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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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geistige, desto leichter werden die Handgriffe, desto höhere Intelligenz und desto
höheres Verständnis für das Ganze des Betriebs wird aber auch vorausgesetzt.
So mag vielleicht die mechanische Arbeit in der Fabrik, die den Arbeiter schein¬
bar zum gedankenlosen Sklaven hinabdrückt, ihn schließlich zum raschdenkenden,
kenntnisreichen Ingenieur emporheben. Anzeichen für diesen Gang der Dinge
sind in der hochentwickelten Maschinenindustrie der Vereinigten Staaten zu
finden.

Der einzelne Arbeiter wird sich auch niemals seiner Erniedrigung zum
Atome recht bewußt werden. Gerade weil die Leitung unpersönlich ist, weil
die Kapitalgötter, verborgen hinter Wolken sitzend, die Geschicke der dem ge¬
wöhnlichen Sterblichen unübersehbaren Geschäftswelt geräuschlos nach ihren
klugen Gedanken regieren und den Schein äußerer Despotie weise vermeiden,
lebt in Nordamerika die große Menge der Unselbständigen in dem angenehmen
Wahne, daß sie frei und Herren ihres Geschickes seien. Nichts ist dem Aankee
unangenehmer, als das Gefühl der Abhängigkeit von einer Einzelperson.
Darum die Schwierigkeit drüben, Dienstboten zu bekommen und zu halten,
daher auch die Unbeliebtheit des militärischen Berufs. Das Dienen wider¬
spricht dein Scheinwesen "Gleichheit," das in der Neuen Welt so viele Leute
tänscht. Wenn man nur den Tyrannen, dein man dient, nicht merkt! Sobald
der Arbeiter seinen Arbeitskittel ausgezogen hat, ist er äußerlich genau das,
was der Direktor der Fabrik oder der Manager der Gesellschaft ist, ein freier
Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.

Wir bekommen in Deutschland viel von der sogenannten Mittelstands¬
frage zu hören; in Amerika ist wenig davon zu spüren, weil die Stunde, die
vor der Macht des Großkapitals etwa zu schützen wären, wirtschaftlich schon
längst nicht mehr selbständig sind. Von der Hautefinnnce ist drüben fast jeder
in irgend einer Form abhängig. Der Inhaber von Aktien sieht auf die großen
Wettermänner der Banken und der Börsen. Der Farmer ist dnrch Tarif und
Frachtsätze der Eisenbahnen in den Händen der Eisenbahngesellschaften, die
wieder auf die Preisbildung des Getreides wirken. Der Kaufmann, der Hand¬
werker in mittlern und kleinen Städten ist durch Rohmaterial, Maschinen,
Handwerkszeuge, die er bezieht, durch Kohle und Öl, die er konsumiert, ab¬
hängig mindestens von einer der großen Finanzgruppen, Ringe, Trusts, deren
Sitz vielleicht Tausende von Meilen entfernt auf der andern Seite des Konti¬
nents sein mag. So wird in ganz Nordamerika Handel und Wandel kon¬
trolliert von einer kleinen Gruppe hochbegabter Männer, die mit Recht als
die eigentlichen Führer der Nation im ZZinpiiö ot'Business angesehen werden-
In ihnen kommt das eigentümlich amerikanische Genie, der Geschäftsgeist, zur
charakteristischen Verkörperung. Die Macht dieser ungekrönten Fürsten eines
angeblich demokratischen Landes erführe aber dadurch eine enorme Steigerung,
daß teilt Stand vorhanden ist, der ihnen das Gleichgewicht halten könnte,
kein erbliches Fürstentum, keine Geburtsaristokratie, kein angesehener Beamten-
und Offizierstand. Gewiß hat auch die Union ihre Staatsmänner, aber ste
hängen dnrch die kurzen Termine, für die sie bestellt werden, vom Wahlzettel
lind damit vom schlimmsten Tyrannen ab: der öffentlichen Meinung. Wenn


geistige, desto leichter werden die Handgriffe, desto höhere Intelligenz und desto
höheres Verständnis für das Ganze des Betriebs wird aber auch vorausgesetzt.
So mag vielleicht die mechanische Arbeit in der Fabrik, die den Arbeiter schein¬
bar zum gedankenlosen Sklaven hinabdrückt, ihn schließlich zum raschdenkenden,
kenntnisreichen Ingenieur emporheben. Anzeichen für diesen Gang der Dinge
sind in der hochentwickelten Maschinenindustrie der Vereinigten Staaten zu
finden.

Der einzelne Arbeiter wird sich auch niemals seiner Erniedrigung zum
Atome recht bewußt werden. Gerade weil die Leitung unpersönlich ist, weil
die Kapitalgötter, verborgen hinter Wolken sitzend, die Geschicke der dem ge¬
wöhnlichen Sterblichen unübersehbaren Geschäftswelt geräuschlos nach ihren
klugen Gedanken regieren und den Schein äußerer Despotie weise vermeiden,
lebt in Nordamerika die große Menge der Unselbständigen in dem angenehmen
Wahne, daß sie frei und Herren ihres Geschickes seien. Nichts ist dem Aankee
unangenehmer, als das Gefühl der Abhängigkeit von einer Einzelperson.
Darum die Schwierigkeit drüben, Dienstboten zu bekommen und zu halten,
daher auch die Unbeliebtheit des militärischen Berufs. Das Dienen wider¬
spricht dein Scheinwesen „Gleichheit," das in der Neuen Welt so viele Leute
tänscht. Wenn man nur den Tyrannen, dein man dient, nicht merkt! Sobald
der Arbeiter seinen Arbeitskittel ausgezogen hat, ist er äußerlich genau das,
was der Direktor der Fabrik oder der Manager der Gesellschaft ist, ein freier
Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.

Wir bekommen in Deutschland viel von der sogenannten Mittelstands¬
frage zu hören; in Amerika ist wenig davon zu spüren, weil die Stunde, die
vor der Macht des Großkapitals etwa zu schützen wären, wirtschaftlich schon
längst nicht mehr selbständig sind. Von der Hautefinnnce ist drüben fast jeder
in irgend einer Form abhängig. Der Inhaber von Aktien sieht auf die großen
Wettermänner der Banken und der Börsen. Der Farmer ist dnrch Tarif und
Frachtsätze der Eisenbahnen in den Händen der Eisenbahngesellschaften, die
wieder auf die Preisbildung des Getreides wirken. Der Kaufmann, der Hand¬
werker in mittlern und kleinen Städten ist durch Rohmaterial, Maschinen,
Handwerkszeuge, die er bezieht, durch Kohle und Öl, die er konsumiert, ab¬
hängig mindestens von einer der großen Finanzgruppen, Ringe, Trusts, deren
Sitz vielleicht Tausende von Meilen entfernt auf der andern Seite des Konti¬
nents sein mag. So wird in ganz Nordamerika Handel und Wandel kon¬
trolliert von einer kleinen Gruppe hochbegabter Männer, die mit Recht als
die eigentlichen Führer der Nation im ZZinpiiö ot'Business angesehen werden-
In ihnen kommt das eigentümlich amerikanische Genie, der Geschäftsgeist, zur
charakteristischen Verkörperung. Die Macht dieser ungekrönten Fürsten eines
angeblich demokratischen Landes erführe aber dadurch eine enorme Steigerung,
daß teilt Stand vorhanden ist, der ihnen das Gleichgewicht halten könnte,
kein erbliches Fürstentum, keine Geburtsaristokratie, kein angesehener Beamten-
und Offizierstand. Gewiß hat auch die Union ihre Staatsmänner, aber ste
hängen dnrch die kurzen Termine, für die sie bestellt werden, vom Wahlzettel
lind damit vom schlimmsten Tyrannen ab: der öffentlichen Meinung. Wenn


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[0766] geistige, desto leichter werden die Handgriffe, desto höhere Intelligenz und desto höheres Verständnis für das Ganze des Betriebs wird aber auch vorausgesetzt. So mag vielleicht die mechanische Arbeit in der Fabrik, die den Arbeiter schein¬ bar zum gedankenlosen Sklaven hinabdrückt, ihn schließlich zum raschdenkenden, kenntnisreichen Ingenieur emporheben. Anzeichen für diesen Gang der Dinge sind in der hochentwickelten Maschinenindustrie der Vereinigten Staaten zu finden. Der einzelne Arbeiter wird sich auch niemals seiner Erniedrigung zum Atome recht bewußt werden. Gerade weil die Leitung unpersönlich ist, weil die Kapitalgötter, verborgen hinter Wolken sitzend, die Geschicke der dem ge¬ wöhnlichen Sterblichen unübersehbaren Geschäftswelt geräuschlos nach ihren klugen Gedanken regieren und den Schein äußerer Despotie weise vermeiden, lebt in Nordamerika die große Menge der Unselbständigen in dem angenehmen Wahne, daß sie frei und Herren ihres Geschickes seien. Nichts ist dem Aankee unangenehmer, als das Gefühl der Abhängigkeit von einer Einzelperson. Darum die Schwierigkeit drüben, Dienstboten zu bekommen und zu halten, daher auch die Unbeliebtheit des militärischen Berufs. Das Dienen wider¬ spricht dein Scheinwesen „Gleichheit," das in der Neuen Welt so viele Leute tänscht. Wenn man nur den Tyrannen, dein man dient, nicht merkt! Sobald der Arbeiter seinen Arbeitskittel ausgezogen hat, ist er äußerlich genau das, was der Direktor der Fabrik oder der Manager der Gesellschaft ist, ein freier Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir bekommen in Deutschland viel von der sogenannten Mittelstands¬ frage zu hören; in Amerika ist wenig davon zu spüren, weil die Stunde, die vor der Macht des Großkapitals etwa zu schützen wären, wirtschaftlich schon längst nicht mehr selbständig sind. Von der Hautefinnnce ist drüben fast jeder in irgend einer Form abhängig. Der Inhaber von Aktien sieht auf die großen Wettermänner der Banken und der Börsen. Der Farmer ist dnrch Tarif und Frachtsätze der Eisenbahnen in den Händen der Eisenbahngesellschaften, die wieder auf die Preisbildung des Getreides wirken. Der Kaufmann, der Hand¬ werker in mittlern und kleinen Städten ist durch Rohmaterial, Maschinen, Handwerkszeuge, die er bezieht, durch Kohle und Öl, die er konsumiert, ab¬ hängig mindestens von einer der großen Finanzgruppen, Ringe, Trusts, deren Sitz vielleicht Tausende von Meilen entfernt auf der andern Seite des Konti¬ nents sein mag. So wird in ganz Nordamerika Handel und Wandel kon¬ trolliert von einer kleinen Gruppe hochbegabter Männer, die mit Recht als die eigentlichen Führer der Nation im ZZinpiiö ot'Business angesehen werden- In ihnen kommt das eigentümlich amerikanische Genie, der Geschäftsgeist, zur charakteristischen Verkörperung. Die Macht dieser ungekrönten Fürsten eines angeblich demokratischen Landes erführe aber dadurch eine enorme Steigerung, daß teilt Stand vorhanden ist, der ihnen das Gleichgewicht halten könnte, kein erbliches Fürstentum, keine Geburtsaristokratie, kein angesehener Beamten- und Offizierstand. Gewiß hat auch die Union ihre Staatsmänner, aber ste hängen dnrch die kurzen Termine, für die sie bestellt werden, vom Wahlzettel lind damit vom schlimmsten Tyrannen ab: der öffentlichen Meinung. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/766>, abgerufen am 24.11.2024.