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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Sprengung der Dresdner Brücke durch Davoust am ^9- März I^g^Z

erleuchtete!! Scheiben zu fliegen, ein förmliches und zweimal wiederholtes Bom¬
bardement.

Wir fragein Warum griff das inzwischen angerückte Militär -- es waren
Sachsen -- nicht ein? Die Antwort liefert ein Brief des Leutnants Karl
Ludwig vou Raab vom Lvwschcn Infanterieregiment, der selber an der Affäre
beteiligt war und zwei Tage nach dem Ereignis an seine Mutter darüber be¬
richtete.") Er zeigt sich von seinem soldatischen Standpunkt aus aufs höchste
indigniert über den Unfug und die Rebellion des Pöbels. Wichtig ist für uns
hier die positive Angabe: Wir hatten "den Befehl, keine Gewalt zu brauche",
wodurch sich die Sache in die Länge zog." Dem entspricht es, wenn uns
anderweitig glaubwürdig gemeldet wird, daß das Militär am 10. keine Arre¬
tierungen vornahm. Und zwar bezieht sich beidemale die Angabe nicht bloß
auf das Verhalten des Militärs bei dem Auflauf vor dem Palais am Abend,
sondern auf den ganzen Vorfall.

Es ist schwer, der Hnltuug des ehrenhaften und persönlich tapfern Reynier
in dieser Sache gerecht zu werden. Daß er auch jetzt nicht mit dem Schwerte
drein fuhr, wird man sachlich mir billigen können, wenn auch ein impulsiverer
Mann so viel kaltes Blut in solcher Lage kaum bewahrt hätte. Er fürchtete
offenbar einen allgemeine!! Aufstand, dem er sich mit den ihm zu Gebote
stehenden Mitteln nicht gewachsen fühlte. Sein Verhalten spiegelt den tiefen
Eindruck wieder, den der Vorgang auf ihn gemacht hatte. Umso weniger ist
es zu billigen, daß er vorher die Bedeutung des Vorgangs entschieden unter¬
schätzt und sich den verständigen Ratschlägen der Immediatkommission wieder
und wieder verschlossen hatte. Er persönlich ist -- soweit unsre Kenntnis
jetzt reicht -- für die Wendung, die die Affäre nahm, verantwortlich zu machen.
Wenn aus der Rauferei des Morgens am Abend ein förmlicher Aufstand ge¬
worden war, so trägt er vornehmlich, ich möchte sagen: allein die Schuld.
Sein Handeln läßt klaren Blick und entschiednen Willen vermissen. Er zeigte
sich der Situation in keiner Weise gewachsen. Auch ist es uicht fein Verdienst
gewesen, wenn der Auflauf sich schließlich verlief. Dieses Verdienst gebührt
dem sächsischen General Lecoq. Er und mehrere seiner Offiziere mischten sich
persönlich unter die Meuge. Ihrem gütliche" Zureden gelang es, die auf¬
geregten Gemüter zu beruhigen. Mit einer Schwadron seiner Kavallerie und
eimger Infanterie drängte Lecoq die Leute endlich ohne jede Anwendung von
Gewalt von der Augustusstraßc weg. Doch hörte man aus der abziehenden
Menge die drohenden Rufe, man werde wiederkommen, sobald die Brücke wieder
angetastet werde.

Zu guter Bürgerstuude, um 10 Uhr, war die Straße leer, lag Dresden
wieder in Ruhe. Nur die Augustusstraßc blieb die Nacht über besetzt, und
der treue Lecoq "ahn für alle Fülle zum Schutze des Oberkvmmandierendcn
Quartier im Brühlschen Palais.

Das war das Ereignis des 10. Mürz, von dem damals Europa wider¬
hallte, vou den! die Depeschen der Diplomaten voll sind, und das in der



") Ich verdanke die Einsicht in den Brief der Güte Seiner Exzellenz des Herrn Generals
von Raab in Dresden.
Die Sprengung der Dresdner Brücke durch Davoust am ^9- März I^g^Z

erleuchtete!! Scheiben zu fliegen, ein förmliches und zweimal wiederholtes Bom¬
bardement.

Wir fragein Warum griff das inzwischen angerückte Militär — es waren
Sachsen — nicht ein? Die Antwort liefert ein Brief des Leutnants Karl
Ludwig vou Raab vom Lvwschcn Infanterieregiment, der selber an der Affäre
beteiligt war und zwei Tage nach dem Ereignis an seine Mutter darüber be¬
richtete.") Er zeigt sich von seinem soldatischen Standpunkt aus aufs höchste
indigniert über den Unfug und die Rebellion des Pöbels. Wichtig ist für uns
hier die positive Angabe: Wir hatten „den Befehl, keine Gewalt zu brauche»,
wodurch sich die Sache in die Länge zog." Dem entspricht es, wenn uns
anderweitig glaubwürdig gemeldet wird, daß das Militär am 10. keine Arre¬
tierungen vornahm. Und zwar bezieht sich beidemale die Angabe nicht bloß
auf das Verhalten des Militärs bei dem Auflauf vor dem Palais am Abend,
sondern auf den ganzen Vorfall.

Es ist schwer, der Hnltuug des ehrenhaften und persönlich tapfern Reynier
in dieser Sache gerecht zu werden. Daß er auch jetzt nicht mit dem Schwerte
drein fuhr, wird man sachlich mir billigen können, wenn auch ein impulsiverer
Mann so viel kaltes Blut in solcher Lage kaum bewahrt hätte. Er fürchtete
offenbar einen allgemeine!! Aufstand, dem er sich mit den ihm zu Gebote
stehenden Mitteln nicht gewachsen fühlte. Sein Verhalten spiegelt den tiefen
Eindruck wieder, den der Vorgang auf ihn gemacht hatte. Umso weniger ist
es zu billigen, daß er vorher die Bedeutung des Vorgangs entschieden unter¬
schätzt und sich den verständigen Ratschlägen der Immediatkommission wieder
und wieder verschlossen hatte. Er persönlich ist — soweit unsre Kenntnis
jetzt reicht — für die Wendung, die die Affäre nahm, verantwortlich zu machen.
Wenn aus der Rauferei des Morgens am Abend ein förmlicher Aufstand ge¬
worden war, so trägt er vornehmlich, ich möchte sagen: allein die Schuld.
Sein Handeln läßt klaren Blick und entschiednen Willen vermissen. Er zeigte
sich der Situation in keiner Weise gewachsen. Auch ist es uicht fein Verdienst
gewesen, wenn der Auflauf sich schließlich verlief. Dieses Verdienst gebührt
dem sächsischen General Lecoq. Er und mehrere seiner Offiziere mischten sich
persönlich unter die Meuge. Ihrem gütliche» Zureden gelang es, die auf¬
geregten Gemüter zu beruhigen. Mit einer Schwadron seiner Kavallerie und
eimger Infanterie drängte Lecoq die Leute endlich ohne jede Anwendung von
Gewalt von der Augustusstraßc weg. Doch hörte man aus der abziehenden
Menge die drohenden Rufe, man werde wiederkommen, sobald die Brücke wieder
angetastet werde.

Zu guter Bürgerstuude, um 10 Uhr, war die Straße leer, lag Dresden
wieder in Ruhe. Nur die Augustusstraßc blieb die Nacht über besetzt, und
der treue Lecoq »ahn für alle Fülle zum Schutze des Oberkvmmandierendcn
Quartier im Brühlschen Palais.

Das war das Ereignis des 10. Mürz, von dem damals Europa wider¬
hallte, vou den! die Depeschen der Diplomaten voll sind, und das in der



") Ich verdanke die Einsicht in den Brief der Güte Seiner Exzellenz des Herrn Generals
von Raab in Dresden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/156>, abgerufen am 23.07.2024.