Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.Der Marquis von Marigny Eine Lmigrantengeschichte von (Fortsetzung) 3 in die grauen Türme von Se. Florin tanzten die Schneeflocken, Die Küchenverhältnisse im "Englischen Gruß" hatten sich -- und das tröstete Der Marquis von Marigny Eine Lmigrantengeschichte von (Fortsetzung) 3 in die grauen Türme von Se. Florin tanzten die Schneeflocken, Die Küchenverhältnisse im „Englischen Gruß" hatten sich — und das tröstete <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240994"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341877_240381/figures/grenzboten_341877_240381_240994_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Marquis von Marigny<lb/> Eine Lmigrantengeschichte von<lb/> (Fortsetzung)<lb/> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_2890"> in die grauen Türme von Se. Florin tanzten die Schneeflocken,<lb/> als ob der Himmel beschlossen hätte, jeden Turmhelm, jeden Knauf,<lb/> jeden Wasserspeier mit einer royalistischen .Kokarde zu schmücke».<lb/> Gegen die trotzigen Steinpfeiler der Moselbrücke donnerten die<lb/> Eisschollen, schoben sich übereinander, zerbarsten und trieben dann<lb/> als Opfer eines aussichtslosen Kampfes in Trümmern dem Rheine<lb/> zu. Der Winter, dieser erbarmungslose Tyrann, der so gebieterisch Schweigen<lb/> heischt, wo er erscheint, bei dessen Nahen die Vöglein verstummen und der Tritt<lb/> des Wandrers lautlos wird, dessen Hauch das plätschernde Bächlein erstarren macht<lb/> und die rauschenden Ströme in Fesseln schlägt, war gekommen, aber er hatte dem<lb/> Lande jenseits der Vogesen die Ruhe nicht wiederzugeben vermocht. Aus den<lb/> Wochen des Exils, von denen Mariguy gesprochen hatte, waren Monate geworden,<lb/> und nach dem, was das Koblenzer Intelligenzblatt über die Ereignisse in Paris<lb/> berichtete, und was man gelegentlich aus Privatbriefen erfuhr, schien es nicht un¬<lb/> möglich, daß sich die Monate in Jahre verwandeln würden. Der Marquis, un¬<lb/> fähig, sich mit den Tatsachen abzufinden, fuhr fort, sich über die Bedeutung der<lb/> Geschehnisse zu täuschen und gab nunmehr der Hoffnung Ausdruck, die vom Winter<lb/> vergebens erwartete Wiederherstellung der alten Ordnung werde mit Beginn der<lb/> guten Jahreszeit ganz von selbst eintrete». Im übrigen hatte seine Auffassung der<lb/> Lage nicht die geringste Änderung erfahren. Daß der die Nationalversammlung<lb/> beherrschende Geist mit deren Übersiedlung nach Paris noch viel revolutionärer ge¬<lb/> worden war, verursachte dem alten Aristokraten ebensowenig Sorge, wie die Säku¬<lb/> larisation der Kirchengüter, die Veräußerung der Staatsdomänen und die damit in<lb/> Verbindung stehenden schwindelhafter Finanzoperationen. Woran er sich stieß, und<lb/> was seiue monarchischen Gefühle um heftigsten verletzte, waren nach wie vor gering¬<lb/> fügige Äußerlichkeiten. Die Nachricht, man habe Ludwig verboten, sich bei seinen<lb/> Erlassen der alten, von den französischen Königen seit Jahrhunderten gebrauchten<lb/> Schlußphrase „denn dies ist unser Belieben" zu bedienen, traf Marigny wie der<lb/> härteste Schlag und raubte ihm auf mehrere Tage den Appetit. Nur die Er¬<lb/> wägung, daß er die Nationalversammlung ja als legitime Körperschaft anerkenne,<lb/> wenn er ein Schreiben an sie richtete, verhinderte ihn, ans solche Weise gegen diesen<lb/> Beschluß Protest zu erheben. Aber er konnte jetzt stundenlang in seinen Familien¬<lb/> papieren kramen, Und wenn er hierbei auf ein Dokument stieß, daß das Lilien¬<lb/> wappen trug, immer von neuem wieder die verschnörkelten Züge der Kanzleischrift<lb/> lesen, bis ihm die Augen von den aufsteigenden Tränen trüb wurden, und die<lb/> hohen dünnen Buchstaben des königlichen Nameuszngs zu tanzen begannen und<lb/> endlich langsam ineinanderflossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2891" next="#ID_2892"> Die Küchenverhältnisse im „Englischen Gruß" hatten sich — und das tröstete<lb/> den alten Herrn über manche andre Entbehrung und Enttäuschung — nicht un¬<lb/> wesentlich gebessert, seit Marigny eines Tags in Beziehungen zu Herrn Schick-<lb/> Hausen, dem kurfürstlichen Kapaunenstopfer — einem entfernten Verwandten der<lb/> Wittib Haßlacher —, getreten war und durch ihn manche Bezugsquelle der Hof-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0612]
[Abbildung]
Der Marquis von Marigny
Eine Lmigrantengeschichte von
(Fortsetzung)
3
in die grauen Türme von Se. Florin tanzten die Schneeflocken,
als ob der Himmel beschlossen hätte, jeden Turmhelm, jeden Knauf,
jeden Wasserspeier mit einer royalistischen .Kokarde zu schmücke».
Gegen die trotzigen Steinpfeiler der Moselbrücke donnerten die
Eisschollen, schoben sich übereinander, zerbarsten und trieben dann
als Opfer eines aussichtslosen Kampfes in Trümmern dem Rheine
zu. Der Winter, dieser erbarmungslose Tyrann, der so gebieterisch Schweigen
heischt, wo er erscheint, bei dessen Nahen die Vöglein verstummen und der Tritt
des Wandrers lautlos wird, dessen Hauch das plätschernde Bächlein erstarren macht
und die rauschenden Ströme in Fesseln schlägt, war gekommen, aber er hatte dem
Lande jenseits der Vogesen die Ruhe nicht wiederzugeben vermocht. Aus den
Wochen des Exils, von denen Mariguy gesprochen hatte, waren Monate geworden,
und nach dem, was das Koblenzer Intelligenzblatt über die Ereignisse in Paris
berichtete, und was man gelegentlich aus Privatbriefen erfuhr, schien es nicht un¬
möglich, daß sich die Monate in Jahre verwandeln würden. Der Marquis, un¬
fähig, sich mit den Tatsachen abzufinden, fuhr fort, sich über die Bedeutung der
Geschehnisse zu täuschen und gab nunmehr der Hoffnung Ausdruck, die vom Winter
vergebens erwartete Wiederherstellung der alten Ordnung werde mit Beginn der
guten Jahreszeit ganz von selbst eintrete». Im übrigen hatte seine Auffassung der
Lage nicht die geringste Änderung erfahren. Daß der die Nationalversammlung
beherrschende Geist mit deren Übersiedlung nach Paris noch viel revolutionärer ge¬
worden war, verursachte dem alten Aristokraten ebensowenig Sorge, wie die Säku¬
larisation der Kirchengüter, die Veräußerung der Staatsdomänen und die damit in
Verbindung stehenden schwindelhafter Finanzoperationen. Woran er sich stieß, und
was seiue monarchischen Gefühle um heftigsten verletzte, waren nach wie vor gering¬
fügige Äußerlichkeiten. Die Nachricht, man habe Ludwig verboten, sich bei seinen
Erlassen der alten, von den französischen Königen seit Jahrhunderten gebrauchten
Schlußphrase „denn dies ist unser Belieben" zu bedienen, traf Marigny wie der
härteste Schlag und raubte ihm auf mehrere Tage den Appetit. Nur die Er¬
wägung, daß er die Nationalversammlung ja als legitime Körperschaft anerkenne,
wenn er ein Schreiben an sie richtete, verhinderte ihn, ans solche Weise gegen diesen
Beschluß Protest zu erheben. Aber er konnte jetzt stundenlang in seinen Familien¬
papieren kramen, Und wenn er hierbei auf ein Dokument stieß, daß das Lilien¬
wappen trug, immer von neuem wieder die verschnörkelten Züge der Kanzleischrift
lesen, bis ihm die Augen von den aufsteigenden Tränen trüb wurden, und die
hohen dünnen Buchstaben des königlichen Nameuszngs zu tanzen begannen und
endlich langsam ineinanderflossen.
Die Küchenverhältnisse im „Englischen Gruß" hatten sich — und das tröstete
den alten Herrn über manche andre Entbehrung und Enttäuschung — nicht un¬
wesentlich gebessert, seit Marigny eines Tags in Beziehungen zu Herrn Schick-
Hausen, dem kurfürstlichen Kapaunenstopfer — einem entfernten Verwandten der
Wittib Haßlacher —, getreten war und durch ihn manche Bezugsquelle der Hof-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |