinn, Feinde alles Doktrinarismus und aller Schablone,
deshalb auch Gegner der Bureaukratie und Verfechter einer verfassungsmäßigen
Teilnahme des Volks am Staatsleben, soweit sie sich mit einer wirklichen
Monarchie vertrug. Und doch, wie verschieden waren sie wieder voneinander:
Stein ein Westdeutscher, ein Neichsritter, der nur den Kaiser als Oberherrn
anerkannte und sich jedem Landesfürsten ebenbürtig fühlte, ein Deutscher
schlechtweg, Preuße nur durch seine freie Wahl, dem alten ostelbischen Kern¬
lande des Staats innerlich immer fremd; Bismarck von Haus aus ostelbischer
Junker, treuer Vasall seines Landesherrn, lange Zeit nur Preuße, mit dein
Westen Deutschlands wenig bekannt und deshalb auch ohne tiefere Kenntnis
der römischen Kirche. Der eine wurde Preuße und arbeitete für Preußen.
weil er in Preußen die für Deutschland entscheidende Kraft sah. der andre
wurde aus einem Preußen ein Deutscher, weil mit dem Aufsteigen seines Staats
diesem die Pflicht zufiel, Deutschland zu führen.

Wie wichtig die Umgebung für die Gestaltung einer Persönlichkeit ist.
wie aber das Entscheidende doch in ihrem Entschluß, also in ihrem Willen
liegt, das zeigt gerade Steins Entwicklung sehr deutlich. Das Geschlecht tritt
erst 1255 unter den Burgmänner der Grafen von Nassau hervor, deren
Stammburg derselbe Felsen des Lahntals trägt, wie den Stammsitz der vom
Stein. Aber im sechzehnten Jahrhundert war die Familie reichsfrei geworden,
sie gehörte zum rheinischen Kreise der Ncichsritterschaft und trug Lehen von
Mainz, Trier, Pfalz, Hessen und Wied. Während der größte Teil ihrer
Standesgenossen der katholischen Kirche treu blieb, trat die Linie, von der
Karl vom Stein abstammte, mit ihrem Ahnherrn Engelbrecht, Domherrn von
Trier, schon 1525 zum Protestantismus über. Ihr Besitz, ein echter west¬
deutscher Strcubesitz, war über einen weiten Raum auf beiden Seiten des
Rheins verteilt, umfaßte aber auf dem rechten Ufer -- der linksrheinische ist
'"ehe genau bekannt -- im ganzen nnr 2400 Morgen in etwa 24 Gütern und
Gutsanteilen, also nicht mehr Fläche, als ein mäßiges pommersches Ritter¬
gut. Auch wurde die reichsritterlichc Eigenschaft dieses Besitzes, soweit er mit
gräflich nnsfauischem Grundeigentum im Gemenge lag. von den Grafen fort¬
während bestritten. Um so mehr suchten die Freiherren vom Stein Anlehnung an der
Reichsritterschaft und den benachbarten geistlichen Fürstentümern, deren Bischofs-
stühle und Dvmherrnstellen der Reichsadel herkö minlich erweise besetzte. Steins
Bater, Karl Philipp, war Nitterrat beim mittclrheinischcu Kanton seines Kreises,
dessen Direktorium seinen Sitz in Koblenz hatte, und Kämmerer des Knrfürsten-
Erzbischofs von Mainz.

In solchen Verhältnissen wuchs Karl vom Stein, geboren am 26. Ol-


Ein Vergleich zwischen Stein und Bismarck liegt nahe. Der eine hat
den Grund zu dem neuen Preußen gelegt, indem er provinzielle Einrichtungen
auf den ganzen Staat ausdehnte, der andre hat das neue Deutsche Reich ge¬
gründet, indem er preußische Institutionen auf ganz Deutschland übertrug.
Beide waren praktische Landwirte und stolze Edelleute, aber ohne jede hoch¬
mütige Exklusivität, beide Protestanten, beide geniale Naturen von weitem
Blick, tiefer Leidenschaftlichkeit und unbeugsamer Willenskraft, beide erfüllt von
gesundem Wirklichkeitssinn, Feinde alles Doktrinarismus und aller Schablone,
deshalb auch Gegner der Bureaukratie und Verfechter einer verfassungsmäßigen
Teilnahme des Volks am Staatsleben, soweit sie sich mit einer wirklichen
Monarchie vertrug. Und doch, wie verschieden waren sie wieder voneinander:
Stein ein Westdeutscher, ein Neichsritter, der nur den Kaiser als Oberherrn
anerkannte und sich jedem Landesfürsten ebenbürtig fühlte, ein Deutscher
schlechtweg, Preuße nur durch seine freie Wahl, dem alten ostelbischen Kern¬
lande des Staats innerlich immer fremd; Bismarck von Haus aus ostelbischer
Junker, treuer Vasall seines Landesherrn, lange Zeit nur Preuße, mit dein
Westen Deutschlands wenig bekannt und deshalb auch ohne tiefere Kenntnis
der römischen Kirche. Der eine wurde Preuße und arbeitete für Preußen.
weil er in Preußen die für Deutschland entscheidende Kraft sah. der andre
wurde aus einem Preußen ein Deutscher, weil mit dem Aufsteigen seines Staats
diesem die Pflicht zufiel, Deutschland zu führen.

Wie wichtig die Umgebung für die Gestaltung einer Persönlichkeit ist.
wie aber das Entscheidende doch in ihrem Entschluß, also in ihrem Willen
liegt, das zeigt gerade Steins Entwicklung sehr deutlich. Das Geschlecht tritt
erst 1255 unter den Burgmänner der Grafen von Nassau hervor, deren
Stammburg derselbe Felsen des Lahntals trägt, wie den Stammsitz der vom
Stein. Aber im sechzehnten Jahrhundert war die Familie reichsfrei geworden,
sie gehörte zum rheinischen Kreise der Ncichsritterschaft und trug Lehen von
Mainz, Trier, Pfalz, Hessen und Wied. Während der größte Teil ihrer
Standesgenossen der katholischen Kirche treu blieb, trat die Linie, von der
Karl vom Stein abstammte, mit ihrem Ahnherrn Engelbrecht, Domherrn von
Trier, schon 1525 zum Protestantismus über. Ihr Besitz, ein echter west¬
deutscher Strcubesitz, war über einen weiten Raum auf beiden Seiten des
Rheins verteilt, umfaßte aber auf dem rechten Ufer — der linksrheinische ist
'"ehe genau bekannt — im ganzen nnr 2400 Morgen in etwa 24 Gütern und
Gutsanteilen, also nicht mehr Fläche, als ein mäßiges pommersches Ritter¬
gut. Auch wurde die reichsritterlichc Eigenschaft dieses Besitzes, soweit er mit
gräflich nnsfauischem Grundeigentum im Gemenge lag. von den Grafen fort¬
während bestritten. Um so mehr suchten die Freiherren vom Stein Anlehnung an der
Reichsritterschaft und den benachbarten geistlichen Fürstentümern, deren Bischofs-
stühle und Dvmherrnstellen der Reichsadel herkö minlich erweise besetzte. Steins
Bater, Karl Philipp, war Nitterrat beim mittclrheinischcu Kanton seines Kreises,
dessen Direktorium seinen Sitz in Koblenz hatte, und Kämmerer des Knrfürsten-
Erzbischofs von Mainz.

In solchen Verhältnissen wuchs Karl vom Stein, geboren am 26. Ol-


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[0589] Ein Vergleich zwischen Stein und Bismarck liegt nahe. Der eine hat den Grund zu dem neuen Preußen gelegt, indem er provinzielle Einrichtungen auf den ganzen Staat ausdehnte, der andre hat das neue Deutsche Reich ge¬ gründet, indem er preußische Institutionen auf ganz Deutschland übertrug. Beide waren praktische Landwirte und stolze Edelleute, aber ohne jede hoch¬ mütige Exklusivität, beide Protestanten, beide geniale Naturen von weitem Blick, tiefer Leidenschaftlichkeit und unbeugsamer Willenskraft, beide erfüllt von gesundem Wirklichkeitssinn, Feinde alles Doktrinarismus und aller Schablone, deshalb auch Gegner der Bureaukratie und Verfechter einer verfassungsmäßigen Teilnahme des Volks am Staatsleben, soweit sie sich mit einer wirklichen Monarchie vertrug. Und doch, wie verschieden waren sie wieder voneinander: Stein ein Westdeutscher, ein Neichsritter, der nur den Kaiser als Oberherrn anerkannte und sich jedem Landesfürsten ebenbürtig fühlte, ein Deutscher schlechtweg, Preuße nur durch seine freie Wahl, dem alten ostelbischen Kern¬ lande des Staats innerlich immer fremd; Bismarck von Haus aus ostelbischer Junker, treuer Vasall seines Landesherrn, lange Zeit nur Preuße, mit dein Westen Deutschlands wenig bekannt und deshalb auch ohne tiefere Kenntnis der römischen Kirche. Der eine wurde Preuße und arbeitete für Preußen. weil er in Preußen die für Deutschland entscheidende Kraft sah. der andre wurde aus einem Preußen ein Deutscher, weil mit dem Aufsteigen seines Staats diesem die Pflicht zufiel, Deutschland zu führen. Wie wichtig die Umgebung für die Gestaltung einer Persönlichkeit ist. wie aber das Entscheidende doch in ihrem Entschluß, also in ihrem Willen liegt, das zeigt gerade Steins Entwicklung sehr deutlich. Das Geschlecht tritt erst 1255 unter den Burgmänner der Grafen von Nassau hervor, deren Stammburg derselbe Felsen des Lahntals trägt, wie den Stammsitz der vom Stein. Aber im sechzehnten Jahrhundert war die Familie reichsfrei geworden, sie gehörte zum rheinischen Kreise der Ncichsritterschaft und trug Lehen von Mainz, Trier, Pfalz, Hessen und Wied. Während der größte Teil ihrer Standesgenossen der katholischen Kirche treu blieb, trat die Linie, von der Karl vom Stein abstammte, mit ihrem Ahnherrn Engelbrecht, Domherrn von Trier, schon 1525 zum Protestantismus über. Ihr Besitz, ein echter west¬ deutscher Strcubesitz, war über einen weiten Raum auf beiden Seiten des Rheins verteilt, umfaßte aber auf dem rechten Ufer — der linksrheinische ist '"ehe genau bekannt — im ganzen nnr 2400 Morgen in etwa 24 Gütern und Gutsanteilen, also nicht mehr Fläche, als ein mäßiges pommersches Ritter¬ gut. Auch wurde die reichsritterlichc Eigenschaft dieses Besitzes, soweit er mit gräflich nnsfauischem Grundeigentum im Gemenge lag. von den Grafen fort¬ während bestritten. Um so mehr suchten die Freiherren vom Stein Anlehnung an der Reichsritterschaft und den benachbarten geistlichen Fürstentümern, deren Bischofs- stühle und Dvmherrnstellen der Reichsadel herkö minlich erweise besetzte. Steins Bater, Karl Philipp, war Nitterrat beim mittclrheinischcu Kanton seines Kreises, dessen Direktorium seinen Sitz in Koblenz hatte, und Kämmerer des Knrfürsten- Erzbischofs von Mainz. In solchen Verhältnissen wuchs Karl vom Stein, geboren am 26. Ol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/589>, abgerufen am 23.11.2024.