Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen^in^e^^ über diesem ganzen Gebiet ein gewisser Fluch von UnHeiligkeit. Gott hat Aus ähnlichen Gründen zieht sich durch das Mittelalter ein beständiger z Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen^in^e^^ über diesem ganzen Gebiet ein gewisser Fluch von UnHeiligkeit. Gott hat Aus ähnlichen Gründen zieht sich durch das Mittelalter ein beständiger z <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241369"/> <fw type="header" place="top"> Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen^in^e^^</fw><lb/> <p xml:id="ID_645" prev="#ID_644"> über diesem ganzen Gebiet ein gewisser Fluch von UnHeiligkeit. Gott hat<lb/> allerdings alles geschaffen, aber es ist, als hätten dämonische Mächte, der<lb/> ..Fürst dieser Welt" und seine Engel, die Naturwelt in Besitz genommen, da<lb/> ihr freies Spiel zu treiben. Man bekommt oft den Eindruck, daß der Teufel<lb/> als Herr der Natur aufgefaßt wird und die Schönheit als verführerisches<lb/> Blendwerk, durch das der Mensch von Gott fortgelockt werden soll. Hatte<lb/> das hellenische Heidentum die Natur vergöttert, so war die Askese die Reaktion<lb/> auf diese Anschanung. Im Eremiten- und Mönchswesen begegnet man hänstg<lb/> der Sucht, das Naturwidrige als Zeichen von Heiligkeit zu betrachten. Der<lb/> ..Heilige" ist der gerade Gegensatz zum griechischen Männcrideal in dessen<lb/> olympischer, sinnlich-schöner Harmonie. Am schlagendsten tritt die asketische<lb/> Lebensanschauung selbstverständlich dort hervor, wo die Triebe des Natur¬<lb/> lebens am tiefsten ins Menschenleben eingreifen: im Geschlechtsleben. Auf<lb/> diesem liegt ein so schwerer Bann, daß das Sinnliche in dieser Beziehung<lb/> immer als unrein und hurtig betrachtet wird. So ist es ein echt mittelalter¬<lb/> licher Gedanke, den Peter Abailard vertritt, wenn er den Verlust seiner Mann-<lb/> heit als Äußerung von Gottes Güte betrachtet, wodurch er viel geeigneter<lb/> zum priesterlichen Amte geworden sei. Ein Engellcben. ein Leben in Jung¬<lb/> fräulichkeit ist das Ideal, das zu unaufhörlichen Lobpreisungen Anlaß gibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_646"> Aus ähnlichen Gründen zieht sich durch das Mittelalter ein beständiger<lb/> Kampf gegen Wissenschaft und Kunst als etwas Heidnisches hin. Zu Beginn<lb/> der Entwicklung der Kirche hatte man noch die heidnische Kultur, deren Philo¬<lb/> sophie und Kunst vor Augen, und es war erklärlich, daß man gegen dieses<lb/> Kulturleben eine abweisende Haltung annahm. Aber anch als es sich dann<lb/> darum handelte, Philosophie und Kunst im Dienste der Kirche und des Glaubens<lb/> zu verwende«, war die asketisch-strenge Geistesrichtung jederzeit bereit, gegen<lb/> diese in ihren Augen gefährliche Verunreinigung des christlichen Ideals zu<lb/> knüpfen Noch in der Jugendzeit der Scholastik begegnet man dein Ausspruch<lb/> - 'nuards, ^ es dem Beruf eines Mönchs im höchsten Grade widerstreite,<lb/> steh und dem Swdium weltlicher Bücher u beschäftigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_647" next="#ID_648"> z<lb/> Was das Rechts- und das Staatsleben, ja das ganze bürgerliche Gesell-<lb/> schaft.leben und all seinen Berufszweigen betrifft, war die eigentliche Auffassung<lb/> vapor die. daß dieses alles als eine Folge und als ein Zeichen der mensch-<lb/> uchen UnVollkommenheit anzusehen sei. Der Besitz und das Eigentumsrecht<lb/> galten ebenfalls als ein ganz und gar unchristliches Verhältnis — bekannt<lb/> ;a. daß viele Kirchenväter geradezu kommunistische Gedanken aussprechen.<lb/> >Zdcal ist: nichts zu besitzen. Der eigentliche Ursprung der Staatsmacht sei<lb/> eigennütziges Machtgelüste. Das sittliche Leben müsse, so glaubte man, in un¬<lb/> mittelbarster Übereinstimmung mit dein Verhältnisse zu Gott stehn. Vom<lb/> asketischen und dualistischen Standpunkt aus erhielten aber die sittlichen Ge¬<lb/> bote, die sich ja auf die „natürlichen" Verhältnisse des Menschenlebens beziehn,<lb/> einen verminderten Wert, weil eben diese „natürlichen" Verhältnisse an steh<lb/> als etwas betrachtet wurden, was mit dem Verhältnisse zu Gott nichts zu tun<lb/> habe. Vater, Mutter und Obrigkeit zu ehren ist allerdings Pflicht, aber da<lb/> es ideal ist, nach Art der Mönche Vater und Mutter zu verlassen und niemals</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Die mittelalterliche Religionsanschauung und ihre Beziehungen^in^e^^
über diesem ganzen Gebiet ein gewisser Fluch von UnHeiligkeit. Gott hat
allerdings alles geschaffen, aber es ist, als hätten dämonische Mächte, der
..Fürst dieser Welt" und seine Engel, die Naturwelt in Besitz genommen, da
ihr freies Spiel zu treiben. Man bekommt oft den Eindruck, daß der Teufel
als Herr der Natur aufgefaßt wird und die Schönheit als verführerisches
Blendwerk, durch das der Mensch von Gott fortgelockt werden soll. Hatte
das hellenische Heidentum die Natur vergöttert, so war die Askese die Reaktion
auf diese Anschanung. Im Eremiten- und Mönchswesen begegnet man hänstg
der Sucht, das Naturwidrige als Zeichen von Heiligkeit zu betrachten. Der
..Heilige" ist der gerade Gegensatz zum griechischen Männcrideal in dessen
olympischer, sinnlich-schöner Harmonie. Am schlagendsten tritt die asketische
Lebensanschauung selbstverständlich dort hervor, wo die Triebe des Natur¬
lebens am tiefsten ins Menschenleben eingreifen: im Geschlechtsleben. Auf
diesem liegt ein so schwerer Bann, daß das Sinnliche in dieser Beziehung
immer als unrein und hurtig betrachtet wird. So ist es ein echt mittelalter¬
licher Gedanke, den Peter Abailard vertritt, wenn er den Verlust seiner Mann-
heit als Äußerung von Gottes Güte betrachtet, wodurch er viel geeigneter
zum priesterlichen Amte geworden sei. Ein Engellcben. ein Leben in Jung¬
fräulichkeit ist das Ideal, das zu unaufhörlichen Lobpreisungen Anlaß gibt.
Aus ähnlichen Gründen zieht sich durch das Mittelalter ein beständiger
Kampf gegen Wissenschaft und Kunst als etwas Heidnisches hin. Zu Beginn
der Entwicklung der Kirche hatte man noch die heidnische Kultur, deren Philo¬
sophie und Kunst vor Augen, und es war erklärlich, daß man gegen dieses
Kulturleben eine abweisende Haltung annahm. Aber anch als es sich dann
darum handelte, Philosophie und Kunst im Dienste der Kirche und des Glaubens
zu verwende«, war die asketisch-strenge Geistesrichtung jederzeit bereit, gegen
diese in ihren Augen gefährliche Verunreinigung des christlichen Ideals zu
knüpfen Noch in der Jugendzeit der Scholastik begegnet man dein Ausspruch
- 'nuards, ^ es dem Beruf eines Mönchs im höchsten Grade widerstreite,
steh und dem Swdium weltlicher Bücher u beschäftigen.
z
Was das Rechts- und das Staatsleben, ja das ganze bürgerliche Gesell-
schaft.leben und all seinen Berufszweigen betrifft, war die eigentliche Auffassung
vapor die. daß dieses alles als eine Folge und als ein Zeichen der mensch-
uchen UnVollkommenheit anzusehen sei. Der Besitz und das Eigentumsrecht
galten ebenfalls als ein ganz und gar unchristliches Verhältnis — bekannt
;a. daß viele Kirchenväter geradezu kommunistische Gedanken aussprechen.
>Zdcal ist: nichts zu besitzen. Der eigentliche Ursprung der Staatsmacht sei
eigennütziges Machtgelüste. Das sittliche Leben müsse, so glaubte man, in un¬
mittelbarster Übereinstimmung mit dein Verhältnisse zu Gott stehn. Vom
asketischen und dualistischen Standpunkt aus erhielten aber die sittlichen Ge¬
bote, die sich ja auf die „natürlichen" Verhältnisse des Menschenlebens beziehn,
einen verminderten Wert, weil eben diese „natürlichen" Verhältnisse an steh
als etwas betrachtet wurden, was mit dem Verhältnisse zu Gott nichts zu tun
habe. Vater, Mutter und Obrigkeit zu ehren ist allerdings Pflicht, aber da
es ideal ist, nach Art der Mönche Vater und Mutter zu verlassen und niemals
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |