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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Line akademische Berufung vor hundert Jahren

für meine Bedürfnisse wäre; und daß ich, weil das Vorrechnen in diesem Falle
mir widerstünde, lieber gradezu die Unmöglichkeit, so nach dem schönen Heidelberg
mich versetzen zu lassen, erklären wollte.

Allerdings be scheide ich mich, daß unmittelbare Arbeiten für die Akademie
die wichtigsten sind; daß mittelbares Einwirken auf Art und Eifer der BeHand
lung, auf einheimische Denkweisen und Sitten, auf auswärtiges Zutrauen, kurz was
man Glanz oder Ruhm einer Akademie nennt, theils nicht zum ersten Bedürfnis
gehört, theils durch viele andere, selbst Mitarbeitende, auch ohne mein winziges
Zuthun erreicht werden könne; und daß, da ich von selbst nach Heidelberg lüstern
war, ein ungefährer Ersaz dessen, was ich hier aufgeben würde, für meine nicht
werkthtttige Thätigkeit mehr als genug sei. Aber wenn auch die Frage, womit
ich abzufinden, nicht was ich etwa zu verdienen scheine, bei mir (wie ich glaube
völlig an ihrem Orte ist; so muß ich doch, schon der Akademie wegen, das mir
zugedachte Ehrengehalt bescheiden ablehnen. Es würde ein nachtheiliges Aufsehen
geben, wenn öffentlich verlautete: Boß, den man in W(ürzburg) für 3000 si.,
nicht zum Arbeiten, sondern zum Aufsehen und Leiten, verlangte, geht nach Heidel¬
berg für 500, um zu der Herstellung des ehmals berühmten, jetzt etwas dunklen,
Heidelbergs das Seinige beizutragen. Die vielleicht etwas auf mich hielten (mit
Recht oder Unrecht, wäre gleich viel), die möchten mit Verwunderung den Preis,
der dort auf Gelehrsamkeit gesezt würde, aussprechen, und grübe deswegen
weniger Zutrauen zu dem neuen Sitze der Gelehrsamkeit fassen. Nein, beßter Mann,
wenn meine Neigung für Heidelberg unwiderstehlich wäre; so käme ich lieber ganz
umsonst, und strebte mein nothdürftiges Auskommen mir, wie bisher (die 2 letzten
Jahre abgerechnet), durch eigenen Fleiß zu erwerben. Daß nicht äußeres, sondern
inneres Wohlbefinden, innerer Bestand mit mir selbst, die Triebfeder meiner Entschlüsse
sei, habe ich den Würzburgern gezeigt. Es lag nnr an mir, meine 3000 si. in
abgehegter Gartenwohnung ganz unthätig zu verzehren, und das pfnffische 5 grade
sein zu lassen. Wenigstens konnte ich mit einer ansehnlichen Pension zur Ruhe
gehn. Ich fragte nur, was mir und der guten Sache geziemte, und schüttelte den
Staub von den Füßen.

Soll der Maßstab meiner Schciznng sein, was ich in Jena über meine
Entmische Pension habe; so waltet anch hier Irrthum. Ich habe, durch Zufall,
ein wohlfeiles und schönes Haus mit einem Garten; aus Weimar: I) die Freiheit
der Professoren, wodurch ich Wein und Bier PP. ohne Abgaben erhalte; 2) an
Naturalien, Getreide weit mehr als ich verbrauchen kann, nämlich 4 Weimarische
Scheffel Weizen, 20 Scheffel Rocken, 30 Scheffel Gerste, 6 Klafter Buchenholz,
2 Rehböcke, 12 Hasen. Den Werth davon rechnete ich zu etwa 150 Reh.; man
hat mich aber belehrt, daß er über 200, u. dies Jahr weit darüber, beträgt.
Und diese Gratification ward mir von Göthe aufgedrungen, nachdem ich das An¬
erbieten einer Pension, die mich an Jena gefesselt hätte, abgelehnt. Ich wollte
frey bleiben, weil ich die Luft von Jena mir nicht zuträglich, und Weimar, wohin
man mich auch verlangte, zu geräuschvoll und kostbar fand. Mein Garten ver¬
sorgt mich mit Gemüse; Fleisch, Milch, Baumfrüchte u. Butter sind wohlfeil, und
werden es, nach einer ehmaligen Erfahrung, mit der Abnahme der Akademie
noch mehr. Sie sehn, daß meine Jenaischen Vortheile die gebotenen 500 si. schon
überwiegen; ehe wir den Verlust einer aufgegebenen und wieder eingerichteten Haus¬
haltung, des Transports, der Ruhe und Zeit (bloß zu Münze gerechnet) anschlagen.
Womit sollte ich in Weimar rechtfertigen, daß ich das Höhere, was mau dort mir
zudachte, ablehnte, und jetzt sogar das niedrigere anderswo aufsuchte? Luft in
schöne Natur müßte ich anführen. Damit wäre ich allenfals entschuldigt; aber
man würde doch lächeln.

Dazu noch dieses. Als ich aus Würzb(urg) zurückkam, und Göthen bei Er>
zählung der Geschichte auch das sagte, daß allerdings die Sorge für die Meinigen
Einfluß auf meine Wahl gehabt hätte; erklärte er von neuem, ich müßte eine ge-


Line akademische Berufung vor hundert Jahren

für meine Bedürfnisse wäre; und daß ich, weil das Vorrechnen in diesem Falle
mir widerstünde, lieber gradezu die Unmöglichkeit, so nach dem schönen Heidelberg
mich versetzen zu lassen, erklären wollte.

Allerdings be scheide ich mich, daß unmittelbare Arbeiten für die Akademie
die wichtigsten sind; daß mittelbares Einwirken auf Art und Eifer der BeHand
lung, auf einheimische Denkweisen und Sitten, auf auswärtiges Zutrauen, kurz was
man Glanz oder Ruhm einer Akademie nennt, theils nicht zum ersten Bedürfnis
gehört, theils durch viele andere, selbst Mitarbeitende, auch ohne mein winziges
Zuthun erreicht werden könne; und daß, da ich von selbst nach Heidelberg lüstern
war, ein ungefährer Ersaz dessen, was ich hier aufgeben würde, für meine nicht
werkthtttige Thätigkeit mehr als genug sei. Aber wenn auch die Frage, womit
ich abzufinden, nicht was ich etwa zu verdienen scheine, bei mir (wie ich glaube
völlig an ihrem Orte ist; so muß ich doch, schon der Akademie wegen, das mir
zugedachte Ehrengehalt bescheiden ablehnen. Es würde ein nachtheiliges Aufsehen
geben, wenn öffentlich verlautete: Boß, den man in W(ürzburg) für 3000 si.,
nicht zum Arbeiten, sondern zum Aufsehen und Leiten, verlangte, geht nach Heidel¬
berg für 500, um zu der Herstellung des ehmals berühmten, jetzt etwas dunklen,
Heidelbergs das Seinige beizutragen. Die vielleicht etwas auf mich hielten (mit
Recht oder Unrecht, wäre gleich viel), die möchten mit Verwunderung den Preis,
der dort auf Gelehrsamkeit gesezt würde, aussprechen, und grübe deswegen
weniger Zutrauen zu dem neuen Sitze der Gelehrsamkeit fassen. Nein, beßter Mann,
wenn meine Neigung für Heidelberg unwiderstehlich wäre; so käme ich lieber ganz
umsonst, und strebte mein nothdürftiges Auskommen mir, wie bisher (die 2 letzten
Jahre abgerechnet), durch eigenen Fleiß zu erwerben. Daß nicht äußeres, sondern
inneres Wohlbefinden, innerer Bestand mit mir selbst, die Triebfeder meiner Entschlüsse
sei, habe ich den Würzburgern gezeigt. Es lag nnr an mir, meine 3000 si. in
abgehegter Gartenwohnung ganz unthätig zu verzehren, und das pfnffische 5 grade
sein zu lassen. Wenigstens konnte ich mit einer ansehnlichen Pension zur Ruhe
gehn. Ich fragte nur, was mir und der guten Sache geziemte, und schüttelte den
Staub von den Füßen.

Soll der Maßstab meiner Schciznng sein, was ich in Jena über meine
Entmische Pension habe; so waltet anch hier Irrthum. Ich habe, durch Zufall,
ein wohlfeiles und schönes Haus mit einem Garten; aus Weimar: I) die Freiheit
der Professoren, wodurch ich Wein und Bier PP. ohne Abgaben erhalte; 2) an
Naturalien, Getreide weit mehr als ich verbrauchen kann, nämlich 4 Weimarische
Scheffel Weizen, 20 Scheffel Rocken, 30 Scheffel Gerste, 6 Klafter Buchenholz,
2 Rehböcke, 12 Hasen. Den Werth davon rechnete ich zu etwa 150 Reh.; man
hat mich aber belehrt, daß er über 200, u. dies Jahr weit darüber, beträgt.
Und diese Gratification ward mir von Göthe aufgedrungen, nachdem ich das An¬
erbieten einer Pension, die mich an Jena gefesselt hätte, abgelehnt. Ich wollte
frey bleiben, weil ich die Luft von Jena mir nicht zuträglich, und Weimar, wohin
man mich auch verlangte, zu geräuschvoll und kostbar fand. Mein Garten ver¬
sorgt mich mit Gemüse; Fleisch, Milch, Baumfrüchte u. Butter sind wohlfeil, und
werden es, nach einer ehmaligen Erfahrung, mit der Abnahme der Akademie
noch mehr. Sie sehn, daß meine Jenaischen Vortheile die gebotenen 500 si. schon
überwiegen; ehe wir den Verlust einer aufgegebenen und wieder eingerichteten Haus¬
haltung, des Transports, der Ruhe und Zeit (bloß zu Münze gerechnet) anschlagen.
Womit sollte ich in Weimar rechtfertigen, daß ich das Höhere, was mau dort mir
zudachte, ablehnte, und jetzt sogar das niedrigere anderswo aufsuchte? Luft in
schöne Natur müßte ich anführen. Damit wäre ich allenfals entschuldigt; aber
man würde doch lächeln.

Dazu noch dieses. Als ich aus Würzb(urg) zurückkam, und Göthen bei Er>
zählung der Geschichte auch das sagte, daß allerdings die Sorge für die Meinigen
Einfluß auf meine Wahl gehabt hätte; erklärte er von neuem, ich müßte eine ge-


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[0804] Line akademische Berufung vor hundert Jahren für meine Bedürfnisse wäre; und daß ich, weil das Vorrechnen in diesem Falle mir widerstünde, lieber gradezu die Unmöglichkeit, so nach dem schönen Heidelberg mich versetzen zu lassen, erklären wollte. Allerdings be scheide ich mich, daß unmittelbare Arbeiten für die Akademie die wichtigsten sind; daß mittelbares Einwirken auf Art und Eifer der BeHand lung, auf einheimische Denkweisen und Sitten, auf auswärtiges Zutrauen, kurz was man Glanz oder Ruhm einer Akademie nennt, theils nicht zum ersten Bedürfnis gehört, theils durch viele andere, selbst Mitarbeitende, auch ohne mein winziges Zuthun erreicht werden könne; und daß, da ich von selbst nach Heidelberg lüstern war, ein ungefährer Ersaz dessen, was ich hier aufgeben würde, für meine nicht werkthtttige Thätigkeit mehr als genug sei. Aber wenn auch die Frage, womit ich abzufinden, nicht was ich etwa zu verdienen scheine, bei mir (wie ich glaube völlig an ihrem Orte ist; so muß ich doch, schon der Akademie wegen, das mir zugedachte Ehrengehalt bescheiden ablehnen. Es würde ein nachtheiliges Aufsehen geben, wenn öffentlich verlautete: Boß, den man in W(ürzburg) für 3000 si., nicht zum Arbeiten, sondern zum Aufsehen und Leiten, verlangte, geht nach Heidel¬ berg für 500, um zu der Herstellung des ehmals berühmten, jetzt etwas dunklen, Heidelbergs das Seinige beizutragen. Die vielleicht etwas auf mich hielten (mit Recht oder Unrecht, wäre gleich viel), die möchten mit Verwunderung den Preis, der dort auf Gelehrsamkeit gesezt würde, aussprechen, und grübe deswegen weniger Zutrauen zu dem neuen Sitze der Gelehrsamkeit fassen. Nein, beßter Mann, wenn meine Neigung für Heidelberg unwiderstehlich wäre; so käme ich lieber ganz umsonst, und strebte mein nothdürftiges Auskommen mir, wie bisher (die 2 letzten Jahre abgerechnet), durch eigenen Fleiß zu erwerben. Daß nicht äußeres, sondern inneres Wohlbefinden, innerer Bestand mit mir selbst, die Triebfeder meiner Entschlüsse sei, habe ich den Würzburgern gezeigt. Es lag nnr an mir, meine 3000 si. in abgehegter Gartenwohnung ganz unthätig zu verzehren, und das pfnffische 5 grade sein zu lassen. Wenigstens konnte ich mit einer ansehnlichen Pension zur Ruhe gehn. Ich fragte nur, was mir und der guten Sache geziemte, und schüttelte den Staub von den Füßen. Soll der Maßstab meiner Schciznng sein, was ich in Jena über meine Entmische Pension habe; so waltet anch hier Irrthum. Ich habe, durch Zufall, ein wohlfeiles und schönes Haus mit einem Garten; aus Weimar: I) die Freiheit der Professoren, wodurch ich Wein und Bier PP. ohne Abgaben erhalte; 2) an Naturalien, Getreide weit mehr als ich verbrauchen kann, nämlich 4 Weimarische Scheffel Weizen, 20 Scheffel Rocken, 30 Scheffel Gerste, 6 Klafter Buchenholz, 2 Rehböcke, 12 Hasen. Den Werth davon rechnete ich zu etwa 150 Reh.; man hat mich aber belehrt, daß er über 200, u. dies Jahr weit darüber, beträgt. Und diese Gratification ward mir von Göthe aufgedrungen, nachdem ich das An¬ erbieten einer Pension, die mich an Jena gefesselt hätte, abgelehnt. Ich wollte frey bleiben, weil ich die Luft von Jena mir nicht zuträglich, und Weimar, wohin man mich auch verlangte, zu geräuschvoll und kostbar fand. Mein Garten ver¬ sorgt mich mit Gemüse; Fleisch, Milch, Baumfrüchte u. Butter sind wohlfeil, und werden es, nach einer ehmaligen Erfahrung, mit der Abnahme der Akademie noch mehr. Sie sehn, daß meine Jenaischen Vortheile die gebotenen 500 si. schon überwiegen; ehe wir den Verlust einer aufgegebenen und wieder eingerichteten Haus¬ haltung, des Transports, der Ruhe und Zeit (bloß zu Münze gerechnet) anschlagen. Womit sollte ich in Weimar rechtfertigen, daß ich das Höhere, was mau dort mir zudachte, ablehnte, und jetzt sogar das niedrigere anderswo aufsuchte? Luft in schöne Natur müßte ich anführen. Damit wäre ich allenfals entschuldigt; aber man würde doch lächeln. Dazu noch dieses. Als ich aus Würzb(urg) zurückkam, und Göthen bei Er> zählung der Geschichte auch das sagte, daß allerdings die Sorge für die Meinigen Einfluß auf meine Wahl gehabt hätte; erklärte er von neuem, ich müßte eine ge-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/804>, abgerufen am 24.11.2024.