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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Grenzen des amerikanischen Aufschwungs
Wilhelm von pol eil 5 voll (Schluß)

le schoir die Besiedlung des platten Landes mit Einzelfarmcn
sehr verschieden ist von unsern Dorfanlagen, so trägt auch die
Entstehung der Städte in der Neuen Welt einen ganz besondern
Charakter. Zunächst fehlt die Hauptstadt; denn Washington
ist ein aus politischen Gründen mit Absicht vom Geschäfts- und
Pnrteitreiben des übrigen Amerikas weit entfernt festgelegter abstrakter Punkt,
nicht ein wirtschaftliches Zentrum, wie es alle andern Großstädte dieses Landes
sind. Die Städte der Neuen Welt, frei einmal von der Notwendigkeit, sich
gegen äußere Feinde zu umwallen, frei von Gildenwesen und Zunftzwang, frei
schließlich von Territorialfürsten lind Patriziergcschlechtcrn, konnten sich ganz
ungehindert entwickeln. Sie waren von vornherein ans eigne Füße gestellt
und wuchsen darum nur dort, wo Lage und Entwicklung der Umgegend sie
gleichsam zur wirtschaftliche"! Notwendigkeit machten.

So entwickelten sich mit historischer Selbstverständlichkeit in der Zeit
kolonialer Unselbständigkeit zuerst eine Anzahl großer Städte an der dem
Mutterlande nächstgelegnen Küste: Baltimore, Philadelphia, Newyork, Boston.
Die Lmxiro On.^ Newhork behielt dank ihrem unvergleichlichen Hafen ihre
dominierende Stellung als internationaler Einfuhr- und Allsfuhrplatz, und
durch ihre allmächtige Börse blieb sie der Hauptsitz des Kredits und der
Kapitnlorgauisatiou für deu ganzen Kontinent. Aber je mehr das Innere des
Landes erschlossen wurde, desto mehr entstanden an den Knotenpunkten der
gwßen Verkehrslinien bedeutende binncnlündische Handelsstädte. Chicago schoß
un Lauf einer Generation aus kleinen Anfängen zur Millionenstadt und furcht¬
baren Rivalin Newyorks empor. Das Geheimnis seiner traumhaften Ent¬
wicklung liegt in seiner sec- und landverbindenden Lage; das Erz des Nordens
und die Kohle des Südosteus trafen sich hier auf halbem Wege. Genau an
der Stelle, wo die Schissbarkeit des Mississippis beginnt, erwuchs die mächtige
Doppclstadt Se. Paul-Minueapolis. Hier inmitten des getreideerzeugenden
Flachlandes, nahe bei den günstigsten Wasserkräften, erblühte die größte


Grenzboten I 1908 96


Die Grenzen des amerikanischen Aufschwungs
Wilhelm von pol eil 5 voll (Schluß)

le schoir die Besiedlung des platten Landes mit Einzelfarmcn
sehr verschieden ist von unsern Dorfanlagen, so trägt auch die
Entstehung der Städte in der Neuen Welt einen ganz besondern
Charakter. Zunächst fehlt die Hauptstadt; denn Washington
ist ein aus politischen Gründen mit Absicht vom Geschäfts- und
Pnrteitreiben des übrigen Amerikas weit entfernt festgelegter abstrakter Punkt,
nicht ein wirtschaftliches Zentrum, wie es alle andern Großstädte dieses Landes
sind. Die Städte der Neuen Welt, frei einmal von der Notwendigkeit, sich
gegen äußere Feinde zu umwallen, frei von Gildenwesen und Zunftzwang, frei
schließlich von Territorialfürsten lind Patriziergcschlechtcrn, konnten sich ganz
ungehindert entwickeln. Sie waren von vornherein ans eigne Füße gestellt
und wuchsen darum nur dort, wo Lage und Entwicklung der Umgegend sie
gleichsam zur wirtschaftliche«! Notwendigkeit machten.

So entwickelten sich mit historischer Selbstverständlichkeit in der Zeit
kolonialer Unselbständigkeit zuerst eine Anzahl großer Städte an der dem
Mutterlande nächstgelegnen Küste: Baltimore, Philadelphia, Newyork, Boston.
Die Lmxiro On.^ Newhork behielt dank ihrem unvergleichlichen Hafen ihre
dominierende Stellung als internationaler Einfuhr- und Allsfuhrplatz, und
durch ihre allmächtige Börse blieb sie der Hauptsitz des Kredits und der
Kapitnlorgauisatiou für deu ganzen Kontinent. Aber je mehr das Innere des
Landes erschlossen wurde, desto mehr entstanden an den Knotenpunkten der
gwßen Verkehrslinien bedeutende binncnlündische Handelsstädte. Chicago schoß
un Lauf einer Generation aus kleinen Anfängen zur Millionenstadt und furcht¬
baren Rivalin Newyorks empor. Das Geheimnis seiner traumhaften Ent¬
wicklung liegt in seiner sec- und landverbindenden Lage; das Erz des Nordens
und die Kohle des Südosteus trafen sich hier auf halbem Wege. Genau an
der Stelle, wo die Schissbarkeit des Mississippis beginnt, erwuchs die mächtige
Doppclstadt Se. Paul-Minueapolis. Hier inmitten des getreideerzeugenden
Flachlandes, nahe bei den günstigsten Wasserkräften, erblühte die größte


Grenzboten I 1908 96
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[0761] [Abbildung] Die Grenzen des amerikanischen Aufschwungs Wilhelm von pol eil 5 voll (Schluß) le schoir die Besiedlung des platten Landes mit Einzelfarmcn sehr verschieden ist von unsern Dorfanlagen, so trägt auch die Entstehung der Städte in der Neuen Welt einen ganz besondern Charakter. Zunächst fehlt die Hauptstadt; denn Washington ist ein aus politischen Gründen mit Absicht vom Geschäfts- und Pnrteitreiben des übrigen Amerikas weit entfernt festgelegter abstrakter Punkt, nicht ein wirtschaftliches Zentrum, wie es alle andern Großstädte dieses Landes sind. Die Städte der Neuen Welt, frei einmal von der Notwendigkeit, sich gegen äußere Feinde zu umwallen, frei von Gildenwesen und Zunftzwang, frei schließlich von Territorialfürsten lind Patriziergcschlechtcrn, konnten sich ganz ungehindert entwickeln. Sie waren von vornherein ans eigne Füße gestellt und wuchsen darum nur dort, wo Lage und Entwicklung der Umgegend sie gleichsam zur wirtschaftliche«! Notwendigkeit machten. So entwickelten sich mit historischer Selbstverständlichkeit in der Zeit kolonialer Unselbständigkeit zuerst eine Anzahl großer Städte an der dem Mutterlande nächstgelegnen Küste: Baltimore, Philadelphia, Newyork, Boston. Die Lmxiro On.^ Newhork behielt dank ihrem unvergleichlichen Hafen ihre dominierende Stellung als internationaler Einfuhr- und Allsfuhrplatz, und durch ihre allmächtige Börse blieb sie der Hauptsitz des Kredits und der Kapitnlorgauisatiou für deu ganzen Kontinent. Aber je mehr das Innere des Landes erschlossen wurde, desto mehr entstanden an den Knotenpunkten der gwßen Verkehrslinien bedeutende binncnlündische Handelsstädte. Chicago schoß un Lauf einer Generation aus kleinen Anfängen zur Millionenstadt und furcht¬ baren Rivalin Newyorks empor. Das Geheimnis seiner traumhaften Ent¬ wicklung liegt in seiner sec- und landverbindenden Lage; das Erz des Nordens und die Kohle des Südosteus trafen sich hier auf halbem Wege. Genau an der Stelle, wo die Schissbarkeit des Mississippis beginnt, erwuchs die mächtige Doppclstadt Se. Paul-Minueapolis. Hier inmitten des getreideerzeugenden Flachlandes, nahe bei den günstigsten Wasserkräften, erblühte die größte Grenzboten I 1908 96

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/761>, abgerufen am 24.11.2024.