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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Können Regierung und Parteien die Verantwortung für diese Entwicklung
übernehmen? Nur der erste Schritt kostet etwas. Statt diesen Verhängnisvolleu
Schritt zu tun, stelle man die Mängel der juristische" Ausbildung ab und ver¬
folge vorhcmdne Ansätze, die einen dem Ganzen frommenden Ausweg weisen.

Man bringe so bald wie möglich deu Entwurf für die Umänderung des Nechts-
studiums wieder ein. Bei seiner Erörterung wurde allerdings zu sehr die juristische
Seite betont. Man forderte das siebente Semester und begründete dies mit
der gewaltigen Vermehrung des Rechtsstoffes und den Schwierigkeit?" der neuen
Gesetze. Man darf aber ruhig behaupten, daß die formaljuristische Denkweise schon
heute auf den Universitäten genügend gepflegt wird, und daß die Aneignung des
gesamten Rechtsstoffes Sache der spätern Ausbildung ist. Viel mehr frommt unsern
jungen Juristen die Kenntnis unsers verwickelten Wirtschaftslebens, damit sie seinen
Erscheinungen später nicht fremd gegenüberstelln und sich auf die formale Be¬
urteilung der ihnen unterbreiteten Fälle zurückziehn, viel mehr auch das Verständnis
für die sozialen Kämpfe und ihre Bedeutung für Staat und Gesellschaft, damit es
ihnen nicht einfällt, unsre sozialen Gesetze vom rein privatwirtschaftlichen Stand¬
punkt auszulegen. Es ist dankbar anzuerkennen, daß der neue Studienplan den
volkswirtschaftlichen Studien erhöhte Beachtung schenkte, und daß bei seiner Annahme
dem srucl. M-, ot eam. der letzte Zusatz nicht mehr, wie Professor Dietzel einmal
gesagt hat, nur eine Verbeugung beim An- und Abtestieren kosten würde. Aber
es müßte noch mehr geschehn. Unsre gesamten Schulen legen, wie das kürzlich
wiederum das Schriftchen "Der Deutsche und sein Vaterland" treffend ausgeführt
hat, Viel zu viel Wert auf das Wissen und zu wenig auf das Können, sie bilden
den Verstand und vernachlässigen den Charakter. Das gilt auch von der juristischen
Vorbildung. Es wird uur Geistesdressur getrieben, die Charakterbildung, die Heran¬
ziehung eines nach oben und nach unten unabhängigen, eines nicht nur recht¬
sprechenden, sondern auch rechtfühlenden Nichterstandes wird vernachlässigt.

Aber auch wenn einmal anders vorgebildete Richter da sein werden, ist die
Zuziehung von Laien durchaus berechtigt. Die Zerfascruug des Rechtsstoffes und
die Aufstellung neuer Rechtsbegriffe ist soweit getrieben, die Sprache der Gesetze
ist in einer Weise abstrakt, die Fassung der Rechtssätze so schemenhaft geworden,
daß es, wie der preußische Justiznn" ihter kürzlich ini Abgeordnetenhause sagte, über
das Können des Einzelnen hinausgeht, uur an der Hand des Gesetzestextes
seine Entscheidungen zu fallen. Bei dieser Sachlage verliert der Jurist allzuleicht
deu Boden unter seinen Füßen und kommt im Kampf mit Paragraphen und
Materialien zu Entscheidungen, die die Wirklichkeit nicht mehr berücksichtigen. Da¬
gegen schafft die Zuziehung von Laien zur Rechtsprechung ein gesundes Gegen¬
gewicht. Der Laie bringt die natürliche, frische Auffassung des Lebeus mit. Aus
dem Zusnmmeuwirken beider, ans der Vereinigung der Kenntnis des Gesetzes und
der des praktischen Lebens werden Richtersprüche erwachsen, die dem Gesetz gerecht
werden, Einheit und Sicherheit der Rechtsprechung wahren und auch das Rechts¬
gefühl des Volkes befriedigen. Wie das Schöffengericht hoffentlich das Vorbild für
die neuen Straf- und Berufungsstrafkammern und dermaleinst auch für das Schwur¬
gericht geben wird, so möge die Kammer für Handelssachen, natürlich in andrer
Zusammensetzung, das Vorbild für unsre Zivilgerichte werden.

Doch das ist Zukunftsmusik. Bleiben wir bei dem Entwurf. Man schließe
die neuen Gerichte um die Amtsgerichte an und überwinde in einer Frage, die die
Zukunft unsers ganzen Gerichtswesens betrifft, Bedenken, die demgegenüber nur als
klein bezeichnet werden können. Hält man es für bedenklich, die Frage einer Um¬
gestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufzurollen, dann übertrage man
einfach das bewährte Verfahren der Gewerbegerichte auf die "Kaufmaunsabteilungen"
der Amtsgerichte. Ich wüßte nicht, welche Bedenken dem entgegenstehn sollten.
Im Gegenteil, wir werden ans diese Weise viel eher zu eiuer Reform des amts-
gerichllicheu Verfahrens kommen. Man begehe aber keine Halbheit und lasse es


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Können Regierung und Parteien die Verantwortung für diese Entwicklung
übernehmen? Nur der erste Schritt kostet etwas. Statt diesen Verhängnisvolleu
Schritt zu tun, stelle man die Mängel der juristische» Ausbildung ab und ver¬
folge vorhcmdne Ansätze, die einen dem Ganzen frommenden Ausweg weisen.

Man bringe so bald wie möglich deu Entwurf für die Umänderung des Nechts-
studiums wieder ein. Bei seiner Erörterung wurde allerdings zu sehr die juristische
Seite betont. Man forderte das siebente Semester und begründete dies mit
der gewaltigen Vermehrung des Rechtsstoffes und den Schwierigkeit?» der neuen
Gesetze. Man darf aber ruhig behaupten, daß die formaljuristische Denkweise schon
heute auf den Universitäten genügend gepflegt wird, und daß die Aneignung des
gesamten Rechtsstoffes Sache der spätern Ausbildung ist. Viel mehr frommt unsern
jungen Juristen die Kenntnis unsers verwickelten Wirtschaftslebens, damit sie seinen
Erscheinungen später nicht fremd gegenüberstelln und sich auf die formale Be¬
urteilung der ihnen unterbreiteten Fälle zurückziehn, viel mehr auch das Verständnis
für die sozialen Kämpfe und ihre Bedeutung für Staat und Gesellschaft, damit es
ihnen nicht einfällt, unsre sozialen Gesetze vom rein privatwirtschaftlichen Stand¬
punkt auszulegen. Es ist dankbar anzuerkennen, daß der neue Studienplan den
volkswirtschaftlichen Studien erhöhte Beachtung schenkte, und daß bei seiner Annahme
dem srucl. M-, ot eam. der letzte Zusatz nicht mehr, wie Professor Dietzel einmal
gesagt hat, nur eine Verbeugung beim An- und Abtestieren kosten würde. Aber
es müßte noch mehr geschehn. Unsre gesamten Schulen legen, wie das kürzlich
wiederum das Schriftchen „Der Deutsche und sein Vaterland" treffend ausgeführt
hat, Viel zu viel Wert auf das Wissen und zu wenig auf das Können, sie bilden
den Verstand und vernachlässigen den Charakter. Das gilt auch von der juristischen
Vorbildung. Es wird uur Geistesdressur getrieben, die Charakterbildung, die Heran¬
ziehung eines nach oben und nach unten unabhängigen, eines nicht nur recht¬
sprechenden, sondern auch rechtfühlenden Nichterstandes wird vernachlässigt.

Aber auch wenn einmal anders vorgebildete Richter da sein werden, ist die
Zuziehung von Laien durchaus berechtigt. Die Zerfascruug des Rechtsstoffes und
die Aufstellung neuer Rechtsbegriffe ist soweit getrieben, die Sprache der Gesetze
ist in einer Weise abstrakt, die Fassung der Rechtssätze so schemenhaft geworden,
daß es, wie der preußische Justiznn« ihter kürzlich ini Abgeordnetenhause sagte, über
das Können des Einzelnen hinausgeht, uur an der Hand des Gesetzestextes
seine Entscheidungen zu fallen. Bei dieser Sachlage verliert der Jurist allzuleicht
deu Boden unter seinen Füßen und kommt im Kampf mit Paragraphen und
Materialien zu Entscheidungen, die die Wirklichkeit nicht mehr berücksichtigen. Da¬
gegen schafft die Zuziehung von Laien zur Rechtsprechung ein gesundes Gegen¬
gewicht. Der Laie bringt die natürliche, frische Auffassung des Lebeus mit. Aus
dem Zusnmmeuwirken beider, ans der Vereinigung der Kenntnis des Gesetzes und
der des praktischen Lebens werden Richtersprüche erwachsen, die dem Gesetz gerecht
werden, Einheit und Sicherheit der Rechtsprechung wahren und auch das Rechts¬
gefühl des Volkes befriedigen. Wie das Schöffengericht hoffentlich das Vorbild für
die neuen Straf- und Berufungsstrafkammern und dermaleinst auch für das Schwur¬
gericht geben wird, so möge die Kammer für Handelssachen, natürlich in andrer
Zusammensetzung, das Vorbild für unsre Zivilgerichte werden.

Doch das ist Zukunftsmusik. Bleiben wir bei dem Entwurf. Man schließe
die neuen Gerichte um die Amtsgerichte an und überwinde in einer Frage, die die
Zukunft unsers ganzen Gerichtswesens betrifft, Bedenken, die demgegenüber nur als
klein bezeichnet werden können. Hält man es für bedenklich, die Frage einer Um¬
gestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufzurollen, dann übertrage man
einfach das bewährte Verfahren der Gewerbegerichte auf die „Kaufmaunsabteilungen"
der Amtsgerichte. Ich wüßte nicht, welche Bedenken dem entgegenstehn sollten.
Im Gegenteil, wir werden ans diese Weise viel eher zu eiuer Reform des amts-
gerichllicheu Verfahrens kommen. Man begehe aber keine Halbheit und lasse es


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[0692] Maßgebliches und Unmaßgebliches Können Regierung und Parteien die Verantwortung für diese Entwicklung übernehmen? Nur der erste Schritt kostet etwas. Statt diesen Verhängnisvolleu Schritt zu tun, stelle man die Mängel der juristische» Ausbildung ab und ver¬ folge vorhcmdne Ansätze, die einen dem Ganzen frommenden Ausweg weisen. Man bringe so bald wie möglich deu Entwurf für die Umänderung des Nechts- studiums wieder ein. Bei seiner Erörterung wurde allerdings zu sehr die juristische Seite betont. Man forderte das siebente Semester und begründete dies mit der gewaltigen Vermehrung des Rechtsstoffes und den Schwierigkeit?» der neuen Gesetze. Man darf aber ruhig behaupten, daß die formaljuristische Denkweise schon heute auf den Universitäten genügend gepflegt wird, und daß die Aneignung des gesamten Rechtsstoffes Sache der spätern Ausbildung ist. Viel mehr frommt unsern jungen Juristen die Kenntnis unsers verwickelten Wirtschaftslebens, damit sie seinen Erscheinungen später nicht fremd gegenüberstelln und sich auf die formale Be¬ urteilung der ihnen unterbreiteten Fälle zurückziehn, viel mehr auch das Verständnis für die sozialen Kämpfe und ihre Bedeutung für Staat und Gesellschaft, damit es ihnen nicht einfällt, unsre sozialen Gesetze vom rein privatwirtschaftlichen Stand¬ punkt auszulegen. Es ist dankbar anzuerkennen, daß der neue Studienplan den volkswirtschaftlichen Studien erhöhte Beachtung schenkte, und daß bei seiner Annahme dem srucl. M-, ot eam. der letzte Zusatz nicht mehr, wie Professor Dietzel einmal gesagt hat, nur eine Verbeugung beim An- und Abtestieren kosten würde. Aber es müßte noch mehr geschehn. Unsre gesamten Schulen legen, wie das kürzlich wiederum das Schriftchen „Der Deutsche und sein Vaterland" treffend ausgeführt hat, Viel zu viel Wert auf das Wissen und zu wenig auf das Können, sie bilden den Verstand und vernachlässigen den Charakter. Das gilt auch von der juristischen Vorbildung. Es wird uur Geistesdressur getrieben, die Charakterbildung, die Heran¬ ziehung eines nach oben und nach unten unabhängigen, eines nicht nur recht¬ sprechenden, sondern auch rechtfühlenden Nichterstandes wird vernachlässigt. Aber auch wenn einmal anders vorgebildete Richter da sein werden, ist die Zuziehung von Laien durchaus berechtigt. Die Zerfascruug des Rechtsstoffes und die Aufstellung neuer Rechtsbegriffe ist soweit getrieben, die Sprache der Gesetze ist in einer Weise abstrakt, die Fassung der Rechtssätze so schemenhaft geworden, daß es, wie der preußische Justiznn« ihter kürzlich ini Abgeordnetenhause sagte, über das Können des Einzelnen hinausgeht, uur an der Hand des Gesetzestextes seine Entscheidungen zu fallen. Bei dieser Sachlage verliert der Jurist allzuleicht deu Boden unter seinen Füßen und kommt im Kampf mit Paragraphen und Materialien zu Entscheidungen, die die Wirklichkeit nicht mehr berücksichtigen. Da¬ gegen schafft die Zuziehung von Laien zur Rechtsprechung ein gesundes Gegen¬ gewicht. Der Laie bringt die natürliche, frische Auffassung des Lebeus mit. Aus dem Zusnmmeuwirken beider, ans der Vereinigung der Kenntnis des Gesetzes und der des praktischen Lebens werden Richtersprüche erwachsen, die dem Gesetz gerecht werden, Einheit und Sicherheit der Rechtsprechung wahren und auch das Rechts¬ gefühl des Volkes befriedigen. Wie das Schöffengericht hoffentlich das Vorbild für die neuen Straf- und Berufungsstrafkammern und dermaleinst auch für das Schwur¬ gericht geben wird, so möge die Kammer für Handelssachen, natürlich in andrer Zusammensetzung, das Vorbild für unsre Zivilgerichte werden. Doch das ist Zukunftsmusik. Bleiben wir bei dem Entwurf. Man schließe die neuen Gerichte um die Amtsgerichte an und überwinde in einer Frage, die die Zukunft unsers ganzen Gerichtswesens betrifft, Bedenken, die demgegenüber nur als klein bezeichnet werden können. Hält man es für bedenklich, die Frage einer Um¬ gestaltung des ganzen amtsgerichtlichen Verfahrens aufzurollen, dann übertrage man einfach das bewährte Verfahren der Gewerbegerichte auf die „Kaufmaunsabteilungen" der Amtsgerichte. Ich wüßte nicht, welche Bedenken dem entgegenstehn sollten. Im Gegenteil, wir werden ans diese Weise viel eher zu eiuer Reform des amts- gerichllicheu Verfahrens kommen. Man begehe aber keine Halbheit und lasse es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/692>, abgerufen am 27.07.2024.