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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Iugondzeit

wesentlich auf mündlicher Überlieferung und reicht nicht über das erste Viertel des
achtzehnten Jahrhunderts zurück.

Mein Urgroßvater Johann Ernst Bosse ist in der ersten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts von Walbeck bei Weferlingen aus als Böttchermeister in
Quedlinburg eingewandert. Er erwarb dort ein Haus, betrieb sein Handwerk und
ist, 79 Jahre alt, im Jahre 1792 ein der Brustwassersucht gestorben. Mein Vater
war damals zwar erst fünf Jahre alt, hing aber an seinem Großvater mit be¬
sondrer Liebe. Er behauptete, daß er selbst mehr nach diesem Großvater als nach
seinem Vater geartet sei, und war, als er noch kerngesund war, überzeugt, daß er
wie sein Großvater einmal an Brustwassersucht sterben werde. Merkwürdigerweise
hat sich diese Annahme auch erfüllt.

Mein Großvater Johann Andreas Bosse war am 3. Februar 1754 geboren
und ist im Jahre 1836 im Alter von 82 Jahren infolge eines Schlagflusses ge¬
storben. Ich entsinne mich nur noch dunkel seiner großen, hagern Gestalt. Auch
er war ursprünglich Böttchermeister gewesen und muß schon als solcher, also auf
dem goldnen Boden des ehrsamen Handwerks, zu einigem Wohlstande gelangt sein.
Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verkaufte er sein bescheidnes Haus mit
der Böttcherwerkstatt und erwarb das nahe dabei um der Ecke des Klinges dicht
an der Bode liegende große und mit weitläufigen Nebengebäuden versehene Haus,
worin ich geboren bin. In diesem Gehöft betrieb er eine nach damaligen Ver¬
hältnissen schwunghafte Brennerei. Das Brennereigewerbe in Verbindung mit einer
ausgedehnten Viehmastung und einer in mäßigen Grenzen gehaltnen Landwirtschaft
muß damals sehr einträglich gewesen sein. Es entwickelte sich in Quedlinburg zu
einer ganz auffälligen Blüte. Dies hing ohne Zweifel mit den stiftischen Steuer-
und Zollverhältnissen zusammen. Sie waren weit günstiger als in den benach¬
barten unmittelbar preußischen, anhaltischen, braunschweigischen und hannoverschen
Gebieten. Nach diesen hin hatte die Quedlinburger Produktion einen flotten Absatz.
Überdies muß an der nahen braunschweigischen und nnhaltischen Grenze ein starker
und einträglicher Schmuggelverkehr bestanden haben. Über dessen Einzelheiten waren
noch in meiner Jugendzeit, nachdem der Schmuggel an den Landesgreuzen durch
den Zollverein längst sein Ende gefunden hatte, die abenteuerlichsten Schauer¬
geschichten im Schwange. Genug, das Brennereigeschäft meines Großvaters prospe-
rierte in hohem Grade. Das spätere ungewöhnliche Anwachsen seines Wohlstands
verdankte er jedoch hauptsächlich wohl den schon erwähnten Erwerbungen ans den
westfälischen Domäneuverkaufen.

Mein Großvater war verheiratet mit Anna Rebekka gebornen Fritze. Von
beiden existieren noch gute Pastellbilder aus dem Jahre 1867. Danach hatte der
Großvater ein scharf ausgeprägtes, kluges Gesicht. Hell und mit unverkennbarem
Humor blickt sein blaues Auge in die Welt. Die Großmutter erscheint als eine
stattliche, noch immer anmutige Frau mit freundlichen, einnehmenden Zügen. Ihr
rundes, charakteristisches Kinn findet sich bei der großen Zahl ihrer Enkel und
Enkelinnen wieder, sodaß wir, die Kinder ihrer Söhne und Töchter, sehr oft auf
unsre Ähnlichkeit untereinander angeredet und für Geschwister gehalten wurden,
obwohl wir nur Vettern und Basen waren. Das schöne, brciunseidne Kleid mit
erhaben eingewirkten, kleinen Blumensträußen, worin meine Großmutter sich hat
malen lassen, besitze ich noch heute. Es kann sich noch jetzt, nach fast hundert
Jnhreu, sehen lassen und ist tadellos erhalten. Die heutigen Damenkleider werden
schwerlich von derselben Haltbarkeit sein.

Meine Großeltern hinterließen fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter.
Eine von diesen war die Gattin des Kaufmanns Ludwig Adolf Krnmer. Er besaß
am Markt ein stattliches Haus, dessen erstes Stockwerk die Großeltern bewohnten,
nachdem mein Vater das Haus am Klinge mit der Brennerei im Jahre 1819
übernommen und der Großvater sich zur Ruhe gesetzt hatte. Es gehört zu meinen
frühsten Erinnerungen, daß ich als zwei- oder dreijähriger Knabe von den Fenstern


Aus der Iugondzeit

wesentlich auf mündlicher Überlieferung und reicht nicht über das erste Viertel des
achtzehnten Jahrhunderts zurück.

Mein Urgroßvater Johann Ernst Bosse ist in der ersten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts von Walbeck bei Weferlingen aus als Böttchermeister in
Quedlinburg eingewandert. Er erwarb dort ein Haus, betrieb sein Handwerk und
ist, 79 Jahre alt, im Jahre 1792 ein der Brustwassersucht gestorben. Mein Vater
war damals zwar erst fünf Jahre alt, hing aber an seinem Großvater mit be¬
sondrer Liebe. Er behauptete, daß er selbst mehr nach diesem Großvater als nach
seinem Vater geartet sei, und war, als er noch kerngesund war, überzeugt, daß er
wie sein Großvater einmal an Brustwassersucht sterben werde. Merkwürdigerweise
hat sich diese Annahme auch erfüllt.

Mein Großvater Johann Andreas Bosse war am 3. Februar 1754 geboren
und ist im Jahre 1836 im Alter von 82 Jahren infolge eines Schlagflusses ge¬
storben. Ich entsinne mich nur noch dunkel seiner großen, hagern Gestalt. Auch
er war ursprünglich Böttchermeister gewesen und muß schon als solcher, also auf
dem goldnen Boden des ehrsamen Handwerks, zu einigem Wohlstande gelangt sein.
Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verkaufte er sein bescheidnes Haus mit
der Böttcherwerkstatt und erwarb das nahe dabei um der Ecke des Klinges dicht
an der Bode liegende große und mit weitläufigen Nebengebäuden versehene Haus,
worin ich geboren bin. In diesem Gehöft betrieb er eine nach damaligen Ver¬
hältnissen schwunghafte Brennerei. Das Brennereigewerbe in Verbindung mit einer
ausgedehnten Viehmastung und einer in mäßigen Grenzen gehaltnen Landwirtschaft
muß damals sehr einträglich gewesen sein. Es entwickelte sich in Quedlinburg zu
einer ganz auffälligen Blüte. Dies hing ohne Zweifel mit den stiftischen Steuer-
und Zollverhältnissen zusammen. Sie waren weit günstiger als in den benach¬
barten unmittelbar preußischen, anhaltischen, braunschweigischen und hannoverschen
Gebieten. Nach diesen hin hatte die Quedlinburger Produktion einen flotten Absatz.
Überdies muß an der nahen braunschweigischen und nnhaltischen Grenze ein starker
und einträglicher Schmuggelverkehr bestanden haben. Über dessen Einzelheiten waren
noch in meiner Jugendzeit, nachdem der Schmuggel an den Landesgreuzen durch
den Zollverein längst sein Ende gefunden hatte, die abenteuerlichsten Schauer¬
geschichten im Schwange. Genug, das Brennereigeschäft meines Großvaters prospe-
rierte in hohem Grade. Das spätere ungewöhnliche Anwachsen seines Wohlstands
verdankte er jedoch hauptsächlich wohl den schon erwähnten Erwerbungen ans den
westfälischen Domäneuverkaufen.

Mein Großvater war verheiratet mit Anna Rebekka gebornen Fritze. Von
beiden existieren noch gute Pastellbilder aus dem Jahre 1867. Danach hatte der
Großvater ein scharf ausgeprägtes, kluges Gesicht. Hell und mit unverkennbarem
Humor blickt sein blaues Auge in die Welt. Die Großmutter erscheint als eine
stattliche, noch immer anmutige Frau mit freundlichen, einnehmenden Zügen. Ihr
rundes, charakteristisches Kinn findet sich bei der großen Zahl ihrer Enkel und
Enkelinnen wieder, sodaß wir, die Kinder ihrer Söhne und Töchter, sehr oft auf
unsre Ähnlichkeit untereinander angeredet und für Geschwister gehalten wurden,
obwohl wir nur Vettern und Basen waren. Das schöne, brciunseidne Kleid mit
erhaben eingewirkten, kleinen Blumensträußen, worin meine Großmutter sich hat
malen lassen, besitze ich noch heute. Es kann sich noch jetzt, nach fast hundert
Jnhreu, sehen lassen und ist tadellos erhalten. Die heutigen Damenkleider werden
schwerlich von derselben Haltbarkeit sein.

Meine Großeltern hinterließen fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter.
Eine von diesen war die Gattin des Kaufmanns Ludwig Adolf Krnmer. Er besaß
am Markt ein stattliches Haus, dessen erstes Stockwerk die Großeltern bewohnten,
nachdem mein Vater das Haus am Klinge mit der Brennerei im Jahre 1819
übernommen und der Großvater sich zur Ruhe gesetzt hatte. Es gehört zu meinen
frühsten Erinnerungen, daß ich als zwei- oder dreijähriger Knabe von den Fenstern


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[0173] Aus der Iugondzeit wesentlich auf mündlicher Überlieferung und reicht nicht über das erste Viertel des achtzehnten Jahrhunderts zurück. Mein Urgroßvater Johann Ernst Bosse ist in der ersten Hälfte des acht¬ zehnten Jahrhunderts von Walbeck bei Weferlingen aus als Böttchermeister in Quedlinburg eingewandert. Er erwarb dort ein Haus, betrieb sein Handwerk und ist, 79 Jahre alt, im Jahre 1792 ein der Brustwassersucht gestorben. Mein Vater war damals zwar erst fünf Jahre alt, hing aber an seinem Großvater mit be¬ sondrer Liebe. Er behauptete, daß er selbst mehr nach diesem Großvater als nach seinem Vater geartet sei, und war, als er noch kerngesund war, überzeugt, daß er wie sein Großvater einmal an Brustwassersucht sterben werde. Merkwürdigerweise hat sich diese Annahme auch erfüllt. Mein Großvater Johann Andreas Bosse war am 3. Februar 1754 geboren und ist im Jahre 1836 im Alter von 82 Jahren infolge eines Schlagflusses ge¬ storben. Ich entsinne mich nur noch dunkel seiner großen, hagern Gestalt. Auch er war ursprünglich Böttchermeister gewesen und muß schon als solcher, also auf dem goldnen Boden des ehrsamen Handwerks, zu einigem Wohlstande gelangt sein. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verkaufte er sein bescheidnes Haus mit der Böttcherwerkstatt und erwarb das nahe dabei um der Ecke des Klinges dicht an der Bode liegende große und mit weitläufigen Nebengebäuden versehene Haus, worin ich geboren bin. In diesem Gehöft betrieb er eine nach damaligen Ver¬ hältnissen schwunghafte Brennerei. Das Brennereigewerbe in Verbindung mit einer ausgedehnten Viehmastung und einer in mäßigen Grenzen gehaltnen Landwirtschaft muß damals sehr einträglich gewesen sein. Es entwickelte sich in Quedlinburg zu einer ganz auffälligen Blüte. Dies hing ohne Zweifel mit den stiftischen Steuer- und Zollverhältnissen zusammen. Sie waren weit günstiger als in den benach¬ barten unmittelbar preußischen, anhaltischen, braunschweigischen und hannoverschen Gebieten. Nach diesen hin hatte die Quedlinburger Produktion einen flotten Absatz. Überdies muß an der nahen braunschweigischen und nnhaltischen Grenze ein starker und einträglicher Schmuggelverkehr bestanden haben. Über dessen Einzelheiten waren noch in meiner Jugendzeit, nachdem der Schmuggel an den Landesgreuzen durch den Zollverein längst sein Ende gefunden hatte, die abenteuerlichsten Schauer¬ geschichten im Schwange. Genug, das Brennereigeschäft meines Großvaters prospe- rierte in hohem Grade. Das spätere ungewöhnliche Anwachsen seines Wohlstands verdankte er jedoch hauptsächlich wohl den schon erwähnten Erwerbungen ans den westfälischen Domäneuverkaufen. Mein Großvater war verheiratet mit Anna Rebekka gebornen Fritze. Von beiden existieren noch gute Pastellbilder aus dem Jahre 1867. Danach hatte der Großvater ein scharf ausgeprägtes, kluges Gesicht. Hell und mit unverkennbarem Humor blickt sein blaues Auge in die Welt. Die Großmutter erscheint als eine stattliche, noch immer anmutige Frau mit freundlichen, einnehmenden Zügen. Ihr rundes, charakteristisches Kinn findet sich bei der großen Zahl ihrer Enkel und Enkelinnen wieder, sodaß wir, die Kinder ihrer Söhne und Töchter, sehr oft auf unsre Ähnlichkeit untereinander angeredet und für Geschwister gehalten wurden, obwohl wir nur Vettern und Basen waren. Das schöne, brciunseidne Kleid mit erhaben eingewirkten, kleinen Blumensträußen, worin meine Großmutter sich hat malen lassen, besitze ich noch heute. Es kann sich noch jetzt, nach fast hundert Jnhreu, sehen lassen und ist tadellos erhalten. Die heutigen Damenkleider werden schwerlich von derselben Haltbarkeit sein. Meine Großeltern hinterließen fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter. Eine von diesen war die Gattin des Kaufmanns Ludwig Adolf Krnmer. Er besaß am Markt ein stattliches Haus, dessen erstes Stockwerk die Großeltern bewohnten, nachdem mein Vater das Haus am Klinge mit der Brennerei im Jahre 1819 übernommen und der Großvater sich zur Ruhe gesetzt hatte. Es gehört zu meinen frühsten Erinnerungen, daß ich als zwei- oder dreijähriger Knabe von den Fenstern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/173>, abgerufen am 09.11.2024.