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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Wohl anerkannte, daß der Junge sich schon nützlich machen könne. Besondre Lobes¬
erhebungen vermied mein Vater, und das war pädagogisch sehr richtig. Der Junge
hatte auszurichten, was ihm aufgetragen wurde. Tat er das, so war das nichts
weiter als seiue selbstverständliche Schuldigkeit. Darüber wurde kein Wort weiter
verloren.

Allen Leibesübungen war mein Vater grundsätzlich zugetan. Sehr früh bekam
ich Schlittschuhe. Im Winter wanderten wir an den schulfreien Nachmittagen nach
der halbwegs nach Ditfurt zu gelegnen Kuhwiese, die von der Bleiweißfnbrik aus
überschwemmt wurde und bei Frostwetter eine herrliche Eisfläche darbot. Schon
im achten oder neunten Jahre bekam ich Schwimmunterricht, und den ganzen
Sommer lang wurde täglich kalt gebadet und geschwommen. Das; ich am Turnen
teilnehmen mußte, verstand sich von selbst, und der einfache Tnrnanzng aus grauem
Drillich wurde auch in der Schule und zuhause mit Vorliebe getragen. Unsre
Lehrer in der Volksschule machten mit ihrer Klasse dann und wann kleine Aus¬
flüge. Entweder nach dem eine Stunde Wegs entfernten Steinholze, einem der
Stadt gehörenden anmutigen Wäldchen, oder auch nach Wcddcrsleben und der
Teufelsmauer, nach dem lieblich am Rande des Harzes liegenden Suderade, oder
nach der Lauenburg und der Georgshöhe, oder gar nach der etwas entferntem
Roßtrappe und dem Hexentanzplatz. Ans diesem bin ich mit Herrn Scharfe schon
als siebenjähriger Junge gewesen. Damals gab es dort noch nicht einmal ein
Wirtshaus. Nur eine Holzhauerköte, das heißt eine aus zusammengestellte" Birken-
stämmen hergestellte Hütte gewährte oben einigen Schutz gegen Wind und Wetter.
Herr Scharfe hob uus Jungen einzeln auf die deu Berggipfel krönende Klippe,
hielt nus fest und ließ uns so auf der einen Seite in den gewaltigen Abgrund
des Bodetals, auf der andern hinaus in die sounenbestrahltc Landschaft nach
Quedlinburg, Halberstadt und Magdeburg zu sehen. Diese Wanderungen stärkten
uus Jungen, so müde sie uns auch zuweilen machten. Bei allen solchen Unter¬
nehmungen durfte ich dabei sein. Ich bekam dann von meinen Eltern ein Zwei-
groschenstück, um ein Glas Zuckerwasser oder Brannbier, zur Not auch wohl ein
unbelegtes Butterbrot kaufen zu können. So habe ich mich früh an das Wandern
und seine anspruchslosen Freuden gewöhnt.

Überzieher für Jungen gab es damals nicht, wenigstens nicht für schulpflichtige.
Wir trugen Jacken oder Röcke, die meist aus den nicht mehr gesellschaftsfähigen
Kleidern des Vaters geschneidert waren. Damit zogen wir auch im kalten Winter
auf die Schlittenbahn, die sogenannte Querbahn am Galgenberge. Da sanften wir.
oft nicht ohne Gefahr, auf unsern eisenbeschlagnen Handschlitten in großen Absätzen
den recht steilen Berg hinab. Eine Mütze hatte ich zwar, trug sie aber nur selten,
zum Beispiel Sonntags beim Kirchgang. Mein Vater sah Mützen als ein für
Jungen ziemlich überflüssiges Kleidungsstück an. Im Sommer klebten wir uns
Papierdrnchen von beträchtlicher Größe, und wenn im Herbst die Felder frei wurden,
ließen wir die Drachen vor den Toren der Stadt steigen. Die Berge vor der
Stadt boten eine Menge Schlupfwinkel. Dort spielten wir Räuber und Gendarm
mit einem Feuereifer, der auch wohl einmal zu einer Prügelei führte. In allen
diesen Dingen wurde mir zuhause volle Freiheit gelassen. Nur hielt mein Vater
und unnachsichtiger Strenge darauf, daß wir regelmäßig unsre Schularbeiten
machten.^ Die Schule ging selbstverständlich jedem Vergnügen vor. Der Schimpf,
in der Schule als faul zu gelten, galt für unerhört unanständig. Immer wieder
wurde uns von meinem Vater als die erste, ja beinahe einzige Aufgabe unsers
Gebens eingeprägt, etwas Tüchtiges zu lernen. Er sprach es oft aus, daß ihm
kein Opfer zu groß sei, und er ging dabei unbedenklich auch über die Schule
hinaus. Ich habe vom zehnten bis achtzehnten Jahre regelmäßig Klavierunterricht
empfangen. Leider schließlich durch meine Schuld mit immerhin nnr mäßigem Erfolg,
^ich hätte viel mehr dabei lernen können und müssen. Ebenso ließ mir mein Vater
sust während meiner ganzen Ghmnasialzeit regelmäßig außer der Schule Zeicheu-


Grenzboten III 1SN3 54
Aus der Jugendzeit

Wohl anerkannte, daß der Junge sich schon nützlich machen könne. Besondre Lobes¬
erhebungen vermied mein Vater, und das war pädagogisch sehr richtig. Der Junge
hatte auszurichten, was ihm aufgetragen wurde. Tat er das, so war das nichts
weiter als seiue selbstverständliche Schuldigkeit. Darüber wurde kein Wort weiter
verloren.

Allen Leibesübungen war mein Vater grundsätzlich zugetan. Sehr früh bekam
ich Schlittschuhe. Im Winter wanderten wir an den schulfreien Nachmittagen nach
der halbwegs nach Ditfurt zu gelegnen Kuhwiese, die von der Bleiweißfnbrik aus
überschwemmt wurde und bei Frostwetter eine herrliche Eisfläche darbot. Schon
im achten oder neunten Jahre bekam ich Schwimmunterricht, und den ganzen
Sommer lang wurde täglich kalt gebadet und geschwommen. Das; ich am Turnen
teilnehmen mußte, verstand sich von selbst, und der einfache Tnrnanzng aus grauem
Drillich wurde auch in der Schule und zuhause mit Vorliebe getragen. Unsre
Lehrer in der Volksschule machten mit ihrer Klasse dann und wann kleine Aus¬
flüge. Entweder nach dem eine Stunde Wegs entfernten Steinholze, einem der
Stadt gehörenden anmutigen Wäldchen, oder auch nach Wcddcrsleben und der
Teufelsmauer, nach dem lieblich am Rande des Harzes liegenden Suderade, oder
nach der Lauenburg und der Georgshöhe, oder gar nach der etwas entferntem
Roßtrappe und dem Hexentanzplatz. Ans diesem bin ich mit Herrn Scharfe schon
als siebenjähriger Junge gewesen. Damals gab es dort noch nicht einmal ein
Wirtshaus. Nur eine Holzhauerköte, das heißt eine aus zusammengestellte» Birken-
stämmen hergestellte Hütte gewährte oben einigen Schutz gegen Wind und Wetter.
Herr Scharfe hob uus Jungen einzeln auf die deu Berggipfel krönende Klippe,
hielt nus fest und ließ uns so auf der einen Seite in den gewaltigen Abgrund
des Bodetals, auf der andern hinaus in die sounenbestrahltc Landschaft nach
Quedlinburg, Halberstadt und Magdeburg zu sehen. Diese Wanderungen stärkten
uus Jungen, so müde sie uns auch zuweilen machten. Bei allen solchen Unter¬
nehmungen durfte ich dabei sein. Ich bekam dann von meinen Eltern ein Zwei-
groschenstück, um ein Glas Zuckerwasser oder Brannbier, zur Not auch wohl ein
unbelegtes Butterbrot kaufen zu können. So habe ich mich früh an das Wandern
und seine anspruchslosen Freuden gewöhnt.

Überzieher für Jungen gab es damals nicht, wenigstens nicht für schulpflichtige.
Wir trugen Jacken oder Röcke, die meist aus den nicht mehr gesellschaftsfähigen
Kleidern des Vaters geschneidert waren. Damit zogen wir auch im kalten Winter
auf die Schlittenbahn, die sogenannte Querbahn am Galgenberge. Da sanften wir.
oft nicht ohne Gefahr, auf unsern eisenbeschlagnen Handschlitten in großen Absätzen
den recht steilen Berg hinab. Eine Mütze hatte ich zwar, trug sie aber nur selten,
zum Beispiel Sonntags beim Kirchgang. Mein Vater sah Mützen als ein für
Jungen ziemlich überflüssiges Kleidungsstück an. Im Sommer klebten wir uns
Papierdrnchen von beträchtlicher Größe, und wenn im Herbst die Felder frei wurden,
ließen wir die Drachen vor den Toren der Stadt steigen. Die Berge vor der
Stadt boten eine Menge Schlupfwinkel. Dort spielten wir Räuber und Gendarm
mit einem Feuereifer, der auch wohl einmal zu einer Prügelei führte. In allen
diesen Dingen wurde mir zuhause volle Freiheit gelassen. Nur hielt mein Vater
und unnachsichtiger Strenge darauf, daß wir regelmäßig unsre Schularbeiten
machten.^ Die Schule ging selbstverständlich jedem Vergnügen vor. Der Schimpf,
in der Schule als faul zu gelten, galt für unerhört unanständig. Immer wieder
wurde uns von meinem Vater als die erste, ja beinahe einzige Aufgabe unsers
Gebens eingeprägt, etwas Tüchtiges zu lernen. Er sprach es oft aus, daß ihm
kein Opfer zu groß sei, und er ging dabei unbedenklich auch über die Schule
hinaus. Ich habe vom zehnten bis achtzehnten Jahre regelmäßig Klavierunterricht
empfangen. Leider schließlich durch meine Schuld mit immerhin nnr mäßigem Erfolg,
^ich hätte viel mehr dabei lernen können und müssen. Ebenso ließ mir mein Vater
sust während meiner ganzen Ghmnasialzeit regelmäßig außer der Schule Zeicheu-


Grenzboten III 1SN3 54
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[0433] Aus der Jugendzeit Wohl anerkannte, daß der Junge sich schon nützlich machen könne. Besondre Lobes¬ erhebungen vermied mein Vater, und das war pädagogisch sehr richtig. Der Junge hatte auszurichten, was ihm aufgetragen wurde. Tat er das, so war das nichts weiter als seiue selbstverständliche Schuldigkeit. Darüber wurde kein Wort weiter verloren. Allen Leibesübungen war mein Vater grundsätzlich zugetan. Sehr früh bekam ich Schlittschuhe. Im Winter wanderten wir an den schulfreien Nachmittagen nach der halbwegs nach Ditfurt zu gelegnen Kuhwiese, die von der Bleiweißfnbrik aus überschwemmt wurde und bei Frostwetter eine herrliche Eisfläche darbot. Schon im achten oder neunten Jahre bekam ich Schwimmunterricht, und den ganzen Sommer lang wurde täglich kalt gebadet und geschwommen. Das; ich am Turnen teilnehmen mußte, verstand sich von selbst, und der einfache Tnrnanzng aus grauem Drillich wurde auch in der Schule und zuhause mit Vorliebe getragen. Unsre Lehrer in der Volksschule machten mit ihrer Klasse dann und wann kleine Aus¬ flüge. Entweder nach dem eine Stunde Wegs entfernten Steinholze, einem der Stadt gehörenden anmutigen Wäldchen, oder auch nach Wcddcrsleben und der Teufelsmauer, nach dem lieblich am Rande des Harzes liegenden Suderade, oder nach der Lauenburg und der Georgshöhe, oder gar nach der etwas entferntem Roßtrappe und dem Hexentanzplatz. Ans diesem bin ich mit Herrn Scharfe schon als siebenjähriger Junge gewesen. Damals gab es dort noch nicht einmal ein Wirtshaus. Nur eine Holzhauerköte, das heißt eine aus zusammengestellte» Birken- stämmen hergestellte Hütte gewährte oben einigen Schutz gegen Wind und Wetter. Herr Scharfe hob uus Jungen einzeln auf die deu Berggipfel krönende Klippe, hielt nus fest und ließ uns so auf der einen Seite in den gewaltigen Abgrund des Bodetals, auf der andern hinaus in die sounenbestrahltc Landschaft nach Quedlinburg, Halberstadt und Magdeburg zu sehen. Diese Wanderungen stärkten uus Jungen, so müde sie uns auch zuweilen machten. Bei allen solchen Unter¬ nehmungen durfte ich dabei sein. Ich bekam dann von meinen Eltern ein Zwei- groschenstück, um ein Glas Zuckerwasser oder Brannbier, zur Not auch wohl ein unbelegtes Butterbrot kaufen zu können. So habe ich mich früh an das Wandern und seine anspruchslosen Freuden gewöhnt. Überzieher für Jungen gab es damals nicht, wenigstens nicht für schulpflichtige. Wir trugen Jacken oder Röcke, die meist aus den nicht mehr gesellschaftsfähigen Kleidern des Vaters geschneidert waren. Damit zogen wir auch im kalten Winter auf die Schlittenbahn, die sogenannte Querbahn am Galgenberge. Da sanften wir. oft nicht ohne Gefahr, auf unsern eisenbeschlagnen Handschlitten in großen Absätzen den recht steilen Berg hinab. Eine Mütze hatte ich zwar, trug sie aber nur selten, zum Beispiel Sonntags beim Kirchgang. Mein Vater sah Mützen als ein für Jungen ziemlich überflüssiges Kleidungsstück an. Im Sommer klebten wir uns Papierdrnchen von beträchtlicher Größe, und wenn im Herbst die Felder frei wurden, ließen wir die Drachen vor den Toren der Stadt steigen. Die Berge vor der Stadt boten eine Menge Schlupfwinkel. Dort spielten wir Räuber und Gendarm mit einem Feuereifer, der auch wohl einmal zu einer Prügelei führte. In allen diesen Dingen wurde mir zuhause volle Freiheit gelassen. Nur hielt mein Vater und unnachsichtiger Strenge darauf, daß wir regelmäßig unsre Schularbeiten machten.^ Die Schule ging selbstverständlich jedem Vergnügen vor. Der Schimpf, in der Schule als faul zu gelten, galt für unerhört unanständig. Immer wieder wurde uns von meinem Vater als die erste, ja beinahe einzige Aufgabe unsers Gebens eingeprägt, etwas Tüchtiges zu lernen. Er sprach es oft aus, daß ihm kein Opfer zu groß sei, und er ging dabei unbedenklich auch über die Schule hinaus. Ich habe vom zehnten bis achtzehnten Jahre regelmäßig Klavierunterricht empfangen. Leider schließlich durch meine Schuld mit immerhin nnr mäßigem Erfolg, ^ich hätte viel mehr dabei lernen können und müssen. Ebenso ließ mir mein Vater sust während meiner ganzen Ghmnasialzeit regelmäßig außer der Schule Zeicheu- Grenzboten III 1SN3 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/433>, abgerufen am 27.07.2024.