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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Bild, das dem Bande vorangestellt ist; er gehört nicht der West- und innerafrika¬
nischen Negerrnsse an, aus der die Mehrzahl der einstigen Sklaven in den Ver¬
einigten Staaten stammte, seine geistig interessante und moralisch wohltuende
Physiognomie mit dem gelassenen Ausdruck glauben wir bei den dunkeln Völkern
der Seenregion und bei Galla, Wcchuma und Verwandten gesehen zu haben, die
Sergi als Verwandte seiner mittelländischen Rasse auffaßt, Mischblut scheint er
nicht zu sein. Das; er und seinesgleichen auch unter den Farbigen der Vereinigten
Staaten nicht häufig sind, ergibt sich aus seiner eignen Lebensbeschreibung, in der
auffallend wenig von gleichgesinnten und gleichstrebenden Farbigen die Rede ist;
seine Freunde und Helfer hat er hauptsächlich unter den Weißen gefunden,

Booker Washington gehört zu der nicht zahlreichen Gruppe moralisch eindrucks¬
fähiger, warmherziger Farbiger, aus der so manche aufopfernde Missionare und
Missionsgchilfen, Prediger und Lehrer, besonders in den Methodisten- und den
Baptistengemeinden, hervorgegangen sind. Mitten in seinem eifrigen Bildungs¬
streben empfing er die tiefsten Eindrücke fürs Leben von den uneigennützigen
weißen Männern und Frauen, die nach dem Kriege freiwillig ihre Kräfte den
Farbigen widmeten. Was er von diesen gelernt hat, verzeichnet er mit rührender
Dankbarkeit, seien es nun die Grundbegriffe der Reinlichkeit und der Ordnung bis
herunter zu der Zahnbürste, deren Einführung unter den Negern er eine große Knltur-
bedeutnng zuschreibt, oder der Mut und die Ausdauer im Wirken für seine Neben¬
menschen, Hier haben wir offenbar einen Grundzug der bessern Negernatur, der sich
nach unten bis zur gewöhnlichen Gutmütigkeit abstuft. Es ist nicht zu verkennen, daß
die gedrückte Lage der Farbigen zur Entfaltung altruistischer Gefühle in diesem
Charakter selbst beiträgt, denn sie müssen wünschen, daß solche Gefühle ihnen selbst
entgegengebracht werden, "Je hilfsbedürftiger eine Rasse ist, je tiefer die Kultur¬
stufe, auf der sie steht, um so höher steigt derjenige, der sich ihrer annimmt," ist
ein Satz, der zwar sehr ethisch klingt, aber niemals der Grundgedanke der Rassen-
Politik einer höhern Rasse sein wird. Es ist ein Anklammern des Schwächern um
Hnmanitätsgrnndsätze, die der Stärkere nur mit dem Munde bekennt, ein ver¬
führerisches Sichhinwegtäuschen über die zum Erfolg wahrhaft notwendigen Eigen¬
schaften einer Rasse oder eines Volkes.

Das Bildungsstreben der Freigelassenen schildert uns Booker Washington
mit lebhafter Farbe. Es war darin nur bei ganz wenigen die klare Erkenntnis
von dem Werte des Wissens für das praktische Leben, wie sie diesen Neger beseelt,
der in Richmond Schiffe ausladen half, in Neuengland als Kellner diente und
manchmal auf der Straße schlief, um die Negerschule in Hampton erreichen zu
können, wo er sich dann den Unterricht mit Pförtnerdiensten erkaufte; es waren bei
vielen ganz unklare Vorstellungen von dem Wert des Lesens und Schreibens, Fertig¬
keiten, die wie ein Zauber von allen Sorgen des Lebens befreien sollten. Die ältern
Leute wollten um jeden Preis vor ihrem Tode noch die Bibel lesen, und in dieser Ab¬
sicht besuchten Männer und Frauen von 75 Jahren die Abendschulen, die nach dem
Kriege allenthalben im Süden von begeisterten Freunden der Neger eröffnet
wurden. Wie unklar dieses Bildungsstreben war, und wie irreführend es auf
seine Rasse wirkte, sah Booker bald ein. Von der Auffassung, daß Bildung dazu
diene, ein bequemes, angenehmes Leben zu führen, wurde er durch das Beispiel
weißer Männer und Fromm befreit, die er zu idealen Zwecken hart arbeiten sah;
von thuen lernte er den Wert ehrlicher Arbeit schätzen, die Selbstvertrauen und
Selbständigkeit bei dem hervorruft, der das Bewußtsein hat, etwas für die Welt
zu leisten. Auf der andern Seite hatte er die abschreckenden Beispiele der neu-
modisch gebildeten Neger, die als Prediger oder Lehrer auftraten, wenn sie kaum
lesen konnten. Diesem unklaren und unpraktischen Streben stellt er den echt ameri-
kmüscheu Grundsatz entgegen, daß nur die Arbeit dem Neger die Rechte zurück¬
bringen werde, die ihm durch die Sklavenbefreiung vorzeitig gegeben worden waren,
und die er im ganzen Süden großenteils durch seine eigne Unreife wieder ver¬
loren hat. In einer höchst lesenswerten Rede, die er 1895 bei der Eröffnung


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Bild, das dem Bande vorangestellt ist; er gehört nicht der West- und innerafrika¬
nischen Negerrnsse an, aus der die Mehrzahl der einstigen Sklaven in den Ver¬
einigten Staaten stammte, seine geistig interessante und moralisch wohltuende
Physiognomie mit dem gelassenen Ausdruck glauben wir bei den dunkeln Völkern
der Seenregion und bei Galla, Wcchuma und Verwandten gesehen zu haben, die
Sergi als Verwandte seiner mittelländischen Rasse auffaßt, Mischblut scheint er
nicht zu sein. Das; er und seinesgleichen auch unter den Farbigen der Vereinigten
Staaten nicht häufig sind, ergibt sich aus seiner eignen Lebensbeschreibung, in der
auffallend wenig von gleichgesinnten und gleichstrebenden Farbigen die Rede ist;
seine Freunde und Helfer hat er hauptsächlich unter den Weißen gefunden,

Booker Washington gehört zu der nicht zahlreichen Gruppe moralisch eindrucks¬
fähiger, warmherziger Farbiger, aus der so manche aufopfernde Missionare und
Missionsgchilfen, Prediger und Lehrer, besonders in den Methodisten- und den
Baptistengemeinden, hervorgegangen sind. Mitten in seinem eifrigen Bildungs¬
streben empfing er die tiefsten Eindrücke fürs Leben von den uneigennützigen
weißen Männern und Frauen, die nach dem Kriege freiwillig ihre Kräfte den
Farbigen widmeten. Was er von diesen gelernt hat, verzeichnet er mit rührender
Dankbarkeit, seien es nun die Grundbegriffe der Reinlichkeit und der Ordnung bis
herunter zu der Zahnbürste, deren Einführung unter den Negern er eine große Knltur-
bedeutnng zuschreibt, oder der Mut und die Ausdauer im Wirken für seine Neben¬
menschen, Hier haben wir offenbar einen Grundzug der bessern Negernatur, der sich
nach unten bis zur gewöhnlichen Gutmütigkeit abstuft. Es ist nicht zu verkennen, daß
die gedrückte Lage der Farbigen zur Entfaltung altruistischer Gefühle in diesem
Charakter selbst beiträgt, denn sie müssen wünschen, daß solche Gefühle ihnen selbst
entgegengebracht werden, „Je hilfsbedürftiger eine Rasse ist, je tiefer die Kultur¬
stufe, auf der sie steht, um so höher steigt derjenige, der sich ihrer annimmt," ist
ein Satz, der zwar sehr ethisch klingt, aber niemals der Grundgedanke der Rassen-
Politik einer höhern Rasse sein wird. Es ist ein Anklammern des Schwächern um
Hnmanitätsgrnndsätze, die der Stärkere nur mit dem Munde bekennt, ein ver¬
führerisches Sichhinwegtäuschen über die zum Erfolg wahrhaft notwendigen Eigen¬
schaften einer Rasse oder eines Volkes.

Das Bildungsstreben der Freigelassenen schildert uns Booker Washington
mit lebhafter Farbe. Es war darin nur bei ganz wenigen die klare Erkenntnis
von dem Werte des Wissens für das praktische Leben, wie sie diesen Neger beseelt,
der in Richmond Schiffe ausladen half, in Neuengland als Kellner diente und
manchmal auf der Straße schlief, um die Negerschule in Hampton erreichen zu
können, wo er sich dann den Unterricht mit Pförtnerdiensten erkaufte; es waren bei
vielen ganz unklare Vorstellungen von dem Wert des Lesens und Schreibens, Fertig¬
keiten, die wie ein Zauber von allen Sorgen des Lebens befreien sollten. Die ältern
Leute wollten um jeden Preis vor ihrem Tode noch die Bibel lesen, und in dieser Ab¬
sicht besuchten Männer und Frauen von 75 Jahren die Abendschulen, die nach dem
Kriege allenthalben im Süden von begeisterten Freunden der Neger eröffnet
wurden. Wie unklar dieses Bildungsstreben war, und wie irreführend es auf
seine Rasse wirkte, sah Booker bald ein. Von der Auffassung, daß Bildung dazu
diene, ein bequemes, angenehmes Leben zu führen, wurde er durch das Beispiel
weißer Männer und Fromm befreit, die er zu idealen Zwecken hart arbeiten sah;
von thuen lernte er den Wert ehrlicher Arbeit schätzen, die Selbstvertrauen und
Selbständigkeit bei dem hervorruft, der das Bewußtsein hat, etwas für die Welt
zu leisten. Auf der andern Seite hatte er die abschreckenden Beispiele der neu-
modisch gebildeten Neger, die als Prediger oder Lehrer auftraten, wenn sie kaum
lesen konnten. Diesem unklaren und unpraktischen Streben stellt er den echt ameri-
kmüscheu Grundsatz entgegen, daß nur die Arbeit dem Neger die Rechte zurück¬
bringen werde, die ihm durch die Sklavenbefreiung vorzeitig gegeben worden waren,
und die er im ganzen Süden großenteils durch seine eigne Unreife wieder ver¬
loren hat. In einer höchst lesenswerten Rede, die er 1895 bei der Eröffnung


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[0821] Maßgebliches und Unmaßgebliches Bild, das dem Bande vorangestellt ist; er gehört nicht der West- und innerafrika¬ nischen Negerrnsse an, aus der die Mehrzahl der einstigen Sklaven in den Ver¬ einigten Staaten stammte, seine geistig interessante und moralisch wohltuende Physiognomie mit dem gelassenen Ausdruck glauben wir bei den dunkeln Völkern der Seenregion und bei Galla, Wcchuma und Verwandten gesehen zu haben, die Sergi als Verwandte seiner mittelländischen Rasse auffaßt, Mischblut scheint er nicht zu sein. Das; er und seinesgleichen auch unter den Farbigen der Vereinigten Staaten nicht häufig sind, ergibt sich aus seiner eignen Lebensbeschreibung, in der auffallend wenig von gleichgesinnten und gleichstrebenden Farbigen die Rede ist; seine Freunde und Helfer hat er hauptsächlich unter den Weißen gefunden, Booker Washington gehört zu der nicht zahlreichen Gruppe moralisch eindrucks¬ fähiger, warmherziger Farbiger, aus der so manche aufopfernde Missionare und Missionsgchilfen, Prediger und Lehrer, besonders in den Methodisten- und den Baptistengemeinden, hervorgegangen sind. Mitten in seinem eifrigen Bildungs¬ streben empfing er die tiefsten Eindrücke fürs Leben von den uneigennützigen weißen Männern und Frauen, die nach dem Kriege freiwillig ihre Kräfte den Farbigen widmeten. Was er von diesen gelernt hat, verzeichnet er mit rührender Dankbarkeit, seien es nun die Grundbegriffe der Reinlichkeit und der Ordnung bis herunter zu der Zahnbürste, deren Einführung unter den Negern er eine große Knltur- bedeutnng zuschreibt, oder der Mut und die Ausdauer im Wirken für seine Neben¬ menschen, Hier haben wir offenbar einen Grundzug der bessern Negernatur, der sich nach unten bis zur gewöhnlichen Gutmütigkeit abstuft. Es ist nicht zu verkennen, daß die gedrückte Lage der Farbigen zur Entfaltung altruistischer Gefühle in diesem Charakter selbst beiträgt, denn sie müssen wünschen, daß solche Gefühle ihnen selbst entgegengebracht werden, „Je hilfsbedürftiger eine Rasse ist, je tiefer die Kultur¬ stufe, auf der sie steht, um so höher steigt derjenige, der sich ihrer annimmt," ist ein Satz, der zwar sehr ethisch klingt, aber niemals der Grundgedanke der Rassen- Politik einer höhern Rasse sein wird. Es ist ein Anklammern des Schwächern um Hnmanitätsgrnndsätze, die der Stärkere nur mit dem Munde bekennt, ein ver¬ führerisches Sichhinwegtäuschen über die zum Erfolg wahrhaft notwendigen Eigen¬ schaften einer Rasse oder eines Volkes. Das Bildungsstreben der Freigelassenen schildert uns Booker Washington mit lebhafter Farbe. Es war darin nur bei ganz wenigen die klare Erkenntnis von dem Werte des Wissens für das praktische Leben, wie sie diesen Neger beseelt, der in Richmond Schiffe ausladen half, in Neuengland als Kellner diente und manchmal auf der Straße schlief, um die Negerschule in Hampton erreichen zu können, wo er sich dann den Unterricht mit Pförtnerdiensten erkaufte; es waren bei vielen ganz unklare Vorstellungen von dem Wert des Lesens und Schreibens, Fertig¬ keiten, die wie ein Zauber von allen Sorgen des Lebens befreien sollten. Die ältern Leute wollten um jeden Preis vor ihrem Tode noch die Bibel lesen, und in dieser Ab¬ sicht besuchten Männer und Frauen von 75 Jahren die Abendschulen, die nach dem Kriege allenthalben im Süden von begeisterten Freunden der Neger eröffnet wurden. Wie unklar dieses Bildungsstreben war, und wie irreführend es auf seine Rasse wirkte, sah Booker bald ein. Von der Auffassung, daß Bildung dazu diene, ein bequemes, angenehmes Leben zu führen, wurde er durch das Beispiel weißer Männer und Fromm befreit, die er zu idealen Zwecken hart arbeiten sah; von thuen lernte er den Wert ehrlicher Arbeit schätzen, die Selbstvertrauen und Selbständigkeit bei dem hervorruft, der das Bewußtsein hat, etwas für die Welt zu leisten. Auf der andern Seite hatte er die abschreckenden Beispiele der neu- modisch gebildeten Neger, die als Prediger oder Lehrer auftraten, wenn sie kaum lesen konnten. Diesem unklaren und unpraktischen Streben stellt er den echt ameri- kmüscheu Grundsatz entgegen, daß nur die Arbeit dem Neger die Rechte zurück¬ bringen werde, die ihm durch die Sklavenbefreiung vorzeitig gegeben worden waren, und die er im ganzen Süden großenteils durch seine eigne Unreife wieder ver¬ loren hat. In einer höchst lesenswerten Rede, die er 1895 bei der Eröffnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/821>, abgerufen am 24.08.2024.