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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Zollvereine

Kolonien gelegt werden müsse.") Im Innern dieses Zollbundes soll Freihandel
herrschen, nach außen der Schutzzoll. Wenn das gelingt, und zugleich der
engere handelspolitische Anschluß der Kolonien an das Mutterland diese ver¬
anlaßt, eigne Heere und eigne Flotten aufzustellen, so bedeutet dies allerdings
einen großen Machtzuwachs für England. Die Lrilisli. IZiuxirv I^Ano, die
ans einigen andern Vereinigungen ähnlicher Art 1896 in England zur
Förderung des Neichsgedankens gebildet worden ist, hat etwa folgende Forde¬
rungen auf ihr Programm gesetzt: "Sicherung der dauernden Reichseinheit;
Förderung des Handels zwischen dem Vereinigten Königreich, den Kolonien
und Indien; Änderung der Gesetze und Vertrage, die die Freiheit einschränken,
gegenseitige Handelsbegünstigungen zu gewähren; Pflege des Verkehrs zwischen
den Teilen des Reichs durch direkte und billige Telegraphen- und Dampf¬
schiffslinien; Entwicklung von Grundsätzen über gemeinsame Verteidigung des
Reichs; möglichst einheitliche Gesetze über Autorrechte, Patent- und Konknrs-
recht."

Die Bahn, die die Zollpolitik in diesem eng Verbündeten Kolonialreiche
nehmen soll, findet sich in einen: von Kanadiern 1892 gestellten Antrage vor¬
gezeichnet, wo es heißt: "Ein mäßiger Differeuzzoll soll von den Regierungen
des Reichs und der Kolonien zu Gunsten der heimischen Produktion gegen¬
über der Einfuhr fremder Waren eingeführt werden, damit der Austausch und
der Verbrauch der wichtigsten einheimischen Erzeugnisse in allen Teilen des
britischen Reichs ausgedehnt wird."

Als Folge dieses Antrags, so sagt man, habe Kanada von England die
Kündigung der Handelsverträge mit Deutschland und Belgien gefordert, und
als sich die übrigen Kolonien dieser Forderung anschlössen, erfüllte sie be¬
kanntlich England auch, und heute helfen wir uns mühsam mit einem Hcmdels-
provisorium mit England und haben einen Zollkrieg mit Kanada. Scheinbar
kann man daraus schließen, daß die englische Regierung dem Neichsgedanken
große Zugeständnisse zu machen bereit ist. Ist nun aber die Gefahr, daß eine
solche Neichseinheit zustande kommt, wirklich so nahe gerückt?

Zunächst ist die Behauptung uicht richtig, daß England aus sich und
seinen Kolonien alle seine Bedürfnisse befriedigen könne, wie aus folgender
Übersicht hervorgeht:

Großbritannien, in Millionen Pfund Sterling:
Einfuhr Ausfuhr
1896 1900 1896 1900
aus oder nach dem Ausland 346,6 413,5 205,7 252,3
aus oder nach den Kolonien 93,2 109,5 90,7 102,0
'""
4M^523/s 296,4 354,3

Auch von der Weizeneinfuhr Englands kommt uur ein Viertel aus den
Kolonien, und ähnlich ist es mit allen Lebensmitteln. England ist also durch¬
aus nicht unabhängig vom Auslande. Sodann ist aber der ganze Zollverein
vorläufig Projekt. Das einzige, was eingehender erwogen worden ist, ist die
Frage eines in Großbritannien einzuführenden Differentialzolls zu Gunsten



Vergleiche den Artikel "Englische Schutzzöllner" in Nummer 9, 1903, der Grenzboten.
Zollvereine

Kolonien gelegt werden müsse.") Im Innern dieses Zollbundes soll Freihandel
herrschen, nach außen der Schutzzoll. Wenn das gelingt, und zugleich der
engere handelspolitische Anschluß der Kolonien an das Mutterland diese ver¬
anlaßt, eigne Heere und eigne Flotten aufzustellen, so bedeutet dies allerdings
einen großen Machtzuwachs für England. Die Lrilisli. IZiuxirv I^Ano, die
ans einigen andern Vereinigungen ähnlicher Art 1896 in England zur
Förderung des Neichsgedankens gebildet worden ist, hat etwa folgende Forde¬
rungen auf ihr Programm gesetzt: „Sicherung der dauernden Reichseinheit;
Förderung des Handels zwischen dem Vereinigten Königreich, den Kolonien
und Indien; Änderung der Gesetze und Vertrage, die die Freiheit einschränken,
gegenseitige Handelsbegünstigungen zu gewähren; Pflege des Verkehrs zwischen
den Teilen des Reichs durch direkte und billige Telegraphen- und Dampf¬
schiffslinien; Entwicklung von Grundsätzen über gemeinsame Verteidigung des
Reichs; möglichst einheitliche Gesetze über Autorrechte, Patent- und Konknrs-
recht."

Die Bahn, die die Zollpolitik in diesem eng Verbündeten Kolonialreiche
nehmen soll, findet sich in einen: von Kanadiern 1892 gestellten Antrage vor¬
gezeichnet, wo es heißt: „Ein mäßiger Differeuzzoll soll von den Regierungen
des Reichs und der Kolonien zu Gunsten der heimischen Produktion gegen¬
über der Einfuhr fremder Waren eingeführt werden, damit der Austausch und
der Verbrauch der wichtigsten einheimischen Erzeugnisse in allen Teilen des
britischen Reichs ausgedehnt wird."

Als Folge dieses Antrags, so sagt man, habe Kanada von England die
Kündigung der Handelsverträge mit Deutschland und Belgien gefordert, und
als sich die übrigen Kolonien dieser Forderung anschlössen, erfüllte sie be¬
kanntlich England auch, und heute helfen wir uns mühsam mit einem Hcmdels-
provisorium mit England und haben einen Zollkrieg mit Kanada. Scheinbar
kann man daraus schließen, daß die englische Regierung dem Neichsgedanken
große Zugeständnisse zu machen bereit ist. Ist nun aber die Gefahr, daß eine
solche Neichseinheit zustande kommt, wirklich so nahe gerückt?

Zunächst ist die Behauptung uicht richtig, daß England aus sich und
seinen Kolonien alle seine Bedürfnisse befriedigen könne, wie aus folgender
Übersicht hervorgeht:

Großbritannien, in Millionen Pfund Sterling:
Einfuhr Ausfuhr
1896 1900 1896 1900
aus oder nach dem Ausland 346,6 413,5 205,7 252,3
aus oder nach den Kolonien 93,2 109,5 90,7 102,0
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4M^523/s 296,4 354,3

Auch von der Weizeneinfuhr Englands kommt uur ein Viertel aus den
Kolonien, und ähnlich ist es mit allen Lebensmitteln. England ist also durch¬
aus nicht unabhängig vom Auslande. Sodann ist aber der ganze Zollverein
vorläufig Projekt. Das einzige, was eingehender erwogen worden ist, ist die
Frage eines in Großbritannien einzuführenden Differentialzolls zu Gunsten



Vergleiche den Artikel „Englische Schutzzöllner" in Nummer 9, 1903, der Grenzboten.
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[0402] Zollvereine Kolonien gelegt werden müsse.") Im Innern dieses Zollbundes soll Freihandel herrschen, nach außen der Schutzzoll. Wenn das gelingt, und zugleich der engere handelspolitische Anschluß der Kolonien an das Mutterland diese ver¬ anlaßt, eigne Heere und eigne Flotten aufzustellen, so bedeutet dies allerdings einen großen Machtzuwachs für England. Die Lrilisli. IZiuxirv I^Ano, die ans einigen andern Vereinigungen ähnlicher Art 1896 in England zur Förderung des Neichsgedankens gebildet worden ist, hat etwa folgende Forde¬ rungen auf ihr Programm gesetzt: „Sicherung der dauernden Reichseinheit; Förderung des Handels zwischen dem Vereinigten Königreich, den Kolonien und Indien; Änderung der Gesetze und Vertrage, die die Freiheit einschränken, gegenseitige Handelsbegünstigungen zu gewähren; Pflege des Verkehrs zwischen den Teilen des Reichs durch direkte und billige Telegraphen- und Dampf¬ schiffslinien; Entwicklung von Grundsätzen über gemeinsame Verteidigung des Reichs; möglichst einheitliche Gesetze über Autorrechte, Patent- und Konknrs- recht." Die Bahn, die die Zollpolitik in diesem eng Verbündeten Kolonialreiche nehmen soll, findet sich in einen: von Kanadiern 1892 gestellten Antrage vor¬ gezeichnet, wo es heißt: „Ein mäßiger Differeuzzoll soll von den Regierungen des Reichs und der Kolonien zu Gunsten der heimischen Produktion gegen¬ über der Einfuhr fremder Waren eingeführt werden, damit der Austausch und der Verbrauch der wichtigsten einheimischen Erzeugnisse in allen Teilen des britischen Reichs ausgedehnt wird." Als Folge dieses Antrags, so sagt man, habe Kanada von England die Kündigung der Handelsverträge mit Deutschland und Belgien gefordert, und als sich die übrigen Kolonien dieser Forderung anschlössen, erfüllte sie be¬ kanntlich England auch, und heute helfen wir uns mühsam mit einem Hcmdels- provisorium mit England und haben einen Zollkrieg mit Kanada. Scheinbar kann man daraus schließen, daß die englische Regierung dem Neichsgedanken große Zugeständnisse zu machen bereit ist. Ist nun aber die Gefahr, daß eine solche Neichseinheit zustande kommt, wirklich so nahe gerückt? Zunächst ist die Behauptung uicht richtig, daß England aus sich und seinen Kolonien alle seine Bedürfnisse befriedigen könne, wie aus folgender Übersicht hervorgeht: Großbritannien, in Millionen Pfund Sterling: Einfuhr Ausfuhr 1896 1900 1896 1900 aus oder nach dem Ausland 346,6 413,5 205,7 252,3 aus oder nach den Kolonien 93,2 109,5 90,7 102,0 '"" 4M^523/s 296,4 354,3 Auch von der Weizeneinfuhr Englands kommt uur ein Viertel aus den Kolonien, und ähnlich ist es mit allen Lebensmitteln. England ist also durch¬ aus nicht unabhängig vom Auslande. Sodann ist aber der ganze Zollverein vorläufig Projekt. Das einzige, was eingehender erwogen worden ist, ist die Frage eines in Großbritannien einzuführenden Differentialzolls zu Gunsten Vergleiche den Artikel „Englische Schutzzöllner" in Nummer 9, 1903, der Grenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/402>, abgerufen am 30.09.2024.