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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

ihrer Vasallen oder "Lehnsmannen" -- den Vorfahren der heute so weit ver¬
breiteten Familie "Lehmann" --, und von diesem Umstände aus hat dann das
von "tsuänin" abgeleitete Eigenschaftswort "feudal", das ursprünglich nur dem
engen Gebiete des Lehnwesens angehörte, seine Bedeutung allmählich so zu
erweitern vermocht, daß es jetzt "in einem gewissen Jargon schlechthin für
etwas notwendig und selbstverständlich Vornehmes und Großartiges gebraucht
wird." (Cour. Thümmel, Aus der Symbolik des altdeutschen Bauernrcchts,
Hamburg 1887, S. 8.) Neuerdings ist es zwar gegen das noch modernere,
besonders beim Militär beliebte "schneidig" etwas zurückgedrängt worden, doch
pflegt noch immer der flotte Bruder Studio nicht nur in ein "feudales Korps"
einzutreten oder vielmehr "einzuspringen," er bringt es auchfertig, sich eine
"feudale Bilde" zu mieten oder sogar sich eiuen "feudalen Überzieher" beim
Schneider "bauen" zu lassen. Dabei wird man seine Unkenntnis des eigentlichen
Sinnes dieses Adjektivs sogar dann verzeihlich finden, wenn er zu den Themis-
jüngern gehören sollte, denn das einst sehr wichtige Lehnrecht ist ja schon seit
geraumer Zeit aus der Reihe der obligatorischen llniversitätsvorlesungen als
für die Praxis bedeutungslos gestrichen worden.

Wie fast bei allen Völkern auf den unterstell Kulturstufen hat das Vieh
auch bei den Germanen zunächst als Tauschmittel und Zahlungsmittel gedient,
ist also -- modern gesprochen-- als ältestes "Geld" gegeben und empfangen
worden (vgl. das römische poounia, von poous, Reichtum an Vieh, an beweg¬
licher Habe, dann Reichtum überhaupt, Geld), d. h. als "Zahlung" oder das,
"was als Zahlung galt," Ersatz, Entschädigung, Vergeltung (Geld, ahd.
und ahd. Asie, von "gelten," erst viel später auf das geprägte Zahlmittel,
die klingende Münze beschränkt; vgl. "Entgelt," worin der allgemeinere Sinn
noch erhalten ist). Unsre Sprache läßt heute noch deutlich genug in der Wendung
"eine Schuld beitreiben" oder "eintreiben" die Erinnerung an die pri¬
mitiven Zeiten durchschimmern, in denen die Schuld noch wirklich in "gang¬
barer," d. h. vierbeiniger Münze beglichen wurde, woran auch noch die in
frühern Zeiten gleichfalls gerade für Münzen gebräuchlich gewesene Formel "gäng
und gäbe" (d. h. geeignet zu gehen und gegeben zu werden) anzuklingen scheint.

Im Anschluß hieran sei endlich erwähnt, daß auch im ältern deutschen
Forderungsrechte ("Recht der Schuldverhältnisse") gewisse gesetzliche Ansprüche
auf Leistungen bestimmter Arten von Tieren geltend gemacht werden konnten,
die jetzt größtenteils schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Das waren die
sogenannten Naturalleistungen von Vieh (Viehzinsen, Blntzchnten usw.), manchmal
mit Rücksicht auf den Fälligkeitstermin noch spezieller als Fastnachtshiihner,
Pfingstlämmer, Martinsgänse n. dergl. in. bestimmt), die neben den "Fronten,"
"Frondiensten" oder "Fronarbeiten" -- wie unsre Sprache wohl auch heute
noch besonders schwere Dienste und Arbeiten bezeichnet -- zu den hauptsäch-
lichsten Verpflichtungen der Gutsuntcrtanen (Leibeignen, Hörigen) gegenüber
dem Gutsherrn gehörten. Da nun uuter diesen Zinstieren offenbar die
Hühner, Zinshühner (auch Leib-, Hals, Hand-, Rauchhühner usw. genannt)
und "Zinshähne" besonders beliebt gewesen sind und unter den letztem
wieder namentlich solche mit schönem, rötlich schimmerndem Gefieder (oder
vielleicht auch mit besonders rotem Kamm und Kehllappen) bevorzugt sein
dürften, so findet von hier aus der auffällige, jetzt auch für die Gesichtsfarbe
von Meuscheu gebräuchliche Ausdruck "rot wie ein Zinshahn" eine passende
Erklärung tFortsctzung folgt) .




Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

ihrer Vasallen oder „Lehnsmannen" — den Vorfahren der heute so weit ver¬
breiteten Familie „Lehmann" —, und von diesem Umstände aus hat dann das
von „tsuänin" abgeleitete Eigenschaftswort „feudal", das ursprünglich nur dem
engen Gebiete des Lehnwesens angehörte, seine Bedeutung allmählich so zu
erweitern vermocht, daß es jetzt „in einem gewissen Jargon schlechthin für
etwas notwendig und selbstverständlich Vornehmes und Großartiges gebraucht
wird." (Cour. Thümmel, Aus der Symbolik des altdeutschen Bauernrcchts,
Hamburg 1887, S. 8.) Neuerdings ist es zwar gegen das noch modernere,
besonders beim Militär beliebte „schneidig" etwas zurückgedrängt worden, doch
pflegt noch immer der flotte Bruder Studio nicht nur in ein „feudales Korps"
einzutreten oder vielmehr „einzuspringen," er bringt es auchfertig, sich eine
„feudale Bilde" zu mieten oder sogar sich eiuen „feudalen Überzieher" beim
Schneider „bauen" zu lassen. Dabei wird man seine Unkenntnis des eigentlichen
Sinnes dieses Adjektivs sogar dann verzeihlich finden, wenn er zu den Themis-
jüngern gehören sollte, denn das einst sehr wichtige Lehnrecht ist ja schon seit
geraumer Zeit aus der Reihe der obligatorischen llniversitätsvorlesungen als
für die Praxis bedeutungslos gestrichen worden.

Wie fast bei allen Völkern auf den unterstell Kulturstufen hat das Vieh
auch bei den Germanen zunächst als Tauschmittel und Zahlungsmittel gedient,
ist also — modern gesprochen— als ältestes „Geld" gegeben und empfangen
worden (vgl. das römische poounia, von poous, Reichtum an Vieh, an beweg¬
licher Habe, dann Reichtum überhaupt, Geld), d. h. als „Zahlung" oder das,
„was als Zahlung galt," Ersatz, Entschädigung, Vergeltung (Geld, ahd.
und ahd. Asie, von „gelten," erst viel später auf das geprägte Zahlmittel,
die klingende Münze beschränkt; vgl. „Entgelt," worin der allgemeinere Sinn
noch erhalten ist). Unsre Sprache läßt heute noch deutlich genug in der Wendung
„eine Schuld beitreiben" oder „eintreiben" die Erinnerung an die pri¬
mitiven Zeiten durchschimmern, in denen die Schuld noch wirklich in „gang¬
barer," d. h. vierbeiniger Münze beglichen wurde, woran auch noch die in
frühern Zeiten gleichfalls gerade für Münzen gebräuchlich gewesene Formel „gäng
und gäbe" (d. h. geeignet zu gehen und gegeben zu werden) anzuklingen scheint.

Im Anschluß hieran sei endlich erwähnt, daß auch im ältern deutschen
Forderungsrechte („Recht der Schuldverhältnisse") gewisse gesetzliche Ansprüche
auf Leistungen bestimmter Arten von Tieren geltend gemacht werden konnten,
die jetzt größtenteils schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Das waren die
sogenannten Naturalleistungen von Vieh (Viehzinsen, Blntzchnten usw.), manchmal
mit Rücksicht auf den Fälligkeitstermin noch spezieller als Fastnachtshiihner,
Pfingstlämmer, Martinsgänse n. dergl. in. bestimmt), die neben den „Fronten,"
„Frondiensten" oder „Fronarbeiten" — wie unsre Sprache wohl auch heute
noch besonders schwere Dienste und Arbeiten bezeichnet — zu den hauptsäch-
lichsten Verpflichtungen der Gutsuntcrtanen (Leibeignen, Hörigen) gegenüber
dem Gutsherrn gehörten. Da nun uuter diesen Zinstieren offenbar die
Hühner, Zinshühner (auch Leib-, Hals, Hand-, Rauchhühner usw. genannt)
und „Zinshähne" besonders beliebt gewesen sind und unter den letztem
wieder namentlich solche mit schönem, rötlich schimmerndem Gefieder (oder
vielleicht auch mit besonders rotem Kamm und Kehllappen) bevorzugt sein
dürften, so findet von hier aus der auffällige, jetzt auch für die Gesichtsfarbe
von Meuscheu gebräuchliche Ausdruck „rot wie ein Zinshahn" eine passende
Erklärung tFortsctzung folgt) .




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[0244] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache ihrer Vasallen oder „Lehnsmannen" — den Vorfahren der heute so weit ver¬ breiteten Familie „Lehmann" —, und von diesem Umstände aus hat dann das von „tsuänin" abgeleitete Eigenschaftswort „feudal", das ursprünglich nur dem engen Gebiete des Lehnwesens angehörte, seine Bedeutung allmählich so zu erweitern vermocht, daß es jetzt „in einem gewissen Jargon schlechthin für etwas notwendig und selbstverständlich Vornehmes und Großartiges gebraucht wird." (Cour. Thümmel, Aus der Symbolik des altdeutschen Bauernrcchts, Hamburg 1887, S. 8.) Neuerdings ist es zwar gegen das noch modernere, besonders beim Militär beliebte „schneidig" etwas zurückgedrängt worden, doch pflegt noch immer der flotte Bruder Studio nicht nur in ein „feudales Korps" einzutreten oder vielmehr „einzuspringen," er bringt es auchfertig, sich eine „feudale Bilde" zu mieten oder sogar sich eiuen „feudalen Überzieher" beim Schneider „bauen" zu lassen. Dabei wird man seine Unkenntnis des eigentlichen Sinnes dieses Adjektivs sogar dann verzeihlich finden, wenn er zu den Themis- jüngern gehören sollte, denn das einst sehr wichtige Lehnrecht ist ja schon seit geraumer Zeit aus der Reihe der obligatorischen llniversitätsvorlesungen als für die Praxis bedeutungslos gestrichen worden. Wie fast bei allen Völkern auf den unterstell Kulturstufen hat das Vieh auch bei den Germanen zunächst als Tauschmittel und Zahlungsmittel gedient, ist also — modern gesprochen— als ältestes „Geld" gegeben und empfangen worden (vgl. das römische poounia, von poous, Reichtum an Vieh, an beweg¬ licher Habe, dann Reichtum überhaupt, Geld), d. h. als „Zahlung" oder das, „was als Zahlung galt," Ersatz, Entschädigung, Vergeltung (Geld, ahd. und ahd. Asie, von „gelten," erst viel später auf das geprägte Zahlmittel, die klingende Münze beschränkt; vgl. „Entgelt," worin der allgemeinere Sinn noch erhalten ist). Unsre Sprache läßt heute noch deutlich genug in der Wendung „eine Schuld beitreiben" oder „eintreiben" die Erinnerung an die pri¬ mitiven Zeiten durchschimmern, in denen die Schuld noch wirklich in „gang¬ barer," d. h. vierbeiniger Münze beglichen wurde, woran auch noch die in frühern Zeiten gleichfalls gerade für Münzen gebräuchlich gewesene Formel „gäng und gäbe" (d. h. geeignet zu gehen und gegeben zu werden) anzuklingen scheint. Im Anschluß hieran sei endlich erwähnt, daß auch im ältern deutschen Forderungsrechte („Recht der Schuldverhältnisse") gewisse gesetzliche Ansprüche auf Leistungen bestimmter Arten von Tieren geltend gemacht werden konnten, die jetzt größtenteils schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Das waren die sogenannten Naturalleistungen von Vieh (Viehzinsen, Blntzchnten usw.), manchmal mit Rücksicht auf den Fälligkeitstermin noch spezieller als Fastnachtshiihner, Pfingstlämmer, Martinsgänse n. dergl. in. bestimmt), die neben den „Fronten," „Frondiensten" oder „Fronarbeiten" — wie unsre Sprache wohl auch heute noch besonders schwere Dienste und Arbeiten bezeichnet — zu den hauptsäch- lichsten Verpflichtungen der Gutsuntcrtanen (Leibeignen, Hörigen) gegenüber dem Gutsherrn gehörten. Da nun uuter diesen Zinstieren offenbar die Hühner, Zinshühner (auch Leib-, Hals, Hand-, Rauchhühner usw. genannt) und „Zinshähne" besonders beliebt gewesen sind und unter den letztem wieder namentlich solche mit schönem, rötlich schimmerndem Gefieder (oder vielleicht auch mit besonders rotem Kamm und Kehllappen) bevorzugt sein dürften, so findet von hier aus der auffällige, jetzt auch für die Gesichtsfarbe von Meuscheu gebräuchliche Ausdruck „rot wie ein Zinshahn" eine passende Erklärung tFortsctzung folgt) .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/244>, abgerufen am 26.11.2024.