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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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T>le Verfassungsfrage in Elsaß-Lothringen
i

in 28. April 1903 hat der elsaß-lothringische Landesansschuß
einen von sämtlichen Mitgliedern unterzeichneten Antrag Krafft
und Genossen angenommen, worin folgende Änderungen der elsa߬
lothringischen Verfassung gewünscht werden:

Erstens, daß der Reichstag als gesetzgeberische Macht für
Elsaß-Lothringen ausgeschaltet werde. Zweitens, daß dem Landesansschuß
die Befugnisse, die Stellung und der Name eines Landtags für Elsaß-Lothringen
erteilt würden. Drittens, daß bei der Beratung von elsaß-lothringischen An¬
gelegenheiten im Bundesrat die drei von dem Landesherrn zu ernennenden
Vertreter Elsaß-Lothringens stimmberechtigt seien.

Über die Bedeutung des Antrags Krafft sind schon zahlreiche Zeitungs¬
artikel in der elsnß-lothringischen und in der altdeutschen Tagespresse ver¬
öffentlicht worden; mich im Landesansschuß hat eine eingehende Debatte über
den erwähnten Antrag stattgefunden. Bei diesen Erörterungen nun ist eine
solche Fülle von Unrichtigkeiten und Unklarheiten, ein solcher- Mangel an Rechts¬
kenntnis, historischen: Wissen und politischer Einsicht hervorgetreten, daß eine
Aufklärung der öffentlichen Meinung -- insbesondere in Altdeutschland --
über die Motive und die Ziele des Antrags sowie über die Folgen seiner
etwaigen Verwirklichung dringend geboten erscheint.

Um die politische Tragweite des Antrags Krafft richtig zu würdigen, muß
man sich zunächst den juristischen Unterschied klar machen, der zwischen Elsaß-
Lothringen und den deutschen Bundesstaaten besteht. Alle Privilegien, die
die deutschen Bundesstaaten vor dem Reichsland Elsaß-Lothringen voraus
haben, kann man auf einen einzigen Satz zurückführen: "Die Zuständigkeit des
Reichs gegenüber den deutschen Bundesstaaten ist beschränkt, gegenüber dem
Reichsland Elsaß-Lothringen unbeschränkt." Das Reich hat gegenüber den
Bundesstaaten nur die Hoheitsrechte, die ihm dnrch die Reichsverfassung selbst
oder dnrch spätere Änderungen darin ausdrücklich beigelegt worden sind; das
Reich hat gegenüber dem Reichsland alle Hoheitsrechte, die überhaupt nur
denkbar sind.


Grenzboten III 1903 "I I


T>le Verfassungsfrage in Elsaß-Lothringen
i

in 28. April 1903 hat der elsaß-lothringische Landesansschuß
einen von sämtlichen Mitgliedern unterzeichneten Antrag Krafft
und Genossen angenommen, worin folgende Änderungen der elsa߬
lothringischen Verfassung gewünscht werden:

Erstens, daß der Reichstag als gesetzgeberische Macht für
Elsaß-Lothringen ausgeschaltet werde. Zweitens, daß dem Landesansschuß
die Befugnisse, die Stellung und der Name eines Landtags für Elsaß-Lothringen
erteilt würden. Drittens, daß bei der Beratung von elsaß-lothringischen An¬
gelegenheiten im Bundesrat die drei von dem Landesherrn zu ernennenden
Vertreter Elsaß-Lothringens stimmberechtigt seien.

Über die Bedeutung des Antrags Krafft sind schon zahlreiche Zeitungs¬
artikel in der elsnß-lothringischen und in der altdeutschen Tagespresse ver¬
öffentlicht worden; mich im Landesansschuß hat eine eingehende Debatte über
den erwähnten Antrag stattgefunden. Bei diesen Erörterungen nun ist eine
solche Fülle von Unrichtigkeiten und Unklarheiten, ein solcher- Mangel an Rechts¬
kenntnis, historischen: Wissen und politischer Einsicht hervorgetreten, daß eine
Aufklärung der öffentlichen Meinung — insbesondere in Altdeutschland —
über die Motive und die Ziele des Antrags sowie über die Folgen seiner
etwaigen Verwirklichung dringend geboten erscheint.

Um die politische Tragweite des Antrags Krafft richtig zu würdigen, muß
man sich zunächst den juristischen Unterschied klar machen, der zwischen Elsaß-
Lothringen und den deutschen Bundesstaaten besteht. Alle Privilegien, die
die deutschen Bundesstaaten vor dem Reichsland Elsaß-Lothringen voraus
haben, kann man auf einen einzigen Satz zurückführen: „Die Zuständigkeit des
Reichs gegenüber den deutschen Bundesstaaten ist beschränkt, gegenüber dem
Reichsland Elsaß-Lothringen unbeschränkt." Das Reich hat gegenüber den
Bundesstaaten nur die Hoheitsrechte, die ihm dnrch die Reichsverfassung selbst
oder dnrch spätere Änderungen darin ausdrücklich beigelegt worden sind; das
Reich hat gegenüber dem Reichsland alle Hoheitsrechte, die überhaupt nur
denkbar sind.


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[0329] [Abbildung] T>le Verfassungsfrage in Elsaß-Lothringen i in 28. April 1903 hat der elsaß-lothringische Landesansschuß einen von sämtlichen Mitgliedern unterzeichneten Antrag Krafft und Genossen angenommen, worin folgende Änderungen der elsa߬ lothringischen Verfassung gewünscht werden: Erstens, daß der Reichstag als gesetzgeberische Macht für Elsaß-Lothringen ausgeschaltet werde. Zweitens, daß dem Landesansschuß die Befugnisse, die Stellung und der Name eines Landtags für Elsaß-Lothringen erteilt würden. Drittens, daß bei der Beratung von elsaß-lothringischen An¬ gelegenheiten im Bundesrat die drei von dem Landesherrn zu ernennenden Vertreter Elsaß-Lothringens stimmberechtigt seien. Über die Bedeutung des Antrags Krafft sind schon zahlreiche Zeitungs¬ artikel in der elsnß-lothringischen und in der altdeutschen Tagespresse ver¬ öffentlicht worden; mich im Landesansschuß hat eine eingehende Debatte über den erwähnten Antrag stattgefunden. Bei diesen Erörterungen nun ist eine solche Fülle von Unrichtigkeiten und Unklarheiten, ein solcher- Mangel an Rechts¬ kenntnis, historischen: Wissen und politischer Einsicht hervorgetreten, daß eine Aufklärung der öffentlichen Meinung — insbesondere in Altdeutschland — über die Motive und die Ziele des Antrags sowie über die Folgen seiner etwaigen Verwirklichung dringend geboten erscheint. Um die politische Tragweite des Antrags Krafft richtig zu würdigen, muß man sich zunächst den juristischen Unterschied klar machen, der zwischen Elsaß- Lothringen und den deutschen Bundesstaaten besteht. Alle Privilegien, die die deutschen Bundesstaaten vor dem Reichsland Elsaß-Lothringen voraus haben, kann man auf einen einzigen Satz zurückführen: „Die Zuständigkeit des Reichs gegenüber den deutschen Bundesstaaten ist beschränkt, gegenüber dem Reichsland Elsaß-Lothringen unbeschränkt." Das Reich hat gegenüber den Bundesstaaten nur die Hoheitsrechte, die ihm dnrch die Reichsverfassung selbst oder dnrch spätere Änderungen darin ausdrücklich beigelegt worden sind; das Reich hat gegenüber dem Reichsland alle Hoheitsrechte, die überhaupt nur denkbar sind. Grenzboten III 1903 "I I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/329>, abgerufen am 22.11.2024.