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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Verfasser, dessen Ansicht hier mit den Erfahrungen eines berufnen Beur¬
teilers, wie das Georg Schiele ist, zusammentrifft, war allerdings nie aus Deutsch¬
land herausgekommen und konnte seine Auffassung nur aus eiuer allgemeinen
Kenntnis der menschlichen Natur begründen. Außerdem hätte er in kolonialen
Fragen wohl wenig mitreden können, denn die angeführte Stelle findet man in
der Vorrede zu dem "Krebsbttchlein" des Schnepfenthaler Philanthropinisten Salz¬
mann, und die Theorien des Philanthrvpinismns und die Probleme der Kolonial¬
politik liegen weit auseinander. Dieses "Krebsbüchlein, oder Anweisung zu einer
unvernünftigen Erziehung der Kinder," wurde noch zu Anfang des vorigen Jahr¬
hunderts viel gelesen, auch im täglichen Leben gern zitiert, und sein Name erhielt
sich noch lange in jetzt vergessenen Redewendungen.

Die vierte im Jahre 1807 erschienene Auflage ist mit eiuer sinnigen Titel¬
vignette ausgestattet; auf diesem Bildchen gibt ein wohlgenährter .Krebs seiner Nach¬
kommenschaft Unterricht im Rückwärtsschwimmen. Über deu Felsen, die deu dunkeln
Weiher umschließen, und die so aussehen, als wären sie von Watte, leuchten die ersten
Morgenstrahlen einer aufgehenden Sonne. I^clam, mi pa,xulo, si es lava taeisntsw
xrius viüöi'0, steht nnter der Vignette. In diesem sich rückwärts bewegenden Titel¬
krebs, dem Sinnbild alles Verkehrten, sollten Eltern und Erzieher ein abscheuliches
Exempel ihrer Erziehungssünden und Verkehrtheiten sehen, und erleuchtet durch die
Belehrung des Krebsbüchleins sollten sie von ihren bösen Wegen ablassen. Es ist
also das Buch eine Art Struwwelpeter für Eltern. Aber im Gegensatz zu den
lustigen Schauergeschichten des Frankfurter Arztes sind Salzmanns Erzählungen
nichts weniger als Karikaturen. Die kleinen aus dem Leben gegriffnen und mit
großer Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit vorgetragnen Geschichten halten sich von
jeder Übertreibung fern und sind durchdrungen von Verständnis und warmer Liebe
für die Kindesnatur. Es sprechen ans ihnen eine gesunde Lebensauffassung, reiche
Erfahrung und große pädagogische Weisheit. Dabei fällt der Verfasser nie aus
der Rolle, die er sich in dem Titel "Anweisung zu eiuer unvernünftigen Erziehung"
vorgeschrieben hat. Mit trocknen: Humor und ernsthaftester Miene erteilt er sach¬
verständige Ratschläge über die beste Art, Kinder ungezogen, unsroh und kränklich
zu machen, und erläutert jede seiner Verordnungen durch eine kurze Erzählung.
Das Inhaltsverzeichnis liest sich wie eine Anpreisung bewährter Rezepte: Mittel,
Kinder gegen gute Lehren unempfindlich zu machen (predige ihnen ihre Pflicht un¬
aufhörlich vor!); Mittel, Kindern Schadenfreude beyzubringen. (Bringe sie nur erst
so weit, daß sie sich über andrer Glück ärgern! so werden sie sich gewiß auch bald
über ihr Unglück freuen!) Allgemeine Mittel, die Kinder um Gesundheit und Leben
zu bringen.

Die große pädagogische Bewegung der Aufklärungszeit war der Verbreitung
des Buches besonders günstig, und sein Verfasser durfte sich des wohlverdienten
Erfolges freuen. Aber dem Verleger, Keyser in Erfurt, brachte es, trotz der mehr¬
fachen Auflagen, gar viel Verdruß, wovon er uns in einem längern Vorwort be¬
richtet hat. Er sagt:

Eine raubgierige Nachdruckerbande, ehrlose Gauner, Räuber und Diebeswichte,
hätten ihre schändliche Hantierung getrieben und seinen Verlag geplündert. Und
just nach dem Krebsbüchlein hätten diese Wölfe und Tiger ihre Naubkrallcu aus¬
gestreckt. In Tübingen, Reutlingeu und Rotenburg, im sogenannten Reich wie
im Österreichischen hätte diese Menschenrasse in ihrer sittenlosen Denkungsart Nach¬
drucke veranstaltet, und diese nach krispinischen Grundsätzen hergestellte Diebs- und
Schandware hätte in ihrer ekelhaften Beschaffenheit die Hände des leichtgläubigen
Publici besudelt. Und sogar hohe Herren, Fürsten und Grafen, hätten sich zur
Verbesserung ihrer Lcmdesrevcnüen an diesen schändlich "ausspiudisierteu ehrlosen
Entreprisen" beteiligt. Ja, beispiellos sei das Schicksal des Krebsbüchleins gewesen.

Die Herzenstöne gerechter Entrüstung, die hier in einen rauschenden Jnvek-
tivencckkord zusammengefaßt wurden, sind Keysers sechzehn Seiten langer "Nach-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Verfasser, dessen Ansicht hier mit den Erfahrungen eines berufnen Beur¬
teilers, wie das Georg Schiele ist, zusammentrifft, war allerdings nie aus Deutsch¬
land herausgekommen und konnte seine Auffassung nur aus eiuer allgemeinen
Kenntnis der menschlichen Natur begründen. Außerdem hätte er in kolonialen
Fragen wohl wenig mitreden können, denn die angeführte Stelle findet man in
der Vorrede zu dem „Krebsbttchlein" des Schnepfenthaler Philanthropinisten Salz¬
mann, und die Theorien des Philanthrvpinismns und die Probleme der Kolonial¬
politik liegen weit auseinander. Dieses „Krebsbüchlein, oder Anweisung zu einer
unvernünftigen Erziehung der Kinder," wurde noch zu Anfang des vorigen Jahr¬
hunderts viel gelesen, auch im täglichen Leben gern zitiert, und sein Name erhielt
sich noch lange in jetzt vergessenen Redewendungen.

Die vierte im Jahre 1807 erschienene Auflage ist mit eiuer sinnigen Titel¬
vignette ausgestattet; auf diesem Bildchen gibt ein wohlgenährter .Krebs seiner Nach¬
kommenschaft Unterricht im Rückwärtsschwimmen. Über deu Felsen, die deu dunkeln
Weiher umschließen, und die so aussehen, als wären sie von Watte, leuchten die ersten
Morgenstrahlen einer aufgehenden Sonne. I^clam, mi pa,xulo, si es lava taeisntsw
xrius viüöi'0, steht nnter der Vignette. In diesem sich rückwärts bewegenden Titel¬
krebs, dem Sinnbild alles Verkehrten, sollten Eltern und Erzieher ein abscheuliches
Exempel ihrer Erziehungssünden und Verkehrtheiten sehen, und erleuchtet durch die
Belehrung des Krebsbüchleins sollten sie von ihren bösen Wegen ablassen. Es ist
also das Buch eine Art Struwwelpeter für Eltern. Aber im Gegensatz zu den
lustigen Schauergeschichten des Frankfurter Arztes sind Salzmanns Erzählungen
nichts weniger als Karikaturen. Die kleinen aus dem Leben gegriffnen und mit
großer Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit vorgetragnen Geschichten halten sich von
jeder Übertreibung fern und sind durchdrungen von Verständnis und warmer Liebe
für die Kindesnatur. Es sprechen ans ihnen eine gesunde Lebensauffassung, reiche
Erfahrung und große pädagogische Weisheit. Dabei fällt der Verfasser nie aus
der Rolle, die er sich in dem Titel „Anweisung zu eiuer unvernünftigen Erziehung"
vorgeschrieben hat. Mit trocknen: Humor und ernsthaftester Miene erteilt er sach¬
verständige Ratschläge über die beste Art, Kinder ungezogen, unsroh und kränklich
zu machen, und erläutert jede seiner Verordnungen durch eine kurze Erzählung.
Das Inhaltsverzeichnis liest sich wie eine Anpreisung bewährter Rezepte: Mittel,
Kinder gegen gute Lehren unempfindlich zu machen (predige ihnen ihre Pflicht un¬
aufhörlich vor!); Mittel, Kindern Schadenfreude beyzubringen. (Bringe sie nur erst
so weit, daß sie sich über andrer Glück ärgern! so werden sie sich gewiß auch bald
über ihr Unglück freuen!) Allgemeine Mittel, die Kinder um Gesundheit und Leben
zu bringen.

Die große pädagogische Bewegung der Aufklärungszeit war der Verbreitung
des Buches besonders günstig, und sein Verfasser durfte sich des wohlverdienten
Erfolges freuen. Aber dem Verleger, Keyser in Erfurt, brachte es, trotz der mehr¬
fachen Auflagen, gar viel Verdruß, wovon er uns in einem längern Vorwort be¬
richtet hat. Er sagt:

Eine raubgierige Nachdruckerbande, ehrlose Gauner, Räuber und Diebeswichte,
hätten ihre schändliche Hantierung getrieben und seinen Verlag geplündert. Und
just nach dem Krebsbüchlein hätten diese Wölfe und Tiger ihre Naubkrallcu aus¬
gestreckt. In Tübingen, Reutlingeu und Rotenburg, im sogenannten Reich wie
im Österreichischen hätte diese Menschenrasse in ihrer sittenlosen Denkungsart Nach¬
drucke veranstaltet, und diese nach krispinischen Grundsätzen hergestellte Diebs- und
Schandware hätte in ihrer ekelhaften Beschaffenheit die Hände des leichtgläubigen
Publici besudelt. Und sogar hohe Herren, Fürsten und Grafen, hätten sich zur
Verbesserung ihrer Lcmdesrevcnüen an diesen schändlich „ausspiudisierteu ehrlosen
Entreprisen" beteiligt. Ja, beispiellos sei das Schicksal des Krebsbüchleins gewesen.

Die Herzenstöne gerechter Entrüstung, die hier in einen rauschenden Jnvek-
tivencckkord zusammengefaßt wurden, sind Keysers sechzehn Seiten langer „Nach-


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[0756] Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Verfasser, dessen Ansicht hier mit den Erfahrungen eines berufnen Beur¬ teilers, wie das Georg Schiele ist, zusammentrifft, war allerdings nie aus Deutsch¬ land herausgekommen und konnte seine Auffassung nur aus eiuer allgemeinen Kenntnis der menschlichen Natur begründen. Außerdem hätte er in kolonialen Fragen wohl wenig mitreden können, denn die angeführte Stelle findet man in der Vorrede zu dem „Krebsbttchlein" des Schnepfenthaler Philanthropinisten Salz¬ mann, und die Theorien des Philanthrvpinismns und die Probleme der Kolonial¬ politik liegen weit auseinander. Dieses „Krebsbüchlein, oder Anweisung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder," wurde noch zu Anfang des vorigen Jahr¬ hunderts viel gelesen, auch im täglichen Leben gern zitiert, und sein Name erhielt sich noch lange in jetzt vergessenen Redewendungen. Die vierte im Jahre 1807 erschienene Auflage ist mit eiuer sinnigen Titel¬ vignette ausgestattet; auf diesem Bildchen gibt ein wohlgenährter .Krebs seiner Nach¬ kommenschaft Unterricht im Rückwärtsschwimmen. Über deu Felsen, die deu dunkeln Weiher umschließen, und die so aussehen, als wären sie von Watte, leuchten die ersten Morgenstrahlen einer aufgehenden Sonne. I^clam, mi pa,xulo, si es lava taeisntsw xrius viüöi'0, steht nnter der Vignette. In diesem sich rückwärts bewegenden Titel¬ krebs, dem Sinnbild alles Verkehrten, sollten Eltern und Erzieher ein abscheuliches Exempel ihrer Erziehungssünden und Verkehrtheiten sehen, und erleuchtet durch die Belehrung des Krebsbüchleins sollten sie von ihren bösen Wegen ablassen. Es ist also das Buch eine Art Struwwelpeter für Eltern. Aber im Gegensatz zu den lustigen Schauergeschichten des Frankfurter Arztes sind Salzmanns Erzählungen nichts weniger als Karikaturen. Die kleinen aus dem Leben gegriffnen und mit großer Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit vorgetragnen Geschichten halten sich von jeder Übertreibung fern und sind durchdrungen von Verständnis und warmer Liebe für die Kindesnatur. Es sprechen ans ihnen eine gesunde Lebensauffassung, reiche Erfahrung und große pädagogische Weisheit. Dabei fällt der Verfasser nie aus der Rolle, die er sich in dem Titel „Anweisung zu eiuer unvernünftigen Erziehung" vorgeschrieben hat. Mit trocknen: Humor und ernsthaftester Miene erteilt er sach¬ verständige Ratschläge über die beste Art, Kinder ungezogen, unsroh und kränklich zu machen, und erläutert jede seiner Verordnungen durch eine kurze Erzählung. Das Inhaltsverzeichnis liest sich wie eine Anpreisung bewährter Rezepte: Mittel, Kinder gegen gute Lehren unempfindlich zu machen (predige ihnen ihre Pflicht un¬ aufhörlich vor!); Mittel, Kindern Schadenfreude beyzubringen. (Bringe sie nur erst so weit, daß sie sich über andrer Glück ärgern! so werden sie sich gewiß auch bald über ihr Unglück freuen!) Allgemeine Mittel, die Kinder um Gesundheit und Leben zu bringen. Die große pädagogische Bewegung der Aufklärungszeit war der Verbreitung des Buches besonders günstig, und sein Verfasser durfte sich des wohlverdienten Erfolges freuen. Aber dem Verleger, Keyser in Erfurt, brachte es, trotz der mehr¬ fachen Auflagen, gar viel Verdruß, wovon er uns in einem längern Vorwort be¬ richtet hat. Er sagt: Eine raubgierige Nachdruckerbande, ehrlose Gauner, Räuber und Diebeswichte, hätten ihre schändliche Hantierung getrieben und seinen Verlag geplündert. Und just nach dem Krebsbüchlein hätten diese Wölfe und Tiger ihre Naubkrallcu aus¬ gestreckt. In Tübingen, Reutlingeu und Rotenburg, im sogenannten Reich wie im Österreichischen hätte diese Menschenrasse in ihrer sittenlosen Denkungsart Nach¬ drucke veranstaltet, und diese nach krispinischen Grundsätzen hergestellte Diebs- und Schandware hätte in ihrer ekelhaften Beschaffenheit die Hände des leichtgläubigen Publici besudelt. Und sogar hohe Herren, Fürsten und Grafen, hätten sich zur Verbesserung ihrer Lcmdesrevcnüen an diesen schändlich „ausspiudisierteu ehrlosen Entreprisen" beteiligt. Ja, beispiellos sei das Schicksal des Krebsbüchleins gewesen. Die Herzenstöne gerechter Entrüstung, die hier in einen rauschenden Jnvek- tivencckkord zusammengefaßt wurden, sind Keysers sechzehn Seiten langer „Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/756>, abgerufen am 24.11.2024.