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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die preußisch-italienische Allianz von 1,366

linie der italienischen Politik war, hatte er keinen Sinn dafür, daß jetzt für
Italien eine Gelegenheit gegeben war, die drückende Bevormundung Frankreichs
abzuschütteln und durch einen waffeufrcudigen Aufschwung der Nation, Hand
in Hand mit einem uneigennützigen Bundesgenossen, der gleichen Zielen zustrebte,
die nationale Selbständigkeit zu erringen. Nur mit halbem Herzen ließ er
sich überhaupt in eine kriegerische Politik ein, Venetien wollte er allerdings
für das unvollständige Königreich erwerben -- wie der Ministerkvllege Laiuar-
moras, Stefano Jaeini in seiner Flugschrift: I)us anni all xvlitiog. italianÄ
ausgeführt hat, war die baldige Lösung der venetianischen Frage zu einer
Notwendigkeit für die innere Politik Italiens geworden --, aber es war Lmnar
mora gleichgiltig, durch welche Mittel die Losung gelang. Jeder Weg war
ihm recht, und einen friedlichen Weg zog er einem neuen Wassergang vor.
Als er nach den Turiner Unruhen im September 1864 die Negierung über
nommer hatte, sagte er in seiner Progrnmmrede vom 12. November geradezu,
daß er hoffe, durch friedliche Mittel in den Besitz von Venedig zu gelangen.
"Wenn ich betraut wäre, mit dem Kaiser von Österreich unmittelbar zu reden,
so hätte ich ihm Erwägungen beiderseitigen Interesses vorzutragen, die, so
scheint es mir, ihn überzeugen müßten." Und er hatte, das Wohlwollen des
Kaisers Napoleon für Italien rühmend, hinzugefügt, da Italien keine direkten
Beziehungen zu Österreich habe, so wäre es natürlich, gegebncnfalls dessen
Vermittlung und Beistand anzurufen. Es war ganz dieser Uberzeugung
gemäß, daß Lamarmora damals anfing abzurüsten, und als ihn einen Monat
später der Garibaldiner Vixiv deshalb interpellierte, von einer gutwilligen
Abtretung Veuetiens nichts wissen wollte, vielmehr an die Ehre des Landes
appellierte, für den moralischen Gewinn eines erfolgreichen Krieges beredte
Worte fand, entgegnete ihm Lamarmora und Lobpreisungen des Friedens, die
seinem humanen Sinn alle Ehre machten, aber im Munde eines Soldaten
befremdlich klangen.

Konnte aber überhaupt an eine friedliche Lösung der venetianischen Frage
gedacht werden? War sie im Bereiche der Möglichkeit? Ausgeschlossen war
diese nicht. Man wollte durch private Svudieruugen in Wien schon Anhalts-
Pnnkte dafür haben, daß Österreich uuter Umstünden einem Verzicht auf die
feindselig gesinnte Provinz nicht mehr so unbedingt abgeneigt sei wie früher.
Soeben, im Februar 1866, war der rumänische Thron erledigt worden. Ließ
sich nicht die Gelegenheit benutzen, Österreich zu einem Tauschgeschäft zu
bewegen? Sybel hat es wahrscheinlich gemacht, daß sich die altrs eombiim?i0in,
von denen in Govones Depesche vom 14. März die Rede ist, eben ans diesen
Handel bezogen. Von Frankreich und Italien ist der Plan ernsthaft ange¬
regt worden. Nun mußte mau sich sagen, daß durch ein Kriegsbündnis mit
Preußen ein friedliches Abkommen dieser Art nicht gefördert wurde. Aber ander¬
seits konnte gerade die Einleitung zu einem solchen Bündnis wie eine Drohung
wirken, die Österreich zu einem freiwilligen Verzicht geneigter machen konnte.
Und welcher Verlaß war denn auf Preußen, das im Jahre 1850, als die
Heere schon gegeneinander gerüstet standen, vor den Drohungen Österreichs
unrühmlich zurückgewichen war? Doch viel näher noch lag eine andre Erinnerung.


Die preußisch-italienische Allianz von 1,366

linie der italienischen Politik war, hatte er keinen Sinn dafür, daß jetzt für
Italien eine Gelegenheit gegeben war, die drückende Bevormundung Frankreichs
abzuschütteln und durch einen waffeufrcudigen Aufschwung der Nation, Hand
in Hand mit einem uneigennützigen Bundesgenossen, der gleichen Zielen zustrebte,
die nationale Selbständigkeit zu erringen. Nur mit halbem Herzen ließ er
sich überhaupt in eine kriegerische Politik ein, Venetien wollte er allerdings
für das unvollständige Königreich erwerben — wie der Ministerkvllege Laiuar-
moras, Stefano Jaeini in seiner Flugschrift: I)us anni all xvlitiog. italianÄ
ausgeführt hat, war die baldige Lösung der venetianischen Frage zu einer
Notwendigkeit für die innere Politik Italiens geworden —, aber es war Lmnar
mora gleichgiltig, durch welche Mittel die Losung gelang. Jeder Weg war
ihm recht, und einen friedlichen Weg zog er einem neuen Wassergang vor.
Als er nach den Turiner Unruhen im September 1864 die Negierung über
nommer hatte, sagte er in seiner Progrnmmrede vom 12. November geradezu,
daß er hoffe, durch friedliche Mittel in den Besitz von Venedig zu gelangen.
„Wenn ich betraut wäre, mit dem Kaiser von Österreich unmittelbar zu reden,
so hätte ich ihm Erwägungen beiderseitigen Interesses vorzutragen, die, so
scheint es mir, ihn überzeugen müßten." Und er hatte, das Wohlwollen des
Kaisers Napoleon für Italien rühmend, hinzugefügt, da Italien keine direkten
Beziehungen zu Österreich habe, so wäre es natürlich, gegebncnfalls dessen
Vermittlung und Beistand anzurufen. Es war ganz dieser Uberzeugung
gemäß, daß Lamarmora damals anfing abzurüsten, und als ihn einen Monat
später der Garibaldiner Vixiv deshalb interpellierte, von einer gutwilligen
Abtretung Veuetiens nichts wissen wollte, vielmehr an die Ehre des Landes
appellierte, für den moralischen Gewinn eines erfolgreichen Krieges beredte
Worte fand, entgegnete ihm Lamarmora und Lobpreisungen des Friedens, die
seinem humanen Sinn alle Ehre machten, aber im Munde eines Soldaten
befremdlich klangen.

Konnte aber überhaupt an eine friedliche Lösung der venetianischen Frage
gedacht werden? War sie im Bereiche der Möglichkeit? Ausgeschlossen war
diese nicht. Man wollte durch private Svudieruugen in Wien schon Anhalts-
Pnnkte dafür haben, daß Österreich uuter Umstünden einem Verzicht auf die
feindselig gesinnte Provinz nicht mehr so unbedingt abgeneigt sei wie früher.
Soeben, im Februar 1866, war der rumänische Thron erledigt worden. Ließ
sich nicht die Gelegenheit benutzen, Österreich zu einem Tauschgeschäft zu
bewegen? Sybel hat es wahrscheinlich gemacht, daß sich die altrs eombiim?i0in,
von denen in Govones Depesche vom 14. März die Rede ist, eben ans diesen
Handel bezogen. Von Frankreich und Italien ist der Plan ernsthaft ange¬
regt worden. Nun mußte mau sich sagen, daß durch ein Kriegsbündnis mit
Preußen ein friedliches Abkommen dieser Art nicht gefördert wurde. Aber ander¬
seits konnte gerade die Einleitung zu einem solchen Bündnis wie eine Drohung
wirken, die Österreich zu einem freiwilligen Verzicht geneigter machen konnte.
Und welcher Verlaß war denn auf Preußen, das im Jahre 1850, als die
Heere schon gegeneinander gerüstet standen, vor den Drohungen Österreichs
unrühmlich zurückgewichen war? Doch viel näher noch lag eine andre Erinnerung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/81>, abgerufen am 24.11.2024.