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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Vogelschießens, fiel in den Volksschulen der Stadt der Nachmittagsunterricht aus.
Die Frauen und die Kiuder bekamen zum Klerse neue Kleider, und die ganze
Stadt war während des Klerses in einer festlichen Bewegung. Schon vierzehn
Tage vorher war auf dem Klerse ein lebhaftes Treiben. Dann wurden die Klers-
bnden dort aufgebaut. Da war auf einer kleinen Erhöhung die große "Schützen-
hüte," vorn der ganzen Länge nach offen, mit vielen primitiv gezimmerten Tischen,
an denen jeder Schützenbruder seinen Platz für den Gewehrkasten zum Laden der
Büchse hatte. Daneben und davor standen die Wirtshausbudcn und die Familien¬
buden. Die Buden der Wirte waren innen wohnlich eingerichtet, die Wände mit
leichten Stoffen drapiert, die Fenster mit Vorhängen versehen, und jede Bude hatte
eine Küche, in der allerlei Festbraten schmorten und Kaffee, Schokolade oder Punsch
bereitet wurde. Auch in den Familienbuden wurde an den Hcmptklerstngen festlich
geschmaust und hinterher auch wohl ein Tänzchen gemacht. Dazu kamen noch eine
Menge von Verkaufs-, Würfel- und Pfefferküchlerbudeu und eine ganze Reihe von
Schaubuden mit wildeu Tieren, Zauberkünstlern, Panoramen, Zirkusvorstellungen
und dergleichen. Kurz, es war ein großes Jahrmarktstreiben, recht kleinstädtisch,
aber heiter, festlich und für die Jugend von unvergleichlichen Zauber.

Am Vormittage des ersten Freischießentages und acht Tage später am
Vormittage des ersten Vogelschießeutnges war großer Auszug der uniformierten
Schützengilde nach dem Klerse. Dann lief alles nach dem Markte, wo sich die
Schützen vor dem Ratskeller versammelten, nachdem vorher in der Stadt General¬
marsch getrommelt worden war. Wenn die Schützen endlich glücklich in Parade
dastanden, auf dem rechten Flügel die große Schützenfahne und die Stadtmusik,
dann erschien auf der Rathaustreppe der Bürgermeister in Frack und weißer
Binde, schritt die Front ab und nahm den Parademarsch ab. Dann ging es mit
schmetternder Musik hinaus nach dem Klerse, und das Scheibenschießen begann.
Die silbernen Schießpreisc prangten dort in einem öffentlich ausgestellten Schau¬
kästen. Wir Jungen aber liefen nach Hause zum Mittagstisch, wurden nach Tisch
sauber angezogen und liefen, mit einem kleinen Taschengelde versehen, hinaus auf
den Klers mitten in das Festtreiben hinein, staunten die Schaubuden an und
gingen auch wohl in die eine oder die andre, soweit das Geld reichte, hinein.
Die Eltern, bei uns meist die Mutter allein, folgten gegen Abend nach, und
dann wurde draußen zu Abend gegessen, und zwar regelmäßig Gänsebraten mit
Gurkensalat.

Uns Jungen interessierte das Scheibenschießen zwar auch, und wir freuten
uns, wenn ein Schuß das eiserne Zentrum traf und dann eine buntkostümicrte
Figur, der sogenannte Kilian, vermöge einer durch den Zeutrumsschuß ausgelösten
Feder hinter der Scheibe emporschnellte. Ungleich größer aber war das Interesse,
mit dem wir das Schießen nach dem großen, buntfarbige", aus Holz geschnitzten
Vogel verfolgten. Dieser war auf einer inmitten eines Gerüstes wohlbefestigten,
sehr hohen Stange, der Vogelstange, befestigt, die zwischen den Schieß- und Scheiben¬
ständen in der Mitte des Platzes stand. Mit stürmischem Jubel begrüßten wir
es, wenn ein glücklicher Schuß die vergoldete Krone oder ein Stück des Schwanzes
oder gar einen Flügel herabholte. Diese Holzstücke wurden gewogen, und je nach
dem Gewicht wurden die Gewinne bestimmt. Mit Spannung erwarteten wir am
zweiten Tage das endliche Herabfallen des letzten zerschossenen Rumpfüberrestes.
Dann zogen die Schützen, den Vogelkönig in der Mitte, mit Musik wieder zur
Stadt. Abends krönte dann ein wirklich großartiges Feuerwerk das Fest, und
dabei war der ganze Klers von Menschen vollgepfropft. Am 3. August, dem
Geburtstage des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, war Königsschießen, und
an einem andern Tage wurde uach einer auf der Vogelstange befestigten Flatter¬
scheibe geschossen. Das ganze Klersvergnügen dauerte in meiner Jugend drei bis
vier Wochen. Später ist es eingeschränkt worden, und heute wird es an seiner
Bedeutung als Volksbelustigung, um der alle Staude teilnahmen, wohl manche


Aus der Jugendzeit

Vogelschießens, fiel in den Volksschulen der Stadt der Nachmittagsunterricht aus.
Die Frauen und die Kiuder bekamen zum Klerse neue Kleider, und die ganze
Stadt war während des Klerses in einer festlichen Bewegung. Schon vierzehn
Tage vorher war auf dem Klerse ein lebhaftes Treiben. Dann wurden die Klers-
bnden dort aufgebaut. Da war auf einer kleinen Erhöhung die große „Schützen-
hüte," vorn der ganzen Länge nach offen, mit vielen primitiv gezimmerten Tischen,
an denen jeder Schützenbruder seinen Platz für den Gewehrkasten zum Laden der
Büchse hatte. Daneben und davor standen die Wirtshausbudcn und die Familien¬
buden. Die Buden der Wirte waren innen wohnlich eingerichtet, die Wände mit
leichten Stoffen drapiert, die Fenster mit Vorhängen versehen, und jede Bude hatte
eine Küche, in der allerlei Festbraten schmorten und Kaffee, Schokolade oder Punsch
bereitet wurde. Auch in den Familienbuden wurde an den Hcmptklerstngen festlich
geschmaust und hinterher auch wohl ein Tänzchen gemacht. Dazu kamen noch eine
Menge von Verkaufs-, Würfel- und Pfefferküchlerbudeu und eine ganze Reihe von
Schaubuden mit wildeu Tieren, Zauberkünstlern, Panoramen, Zirkusvorstellungen
und dergleichen. Kurz, es war ein großes Jahrmarktstreiben, recht kleinstädtisch,
aber heiter, festlich und für die Jugend von unvergleichlichen Zauber.

Am Vormittage des ersten Freischießentages und acht Tage später am
Vormittage des ersten Vogelschießeutnges war großer Auszug der uniformierten
Schützengilde nach dem Klerse. Dann lief alles nach dem Markte, wo sich die
Schützen vor dem Ratskeller versammelten, nachdem vorher in der Stadt General¬
marsch getrommelt worden war. Wenn die Schützen endlich glücklich in Parade
dastanden, auf dem rechten Flügel die große Schützenfahne und die Stadtmusik,
dann erschien auf der Rathaustreppe der Bürgermeister in Frack und weißer
Binde, schritt die Front ab und nahm den Parademarsch ab. Dann ging es mit
schmetternder Musik hinaus nach dem Klerse, und das Scheibenschießen begann.
Die silbernen Schießpreisc prangten dort in einem öffentlich ausgestellten Schau¬
kästen. Wir Jungen aber liefen nach Hause zum Mittagstisch, wurden nach Tisch
sauber angezogen und liefen, mit einem kleinen Taschengelde versehen, hinaus auf
den Klers mitten in das Festtreiben hinein, staunten die Schaubuden an und
gingen auch wohl in die eine oder die andre, soweit das Geld reichte, hinein.
Die Eltern, bei uns meist die Mutter allein, folgten gegen Abend nach, und
dann wurde draußen zu Abend gegessen, und zwar regelmäßig Gänsebraten mit
Gurkensalat.

Uns Jungen interessierte das Scheibenschießen zwar auch, und wir freuten
uns, wenn ein Schuß das eiserne Zentrum traf und dann eine buntkostümicrte
Figur, der sogenannte Kilian, vermöge einer durch den Zeutrumsschuß ausgelösten
Feder hinter der Scheibe emporschnellte. Ungleich größer aber war das Interesse,
mit dem wir das Schießen nach dem großen, buntfarbige», aus Holz geschnitzten
Vogel verfolgten. Dieser war auf einer inmitten eines Gerüstes wohlbefestigten,
sehr hohen Stange, der Vogelstange, befestigt, die zwischen den Schieß- und Scheiben¬
ständen in der Mitte des Platzes stand. Mit stürmischem Jubel begrüßten wir
es, wenn ein glücklicher Schuß die vergoldete Krone oder ein Stück des Schwanzes
oder gar einen Flügel herabholte. Diese Holzstücke wurden gewogen, und je nach
dem Gewicht wurden die Gewinne bestimmt. Mit Spannung erwarteten wir am
zweiten Tage das endliche Herabfallen des letzten zerschossenen Rumpfüberrestes.
Dann zogen die Schützen, den Vogelkönig in der Mitte, mit Musik wieder zur
Stadt. Abends krönte dann ein wirklich großartiges Feuerwerk das Fest, und
dabei war der ganze Klers von Menschen vollgepfropft. Am 3. August, dem
Geburtstage des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, war Königsschießen, und
an einem andern Tage wurde uach einer auf der Vogelstange befestigten Flatter¬
scheibe geschossen. Das ganze Klersvergnügen dauerte in meiner Jugend drei bis
vier Wochen. Später ist es eingeschränkt worden, und heute wird es an seiner
Bedeutung als Volksbelustigung, um der alle Staude teilnahmen, wohl manche


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[0560] Aus der Jugendzeit Vogelschießens, fiel in den Volksschulen der Stadt der Nachmittagsunterricht aus. Die Frauen und die Kiuder bekamen zum Klerse neue Kleider, und die ganze Stadt war während des Klerses in einer festlichen Bewegung. Schon vierzehn Tage vorher war auf dem Klerse ein lebhaftes Treiben. Dann wurden die Klers- bnden dort aufgebaut. Da war auf einer kleinen Erhöhung die große „Schützen- hüte," vorn der ganzen Länge nach offen, mit vielen primitiv gezimmerten Tischen, an denen jeder Schützenbruder seinen Platz für den Gewehrkasten zum Laden der Büchse hatte. Daneben und davor standen die Wirtshausbudcn und die Familien¬ buden. Die Buden der Wirte waren innen wohnlich eingerichtet, die Wände mit leichten Stoffen drapiert, die Fenster mit Vorhängen versehen, und jede Bude hatte eine Küche, in der allerlei Festbraten schmorten und Kaffee, Schokolade oder Punsch bereitet wurde. Auch in den Familienbuden wurde an den Hcmptklerstngen festlich geschmaust und hinterher auch wohl ein Tänzchen gemacht. Dazu kamen noch eine Menge von Verkaufs-, Würfel- und Pfefferküchlerbudeu und eine ganze Reihe von Schaubuden mit wildeu Tieren, Zauberkünstlern, Panoramen, Zirkusvorstellungen und dergleichen. Kurz, es war ein großes Jahrmarktstreiben, recht kleinstädtisch, aber heiter, festlich und für die Jugend von unvergleichlichen Zauber. Am Vormittage des ersten Freischießentages und acht Tage später am Vormittage des ersten Vogelschießeutnges war großer Auszug der uniformierten Schützengilde nach dem Klerse. Dann lief alles nach dem Markte, wo sich die Schützen vor dem Ratskeller versammelten, nachdem vorher in der Stadt General¬ marsch getrommelt worden war. Wenn die Schützen endlich glücklich in Parade dastanden, auf dem rechten Flügel die große Schützenfahne und die Stadtmusik, dann erschien auf der Rathaustreppe der Bürgermeister in Frack und weißer Binde, schritt die Front ab und nahm den Parademarsch ab. Dann ging es mit schmetternder Musik hinaus nach dem Klerse, und das Scheibenschießen begann. Die silbernen Schießpreisc prangten dort in einem öffentlich ausgestellten Schau¬ kästen. Wir Jungen aber liefen nach Hause zum Mittagstisch, wurden nach Tisch sauber angezogen und liefen, mit einem kleinen Taschengelde versehen, hinaus auf den Klers mitten in das Festtreiben hinein, staunten die Schaubuden an und gingen auch wohl in die eine oder die andre, soweit das Geld reichte, hinein. Die Eltern, bei uns meist die Mutter allein, folgten gegen Abend nach, und dann wurde draußen zu Abend gegessen, und zwar regelmäßig Gänsebraten mit Gurkensalat. Uns Jungen interessierte das Scheibenschießen zwar auch, und wir freuten uns, wenn ein Schuß das eiserne Zentrum traf und dann eine buntkostümicrte Figur, der sogenannte Kilian, vermöge einer durch den Zeutrumsschuß ausgelösten Feder hinter der Scheibe emporschnellte. Ungleich größer aber war das Interesse, mit dem wir das Schießen nach dem großen, buntfarbige», aus Holz geschnitzten Vogel verfolgten. Dieser war auf einer inmitten eines Gerüstes wohlbefestigten, sehr hohen Stange, der Vogelstange, befestigt, die zwischen den Schieß- und Scheiben¬ ständen in der Mitte des Platzes stand. Mit stürmischem Jubel begrüßten wir es, wenn ein glücklicher Schuß die vergoldete Krone oder ein Stück des Schwanzes oder gar einen Flügel herabholte. Diese Holzstücke wurden gewogen, und je nach dem Gewicht wurden die Gewinne bestimmt. Mit Spannung erwarteten wir am zweiten Tage das endliche Herabfallen des letzten zerschossenen Rumpfüberrestes. Dann zogen die Schützen, den Vogelkönig in der Mitte, mit Musik wieder zur Stadt. Abends krönte dann ein wirklich großartiges Feuerwerk das Fest, und dabei war der ganze Klers von Menschen vollgepfropft. Am 3. August, dem Geburtstage des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, war Königsschießen, und an einem andern Tage wurde uach einer auf der Vogelstange befestigten Flatter¬ scheibe geschossen. Das ganze Klersvergnügen dauerte in meiner Jugend drei bis vier Wochen. Später ist es eingeschränkt worden, und heute wird es an seiner Bedeutung als Volksbelustigung, um der alle Staude teilnahmen, wohl manche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/560>, abgerufen am 22.11.2024.