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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der ZNarquis von Marigny

gcgnnng mit seiner Tochter. Der alte Herr litt unter Gewissensbissen. Er hatte,
jähzornig wie er nun einmal war, am Morgen einen furchtbaren Auftritt mit
Marguerite gehabt. Und warum? Weil sich das Mädchen nicht bereit finden lassen
wollte, ans die Pläne des Vaters einzugehn, der wieder einmal mit einem Heirnts-
projekt herausgerückt war, und wie er mit anerkennenswerter Offenheit gestand,
dem betreffenden Freier schon Hoffnung ans Margncrites Hand gemacht hatte.
Gegen den Mann selbst ließ sich höchstens einwenden, daß er schon ein angehender
Fünfziger war und nur einen Arm hatte -- der andre war ihm in einem Duell
abhanden gekommen --; dafür galt er aber für einen der reichsten Großgrund¬
besitzer Frankreichs. Marguerite jedoch hatte, ohne den väterlichen Argumenten
Gehör zu schenken, rund heraus erklärt, wenn sie durchaus heiraten solle, wozu sie
übrigens selbst Neigung habe, so könne für sie nur ein einziger Freier in Frage
koimnen, und dieser sei Henri von Villeroi.

Der Marquis, der seit einiger Zeit in dem zuversichtlichen Glanben gelebt
hatte, Henri, von dem die Tochter nie mehr sprach, sei längst vergessen und end-
giltig abgetan, war bei dieser Eröffnung gleichsam aus den Wolken gefallen und
hatte mehrerer Minuten bedurft, sich von seinem Schrecken zu erholen. Und dann
war die Wut über ihn gekommen, die Wut, die allen Vernunftgründen unzugäng-
lüh ist, die um so ärger tobt, je deutlicher ihr das eigue Unrecht zum Bewußtsein
gelangt, die keine Logik kennt und keine andre Waffe zu führen weiß als die
Plumpe Keule. Mariguy hatte Marguerite mit Vorwürfen überschüttet und dann,
als diese stumm blieb, Anklagen über Anklagen auf Henris Haupt gehäuft und sich
zu den gröblichsten Beleidigungen des Abwesenden hinreiße" lassen. Dazu hatte
das Mädchen nicht zu schweigen vermocht, es hatte mit einer Wärme, die deutlicher
als alle Worte sprach, den Geliebten in Schutz genommen und auf die höhnisch
hingeworfne Bemerkung des Vaters, Marguerite möge, wenn sie denn doch einmal
entschlossen sei, von trocknem Brote zu leben, lieber heute als morgen mit ihrem
Gillan auf und davon gehn, in kühlem Tone geantwortet, das sei ein Wunsch, deu
sie ihm gern erfüllen werde.

Der Vater hatte es mit seiner Aufforderung natürlich nicht ernst gemeint und
ebensowenig die Entgegnung der Tochter ernst genommen. Ja er war glücklich
darüber gewesen, der ärgerlichen Szene dnrch den drastischen Hinweis ans Villerois
Mittellosigkeit zu einem beinahe heitern Abschluß verholfen zu haben. Aber peinlich
war ihm die Erinnerung an den erregten Auftritt doch, und er scheute sich davor,
dem so schwer gekränkten Mädchen unter die Augen zu treten.

Guter alter Mann, deine Sorge war überflüssig! Du hattest vergesse:,, daß
deine Tochter eine Marigny war, eine Marigny von der furchtlosen und zielbe¬
wußter Entschlossenheit, die einst Gottfried vou Bouillon nach einem vergeblichen
Sturm ans die Mauer von Jerusalem zu dem Ausruf veranlaßt hatte: Geduld.
Freunde! Wir haben einen Marigny uuter uus, der wird sie schon mit seinem
Kopfe einrennen!

Als der Marquis jetzt den Vorhaut betrat, begegnete er der Wittib Haßlncher.
Sie pflegte "ihren Franzosen" bei solchen Gelegenheiten in längere Gespräche zu
verwickeln, die gewöhnlich mit Erörterungen über das Wetter begannen und mit
Klagen über die Steigerung der Butterpreise endeten und von dem Mieter uicht
gerade zu deu Annehmlichkeiten der Wohnung gerechnet wurden. Heute wäre
Marigny ganz einverstanden damit gewesen, in solcher Weise noch ein paar Mi¬
nuten hingehalten zu werden, aber die Alte zeigte wider Erwarten zu dem üblichen
Schwätzchen nicht die geringste Neigung, sondern eilte mit flüchtigem und, wie der
Marquis zu bemerken glaubte, sogar verlegnem Gruße an ihm vorüber.

Vorwärts, vorwärts, alter Herr! Peinliche Augenblicke werden nicht ange¬
nehmer dadurch, daß man sie hinausschiebt!

Und wirklich! Er faßte sich ein Herz, legte die Hand auf die Türklinke und
trat entschlösse" ein. Marguerite war nicht anwesend. Er atmete erleichtert auf,


Der ZNarquis von Marigny

gcgnnng mit seiner Tochter. Der alte Herr litt unter Gewissensbissen. Er hatte,
jähzornig wie er nun einmal war, am Morgen einen furchtbaren Auftritt mit
Marguerite gehabt. Und warum? Weil sich das Mädchen nicht bereit finden lassen
wollte, ans die Pläne des Vaters einzugehn, der wieder einmal mit einem Heirnts-
projekt herausgerückt war, und wie er mit anerkennenswerter Offenheit gestand,
dem betreffenden Freier schon Hoffnung ans Margncrites Hand gemacht hatte.
Gegen den Mann selbst ließ sich höchstens einwenden, daß er schon ein angehender
Fünfziger war und nur einen Arm hatte — der andre war ihm in einem Duell
abhanden gekommen —; dafür galt er aber für einen der reichsten Großgrund¬
besitzer Frankreichs. Marguerite jedoch hatte, ohne den väterlichen Argumenten
Gehör zu schenken, rund heraus erklärt, wenn sie durchaus heiraten solle, wozu sie
übrigens selbst Neigung habe, so könne für sie nur ein einziger Freier in Frage
koimnen, und dieser sei Henri von Villeroi.

Der Marquis, der seit einiger Zeit in dem zuversichtlichen Glanben gelebt
hatte, Henri, von dem die Tochter nie mehr sprach, sei längst vergessen und end-
giltig abgetan, war bei dieser Eröffnung gleichsam aus den Wolken gefallen und
hatte mehrerer Minuten bedurft, sich von seinem Schrecken zu erholen. Und dann
war die Wut über ihn gekommen, die Wut, die allen Vernunftgründen unzugäng-
lüh ist, die um so ärger tobt, je deutlicher ihr das eigue Unrecht zum Bewußtsein
gelangt, die keine Logik kennt und keine andre Waffe zu führen weiß als die
Plumpe Keule. Mariguy hatte Marguerite mit Vorwürfen überschüttet und dann,
als diese stumm blieb, Anklagen über Anklagen auf Henris Haupt gehäuft und sich
zu den gröblichsten Beleidigungen des Abwesenden hinreiße» lassen. Dazu hatte
das Mädchen nicht zu schweigen vermocht, es hatte mit einer Wärme, die deutlicher
als alle Worte sprach, den Geliebten in Schutz genommen und auf die höhnisch
hingeworfne Bemerkung des Vaters, Marguerite möge, wenn sie denn doch einmal
entschlossen sei, von trocknem Brote zu leben, lieber heute als morgen mit ihrem
Gillan auf und davon gehn, in kühlem Tone geantwortet, das sei ein Wunsch, deu
sie ihm gern erfüllen werde.

Der Vater hatte es mit seiner Aufforderung natürlich nicht ernst gemeint und
ebensowenig die Entgegnung der Tochter ernst genommen. Ja er war glücklich
darüber gewesen, der ärgerlichen Szene dnrch den drastischen Hinweis ans Villerois
Mittellosigkeit zu einem beinahe heitern Abschluß verholfen zu haben. Aber peinlich
war ihm die Erinnerung an den erregten Auftritt doch, und er scheute sich davor,
dem so schwer gekränkten Mädchen unter die Augen zu treten.

Guter alter Mann, deine Sorge war überflüssig! Du hattest vergesse:,, daß
deine Tochter eine Marigny war, eine Marigny von der furchtlosen und zielbe¬
wußter Entschlossenheit, die einst Gottfried vou Bouillon nach einem vergeblichen
Sturm ans die Mauer von Jerusalem zu dem Ausruf veranlaßt hatte: Geduld.
Freunde! Wir haben einen Marigny uuter uus, der wird sie schon mit seinem
Kopfe einrennen!

Als der Marquis jetzt den Vorhaut betrat, begegnete er der Wittib Haßlncher.
Sie pflegte „ihren Franzosen" bei solchen Gelegenheiten in längere Gespräche zu
verwickeln, die gewöhnlich mit Erörterungen über das Wetter begannen und mit
Klagen über die Steigerung der Butterpreise endeten und von dem Mieter uicht
gerade zu deu Annehmlichkeiten der Wohnung gerechnet wurden. Heute wäre
Marigny ganz einverstanden damit gewesen, in solcher Weise noch ein paar Mi¬
nuten hingehalten zu werden, aber die Alte zeigte wider Erwarten zu dem üblichen
Schwätzchen nicht die geringste Neigung, sondern eilte mit flüchtigem und, wie der
Marquis zu bemerken glaubte, sogar verlegnem Gruße an ihm vorüber.

Vorwärts, vorwärts, alter Herr! Peinliche Augenblicke werden nicht ange¬
nehmer dadurch, daß man sie hinausschiebt!

Und wirklich! Er faßte sich ein Herz, legte die Hand auf die Türklinke und
trat entschlösse» ein. Marguerite war nicht anwesend. Er atmete erleichtert auf,


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[0811] Der ZNarquis von Marigny gcgnnng mit seiner Tochter. Der alte Herr litt unter Gewissensbissen. Er hatte, jähzornig wie er nun einmal war, am Morgen einen furchtbaren Auftritt mit Marguerite gehabt. Und warum? Weil sich das Mädchen nicht bereit finden lassen wollte, ans die Pläne des Vaters einzugehn, der wieder einmal mit einem Heirnts- projekt herausgerückt war, und wie er mit anerkennenswerter Offenheit gestand, dem betreffenden Freier schon Hoffnung ans Margncrites Hand gemacht hatte. Gegen den Mann selbst ließ sich höchstens einwenden, daß er schon ein angehender Fünfziger war und nur einen Arm hatte — der andre war ihm in einem Duell abhanden gekommen —; dafür galt er aber für einen der reichsten Großgrund¬ besitzer Frankreichs. Marguerite jedoch hatte, ohne den väterlichen Argumenten Gehör zu schenken, rund heraus erklärt, wenn sie durchaus heiraten solle, wozu sie übrigens selbst Neigung habe, so könne für sie nur ein einziger Freier in Frage koimnen, und dieser sei Henri von Villeroi. Der Marquis, der seit einiger Zeit in dem zuversichtlichen Glanben gelebt hatte, Henri, von dem die Tochter nie mehr sprach, sei längst vergessen und end- giltig abgetan, war bei dieser Eröffnung gleichsam aus den Wolken gefallen und hatte mehrerer Minuten bedurft, sich von seinem Schrecken zu erholen. Und dann war die Wut über ihn gekommen, die Wut, die allen Vernunftgründen unzugäng- lüh ist, die um so ärger tobt, je deutlicher ihr das eigue Unrecht zum Bewußtsein gelangt, die keine Logik kennt und keine andre Waffe zu führen weiß als die Plumpe Keule. Mariguy hatte Marguerite mit Vorwürfen überschüttet und dann, als diese stumm blieb, Anklagen über Anklagen auf Henris Haupt gehäuft und sich zu den gröblichsten Beleidigungen des Abwesenden hinreiße» lassen. Dazu hatte das Mädchen nicht zu schweigen vermocht, es hatte mit einer Wärme, die deutlicher als alle Worte sprach, den Geliebten in Schutz genommen und auf die höhnisch hingeworfne Bemerkung des Vaters, Marguerite möge, wenn sie denn doch einmal entschlossen sei, von trocknem Brote zu leben, lieber heute als morgen mit ihrem Gillan auf und davon gehn, in kühlem Tone geantwortet, das sei ein Wunsch, deu sie ihm gern erfüllen werde. Der Vater hatte es mit seiner Aufforderung natürlich nicht ernst gemeint und ebensowenig die Entgegnung der Tochter ernst genommen. Ja er war glücklich darüber gewesen, der ärgerlichen Szene dnrch den drastischen Hinweis ans Villerois Mittellosigkeit zu einem beinahe heitern Abschluß verholfen zu haben. Aber peinlich war ihm die Erinnerung an den erregten Auftritt doch, und er scheute sich davor, dem so schwer gekränkten Mädchen unter die Augen zu treten. Guter alter Mann, deine Sorge war überflüssig! Du hattest vergesse:,, daß deine Tochter eine Marigny war, eine Marigny von der furchtlosen und zielbe¬ wußter Entschlossenheit, die einst Gottfried vou Bouillon nach einem vergeblichen Sturm ans die Mauer von Jerusalem zu dem Ausruf veranlaßt hatte: Geduld. Freunde! Wir haben einen Marigny uuter uus, der wird sie schon mit seinem Kopfe einrennen! Als der Marquis jetzt den Vorhaut betrat, begegnete er der Wittib Haßlncher. Sie pflegte „ihren Franzosen" bei solchen Gelegenheiten in längere Gespräche zu verwickeln, die gewöhnlich mit Erörterungen über das Wetter begannen und mit Klagen über die Steigerung der Butterpreise endeten und von dem Mieter uicht gerade zu deu Annehmlichkeiten der Wohnung gerechnet wurden. Heute wäre Marigny ganz einverstanden damit gewesen, in solcher Weise noch ein paar Mi¬ nuten hingehalten zu werden, aber die Alte zeigte wider Erwarten zu dem üblichen Schwätzchen nicht die geringste Neigung, sondern eilte mit flüchtigem und, wie der Marquis zu bemerken glaubte, sogar verlegnem Gruße an ihm vorüber. Vorwärts, vorwärts, alter Herr! Peinliche Augenblicke werden nicht ange¬ nehmer dadurch, daß man sie hinausschiebt! Und wirklich! Er faßte sich ein Herz, legte die Hand auf die Türklinke und trat entschlösse» ein. Marguerite war nicht anwesend. Er atmete erleichtert auf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/811>, abgerufen am 23.07.2024.