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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

meist auch recht geringfügigen Einzelheiten seiner nächsten Umgebung. Über das
Leben und Treiben seiner emigrierten Landsleute, deren Zahl sich mit jeder Woche
vergrößerte, wußte er weit genauer Bescheid als die bezahlten Spione der Revo¬
lution, die als Lakaien oder Haarkräusler die kontrarevolutionären Pläne der
Flüchtlinge auszukundschaften suchten. Dazu kam, daß ihn Madame Haßlacher über
den Koblenzer Stadtklatsch auf dem Laufenden hielt, der denn in seiner relativen
Harmlosigkeit dem an die mehr als pikanten Geschichten des Trtanons und des Palais
Royal gewöhnten Franzosen etwa so mundete, wie eine Walderdbeere dem von
Ananas und Bauanen übersättigten Gaumen eines Schleckers.

Marguerite und Villeroi, die, beide von Natur ernster als Marigny, an all
diesen Nichtigkeiten wenig Gefallen fanden, waren nie glücklicher, als wenn sie den
alten Herrn in der Küche wußten. Kein Mensch, der die beiden, wie sie in solchen
Stunden beisammensaßen, beobachtet hätte, würde in ihnen ein Liebespaar der leicht¬
fertigsten Nation und des leichtfertigsten Jahrhunderts vermutet haben. Der Ernst
der Zeit und die nahezu hoffnungslosen Aussichten für die Zukunft hatten dein
Bunde der jungen Herzen eine Weihe gegeben, die ihn festigte, aber ihm auch
den poetischen Hauch raubte, ohne den wir uns den Brautstand -- und am aller¬
wenigsten den geheim gehaltnen -- nicht recht vorzustellen vermögen.

In einem Punkte freilich täuschten sich die Liebenden, in ihrer Annahme
nämlich, der Vater habe die große Wandlung, die mit den ehemaligen Spiel¬
gefährten vorgegangen war, nicht bemerkt. Der Marquis hätte blind sein müssen,
wenn er all die zarten Aufmerksamkeiten, die Henri dem Mädchen erwies, und die
schlecht verhehlte Ungeduld, mit der Marguerite den jungen Edelmann, wenn er
einmal länger als gewöhnlich ausblieb, erwartete, nicht ihrem wahren Wesen nach
erkannt hätte. Aber er ließ sich nichts merken -- einmal aus persönlicher Bequemlichkeit,
weil er sich davor scheute, Henri über das Aussichtslose seiner Bemühungen auf¬
zuklären, und zum andern, weil er der Tochter das unschädliche Divertissement von
Herzen gönnte. Sie konnte ja, so glaubte er, nie und nimmer an eine Verbindung
mit dem gänzlich mittellosen Freunde denken. Und wenn dann erst ein annehm¬
barer Freier erschiene, mußte der Verkehr mit dem Jugendgespielen ja ohnehin
aufhören. Also weshalb die beiden jungen Menschen in ihrem harmlosen Ver¬
gnügen stören? Zumal hier in der Fremde, wo man sich in den zwanglosen
Formen des Landaufenthalts oder des Feldlagers bewegen durfte! Nein, der
Marquis war kein Barbar; leben und leben lassen war von jeher seine Devise ge¬
wesen, und diesen Grundsatz wollte er auch in seiner Häuslichkeit befolgt wissen,
unter der Voraussetzung natürlich, daß dabei das Dekorum uach außen hin auf de>s
strengste gewahrt blieb, und daß seine eignen Absichten nicht durchkreuzt wurden.

An einem Spätnachmittag des Januars saßen Marigny, seine Tochter
Villeroi wieder einmal zusammen. Der Marquis, der sich nach langen vergebliche"
Bemühungen endlich Zutritt bei Hofe verschafft hatte und an einem der vorher-
gegcmgnen Tage vom Kurfürsten zur Tafel gezogen worden war, konnte sich nicht
genug darin tun, die Hofgesellschaft von Serenissimus bis hinab zum Türsteher in
seiner sarkastischen Weise zu schildern und die genossene Gastfreundschaft mit der
Überlegenheit des an den Glanz des Versailler Hofes gewöhnten Mannes zu kriti¬
sieren. Er fand die Einrichtung des Schlosses ärmlich, das Tafelsilber nicht massiv
genug, die Wachskerzen zu dünn, dafür aber die Hofdamen der Prinzessin Kunigunde,
der Schwester des Kurfürsten, zu dick, die Toiletten der Damen nicht nach der
neusten Mode, die Herren schlecht frisiert, meinte, Clemens Wenzeslaus sei gege"
die italienischen Sängerinnen seiner Hofkapelle zu leutselig, gegen seine französische"
Gäste jedoch zu zurückhaltend gewesen, beklagte sich, daß man den Pontac zu kalt,
den Rheinwein zu warm und die Straßburger Schnecken ohne Kräutersauce serviert
habe, und ließ an der ganzen Festlichkeit nnr die Tafelaufsätze aus sächsischem Por¬
zellan und die Instrumente der Hoboisten gelten, von denen man ihm gesagt haben
mochte, daß sie aus Paris bezogen worden seien.


Der Marquis von Marigny

meist auch recht geringfügigen Einzelheiten seiner nächsten Umgebung. Über das
Leben und Treiben seiner emigrierten Landsleute, deren Zahl sich mit jeder Woche
vergrößerte, wußte er weit genauer Bescheid als die bezahlten Spione der Revo¬
lution, die als Lakaien oder Haarkräusler die kontrarevolutionären Pläne der
Flüchtlinge auszukundschaften suchten. Dazu kam, daß ihn Madame Haßlacher über
den Koblenzer Stadtklatsch auf dem Laufenden hielt, der denn in seiner relativen
Harmlosigkeit dem an die mehr als pikanten Geschichten des Trtanons und des Palais
Royal gewöhnten Franzosen etwa so mundete, wie eine Walderdbeere dem von
Ananas und Bauanen übersättigten Gaumen eines Schleckers.

Marguerite und Villeroi, die, beide von Natur ernster als Marigny, an all
diesen Nichtigkeiten wenig Gefallen fanden, waren nie glücklicher, als wenn sie den
alten Herrn in der Küche wußten. Kein Mensch, der die beiden, wie sie in solchen
Stunden beisammensaßen, beobachtet hätte, würde in ihnen ein Liebespaar der leicht¬
fertigsten Nation und des leichtfertigsten Jahrhunderts vermutet haben. Der Ernst
der Zeit und die nahezu hoffnungslosen Aussichten für die Zukunft hatten dein
Bunde der jungen Herzen eine Weihe gegeben, die ihn festigte, aber ihm auch
den poetischen Hauch raubte, ohne den wir uns den Brautstand — und am aller¬
wenigsten den geheim gehaltnen — nicht recht vorzustellen vermögen.

In einem Punkte freilich täuschten sich die Liebenden, in ihrer Annahme
nämlich, der Vater habe die große Wandlung, die mit den ehemaligen Spiel¬
gefährten vorgegangen war, nicht bemerkt. Der Marquis hätte blind sein müssen,
wenn er all die zarten Aufmerksamkeiten, die Henri dem Mädchen erwies, und die
schlecht verhehlte Ungeduld, mit der Marguerite den jungen Edelmann, wenn er
einmal länger als gewöhnlich ausblieb, erwartete, nicht ihrem wahren Wesen nach
erkannt hätte. Aber er ließ sich nichts merken — einmal aus persönlicher Bequemlichkeit,
weil er sich davor scheute, Henri über das Aussichtslose seiner Bemühungen auf¬
zuklären, und zum andern, weil er der Tochter das unschädliche Divertissement von
Herzen gönnte. Sie konnte ja, so glaubte er, nie und nimmer an eine Verbindung
mit dem gänzlich mittellosen Freunde denken. Und wenn dann erst ein annehm¬
barer Freier erschiene, mußte der Verkehr mit dem Jugendgespielen ja ohnehin
aufhören. Also weshalb die beiden jungen Menschen in ihrem harmlosen Ver¬
gnügen stören? Zumal hier in der Fremde, wo man sich in den zwanglosen
Formen des Landaufenthalts oder des Feldlagers bewegen durfte! Nein, der
Marquis war kein Barbar; leben und leben lassen war von jeher seine Devise ge¬
wesen, und diesen Grundsatz wollte er auch in seiner Häuslichkeit befolgt wissen,
unter der Voraussetzung natürlich, daß dabei das Dekorum uach außen hin auf de>s
strengste gewahrt blieb, und daß seine eignen Absichten nicht durchkreuzt wurden.

An einem Spätnachmittag des Januars saßen Marigny, seine Tochter
Villeroi wieder einmal zusammen. Der Marquis, der sich nach langen vergebliche»
Bemühungen endlich Zutritt bei Hofe verschafft hatte und an einem der vorher-
gegcmgnen Tage vom Kurfürsten zur Tafel gezogen worden war, konnte sich nicht
genug darin tun, die Hofgesellschaft von Serenissimus bis hinab zum Türsteher in
seiner sarkastischen Weise zu schildern und die genossene Gastfreundschaft mit der
Überlegenheit des an den Glanz des Versailler Hofes gewöhnten Mannes zu kriti¬
sieren. Er fand die Einrichtung des Schlosses ärmlich, das Tafelsilber nicht massiv
genug, die Wachskerzen zu dünn, dafür aber die Hofdamen der Prinzessin Kunigunde,
der Schwester des Kurfürsten, zu dick, die Toiletten der Damen nicht nach der
neusten Mode, die Herren schlecht frisiert, meinte, Clemens Wenzeslaus sei gege"
die italienischen Sängerinnen seiner Hofkapelle zu leutselig, gegen seine französische"
Gäste jedoch zu zurückhaltend gewesen, beklagte sich, daß man den Pontac zu kalt,
den Rheinwein zu warm und die Straßburger Schnecken ohne Kräutersauce serviert
habe, und ließ an der ganzen Festlichkeit nnr die Tafelaufsätze aus sächsischem Por¬
zellan und die Instrumente der Hoboisten gelten, von denen man ihm gesagt haben
mochte, daß sie aus Paris bezogen worden seien.


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[0614] Der Marquis von Marigny meist auch recht geringfügigen Einzelheiten seiner nächsten Umgebung. Über das Leben und Treiben seiner emigrierten Landsleute, deren Zahl sich mit jeder Woche vergrößerte, wußte er weit genauer Bescheid als die bezahlten Spione der Revo¬ lution, die als Lakaien oder Haarkräusler die kontrarevolutionären Pläne der Flüchtlinge auszukundschaften suchten. Dazu kam, daß ihn Madame Haßlacher über den Koblenzer Stadtklatsch auf dem Laufenden hielt, der denn in seiner relativen Harmlosigkeit dem an die mehr als pikanten Geschichten des Trtanons und des Palais Royal gewöhnten Franzosen etwa so mundete, wie eine Walderdbeere dem von Ananas und Bauanen übersättigten Gaumen eines Schleckers. Marguerite und Villeroi, die, beide von Natur ernster als Marigny, an all diesen Nichtigkeiten wenig Gefallen fanden, waren nie glücklicher, als wenn sie den alten Herrn in der Küche wußten. Kein Mensch, der die beiden, wie sie in solchen Stunden beisammensaßen, beobachtet hätte, würde in ihnen ein Liebespaar der leicht¬ fertigsten Nation und des leichtfertigsten Jahrhunderts vermutet haben. Der Ernst der Zeit und die nahezu hoffnungslosen Aussichten für die Zukunft hatten dein Bunde der jungen Herzen eine Weihe gegeben, die ihn festigte, aber ihm auch den poetischen Hauch raubte, ohne den wir uns den Brautstand — und am aller¬ wenigsten den geheim gehaltnen — nicht recht vorzustellen vermögen. In einem Punkte freilich täuschten sich die Liebenden, in ihrer Annahme nämlich, der Vater habe die große Wandlung, die mit den ehemaligen Spiel¬ gefährten vorgegangen war, nicht bemerkt. Der Marquis hätte blind sein müssen, wenn er all die zarten Aufmerksamkeiten, die Henri dem Mädchen erwies, und die schlecht verhehlte Ungeduld, mit der Marguerite den jungen Edelmann, wenn er einmal länger als gewöhnlich ausblieb, erwartete, nicht ihrem wahren Wesen nach erkannt hätte. Aber er ließ sich nichts merken — einmal aus persönlicher Bequemlichkeit, weil er sich davor scheute, Henri über das Aussichtslose seiner Bemühungen auf¬ zuklären, und zum andern, weil er der Tochter das unschädliche Divertissement von Herzen gönnte. Sie konnte ja, so glaubte er, nie und nimmer an eine Verbindung mit dem gänzlich mittellosen Freunde denken. Und wenn dann erst ein annehm¬ barer Freier erschiene, mußte der Verkehr mit dem Jugendgespielen ja ohnehin aufhören. Also weshalb die beiden jungen Menschen in ihrem harmlosen Ver¬ gnügen stören? Zumal hier in der Fremde, wo man sich in den zwanglosen Formen des Landaufenthalts oder des Feldlagers bewegen durfte! Nein, der Marquis war kein Barbar; leben und leben lassen war von jeher seine Devise ge¬ wesen, und diesen Grundsatz wollte er auch in seiner Häuslichkeit befolgt wissen, unter der Voraussetzung natürlich, daß dabei das Dekorum uach außen hin auf de>s strengste gewahrt blieb, und daß seine eignen Absichten nicht durchkreuzt wurden. An einem Spätnachmittag des Januars saßen Marigny, seine Tochter Villeroi wieder einmal zusammen. Der Marquis, der sich nach langen vergebliche» Bemühungen endlich Zutritt bei Hofe verschafft hatte und an einem der vorher- gegcmgnen Tage vom Kurfürsten zur Tafel gezogen worden war, konnte sich nicht genug darin tun, die Hofgesellschaft von Serenissimus bis hinab zum Türsteher in seiner sarkastischen Weise zu schildern und die genossene Gastfreundschaft mit der Überlegenheit des an den Glanz des Versailler Hofes gewöhnten Mannes zu kriti¬ sieren. Er fand die Einrichtung des Schlosses ärmlich, das Tafelsilber nicht massiv genug, die Wachskerzen zu dünn, dafür aber die Hofdamen der Prinzessin Kunigunde, der Schwester des Kurfürsten, zu dick, die Toiletten der Damen nicht nach der neusten Mode, die Herren schlecht frisiert, meinte, Clemens Wenzeslaus sei gege" die italienischen Sängerinnen seiner Hofkapelle zu leutselig, gegen seine französische" Gäste jedoch zu zurückhaltend gewesen, beklagte sich, daß man den Pontac zu kalt, den Rheinwein zu warm und die Straßburger Schnecken ohne Kräutersauce serviert habe, und ließ an der ganzen Festlichkeit nnr die Tafelaufsätze aus sächsischem Por¬ zellan und die Instrumente der Hoboisten gelten, von denen man ihm gesagt haben mochte, daß sie aus Paris bezogen worden seien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/614>, abgerufen am 23.07.2024.