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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer I

Er bemerkte mich, grüßte militärisch und legte dann die Mappe auf den Tisch.

Hier sind Papiere ans unserm Stadtteile, sagte er geschäftlich zu dem Wach¬
habenden. Wenn Ihr uns wieder Papiere zukommen laßt, schickt sie in derselben
Mappe. Der Schriftführer brummt, daß die Mappen hier verloren gingen.

Dabei machte er kehrt und stelzte zur Tür, sah mich aber so gutmütig pfiffig
an, daß er mich zu der Frage verleitete, ob er unterwegs nicht den Polizeimeister
gesehen habe.

Nein, Euer Wohlgeboren, sagte er, aber -- ich weiß nicht -- verzeihen Sie,
Euer Wohlgeboren --

Was willst du sagen, Bruder?

Euer Wohlgeboren, sind Sie nicht aus -- er nannte die Kreisstadt, wo ich
gedient hatte -- hierher angereiht?

Ja.

Zum Dienst bei uns bestimmt?

Ja.

Euer Wohlgeboren, dann belieben Sie nur mit mir zu gehn. Sie sind für
unsern Stadtteil bestimmt. Der Aufseher hoffte, Sie würden schon früher eintreffen.

Aber ich muß mich erst bei dem Polizeimeister melden.

Ich kann nicht wissen, Euer Wohlgeboren, ob das nötig ist. Aber ich glaube,
Sie tun besser, wenn Sie gleich angehn, denn der Aufseher hat Gehilfen nötig,
wie das liebe Brot. Bet dem vielen Feuer können wir gar nicht fertig werden.

Der Alte sah so intelligent ans und sprach bescheiden, aber mit solcher Über¬
zeugung, daß ich mich unwillkürlich veranlaßt fühlte, seinein Rate zu folgen, und
nach meiner Mütze griff.

Sie können sich denken, Euer Wohlgeboren, fügte er lächelnd hinzu, während
er mir die Tür öffnete, wie notwendig die Leute jetzt bei uns sind, wenn sogar
ich, der alte Krüppel Iwan, der sonst nur die Stube zu kehren hat, mit Papieren
umherlaufen muß.

Unterwegs stelzte Jour trotz seinem Hvlzbein einen ganz ordentlichen Schritt,
sodaß wir rasch vorwärts kamen, und ich den anfänglichen Gedanken aufgab, eine
Droschke zu benutzen.

Der Polizeimcister! erklärte er mir auf meine Frage. Ja, natürlich war der in
der Nacht bei dem Feuer. Vordem hat er die Runde in der Stadt gemacht und
die hauptsächlichen Posten revidiert. Nach dem Feuer hat er deu Chef der Provinz
zum PostHofe begleitet. Seine Exzellenz fuhr, glaube ich, zur Revision in die
Provinz aus.

Dann hat er diese Nacht gar nicht geschlafen?

Iwan zuckte die Achseln.

Ja. wie soll ich sagen, Euer Wohlgeboren! Wie diese Nacht, so ist es fast
jede Nacht, und wie es in der Nacht ist, so bleibt es am Tage. Es ist jetzt eine
schwere Zeit. Die Menschen werden immer schlechter. Der Dienst wird schwerer.
Was ist von mir zu reden, Euer Wohlgeboren! Und mich ich alter Krüppel komme
gar nicht zum Schlafen.

Du trägst Papiere aus?

Ach nein, Euer Wohlgeboren, das kommt nur selten vor. Mein ganzer Dienst
besteht darin, daß ich die Stube im Stadtteilhanse rein halte. Aber kann ich
schlafen, Euer Wohlgeboren, wenn alles zum Feuer eilt und ich im Stndtteithnuse
allein bleibe! Ich habe doch auch ein Gewissen, Euer Wohlgeboren.

In der Dienststubc des Stadtteilhauses fand ich eine Menge einfacher Leute
vor, Weiber und Männer ans den untersten Klassen und von meist sehr unappetit¬
lichen Äußern. Einige hielten Papiere in den Händen, waren also offenbar ge¬
kommen, um ihre Aufenthnltscheinc visieren zu lassen oder sonstige schriftliche Aus¬
künfte zu geben oder zu erhalten. An einem Seitentische drehte sich der Schriftführer
mit Gemütlichkeit eine Papiros, während der Schreiber, ein schmieriger Junge von


Feuer I

Er bemerkte mich, grüßte militärisch und legte dann die Mappe auf den Tisch.

Hier sind Papiere ans unserm Stadtteile, sagte er geschäftlich zu dem Wach¬
habenden. Wenn Ihr uns wieder Papiere zukommen laßt, schickt sie in derselben
Mappe. Der Schriftführer brummt, daß die Mappen hier verloren gingen.

Dabei machte er kehrt und stelzte zur Tür, sah mich aber so gutmütig pfiffig
an, daß er mich zu der Frage verleitete, ob er unterwegs nicht den Polizeimeister
gesehen habe.

Nein, Euer Wohlgeboren, sagte er, aber — ich weiß nicht — verzeihen Sie,
Euer Wohlgeboren —

Was willst du sagen, Bruder?

Euer Wohlgeboren, sind Sie nicht aus — er nannte die Kreisstadt, wo ich
gedient hatte — hierher angereiht?

Ja.

Zum Dienst bei uns bestimmt?

Ja.

Euer Wohlgeboren, dann belieben Sie nur mit mir zu gehn. Sie sind für
unsern Stadtteil bestimmt. Der Aufseher hoffte, Sie würden schon früher eintreffen.

Aber ich muß mich erst bei dem Polizeimeister melden.

Ich kann nicht wissen, Euer Wohlgeboren, ob das nötig ist. Aber ich glaube,
Sie tun besser, wenn Sie gleich angehn, denn der Aufseher hat Gehilfen nötig,
wie das liebe Brot. Bet dem vielen Feuer können wir gar nicht fertig werden.

Der Alte sah so intelligent ans und sprach bescheiden, aber mit solcher Über¬
zeugung, daß ich mich unwillkürlich veranlaßt fühlte, seinein Rate zu folgen, und
nach meiner Mütze griff.

Sie können sich denken, Euer Wohlgeboren, fügte er lächelnd hinzu, während
er mir die Tür öffnete, wie notwendig die Leute jetzt bei uns sind, wenn sogar
ich, der alte Krüppel Iwan, der sonst nur die Stube zu kehren hat, mit Papieren
umherlaufen muß.

Unterwegs stelzte Jour trotz seinem Hvlzbein einen ganz ordentlichen Schritt,
sodaß wir rasch vorwärts kamen, und ich den anfänglichen Gedanken aufgab, eine
Droschke zu benutzen.

Der Polizeimcister! erklärte er mir auf meine Frage. Ja, natürlich war der in
der Nacht bei dem Feuer. Vordem hat er die Runde in der Stadt gemacht und
die hauptsächlichen Posten revidiert. Nach dem Feuer hat er deu Chef der Provinz
zum PostHofe begleitet. Seine Exzellenz fuhr, glaube ich, zur Revision in die
Provinz aus.

Dann hat er diese Nacht gar nicht geschlafen?

Iwan zuckte die Achseln.

Ja. wie soll ich sagen, Euer Wohlgeboren! Wie diese Nacht, so ist es fast
jede Nacht, und wie es in der Nacht ist, so bleibt es am Tage. Es ist jetzt eine
schwere Zeit. Die Menschen werden immer schlechter. Der Dienst wird schwerer.
Was ist von mir zu reden, Euer Wohlgeboren! Und mich ich alter Krüppel komme
gar nicht zum Schlafen.

Du trägst Papiere aus?

Ach nein, Euer Wohlgeboren, das kommt nur selten vor. Mein ganzer Dienst
besteht darin, daß ich die Stube im Stadtteilhanse rein halte. Aber kann ich
schlafen, Euer Wohlgeboren, wenn alles zum Feuer eilt und ich im Stndtteithnuse
allein bleibe! Ich habe doch auch ein Gewissen, Euer Wohlgeboren.

In der Dienststubc des Stadtteilhauses fand ich eine Menge einfacher Leute
vor, Weiber und Männer ans den untersten Klassen und von meist sehr unappetit¬
lichen Äußern. Einige hielten Papiere in den Händen, waren also offenbar ge¬
kommen, um ihre Aufenthnltscheinc visieren zu lassen oder sonstige schriftliche Aus¬
künfte zu geben oder zu erhalten. An einem Seitentische drehte sich der Schriftführer
mit Gemütlichkeit eine Papiros, während der Schreiber, ein schmieriger Junge von


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[0058] Feuer I Er bemerkte mich, grüßte militärisch und legte dann die Mappe auf den Tisch. Hier sind Papiere ans unserm Stadtteile, sagte er geschäftlich zu dem Wach¬ habenden. Wenn Ihr uns wieder Papiere zukommen laßt, schickt sie in derselben Mappe. Der Schriftführer brummt, daß die Mappen hier verloren gingen. Dabei machte er kehrt und stelzte zur Tür, sah mich aber so gutmütig pfiffig an, daß er mich zu der Frage verleitete, ob er unterwegs nicht den Polizeimeister gesehen habe. Nein, Euer Wohlgeboren, sagte er, aber — ich weiß nicht — verzeihen Sie, Euer Wohlgeboren — Was willst du sagen, Bruder? Euer Wohlgeboren, sind Sie nicht aus — er nannte die Kreisstadt, wo ich gedient hatte — hierher angereiht? Ja. Zum Dienst bei uns bestimmt? Ja. Euer Wohlgeboren, dann belieben Sie nur mit mir zu gehn. Sie sind für unsern Stadtteil bestimmt. Der Aufseher hoffte, Sie würden schon früher eintreffen. Aber ich muß mich erst bei dem Polizeimeister melden. Ich kann nicht wissen, Euer Wohlgeboren, ob das nötig ist. Aber ich glaube, Sie tun besser, wenn Sie gleich angehn, denn der Aufseher hat Gehilfen nötig, wie das liebe Brot. Bet dem vielen Feuer können wir gar nicht fertig werden. Der Alte sah so intelligent ans und sprach bescheiden, aber mit solcher Über¬ zeugung, daß ich mich unwillkürlich veranlaßt fühlte, seinein Rate zu folgen, und nach meiner Mütze griff. Sie können sich denken, Euer Wohlgeboren, fügte er lächelnd hinzu, während er mir die Tür öffnete, wie notwendig die Leute jetzt bei uns sind, wenn sogar ich, der alte Krüppel Iwan, der sonst nur die Stube zu kehren hat, mit Papieren umherlaufen muß. Unterwegs stelzte Jour trotz seinem Hvlzbein einen ganz ordentlichen Schritt, sodaß wir rasch vorwärts kamen, und ich den anfänglichen Gedanken aufgab, eine Droschke zu benutzen. Der Polizeimcister! erklärte er mir auf meine Frage. Ja, natürlich war der in der Nacht bei dem Feuer. Vordem hat er die Runde in der Stadt gemacht und die hauptsächlichen Posten revidiert. Nach dem Feuer hat er deu Chef der Provinz zum PostHofe begleitet. Seine Exzellenz fuhr, glaube ich, zur Revision in die Provinz aus. Dann hat er diese Nacht gar nicht geschlafen? Iwan zuckte die Achseln. Ja. wie soll ich sagen, Euer Wohlgeboren! Wie diese Nacht, so ist es fast jede Nacht, und wie es in der Nacht ist, so bleibt es am Tage. Es ist jetzt eine schwere Zeit. Die Menschen werden immer schlechter. Der Dienst wird schwerer. Was ist von mir zu reden, Euer Wohlgeboren! Und mich ich alter Krüppel komme gar nicht zum Schlafen. Du trägst Papiere aus? Ach nein, Euer Wohlgeboren, das kommt nur selten vor. Mein ganzer Dienst besteht darin, daß ich die Stube im Stadtteilhanse rein halte. Aber kann ich schlafen, Euer Wohlgeboren, wenn alles zum Feuer eilt und ich im Stndtteithnuse allein bleibe! Ich habe doch auch ein Gewissen, Euer Wohlgeboren. In der Dienststubc des Stadtteilhauses fand ich eine Menge einfacher Leute vor, Weiber und Männer ans den untersten Klassen und von meist sehr unappetit¬ lichen Äußern. Einige hielten Papiere in den Händen, waren also offenbar ge¬ kommen, um ihre Aufenthnltscheinc visieren zu lassen oder sonstige schriftliche Aus¬ künfte zu geben oder zu erhalten. An einem Seitentische drehte sich der Schriftführer mit Gemütlichkeit eine Papiros, während der Schreiber, ein schmieriger Junge von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/58>, abgerufen am 24.11.2024.