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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassungsfrage in (Llsaß-Lothringen
(Schluß)

lie politischen Verhältnisse im Reichslande haben sich also seit
dem Jahre 1879 bedeutend gebessert. Es fragt sich aber: Ist
diese Besserung durch die Verfassnngsreform von 1879 verursacht
oder wenigstens befördert worden? Hat die Trennung der Reichs-
! Verwaltung von der Lnndesverwaltung die günstige Entwicklung
der politischen Zustände beschleunigt oder gehemmt? In dieser Beziehung ist
nun die Tatsache wesentlich, daß vor der Trennung acht Jahre lang (1871
bis 1879) eine einzige Verwaltungsart konsequent festgehalten wurde, während
nach der Trennung in vierundzwciuzig Jahre" (1879 bis 1903) sechs verschiedne
Verwaltnngsarten versucht worden sind.

Der erste Zeitraum der selbständigen Landesverwaltung ist der Anfang
der Regierung Manteuffels (1879 bis 1881). In diese Zeit fällt die Frei¬
gebung der einheimischen Presse, die Zulassung der verbotnen altdeutschen
sowie der meisten französischen Zeitungen, die Aufhebung des Kriegsgerichts
und die Genehmigung zur Eröffnung eines bischöflichen Knabenseminars in
Zillisheim.

Der zweite Zeitraum umfaßt deu zweiten Abschnitt der Negierung Man-
teuffels (1881 bis 1885). In diese Zeit fallen die Unterdrückung der protest-
lenscheu "Presse von Elsaß-Lothringen," sowie der klerikalen Zeitungen
"Union" und "Se. Odilienblatt," das Verbot der Herausgabe eines neuen
klerikalen Wochenblatts "Elsässer," die Untersagung des Geschäftsbetriebs der
französischen Versicherungsgesellschaften, das scharfe Vorgehn gegen die militär¬
pflichtigen Emigranten, die Einführung der deutsche" Geschäftssprache im
Landesausschuß und die gerichtliche Verfolgung des Prvtestlcrs Antoine, zu¬
gleich aber auch die Dekorierung des klerikalen Protestlers Dupont des Logcs
mit dem Kronenorden zweiter Klasse, die Berufung von Emigrantenvütern
auf Bürgermeister- und Staatsratsposten, sowie das Verbot des Bismarck-
Fackelzugs.

Der dritte Zeitraum reicht von dem Regierungsantritt des Fürsten Chlodwig
Hohenlohe bis zu den verhängnisvollen Neichstagswahlen des Jahres 1887.
In diese Zeit fällt der patriarchalische Aufruf des Statthalters an die Reichs¬
tagswähler in Elsaß-Lothringen vom 15. Februar 1887, der uicht den ge¬
ringsten Eindruck machte.

Der vierte Zeitraum erstreckt sich von den Reichstagswahlen des Jahres
1887 bis zum Sturze des Fürsten Bismarck (1890). In diese Zeit fallen
der Rücktritt des Ministers von Hofmann, die Berufung der Altpreußen Stube
und Köller, die Erweiterung des kaiserlichen Vervrdnungsrechts durch das




Die Verfassungsfrage in (Llsaß-Lothringen
(Schluß)

lie politischen Verhältnisse im Reichslande haben sich also seit
dem Jahre 1879 bedeutend gebessert. Es fragt sich aber: Ist
diese Besserung durch die Verfassnngsreform von 1879 verursacht
oder wenigstens befördert worden? Hat die Trennung der Reichs-
! Verwaltung von der Lnndesverwaltung die günstige Entwicklung
der politischen Zustände beschleunigt oder gehemmt? In dieser Beziehung ist
nun die Tatsache wesentlich, daß vor der Trennung acht Jahre lang (1871
bis 1879) eine einzige Verwaltungsart konsequent festgehalten wurde, während
nach der Trennung in vierundzwciuzig Jahre» (1879 bis 1903) sechs verschiedne
Verwaltnngsarten versucht worden sind.

Der erste Zeitraum der selbständigen Landesverwaltung ist der Anfang
der Regierung Manteuffels (1879 bis 1881). In diese Zeit fällt die Frei¬
gebung der einheimischen Presse, die Zulassung der verbotnen altdeutschen
sowie der meisten französischen Zeitungen, die Aufhebung des Kriegsgerichts
und die Genehmigung zur Eröffnung eines bischöflichen Knabenseminars in
Zillisheim.

Der zweite Zeitraum umfaßt deu zweiten Abschnitt der Negierung Man-
teuffels (1881 bis 1885). In diese Zeit fallen die Unterdrückung der protest-
lenscheu „Presse von Elsaß-Lothringen," sowie der klerikalen Zeitungen
„Union" und „Se. Odilienblatt," das Verbot der Herausgabe eines neuen
klerikalen Wochenblatts „Elsässer," die Untersagung des Geschäftsbetriebs der
französischen Versicherungsgesellschaften, das scharfe Vorgehn gegen die militär¬
pflichtigen Emigranten, die Einführung der deutsche» Geschäftssprache im
Landesausschuß und die gerichtliche Verfolgung des Prvtestlcrs Antoine, zu¬
gleich aber auch die Dekorierung des klerikalen Protestlers Dupont des Logcs
mit dem Kronenorden zweiter Klasse, die Berufung von Emigrantenvütern
auf Bürgermeister- und Staatsratsposten, sowie das Verbot des Bismarck-
Fackelzugs.

Der dritte Zeitraum reicht von dem Regierungsantritt des Fürsten Chlodwig
Hohenlohe bis zu den verhängnisvollen Neichstagswahlen des Jahres 1887.
In diese Zeit fällt der patriarchalische Aufruf des Statthalters an die Reichs¬
tagswähler in Elsaß-Lothringen vom 15. Februar 1887, der uicht den ge¬
ringsten Eindruck machte.

Der vierte Zeitraum erstreckt sich von den Reichstagswahlen des Jahres
1887 bis zum Sturze des Fürsten Bismarck (1890). In diese Zeit fallen
der Rücktritt des Ministers von Hofmann, die Berufung der Altpreußen Stube
und Köller, die Erweiterung des kaiserlichen Vervrdnungsrechts durch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/398>, abgerufen am 22.11.2024.