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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

auch nicht vermocht, sich eine solche Volkstümlichkeit zu erwerben, daß sich viele
seiner Satzungen in unsrer Umgangssprache widerspiegeln. Was diese aber
an Ausdrücken und Wendungen dem Staatsrecht entlehnt hat, ist zum Teil
ganz besonders beachtenswert, weil es schon aus den ältesten Zeiten der Rechts-
geschichte herstammt.

Wenn wir z. B. in den Zeitungen lesen, daß irgend eine Partei diesen
oder jenen ihrer Genossen "auf den Schild erhoben" habe, so denken wir wohl
kaum noch daran, daß diese jetzt rein bildlich verwandte Phrase für den Begriff
"jemand zum Führer einer Bewegung machen" nach dem Staatsrecht unsrer Vor¬
fahren einst einen wichtigen realen Vorgang bei der Neuwahl eines Fürsten
(Königs oder Herzogs) bezeichnete, der symbolisch die Übertragung der Herrscher¬
gewalt darstellen sollte und wohl auf uralter germanischer Sitte beruhte. Denn
schon bei Tacitus (Hist. IV, 15) finden wir ihn erwähnt und später bei Gregor
von Tours (Hist. Vr-uro. II., ". 40) auch für die fränkische Periode bezeugt.
Gleichfalls nur rein bildlich fassen wir es heute auf, wenn davon die Rede ist,
daß ein Fürst "auf den Thron erhoben (oder gesetzt)" oder "vom Throne
gestoßen (oder gestürzt)" worden sei, obwohl auch diese Handlungen früher
tatsächlich vorgenommen wurden, und ebenso ist uns in den Zusammensetzungen
"Thronfolge" und "Thronfolger," "Thronwechsel" u. a. in. das erste
Wort jetzt nur zum farblosen Symbol für Herrschaft oder Regierung geworden.

Fast völlig aus dem Bewußtsein geschwunden ist in der Gegenwart auch
die ursprüngliche Bedeutung einzelner Bezeichnungen der altdeutschen Ämter-
versassung. So war der oben beiläufig erwähnte "Herzog" (althochd. dsrixolu)
oder -MZo, altnord. bsrtoM, mittelhochd. IrLi-Mgo) anfangs eigentlich wirklich
das, was das Wort (von Ircvr ^ Heer und MM vou xiob-M, ziehen, wie Bote
von bieten; vgl. das lat. ckux von neue-ers, auch praetor ^ pr^s-nor) andeutet,
nämlich der Mann, der dem Heere als Führer voranzog (Heerführer), während sich
der Ausdruck später allmählich zu einem bloßen erblichen Titel umgewandelt
und damit genau genommen seine "Seele" verloren hat. Gerade so ist uns
das Wort "Graf" (althochd. ZiÄ.on>, grSvjo, mittelhochd. Ars-vo), einst der Name
für den wichtigsten Beamten in der karolingischen Periode, als Amtsbezeichnung
so gut wie völlig abhanden gekommen. Denn nur in der niederdeutschen Form
"Greve" oder "Grebe" kann man es in einzelnen Gegenden als Benennung
einer Dorfobrigkeit anch noch in der neuern Zeit nachweisen. Dieselbe Ent¬
wicklung haben die Zusammensetzungen Zentgraf, Burggraf, Pfalzgraf, Landgraf,
Markgraf u. a. in. durchlaufen.

Andre ehemalige Amtsbezeichnungen haben sich zwar unverändert bis in die
Gegenwart erhalten, ihre Bedeutung aber oft bis zur Unkenntlichkeit gewechselt.
Als eins der merkwürdigsten Beispiele hierfür sei der "Marschall" genannt, der
schon in der merowingischen Königszeit neben dem "Kämmerer," dem "Schenken"
und dem "Truchseß" als Vorsteher eines der vier Hof- und Reichsämter auftritt,
die während des ganzen Mittelalters im "heiligen römischen Reiche deutscher
Nation" eine so wichtige Rolle gespielt haben. Heute ist uns der Name besonders
in den Zusammensetzungen "Hofmarschall" und "Feldmarschall" -- also für zwei
besonders hohe Stellungen -- geläufig, und doch bedeutet Marschall (althochd.
iNÄiÄN8cÄlc;, mittellat. nriu'ise-glous, so schon in der I-sx Lsliog. und in der I.. ^kam.,
sonst anch MÄrsogllus, mittelhochd. mursotulllc) ursprünglich nichts andres als
"Pferdeknecht," dann später etwa "Oberstallmeister." Denn die erste Silbe: war,
die noch erhalten ist in "Marstall" (anfangs nur Pferdestall, später auf fürst¬
liche Stallungen beschränkt), ist abzuleiten von iruu-lib, um-ab. Pferd (mittelhochd.
msrns, die Stute), wovon anch unsre "Mähre" herstammt, die übrigens ebenso
wie der, wohl vom Klappern der Hufe gebildete "Klepper" -- eigentlich ein
Reitpferd für eine Reise -- bis ins achtzehnte Jahrhundert nichts Verächt¬
liches an sich hatte. Die zweite Hälfte des Wortes aber, erkennbar much in


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

auch nicht vermocht, sich eine solche Volkstümlichkeit zu erwerben, daß sich viele
seiner Satzungen in unsrer Umgangssprache widerspiegeln. Was diese aber
an Ausdrücken und Wendungen dem Staatsrecht entlehnt hat, ist zum Teil
ganz besonders beachtenswert, weil es schon aus den ältesten Zeiten der Rechts-
geschichte herstammt.

Wenn wir z. B. in den Zeitungen lesen, daß irgend eine Partei diesen
oder jenen ihrer Genossen „auf den Schild erhoben" habe, so denken wir wohl
kaum noch daran, daß diese jetzt rein bildlich verwandte Phrase für den Begriff
„jemand zum Führer einer Bewegung machen" nach dem Staatsrecht unsrer Vor¬
fahren einst einen wichtigen realen Vorgang bei der Neuwahl eines Fürsten
(Königs oder Herzogs) bezeichnete, der symbolisch die Übertragung der Herrscher¬
gewalt darstellen sollte und wohl auf uralter germanischer Sitte beruhte. Denn
schon bei Tacitus (Hist. IV, 15) finden wir ihn erwähnt und später bei Gregor
von Tours (Hist. Vr-uro. II., «. 40) auch für die fränkische Periode bezeugt.
Gleichfalls nur rein bildlich fassen wir es heute auf, wenn davon die Rede ist,
daß ein Fürst „auf den Thron erhoben (oder gesetzt)" oder „vom Throne
gestoßen (oder gestürzt)" worden sei, obwohl auch diese Handlungen früher
tatsächlich vorgenommen wurden, und ebenso ist uns in den Zusammensetzungen
„Thronfolge" und „Thronfolger," „Thronwechsel" u. a. in. das erste
Wort jetzt nur zum farblosen Symbol für Herrschaft oder Regierung geworden.

Fast völlig aus dem Bewußtsein geschwunden ist in der Gegenwart auch
die ursprüngliche Bedeutung einzelner Bezeichnungen der altdeutschen Ämter-
versassung. So war der oben beiläufig erwähnte „Herzog" (althochd. dsrixolu)
oder -MZo, altnord. bsrtoM, mittelhochd. IrLi-Mgo) anfangs eigentlich wirklich
das, was das Wort (von Ircvr ^ Heer und MM vou xiob-M, ziehen, wie Bote
von bieten; vgl. das lat. ckux von neue-ers, auch praetor ^ pr^s-nor) andeutet,
nämlich der Mann, der dem Heere als Führer voranzog (Heerführer), während sich
der Ausdruck später allmählich zu einem bloßen erblichen Titel umgewandelt
und damit genau genommen seine „Seele" verloren hat. Gerade so ist uns
das Wort „Graf" (althochd. ZiÄ.on>, grSvjo, mittelhochd. Ars-vo), einst der Name
für den wichtigsten Beamten in der karolingischen Periode, als Amtsbezeichnung
so gut wie völlig abhanden gekommen. Denn nur in der niederdeutschen Form
„Greve" oder „Grebe" kann man es in einzelnen Gegenden als Benennung
einer Dorfobrigkeit anch noch in der neuern Zeit nachweisen. Dieselbe Ent¬
wicklung haben die Zusammensetzungen Zentgraf, Burggraf, Pfalzgraf, Landgraf,
Markgraf u. a. in. durchlaufen.

Andre ehemalige Amtsbezeichnungen haben sich zwar unverändert bis in die
Gegenwart erhalten, ihre Bedeutung aber oft bis zur Unkenntlichkeit gewechselt.
Als eins der merkwürdigsten Beispiele hierfür sei der „Marschall" genannt, der
schon in der merowingischen Königszeit neben dem „Kämmerer," dem „Schenken"
und dem „Truchseß" als Vorsteher eines der vier Hof- und Reichsämter auftritt,
die während des ganzen Mittelalters im „heiligen römischen Reiche deutscher
Nation" eine so wichtige Rolle gespielt haben. Heute ist uns der Name besonders
in den Zusammensetzungen „Hofmarschall" und „Feldmarschall" — also für zwei
besonders hohe Stellungen — geläufig, und doch bedeutet Marschall (althochd.
iNÄiÄN8cÄlc;, mittellat. nriu'ise-glous, so schon in der I-sx Lsliog. und in der I.. ^kam.,
sonst anch MÄrsogllus, mittelhochd. mursotulllc) ursprünglich nichts andres als
„Pferdeknecht," dann später etwa „Oberstallmeister." Denn die erste Silbe: war,
die noch erhalten ist in „Marstall" (anfangs nur Pferdestall, später auf fürst¬
liche Stallungen beschränkt), ist abzuleiten von iruu-lib, um-ab. Pferd (mittelhochd.
msrns, die Stute), wovon anch unsre „Mähre" herstammt, die übrigens ebenso
wie der, wohl vom Klappern der Hufe gebildete „Klepper" — eigentlich ein
Reitpferd für eine Reise — bis ins achtzehnte Jahrhundert nichts Verächt¬
liches an sich hatte. Die zweite Hälfte des Wortes aber, erkennbar much in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/100>, abgerufen am 25.11.2024.