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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Schulmeister, und er stelle doch die Lehrer nicht ein. Und wenn ihnen die Regierung
solche Jaminerkerle wie den Müller zuschickte, bei dem die Kinder nichts lernten,
dann sei es kein Wunder, wenn die Rekruten nichts wüßten. Sie hätten beim alten
Lüttich -- er sei ein strenger Lehrer gewesen und hätte feste gehauen -- Schule
gehabt und hätten alle etwas gelernt (die Emmerlinger Zuhörer nickten Bestätigung),
aber mit diesem Müller, der so psu ö. xsu gar nichts wüßte und verstünde, und
mit der heutigen Jugend sei es zum katholisch werden.

Als nun im nächsten Jahre wieder ein Jlliterat aus Einmerlingen auftauchte,
erhob sich ein großer Spektakel. Der Herr Oberst bemerkte: Wenn das so weiter
gehe, so müßte man ja, weiß es Gott, in der Kaserne eine Elementarschule einrichten.
Der Herr Landrat machte den Schulzen verantwortlich, und der Herr Schulze die
Königliche Negierung. Die Sache kam in die Zeitungen, man wies auf die Emmer¬
linger mit Fingern. Die Emmerlinger ärgerten sich schwarz, und als bei einer
Jagdverpachtung, bei der der Schulze unterschreiben mußte, der Amtsrat auf der
Suderburg scheinbar verwundert ausrief, der Schulze könne ja seinen Namen schreibe",
er hätte gehört, die Emmerlinger machten statt der Unterschrift drei Kreuze, da
war dem Fasse der Boden aufgeschlagen. So ging es nicht weiter.

Aber damit, daß man dem Lehrer Müller aufs Dach stieg, war es nicht
getan. Die drei Rekruten waren zwar in der Schule ungewöhnlich dumme Jungen
gewesen, und Müller war zwar ein Schwachmatikus; aber auch einem tüchtigen
Lehrer wäre es unmöglich gewesen, die Aufgabe zu lösen, hnndertnndzehn Emmer¬
linger Kinder in einer Klasse mit Erfolg zu unterrichten. Und das wurde von
Jahr zu Jahr schlimmer, da die Arbeiter in Scharen aus der Stadt nach
Emmerlingen zogen, seitdem der Eisenbnhnfiskns auf der Einmerlingen zugekehrten
Seite der Stadt Reparaturwerkstätten errichtet hatte. Es blieb also nichts andres
übrig, als in den sauern Apfel zu beißen und eine neue dritte Schule zu bauen.
In einer Gemeindeversammlung wurde alles beschlösse" und festgemacht. Die Sache
ging so schnell, daß die zahlreichen Gegenmeinungen nicht Zeit hatten, sich zu gestalten.
Der Herr Kantor verzichtete auf seine Lieblingsidee, daß das neue Haus schließlich
für ihn gebant werde, lind der Herr Schoppe Spitzmaus gab das Geschäft auf,
seinen Garten, der ihm nichts einbrachte, der Gemeinde für schönes Geld als
Bauplatz aufzuhängen. Der Herr Pastor aber legte der Königlichen Regierung den
Plan, den Anschlag und den Gemeindebeschluß vor und machte einen acht Seiten
langen Bericht, worin er alle Gründe für den Plan erwog und ins rechte Licht
stellte, und worin er der Regierung die Sache so zuckersüß machte, daß diese gar
nicht anders konnte, als mit Freuden ihr liat darunter zu schreiben. Er verfehlte
nicht hinzuzufügen, daß man es einem besondern Glncksfnlle verdanke, wenn die
Verhandlungen sobald zu einem glücklichen Ende geführt hätten, und daß es sich
empföhle, die günstige Stimmung zu benützen und weitere Verhandlungen zu ver¬
meiden. Auch sei ein andrer Bauplatz im Orte nicht zu finden.

Der Herr Pastor war in gehobner Stimmung, als er seinen Bericht abgeschickt
hatte, und er erwartete nicht allein eine schleimige Zustimmung, sondern auch ein
Lob für die Willigkeit der Gemeinde und die Umsicht ihrer Vertretung. Aber es
kam lange keine Antwort. Statt dessen lief die alljährliche Rundfrage nach über¬
füllten Schulen ein, und die Aufforderung, zu berichten, was geschehen sei, die
Überfüllung der Schule in Emmerlingen zu "beheben." Der Herr Pastor fiel ans
allen Himmeln. Ja, sein sonst so friedfertiges Gemüt bewölkte sich. Er hatte einen
acht Seiten langen Bericht geschrieben, alle Umstände dargelegt, alle Wege geebnet,
es fehlte nnr noch an der Zustimmung der Regierung. Und diese selbe Negierung
fragte, nachdem sie den Bericht acht Wochen in Händen hatte, an, was geschehen
sei. Dies setzte der Herr Pastor den Herren Amtsbrüdern im Pfarrverein auseinander
und fand volles Verständnis für seine Schmerzen. Da sehe man es einmal wieder,
daß der Ortsschnlinspektor von der Königlichen Regierung als Luft augesehen werde,
und daß "man" darauf ausgehe, die Kirche gänzlich aus der Schule zu verdränge".


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Schulmeister, und er stelle doch die Lehrer nicht ein. Und wenn ihnen die Regierung
solche Jaminerkerle wie den Müller zuschickte, bei dem die Kinder nichts lernten,
dann sei es kein Wunder, wenn die Rekruten nichts wüßten. Sie hätten beim alten
Lüttich — er sei ein strenger Lehrer gewesen und hätte feste gehauen — Schule
gehabt und hätten alle etwas gelernt (die Emmerlinger Zuhörer nickten Bestätigung),
aber mit diesem Müller, der so psu ö. xsu gar nichts wüßte und verstünde, und
mit der heutigen Jugend sei es zum katholisch werden.

Als nun im nächsten Jahre wieder ein Jlliterat aus Einmerlingen auftauchte,
erhob sich ein großer Spektakel. Der Herr Oberst bemerkte: Wenn das so weiter
gehe, so müßte man ja, weiß es Gott, in der Kaserne eine Elementarschule einrichten.
Der Herr Landrat machte den Schulzen verantwortlich, und der Herr Schulze die
Königliche Negierung. Die Sache kam in die Zeitungen, man wies auf die Emmer¬
linger mit Fingern. Die Emmerlinger ärgerten sich schwarz, und als bei einer
Jagdverpachtung, bei der der Schulze unterschreiben mußte, der Amtsrat auf der
Suderburg scheinbar verwundert ausrief, der Schulze könne ja seinen Namen schreibe»,
er hätte gehört, die Emmerlinger machten statt der Unterschrift drei Kreuze, da
war dem Fasse der Boden aufgeschlagen. So ging es nicht weiter.

Aber damit, daß man dem Lehrer Müller aufs Dach stieg, war es nicht
getan. Die drei Rekruten waren zwar in der Schule ungewöhnlich dumme Jungen
gewesen, und Müller war zwar ein Schwachmatikus; aber auch einem tüchtigen
Lehrer wäre es unmöglich gewesen, die Aufgabe zu lösen, hnndertnndzehn Emmer¬
linger Kinder in einer Klasse mit Erfolg zu unterrichten. Und das wurde von
Jahr zu Jahr schlimmer, da die Arbeiter in Scharen aus der Stadt nach
Emmerlingen zogen, seitdem der Eisenbnhnfiskns auf der Einmerlingen zugekehrten
Seite der Stadt Reparaturwerkstätten errichtet hatte. Es blieb also nichts andres
übrig, als in den sauern Apfel zu beißen und eine neue dritte Schule zu bauen.
In einer Gemeindeversammlung wurde alles beschlösse» und festgemacht. Die Sache
ging so schnell, daß die zahlreichen Gegenmeinungen nicht Zeit hatten, sich zu gestalten.
Der Herr Kantor verzichtete auf seine Lieblingsidee, daß das neue Haus schließlich
für ihn gebant werde, lind der Herr Schoppe Spitzmaus gab das Geschäft auf,
seinen Garten, der ihm nichts einbrachte, der Gemeinde für schönes Geld als
Bauplatz aufzuhängen. Der Herr Pastor aber legte der Königlichen Regierung den
Plan, den Anschlag und den Gemeindebeschluß vor und machte einen acht Seiten
langen Bericht, worin er alle Gründe für den Plan erwog und ins rechte Licht
stellte, und worin er der Regierung die Sache so zuckersüß machte, daß diese gar
nicht anders konnte, als mit Freuden ihr liat darunter zu schreiben. Er verfehlte
nicht hinzuzufügen, daß man es einem besondern Glncksfnlle verdanke, wenn die
Verhandlungen sobald zu einem glücklichen Ende geführt hätten, und daß es sich
empföhle, die günstige Stimmung zu benützen und weitere Verhandlungen zu ver¬
meiden. Auch sei ein andrer Bauplatz im Orte nicht zu finden.

Der Herr Pastor war in gehobner Stimmung, als er seinen Bericht abgeschickt
hatte, und er erwartete nicht allein eine schleimige Zustimmung, sondern auch ein
Lob für die Willigkeit der Gemeinde und die Umsicht ihrer Vertretung. Aber es
kam lange keine Antwort. Statt dessen lief die alljährliche Rundfrage nach über¬
füllten Schulen ein, und die Aufforderung, zu berichten, was geschehen sei, die
Überfüllung der Schule in Emmerlingen zu „beheben." Der Herr Pastor fiel ans
allen Himmeln. Ja, sein sonst so friedfertiges Gemüt bewölkte sich. Er hatte einen
acht Seiten langen Bericht geschrieben, alle Umstände dargelegt, alle Wege geebnet,
es fehlte nnr noch an der Zustimmung der Regierung. Und diese selbe Negierung
fragte, nachdem sie den Bericht acht Wochen in Händen hatte, an, was geschehen
sei. Dies setzte der Herr Pastor den Herren Amtsbrüdern im Pfarrverein auseinander
und fand volles Verständnis für seine Schmerzen. Da sehe man es einmal wieder,
daß der Ortsschnlinspektor von der Königlichen Regierung als Luft augesehen werde,
und daß „man" darauf ausgehe, die Kirche gänzlich aus der Schule zu verdränge».


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[0504] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Schulmeister, und er stelle doch die Lehrer nicht ein. Und wenn ihnen die Regierung solche Jaminerkerle wie den Müller zuschickte, bei dem die Kinder nichts lernten, dann sei es kein Wunder, wenn die Rekruten nichts wüßten. Sie hätten beim alten Lüttich — er sei ein strenger Lehrer gewesen und hätte feste gehauen — Schule gehabt und hätten alle etwas gelernt (die Emmerlinger Zuhörer nickten Bestätigung), aber mit diesem Müller, der so psu ö. xsu gar nichts wüßte und verstünde, und mit der heutigen Jugend sei es zum katholisch werden. Als nun im nächsten Jahre wieder ein Jlliterat aus Einmerlingen auftauchte, erhob sich ein großer Spektakel. Der Herr Oberst bemerkte: Wenn das so weiter gehe, so müßte man ja, weiß es Gott, in der Kaserne eine Elementarschule einrichten. Der Herr Landrat machte den Schulzen verantwortlich, und der Herr Schulze die Königliche Negierung. Die Sache kam in die Zeitungen, man wies auf die Emmer¬ linger mit Fingern. Die Emmerlinger ärgerten sich schwarz, und als bei einer Jagdverpachtung, bei der der Schulze unterschreiben mußte, der Amtsrat auf der Suderburg scheinbar verwundert ausrief, der Schulze könne ja seinen Namen schreibe», er hätte gehört, die Emmerlinger machten statt der Unterschrift drei Kreuze, da war dem Fasse der Boden aufgeschlagen. So ging es nicht weiter. Aber damit, daß man dem Lehrer Müller aufs Dach stieg, war es nicht getan. Die drei Rekruten waren zwar in der Schule ungewöhnlich dumme Jungen gewesen, und Müller war zwar ein Schwachmatikus; aber auch einem tüchtigen Lehrer wäre es unmöglich gewesen, die Aufgabe zu lösen, hnndertnndzehn Emmer¬ linger Kinder in einer Klasse mit Erfolg zu unterrichten. Und das wurde von Jahr zu Jahr schlimmer, da die Arbeiter in Scharen aus der Stadt nach Emmerlingen zogen, seitdem der Eisenbnhnfiskns auf der Einmerlingen zugekehrten Seite der Stadt Reparaturwerkstätten errichtet hatte. Es blieb also nichts andres übrig, als in den sauern Apfel zu beißen und eine neue dritte Schule zu bauen. In einer Gemeindeversammlung wurde alles beschlösse» und festgemacht. Die Sache ging so schnell, daß die zahlreichen Gegenmeinungen nicht Zeit hatten, sich zu gestalten. Der Herr Kantor verzichtete auf seine Lieblingsidee, daß das neue Haus schließlich für ihn gebant werde, lind der Herr Schoppe Spitzmaus gab das Geschäft auf, seinen Garten, der ihm nichts einbrachte, der Gemeinde für schönes Geld als Bauplatz aufzuhängen. Der Herr Pastor aber legte der Königlichen Regierung den Plan, den Anschlag und den Gemeindebeschluß vor und machte einen acht Seiten langen Bericht, worin er alle Gründe für den Plan erwog und ins rechte Licht stellte, und worin er der Regierung die Sache so zuckersüß machte, daß diese gar nicht anders konnte, als mit Freuden ihr liat darunter zu schreiben. Er verfehlte nicht hinzuzufügen, daß man es einem besondern Glncksfnlle verdanke, wenn die Verhandlungen sobald zu einem glücklichen Ende geführt hätten, und daß es sich empföhle, die günstige Stimmung zu benützen und weitere Verhandlungen zu ver¬ meiden. Auch sei ein andrer Bauplatz im Orte nicht zu finden. Der Herr Pastor war in gehobner Stimmung, als er seinen Bericht abgeschickt hatte, und er erwartete nicht allein eine schleimige Zustimmung, sondern auch ein Lob für die Willigkeit der Gemeinde und die Umsicht ihrer Vertretung. Aber es kam lange keine Antwort. Statt dessen lief die alljährliche Rundfrage nach über¬ füllten Schulen ein, und die Aufforderung, zu berichten, was geschehen sei, die Überfüllung der Schule in Emmerlingen zu „beheben." Der Herr Pastor fiel ans allen Himmeln. Ja, sein sonst so friedfertiges Gemüt bewölkte sich. Er hatte einen acht Seiten langen Bericht geschrieben, alle Umstände dargelegt, alle Wege geebnet, es fehlte nnr noch an der Zustimmung der Regierung. Und diese selbe Negierung fragte, nachdem sie den Bericht acht Wochen in Händen hatte, an, was geschehen sei. Dies setzte der Herr Pastor den Herren Amtsbrüdern im Pfarrverein auseinander und fand volles Verständnis für seine Schmerzen. Da sehe man es einmal wieder, daß der Ortsschnlinspektor von der Königlichen Regierung als Luft augesehen werde, und daß „man" darauf ausgehe, die Kirche gänzlich aus der Schule zu verdränge».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/504>, abgerufen am 24.11.2024.