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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

für den Fortbestand Polens beseitigten. Peter der Große hatte so Me. Fliegen
mit einem Schlage getroffen; erstens wurden die russischen Absichten auf Polen
gefördert, zweitens aber auch die auf die Türkei. Diese hatte em eut Metres
Interesse an dem Fortbestand Polens, als einer Gewähr gegen russische An¬
griffe auf die Türkei; inde.n Peter aber durch den Vertrag von 1720 die
Türkei wegen der russische" Pläne auf Polen in sein Interesse zog. trug diese
selbst dazu bei. das Hindernis zu beseitige... das Nußland auf dem Wege nach
dem Süden entgegenstand. Der Vertrag von 1720 ist typisch für die russische
Politik. Sie verspricht uicht zu wollen, was sie schon tut oder vorbereitet.
Der zwischen Katharina der Zweiten und Friedrich dem Zweiten 1764 ge¬
schlossene Vertrag ist fast genau so wie der russisch-türkische von 1720. Nach
demselben Zuschnitt und von derselben Unaufrichtigkeit sind aber auch alle
Garantieverträge, die Rußland seitdem der Türkei gegenüber eingegangen ist.
Allerdings fand Peter der Große in Katharina der Zweiten eine würdige
Nachfolgerin.

War unter Peter durch die Zertrümmerung der skandinavischen Macht
Nußland der Zugang zur Ostsee eröffnet worden, so war Katharina mit Er¬
folg bemüht, durch Bestechungen in Stockholm, durch Gewinnung Dänemarks
für russische Zwecke und durch Förderung recht materieller Sonderinteresfen
der hannoverischen Dynastie auf dem englischen Throne alle Versuche zur
Wiedervereinigung der Macht der skandinavischen Staaten zu verhindern und
damit die Machtstellung Rußlands an der Ostsee dauernd zu sichern. Nicht
minder glücklich operierte Katharina im Zentrum der russischen Stellung.
Außer der Pforte und Rußland waren an der polnischen Frage auch die zwei
andern Nachbarn Preußen und Österreich interessiert. Zog Katharina ihre
Pläne auf die Türkei in Rücksicht, dann mußte ihr Österreich als die gefähr¬
lichere Macht erscheinen, zumal da sie auch die stärkere war. Mit richtigem
diplomatischem Scharfblick verband sich Katharina deshalb mit dem ungefahr-
Uchern und schwachem Interessenten. Preußen. Der russisch-Preußische Ver¬
trag von 1764 ist. wie schon erwähnt worden ist. dem russisch-türkischen von
1720 nachgebildet, d. h Rußland und Preußen kommen überein, das Wahlreichw Polen unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. In einem Geheim¬
artikel dieses Vertrags verpflichtet sich Preußen aber auch, die Wahl des der
Kaiserin genehmen Poniatowski zum Könige von Polen zu unterstützen, und
w einem weitern geheimen Vertrage von 1767. gegen Österreich zu marschieren,
falls Österreich die in Polen eingerückten russischen Truppe., angreifen sollte. --
Es ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, warum sich Rußland nicht
allein Polen einverleibte.'da es zweifellos in seiner Macht gelegen hätte.
Katharina nahm da einen Überlegnen Standpunkt ein. Eine Annex.on Polens
durch Rußland wäre bei den damaligen Gegensätzen zwischen Preußen und
Osterreich wohl möglich gewesen, aber Katharina hätte damit weniger gewonnen
als durch die Teilung. Wenn auch bezweifelt werden muß, daß em solcher
Handstreich Rußlands Preußen und Österreich dauernd zum Widerstand geneigt
gemacht haben würde, so liegt doch auf der Hand, daß durch die Begünstigung
Preußens in der polnischen Frage dieses in Abhängigkeit vou Rußland kau.,


Die orientalische Frage

für den Fortbestand Polens beseitigten. Peter der Große hatte so Me. Fliegen
mit einem Schlage getroffen; erstens wurden die russischen Absichten auf Polen
gefördert, zweitens aber auch die auf die Türkei. Diese hatte em eut Metres
Interesse an dem Fortbestand Polens, als einer Gewähr gegen russische An¬
griffe auf die Türkei; inde.n Peter aber durch den Vertrag von 1720 die
Türkei wegen der russische» Pläne auf Polen in sein Interesse zog. trug diese
selbst dazu bei. das Hindernis zu beseitige... das Nußland auf dem Wege nach
dem Süden entgegenstand. Der Vertrag von 1720 ist typisch für die russische
Politik. Sie verspricht uicht zu wollen, was sie schon tut oder vorbereitet.
Der zwischen Katharina der Zweiten und Friedrich dem Zweiten 1764 ge¬
schlossene Vertrag ist fast genau so wie der russisch-türkische von 1720. Nach
demselben Zuschnitt und von derselben Unaufrichtigkeit sind aber auch alle
Garantieverträge, die Rußland seitdem der Türkei gegenüber eingegangen ist.
Allerdings fand Peter der Große in Katharina der Zweiten eine würdige
Nachfolgerin.

War unter Peter durch die Zertrümmerung der skandinavischen Macht
Nußland der Zugang zur Ostsee eröffnet worden, so war Katharina mit Er¬
folg bemüht, durch Bestechungen in Stockholm, durch Gewinnung Dänemarks
für russische Zwecke und durch Förderung recht materieller Sonderinteresfen
der hannoverischen Dynastie auf dem englischen Throne alle Versuche zur
Wiedervereinigung der Macht der skandinavischen Staaten zu verhindern und
damit die Machtstellung Rußlands an der Ostsee dauernd zu sichern. Nicht
minder glücklich operierte Katharina im Zentrum der russischen Stellung.
Außer der Pforte und Rußland waren an der polnischen Frage auch die zwei
andern Nachbarn Preußen und Österreich interessiert. Zog Katharina ihre
Pläne auf die Türkei in Rücksicht, dann mußte ihr Österreich als die gefähr¬
lichere Macht erscheinen, zumal da sie auch die stärkere war. Mit richtigem
diplomatischem Scharfblick verband sich Katharina deshalb mit dem ungefahr-
Uchern und schwachem Interessenten. Preußen. Der russisch-Preußische Ver¬
trag von 1764 ist. wie schon erwähnt worden ist. dem russisch-türkischen von
1720 nachgebildet, d. h Rußland und Preußen kommen überein, das Wahlreichw Polen unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. In einem Geheim¬
artikel dieses Vertrags verpflichtet sich Preußen aber auch, die Wahl des der
Kaiserin genehmen Poniatowski zum Könige von Polen zu unterstützen, und
w einem weitern geheimen Vertrage von 1767. gegen Österreich zu marschieren,
falls Österreich die in Polen eingerückten russischen Truppe., angreifen sollte. —
Es ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, warum sich Rußland nicht
allein Polen einverleibte.'da es zweifellos in seiner Macht gelegen hätte.
Katharina nahm da einen Überlegnen Standpunkt ein. Eine Annex.on Polens
durch Rußland wäre bei den damaligen Gegensätzen zwischen Preußen und
Osterreich wohl möglich gewesen, aber Katharina hätte damit weniger gewonnen
als durch die Teilung. Wenn auch bezweifelt werden muß, daß em solcher
Handstreich Rußlands Preußen und Österreich dauernd zum Widerstand geneigt
gemacht haben würde, so liegt doch auf der Hand, daß durch die Begünstigung
Preußens in der polnischen Frage dieses in Abhängigkeit vou Rußland kau.,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/141>, abgerufen am 01.09.2024.