Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Feuer! Ich griff kräftig ein und wurde nicht müde. Der Wachmeister Jegorow half Das Reinigen oder vielmehr Reinigenlasseu der Straßen und Fußsteige nahm Die Einwohnerschaft, die in ihrer großen Mehrzahl anfangs meine An¬ Jemeljan Afanasjewitsch kam, um meine Wirtschaft in Augenschein zu nehmen, Wenn kein Schnee fiel, das Schaufeln überflüssig war, und das Fegen nur Das Besichtigen der Schornsteine wurde auf den Befehl des Chefs der Provinz Feuer! Ich griff kräftig ein und wurde nicht müde. Der Wachmeister Jegorow half Das Reinigen oder vielmehr Reinigenlasseu der Straßen und Fußsteige nahm Die Einwohnerschaft, die in ihrer großen Mehrzahl anfangs meine An¬ Jemeljan Afanasjewitsch kam, um meine Wirtschaft in Augenschein zu nehmen, Wenn kein Schnee fiel, das Schaufeln überflüssig war, und das Fegen nur Das Besichtigen der Schornsteine wurde auf den Befehl des Chefs der Provinz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0811" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240367"/> <fw type="header" place="top"> Feuer!</fw><lb/> <p xml:id="ID_4320"> Ich griff kräftig ein und wurde nicht müde. Der Wachmeister Jegorow half<lb/> getreulich. Der arme Mensch konnte sich nicht zu meinem kaltblütigen Standpunkt<lb/> aufschwingen und ärgerte sich vom Morgen bis zum Abend, Er geriet so ins<lb/> Schelten und Zanken, daß er gar nicht mehr imstande war, ruhig und gutmütig zu<lb/> reden. Wenn er mir etwas zu melden oder zu erzählen hatte, klang es immer,<lb/> als ob er mir einen Verweis erteilte.</p><lb/> <p xml:id="ID_4321"> Das Reinigen oder vielmehr Reinigenlasseu der Straßen und Fußsteige nahm<lb/> gewöhnlich den ganzen Vormittag in Anspruch. Wir gingen darauf essen, und<lb/> dann machte eiuer von uns einen tüchtigen Nachmittagschlaf, während der andre<lb/> sich dem Aufseher zur Verfügung stellte, um in den belebten Straßen die Aufsicht<lb/> über deu Verkehr zu führen, die Fuhrleute im Zaume zu halten, die zu sehr aus¬<lb/> schreitende Lustigkeit Betrunkner zu dämpfen und noch Hunderte von Pflichten zu<lb/> erfüllen, mit denen die Polizei überladen ist. Wer geschlafen hatte, machte nach<lb/> dem Abendtee die Runde, sah nach den Posten, sorgte sür rechtzeitiges Schließen<lb/> der Trinklokale und für die notwendige nächtliche Ruhe und Stille, Gegen Morgen<lb/> übernahm wieder der andre den Dienst, sodaß der erste einige Stunden ruhn konnte.<lb/> Auf diese Weise richteten wir es ein. daß unsre Sandfelde nie sich selbst und fast<lb/> nie den Schutzleuten und Nachtwandlern allein überlassen war. Wir fühlten uns<lb/> beide geschmeichelt in dem Bewußtsein, daß die Sandfelde eine Ausnahme nicht allein<lb/> in unsrer Stadt, sondern nnter den Stadtteilen vieler Städte war.</p><lb/> <p xml:id="ID_4322"> Die Einwohnerschaft, die in ihrer großen Mehrzahl anfangs meine An¬<lb/> forderungen als unerhört bezeichnete und mit allen Mitteln gegen mich ankämpfte,<lb/> gewöhnte sich allmählich an mich, überzeugte sich, daß ich nichts Unausführbares<lb/> forderte und nicht daran dachte, jemand unnütz belästigen, schikanieren oder beleidigen<lb/> zu wollen, sondern immer bereit war, Rat zu erteilen, Aushilfe zu ersinnen und<lb/> jede mögliche Erleichterung zu bewirken. Die Zahl meiner Widersacher nahm täglich<lb/> ab, und ich wurde zuletzt in meinem Bezirk zu eiuer allgemein geachteten, ja sogar<lb/> geliebten Persönlichkeit. Fast niemand ging an mir vorüber, ohne mir einen guten<lb/> Tag zu bieten, und viele düstre Gesichter nahmen einen freundlichen Ausdruck an,<lb/> wenn „unser Herr Gehilfe" sich zeigte. Freilich wurde ich auch gefürchtet, denn<lb/> Wo ich auf böswillige Widersetzlichkeit stieß, ließ ich auch nicht nach, bis ich meinen<lb/> Willen durchgesetzt hatte, und dadurch gewann ich wieder in den Augen der Besser¬<lb/> gesinnten. Ich kann dreist sagen, ich machte im Laufe des Winters die Sandfelde<lb/> zu einem Musterstndtteil, und hätte es dort eine Feuersbrunst gegeben, mein Wort<lb/> wäre zur Wahrheit geworden: auf einen Wink von mir hätten sich Hunderte an<lb/> die Pumpen gestellt, und zwar mit Lust und Vergnügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_4323"> Jemeljan Afanasjewitsch kam, um meine Wirtschaft in Augenschein zu nehmen,<lb/> war höchst zufrieden und wunderte sich am meisten darüber, daß ich ihn nie mit<lb/> einem Protokoll belästigte. Daß es ohne Protokolle abging, war aber gerade das<lb/> größte Herzeleid des Wachmeisters, der zeterte und mit Protokolle» drohte, sobald<lb/> er den Fuß auf die Straße setzte.</p><lb/> <p xml:id="ID_4324"> Wenn kein Schnee fiel, das Schaufeln überflüssig war, und das Fegen nur<lb/> kurze Zeit in Anspruch nahm, ging ich mit dem Wachmeister zusammen und be¬<lb/> sichtigte Schornsteine. Es geschah nur, um den Wirten zu zeigen, daß ich daran<lb/> dachte, denn Vernachlässigte Schornsteine fanden sich bald nirgend in meinem Bezirk.<lb/> Auch der Kaufmann Jsotow hatte einen Schornsteinfeger gedungen, der am ersten<lb/> oder zweiten Tage jedes Monats bei ihm fegte.</p><lb/> <p xml:id="ID_4325" next="#ID_4326"> Das Besichtigen der Schornsteine wurde auf den Befehl des Chefs der Provinz<lb/> in allen ihm untergeordneten Städten von der Polizei und den Brandkommandos<lb/> vorgenommen, und es mußten ihm jeden Monat Berichte eingeliefert werden. Das<lb/> machte nicht wenig böses Blut. Die Pvlizeioffiziere, die schon bisher die mannig¬<lb/> fache ihnen obliegende Arbeit nicht bewältigen konnten, betrachteten diese neue Zu¬<lb/> gabe als unmögliche Last, murrten unter sich und suchte» die Sache so gut ^wie<lb/> möglich zu umgeh». Wo sie sich aber wirklich an die Ausführung machten, er-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0811]
Feuer!
Ich griff kräftig ein und wurde nicht müde. Der Wachmeister Jegorow half
getreulich. Der arme Mensch konnte sich nicht zu meinem kaltblütigen Standpunkt
aufschwingen und ärgerte sich vom Morgen bis zum Abend, Er geriet so ins
Schelten und Zanken, daß er gar nicht mehr imstande war, ruhig und gutmütig zu
reden. Wenn er mir etwas zu melden oder zu erzählen hatte, klang es immer,
als ob er mir einen Verweis erteilte.
Das Reinigen oder vielmehr Reinigenlasseu der Straßen und Fußsteige nahm
gewöhnlich den ganzen Vormittag in Anspruch. Wir gingen darauf essen, und
dann machte eiuer von uns einen tüchtigen Nachmittagschlaf, während der andre
sich dem Aufseher zur Verfügung stellte, um in den belebten Straßen die Aufsicht
über deu Verkehr zu führen, die Fuhrleute im Zaume zu halten, die zu sehr aus¬
schreitende Lustigkeit Betrunkner zu dämpfen und noch Hunderte von Pflichten zu
erfüllen, mit denen die Polizei überladen ist. Wer geschlafen hatte, machte nach
dem Abendtee die Runde, sah nach den Posten, sorgte sür rechtzeitiges Schließen
der Trinklokale und für die notwendige nächtliche Ruhe und Stille, Gegen Morgen
übernahm wieder der andre den Dienst, sodaß der erste einige Stunden ruhn konnte.
Auf diese Weise richteten wir es ein. daß unsre Sandfelde nie sich selbst und fast
nie den Schutzleuten und Nachtwandlern allein überlassen war. Wir fühlten uns
beide geschmeichelt in dem Bewußtsein, daß die Sandfelde eine Ausnahme nicht allein
in unsrer Stadt, sondern nnter den Stadtteilen vieler Städte war.
Die Einwohnerschaft, die in ihrer großen Mehrzahl anfangs meine An¬
forderungen als unerhört bezeichnete und mit allen Mitteln gegen mich ankämpfte,
gewöhnte sich allmählich an mich, überzeugte sich, daß ich nichts Unausführbares
forderte und nicht daran dachte, jemand unnütz belästigen, schikanieren oder beleidigen
zu wollen, sondern immer bereit war, Rat zu erteilen, Aushilfe zu ersinnen und
jede mögliche Erleichterung zu bewirken. Die Zahl meiner Widersacher nahm täglich
ab, und ich wurde zuletzt in meinem Bezirk zu eiuer allgemein geachteten, ja sogar
geliebten Persönlichkeit. Fast niemand ging an mir vorüber, ohne mir einen guten
Tag zu bieten, und viele düstre Gesichter nahmen einen freundlichen Ausdruck an,
wenn „unser Herr Gehilfe" sich zeigte. Freilich wurde ich auch gefürchtet, denn
Wo ich auf böswillige Widersetzlichkeit stieß, ließ ich auch nicht nach, bis ich meinen
Willen durchgesetzt hatte, und dadurch gewann ich wieder in den Augen der Besser¬
gesinnten. Ich kann dreist sagen, ich machte im Laufe des Winters die Sandfelde
zu einem Musterstndtteil, und hätte es dort eine Feuersbrunst gegeben, mein Wort
wäre zur Wahrheit geworden: auf einen Wink von mir hätten sich Hunderte an
die Pumpen gestellt, und zwar mit Lust und Vergnügen.
Jemeljan Afanasjewitsch kam, um meine Wirtschaft in Augenschein zu nehmen,
war höchst zufrieden und wunderte sich am meisten darüber, daß ich ihn nie mit
einem Protokoll belästigte. Daß es ohne Protokolle abging, war aber gerade das
größte Herzeleid des Wachmeisters, der zeterte und mit Protokolle» drohte, sobald
er den Fuß auf die Straße setzte.
Wenn kein Schnee fiel, das Schaufeln überflüssig war, und das Fegen nur
kurze Zeit in Anspruch nahm, ging ich mit dem Wachmeister zusammen und be¬
sichtigte Schornsteine. Es geschah nur, um den Wirten zu zeigen, daß ich daran
dachte, denn Vernachlässigte Schornsteine fanden sich bald nirgend in meinem Bezirk.
Auch der Kaufmann Jsotow hatte einen Schornsteinfeger gedungen, der am ersten
oder zweiten Tage jedes Monats bei ihm fegte.
Das Besichtigen der Schornsteine wurde auf den Befehl des Chefs der Provinz
in allen ihm untergeordneten Städten von der Polizei und den Brandkommandos
vorgenommen, und es mußten ihm jeden Monat Berichte eingeliefert werden. Das
machte nicht wenig böses Blut. Die Pvlizeioffiziere, die schon bisher die mannig¬
fache ihnen obliegende Arbeit nicht bewältigen konnten, betrachteten diese neue Zu¬
gabe als unmögliche Last, murrten unter sich und suchte» die Sache so gut ^wie
möglich zu umgeh». Wo sie sich aber wirklich an die Ausführung machten, er-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |