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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Der Ureuzzng gegen die Stedinger

Politik der damaligen Zeit. Der eine war der Erkornc der hohenstaufischen
Partei, er tourbe von König Philipp selbst nach Bremen geführt; der andre
erfreute sich der Gunst Ottos des Vierten und des dänischen Königs und
wurde von diesen: in die wichtigste Besitzung des Erzstiftcs Bremen, in Stade,
mit Waffengewalt eingeführt. Der staufische Erzbischof Waldemar gewann die
Stedinger für sich und bezwang mit ihrer Hilfe Stade. Doch wandte sich das
Kriegsglück zu oft, als daß wir alles hier erzählen könnten. Auch als an
Stelle des dänischen Parteigängers ein Oldenburger Graf als Gegenbischof
gegen Waldemar gewählt wurde, nahmen die Wirren kein Ende. Da die
Stedinger dem Oldenburger gram waren, blieben sie Waldemar treu. Es kam
zu neuen Kämpfen, wobei die Bauern allmählich Geschmack an den Heerzügen
in fremde Landesteile gewannen. Sie zerstörten 1213 auch zwei bremische
Burgen, Seehausen und Rhieusberg; diese lag dicht vor den Toren der Stadt.
Darauf ereilte sie indes ihr Schicksal; der Erzbischof Gerhard der Erste und
seine oldenburgischen Vettern brachten ihnen eine schwere Niederlage bei. Die
Stedinger verließen Waldemar, und es bahnten sich friedlichere Verhält^
nisse an.

Da änderte sich das Bild in verhängnisvoller Weise, denn 1219 kam an
Stelle des Oldenburgers Gerhard der lippische Graf Gerhard der Zweite auf
den erzbischöflichen Stuhl zu Bremen. Es war die Zeit, wo Kaiser Friedrich
der Zweite den deutschen Angelegenheiten meist fern war, wo weltliche und
geistliche Fürsten ihre Macht ans Kosten des Reichs und ihrer Untertanen und
Nachbarn erweiterten. Gerhard der Zweite fand die bremische Kirche finanziell
sehr geschwächt und alle wirtschaftlichen Verhältnisse zerrüttet vor. Er war
in seiner Weise ein guter tatkräftiger Regent und tat alles mögliche, seine
Regierung zu befestigen. Die in Verfall gemelten Zinsen und Zehnten und
sonstigen Gefälle trieb er mit eiserner Hand ein. Darob geriet er mit den
Stedingern aneinander. Diese waren nämlich seit Jahrzehnten völlig abgabenfrei
geworden. Und die Ministerialen, die im Lande saßen, um die Hoheit ihrer
Lehnsherren zu vertreten, waren ganz und gar mit dem Bauerntum verschmolzen
und gar dessen Anführer geworden. Gütliche Versuche, sie zur Zehntenzahlung
zu veranlassen, schlugen fehl. Da ließ Erzbischof Gerhard unter seinem Bruder
Hermann von der Lippe ein Heer sammeln, mir die unbotmäßigen Stedinger
niederzuwerfen. Aber man hatte sich in dein Gegner gründlich geirrt. Man
fand einen Menschenschlag allerbester Sorte, wehrhafte Bauern, die gewohnt
waren, ihr Land gegen den wilden Wogendrang zu verteidigen, und die nun
todesmutig auf dem Schlachtfelde gegen die Ritter standen. Am Weihnachts¬
abend 1229 schlug man eine ernste Schlacht, die erste, die die Bauern gegen
ihren kirchlichen Oberherrn wagten. Und sie gewannen sie glänzend. Der
Kern des ritterlichen Heeres bedeckte die Walstatt, darunter auch der Bruder
des Erzbischofs. Was am Leben blieb, wurde zersprengt.

Und doch wäre es den Bauern besser gewesen, sie wären in dieser Schlacht
besiegt worden und hätten sich dann den erzbischöflichen Forderungen unterworfen.
Denn sie zogen nun ein Gericht fürchterlicher Art auf sich herab. Der Haß
der Kirche ist unversöhnlich; ein ehrgeiziger Erzbischof vergißt nicht, daß Bauern


Der Ureuzzng gegen die Stedinger

Politik der damaligen Zeit. Der eine war der Erkornc der hohenstaufischen
Partei, er tourbe von König Philipp selbst nach Bremen geführt; der andre
erfreute sich der Gunst Ottos des Vierten und des dänischen Königs und
wurde von diesen: in die wichtigste Besitzung des Erzstiftcs Bremen, in Stade,
mit Waffengewalt eingeführt. Der staufische Erzbischof Waldemar gewann die
Stedinger für sich und bezwang mit ihrer Hilfe Stade. Doch wandte sich das
Kriegsglück zu oft, als daß wir alles hier erzählen könnten. Auch als an
Stelle des dänischen Parteigängers ein Oldenburger Graf als Gegenbischof
gegen Waldemar gewählt wurde, nahmen die Wirren kein Ende. Da die
Stedinger dem Oldenburger gram waren, blieben sie Waldemar treu. Es kam
zu neuen Kämpfen, wobei die Bauern allmählich Geschmack an den Heerzügen
in fremde Landesteile gewannen. Sie zerstörten 1213 auch zwei bremische
Burgen, Seehausen und Rhieusberg; diese lag dicht vor den Toren der Stadt.
Darauf ereilte sie indes ihr Schicksal; der Erzbischof Gerhard der Erste und
seine oldenburgischen Vettern brachten ihnen eine schwere Niederlage bei. Die
Stedinger verließen Waldemar, und es bahnten sich friedlichere Verhält^
nisse an.

Da änderte sich das Bild in verhängnisvoller Weise, denn 1219 kam an
Stelle des Oldenburgers Gerhard der lippische Graf Gerhard der Zweite auf
den erzbischöflichen Stuhl zu Bremen. Es war die Zeit, wo Kaiser Friedrich
der Zweite den deutschen Angelegenheiten meist fern war, wo weltliche und
geistliche Fürsten ihre Macht ans Kosten des Reichs und ihrer Untertanen und
Nachbarn erweiterten. Gerhard der Zweite fand die bremische Kirche finanziell
sehr geschwächt und alle wirtschaftlichen Verhältnisse zerrüttet vor. Er war
in seiner Weise ein guter tatkräftiger Regent und tat alles mögliche, seine
Regierung zu befestigen. Die in Verfall gemelten Zinsen und Zehnten und
sonstigen Gefälle trieb er mit eiserner Hand ein. Darob geriet er mit den
Stedingern aneinander. Diese waren nämlich seit Jahrzehnten völlig abgabenfrei
geworden. Und die Ministerialen, die im Lande saßen, um die Hoheit ihrer
Lehnsherren zu vertreten, waren ganz und gar mit dem Bauerntum verschmolzen
und gar dessen Anführer geworden. Gütliche Versuche, sie zur Zehntenzahlung
zu veranlassen, schlugen fehl. Da ließ Erzbischof Gerhard unter seinem Bruder
Hermann von der Lippe ein Heer sammeln, mir die unbotmäßigen Stedinger
niederzuwerfen. Aber man hatte sich in dein Gegner gründlich geirrt. Man
fand einen Menschenschlag allerbester Sorte, wehrhafte Bauern, die gewohnt
waren, ihr Land gegen den wilden Wogendrang zu verteidigen, und die nun
todesmutig auf dem Schlachtfelde gegen die Ritter standen. Am Weihnachts¬
abend 1229 schlug man eine ernste Schlacht, die erste, die die Bauern gegen
ihren kirchlichen Oberherrn wagten. Und sie gewannen sie glänzend. Der
Kern des ritterlichen Heeres bedeckte die Walstatt, darunter auch der Bruder
des Erzbischofs. Was am Leben blieb, wurde zersprengt.

Und doch wäre es den Bauern besser gewesen, sie wären in dieser Schlacht
besiegt worden und hätten sich dann den erzbischöflichen Forderungen unterworfen.
Denn sie zogen nun ein Gericht fürchterlicher Art auf sich herab. Der Haß
der Kirche ist unversöhnlich; ein ehrgeiziger Erzbischof vergißt nicht, daß Bauern


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[0600] Der Ureuzzng gegen die Stedinger Politik der damaligen Zeit. Der eine war der Erkornc der hohenstaufischen Partei, er tourbe von König Philipp selbst nach Bremen geführt; der andre erfreute sich der Gunst Ottos des Vierten und des dänischen Königs und wurde von diesen: in die wichtigste Besitzung des Erzstiftcs Bremen, in Stade, mit Waffengewalt eingeführt. Der staufische Erzbischof Waldemar gewann die Stedinger für sich und bezwang mit ihrer Hilfe Stade. Doch wandte sich das Kriegsglück zu oft, als daß wir alles hier erzählen könnten. Auch als an Stelle des dänischen Parteigängers ein Oldenburger Graf als Gegenbischof gegen Waldemar gewählt wurde, nahmen die Wirren kein Ende. Da die Stedinger dem Oldenburger gram waren, blieben sie Waldemar treu. Es kam zu neuen Kämpfen, wobei die Bauern allmählich Geschmack an den Heerzügen in fremde Landesteile gewannen. Sie zerstörten 1213 auch zwei bremische Burgen, Seehausen und Rhieusberg; diese lag dicht vor den Toren der Stadt. Darauf ereilte sie indes ihr Schicksal; der Erzbischof Gerhard der Erste und seine oldenburgischen Vettern brachten ihnen eine schwere Niederlage bei. Die Stedinger verließen Waldemar, und es bahnten sich friedlichere Verhält^ nisse an. Da änderte sich das Bild in verhängnisvoller Weise, denn 1219 kam an Stelle des Oldenburgers Gerhard der lippische Graf Gerhard der Zweite auf den erzbischöflichen Stuhl zu Bremen. Es war die Zeit, wo Kaiser Friedrich der Zweite den deutschen Angelegenheiten meist fern war, wo weltliche und geistliche Fürsten ihre Macht ans Kosten des Reichs und ihrer Untertanen und Nachbarn erweiterten. Gerhard der Zweite fand die bremische Kirche finanziell sehr geschwächt und alle wirtschaftlichen Verhältnisse zerrüttet vor. Er war in seiner Weise ein guter tatkräftiger Regent und tat alles mögliche, seine Regierung zu befestigen. Die in Verfall gemelten Zinsen und Zehnten und sonstigen Gefälle trieb er mit eiserner Hand ein. Darob geriet er mit den Stedingern aneinander. Diese waren nämlich seit Jahrzehnten völlig abgabenfrei geworden. Und die Ministerialen, die im Lande saßen, um die Hoheit ihrer Lehnsherren zu vertreten, waren ganz und gar mit dem Bauerntum verschmolzen und gar dessen Anführer geworden. Gütliche Versuche, sie zur Zehntenzahlung zu veranlassen, schlugen fehl. Da ließ Erzbischof Gerhard unter seinem Bruder Hermann von der Lippe ein Heer sammeln, mir die unbotmäßigen Stedinger niederzuwerfen. Aber man hatte sich in dein Gegner gründlich geirrt. Man fand einen Menschenschlag allerbester Sorte, wehrhafte Bauern, die gewohnt waren, ihr Land gegen den wilden Wogendrang zu verteidigen, und die nun todesmutig auf dem Schlachtfelde gegen die Ritter standen. Am Weihnachts¬ abend 1229 schlug man eine ernste Schlacht, die erste, die die Bauern gegen ihren kirchlichen Oberherrn wagten. Und sie gewannen sie glänzend. Der Kern des ritterlichen Heeres bedeckte die Walstatt, darunter auch der Bruder des Erzbischofs. Was am Leben blieb, wurde zersprengt. Und doch wäre es den Bauern besser gewesen, sie wären in dieser Schlacht besiegt worden und hätten sich dann den erzbischöflichen Forderungen unterworfen. Denn sie zogen nun ein Gericht fürchterlicher Art auf sich herab. Der Haß der Kirche ist unversöhnlich; ein ehrgeiziger Erzbischof vergißt nicht, daß Bauern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/600>, abgerufen am 24.11.2024.