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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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in der ganzen Welt macht. Und noch etwas andres: die Kirche übt jetzt ihren
Einfluß in der Öffentlichkeit, in Parlament, Presse und Vereinen, wo sie vor einem
Jahrhundert so gut wie unbekannt war. Das verführt leicht zu einer Überschätzung
ihres Machtgewinns. Auch die vou ihr unabhängigen oder gar ihr feindlichen
Kräfte sind riesig und wahrscheinlich noch weit mehr gewachsen: die Unabhängigkeit
des Denkens, die Fvrschungsfreiheit, die Errungenschaften der Wissenschaft; auch
das Emporkommen der nicht katholischen Großmächte Deutschland, Rußland, Eng¬
land und der Vereinigten Staaten fällt schwer ins Gewicht, denn die katholischen,
Österreich-Ungarn, Italien und sogar Frankreich sind mehr ins Hintertreffen ge¬
kommen; in Frankreich hat die Kirche überdies augenblicklich alle entscheidende
Macht verloren; endlich darf die sozialdemokratische Bewegung der Geister nicht
unterschätzt werden, sie läßt auch die katholische Bevölkerung nicht unberührt. Nur
auf der einen Seite wird der mächtige Ban des Katholizismus vom Licht bestrahlt,
auf der andern liegen tiefe Schatten.

Der Verlust der weltlichen Herrschaft im Kirchenstaat gehört allerdings ganz
und gar nicht zu den Nachteilen, die die Kirche erfahren hat. Er ist ganz bequem,
Volksversammlungen zu rühren, aber die klugen Männer im Vatikan werden einander
im geheimen Wohl gestehn, wie erleichtert sie sind, seit ihnen die Sorge um den
Kirchenstaat abgenommen ist. Diese seltsame politische Bildung war schon beim
Zusammenstoß mit Napoleon ein ganz widerstandsloses Gemeinwesen, ein voll¬
ständiger Anachronismus. Das Fnzit der prächtigen Schilderung Sybels (Ge¬
schichte der Reformationszeit Band 7) lautet: "Niemals ist der Schein löblicher
Zwecke mit schlechtem Mitteln erstrebt, mit verderblicheren Preise bezahlt, mit be¬
schränkterer Wirkung verfolgt worden. Trotz aller ästhetischen Herrlichkeit der
römischen Verhältnisse, trotz aller Gewalttätigkeit und Habgier des französischen
Angriffs muß man es aussprechen: es war eine unermeßliche Wohltat für Rom
und Italien, wen" die Revolution die geistliche Staatsgewalt der nahen Ver¬
nichtung entgegenführte." Damals war die Vernichtung nur vorübergehend, 1814
erstand der Priesterstaat zu Rom von neuem, nunmehr der einzige in der Welt,
denn die geistlichen Staaten in Deutschland blieben seit dem Neichsdeputativns-
hauptschluß aufgehoben. Während die andern Staaten fast ohne Ausnahme ein
neues, zukunftversprechendes Leben begannen, lenkte der Kirchenstaat einfach wieder
in seine ausgefahrueu Geleise ein. Ein einziger Ansatz zu Reformen wurde ge¬
macht, nämlich von Pius dem Neunter. Gleich nach seiner Wahl (16. Juni 1846)
machte er allerlei liberale Zugeständnisse. Er erlaubte die Gelehrteuversammlungen,
setzte deu freisinnigen .Kardinal Gtzzi zum Staatssekretär ein, berief einen Ausschuß
zum Zweck verschiedner Gesetzesreformen und milderte die Zensur. Im Jahre 1847
berief er einen Stantsrnt aus Vertretern der verschiednen Provinzen und begründete
nicht nur einen Ministerrat sondern auch die Bürgergarde. Der Jubel war un¬
ermeßlich. Man sah in ihm den nationalen Einiger. Italiens.

Nur bis zur Revolution von 1848 dauerte diese Tendenz. Dann ergab sich
Pius wieder der strengsten Reaktion, wozu Frankreich ihm die weltliche Gewalt
verlieh. Der Kirchenstaat wurde wieder ein Unding wie zuvor. Döllinger, "Kirche
und Kirchen," sagt: "Der Geistliche, wenn er mit der doppelten Macht, der gericht¬
lichen und der administrativen, ausgerüstet ist, vermag sich nur äußerst schwer der
Versuchung zu erwehren, sein individuelles Dafürhalten, sein subjektives Urteil über
die Personen, sein Mitleid, seine Neigung Einfluß gewinnen zu lassen auf seine
amtlichen Handlungen. Er ist als Priester vor allem Diener und Herold der
Gnade, der Vergebung, des Strnfnachlasses; er vergißt daher allzuleicht, daß in
menschlichen Verhältnissen das Gesetz taub und unerbittlich ist, daß jede Beugung
des Rechts zu Gunsten des einen sich in eine Beschädigung eines oder vieler andern
oder der ganzen Gesellschaft umwandelt; er gewohnt sich allmählich seine Willkür,
anfänglich immer in der besten Meinung, über das Gesetz zu stellen. Die einmal
betretue Bahn führt daun unaufhaltsam immer weiter." Milder kann das nicht


in der ganzen Welt macht. Und noch etwas andres: die Kirche übt jetzt ihren
Einfluß in der Öffentlichkeit, in Parlament, Presse und Vereinen, wo sie vor einem
Jahrhundert so gut wie unbekannt war. Das verführt leicht zu einer Überschätzung
ihres Machtgewinns. Auch die vou ihr unabhängigen oder gar ihr feindlichen
Kräfte sind riesig und wahrscheinlich noch weit mehr gewachsen: die Unabhängigkeit
des Denkens, die Fvrschungsfreiheit, die Errungenschaften der Wissenschaft; auch
das Emporkommen der nicht katholischen Großmächte Deutschland, Rußland, Eng¬
land und der Vereinigten Staaten fällt schwer ins Gewicht, denn die katholischen,
Österreich-Ungarn, Italien und sogar Frankreich sind mehr ins Hintertreffen ge¬
kommen; in Frankreich hat die Kirche überdies augenblicklich alle entscheidende
Macht verloren; endlich darf die sozialdemokratische Bewegung der Geister nicht
unterschätzt werden, sie läßt auch die katholische Bevölkerung nicht unberührt. Nur
auf der einen Seite wird der mächtige Ban des Katholizismus vom Licht bestrahlt,
auf der andern liegen tiefe Schatten.

Der Verlust der weltlichen Herrschaft im Kirchenstaat gehört allerdings ganz
und gar nicht zu den Nachteilen, die die Kirche erfahren hat. Er ist ganz bequem,
Volksversammlungen zu rühren, aber die klugen Männer im Vatikan werden einander
im geheimen Wohl gestehn, wie erleichtert sie sind, seit ihnen die Sorge um den
Kirchenstaat abgenommen ist. Diese seltsame politische Bildung war schon beim
Zusammenstoß mit Napoleon ein ganz widerstandsloses Gemeinwesen, ein voll¬
ständiger Anachronismus. Das Fnzit der prächtigen Schilderung Sybels (Ge¬
schichte der Reformationszeit Band 7) lautet: „Niemals ist der Schein löblicher
Zwecke mit schlechtem Mitteln erstrebt, mit verderblicheren Preise bezahlt, mit be¬
schränkterer Wirkung verfolgt worden. Trotz aller ästhetischen Herrlichkeit der
römischen Verhältnisse, trotz aller Gewalttätigkeit und Habgier des französischen
Angriffs muß man es aussprechen: es war eine unermeßliche Wohltat für Rom
und Italien, wen» die Revolution die geistliche Staatsgewalt der nahen Ver¬
nichtung entgegenführte." Damals war die Vernichtung nur vorübergehend, 1814
erstand der Priesterstaat zu Rom von neuem, nunmehr der einzige in der Welt,
denn die geistlichen Staaten in Deutschland blieben seit dem Neichsdeputativns-
hauptschluß aufgehoben. Während die andern Staaten fast ohne Ausnahme ein
neues, zukunftversprechendes Leben begannen, lenkte der Kirchenstaat einfach wieder
in seine ausgefahrueu Geleise ein. Ein einziger Ansatz zu Reformen wurde ge¬
macht, nämlich von Pius dem Neunter. Gleich nach seiner Wahl (16. Juni 1846)
machte er allerlei liberale Zugeständnisse. Er erlaubte die Gelehrteuversammlungen,
setzte deu freisinnigen .Kardinal Gtzzi zum Staatssekretär ein, berief einen Ausschuß
zum Zweck verschiedner Gesetzesreformen und milderte die Zensur. Im Jahre 1847
berief er einen Stantsrnt aus Vertretern der verschiednen Provinzen und begründete
nicht nur einen Ministerrat sondern auch die Bürgergarde. Der Jubel war un¬
ermeßlich. Man sah in ihm den nationalen Einiger. Italiens.

Nur bis zur Revolution von 1848 dauerte diese Tendenz. Dann ergab sich
Pius wieder der strengsten Reaktion, wozu Frankreich ihm die weltliche Gewalt
verlieh. Der Kirchenstaat wurde wieder ein Unding wie zuvor. Döllinger, „Kirche
und Kirchen," sagt: „Der Geistliche, wenn er mit der doppelten Macht, der gericht¬
lichen und der administrativen, ausgerüstet ist, vermag sich nur äußerst schwer der
Versuchung zu erwehren, sein individuelles Dafürhalten, sein subjektives Urteil über
die Personen, sein Mitleid, seine Neigung Einfluß gewinnen zu lassen auf seine
amtlichen Handlungen. Er ist als Priester vor allem Diener und Herold der
Gnade, der Vergebung, des Strnfnachlasses; er vergißt daher allzuleicht, daß in
menschlichen Verhältnissen das Gesetz taub und unerbittlich ist, daß jede Beugung
des Rechts zu Gunsten des einen sich in eine Beschädigung eines oder vieler andern
oder der ganzen Gesellschaft umwandelt; er gewohnt sich allmählich seine Willkür,
anfänglich immer in der besten Meinung, über das Gesetz zu stellen. Die einmal
betretue Bahn führt daun unaufhaltsam immer weiter." Milder kann das nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/189>, abgerufen am 25.11.2024.