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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gebildeten und die Einzelwissenschaften und kommt zu dem Schlüsse, daß es besser
sei, gnr nicht zu promovieren, wenn man sich nicht einen weitem Blick verschafft
und dem Spezicilfache seine Stellung innerhalb des großen Ganzen richtig ange¬
wiesen habe. Man kann das Meiste von dem, was der Greifswalder Philosoph
ausführt, als berechtigt anerkennen und doch in der praktischen Frage andrer Meinung
sein; und da diese Fragen jetzt wieder in Fluß zu kommen scheinen und man viel¬
leicht gnr eine Neuregelung des Promotionswesens erwarten kann, so lohnt es sich
dielleicht, einige Worte darüber zu sagen.

Daß eine Beschäftigung mit der Philosophie, d. h. das Streben, sich eine um¬
fassende Weltanschauung zu erarbeiten, sehr wertvoll ist in einer Zeit, die nnter
dein Zeichen des Spezialistentums steht, wird kein Einsichtiger leugnen können.
Jeder Lehrer, dem das Wohl seiner Schüler ernstlich am Herzen liegt, muß den
Wunsch haben, daß sie nicht einseitige Fachmenschen werden. Aber daß die obligate
Philosophie des Rigvrosums die Aufgabe erfüllt, den jungen Mann in einer er¬
sprießlichen Weise mit der Philosophie bekannt zu machen, muß ich nach meinen
Erfahrungen bezweifeln. Auch Schuppe selbst gibt das eigentlich ehrlich zu; er
hat durch die Erfahrung gelernt -- und der Mehrzahl seiner Spezialkollegen geht
es ebenso --, seine Examensnnforderungen sehr herabzusetzen und sich zufrieden zu
geben, wenn "auch nur in einem Punkte einiges Verständnis des philosophischen
Gednukens erreicht worden" ist; er hofft nämlich, daß den jungen Doktoren der
Appetit beim Essen gekommen ist und sie jetzt soviel Interesse für die Philosophie
gewonnen haben, daß sie sich nach dem Examen weiter mit ihr beschäftigen. Ich
halte diese Hoffnung für ganz utopisch und fürchte, daß wer in der Prüfnngsnvt
in Philosophische Bücher hineingeguckt hat. sie nach dem Examen meist nicht wieder
ansieht.

Die jungen Leute, die an unsern philosophischen Fakultäten studieren, haben
meist als ihr eigentliches Ziel das Oberlehrerexamen im Auge. Sie bedürfen zu
diesem mindestens dreier Spezialfächer und wollen gewöhnlich in zweien davon die
Lehrbefnhigung für alle Klnsseu erreichen, in einem oder zweien die für mittlere.
Die meisten von ihnen, anch solche, deren Mittel nicht allzu knnpp sind, haben
den begreiflichen Wunsch, mit der gesetzlich als Mindestmaß vorgeschriebnen Zeit
von acht Semestern auszukommen und sie anch dann nicht beträchtlich zu überschreiten,
wenn sie -- was ganz in ihr Belieben gestellt ist -- das Doktorexamen machen;
das geschieht dann gewöhnlich vor dem Staatsexamen. Ein Student von mittlerer
Begabung -- mit solche" muß man doch rechnen -- ist während dieser Zeit durch
seine Spezialfächer so gut wie ganz in Anspruch genommen; er muß nicht bloß über
jedes eine Reihe von Vorlesungen hören und durcharbeiten, er muß außerdem an
verschiednen Seminarien, Laboratorien, Praktika teilnehmen und dort wissenschaftliche
Arbeiten anfertigen, die ihn für einige Zeit ganz in Anspruch nehmen. Aber schon
der Zwang, verschiedne Fächer ernsthaft und gründlich zu treiben, verhindert eine
günz einseitige Ausbildung: der Mathematiker muß ja Physik und etwa noch Bo¬
tanik und Zoologie studieren, der Historiker Geographie und Deutsch, der klassische
Philolog z. B. Geschichte; also auch in dem ungünstigen Falle, daß ihm seiue Lehrer
in zwei Fächern keine weiten Ideenkreise geben, wird doch wohl der des dritten
dazu imstande sein. Aber wenn nun der Student neben seinem Fachstudium etwas
freie Zeit übrig behalt, soll er denn durchaus gezwungen sein, sie auf Philosophie
zu verwenden, wenn er diesem Fache kein Interesse entgegen bringt? Er hat viel¬
leicht von der Schule oder aus dem Elternhause Interesse für Kunstgeschichte oder
Literatur oder naturwissenschaftliche Fragen mitgebracht, und er wird dann gern
die Gelegenheit ergreifen, eine Vorlesung über Raffael, Goethe oder Darwin zu
hören und daraus'vielleicht Anregung fürs ganze Leben mitzunehmen, ^etzt muß
er aber auch philosophische Vorlesungen hören, oder er fühlt steh verpflichtet, sie
wenigstens zu belegen; er hat vielleicht gar keinen nennenswerten Nutzen davon,
anch wenn er regelmäßig hingeht, weil er es nur ans Pflichtgefühl tut. Endlich


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gebildeten und die Einzelwissenschaften und kommt zu dem Schlüsse, daß es besser
sei, gnr nicht zu promovieren, wenn man sich nicht einen weitem Blick verschafft
und dem Spezicilfache seine Stellung innerhalb des großen Ganzen richtig ange¬
wiesen habe. Man kann das Meiste von dem, was der Greifswalder Philosoph
ausführt, als berechtigt anerkennen und doch in der praktischen Frage andrer Meinung
sein; und da diese Fragen jetzt wieder in Fluß zu kommen scheinen und man viel¬
leicht gnr eine Neuregelung des Promotionswesens erwarten kann, so lohnt es sich
dielleicht, einige Worte darüber zu sagen.

Daß eine Beschäftigung mit der Philosophie, d. h. das Streben, sich eine um¬
fassende Weltanschauung zu erarbeiten, sehr wertvoll ist in einer Zeit, die nnter
dein Zeichen des Spezialistentums steht, wird kein Einsichtiger leugnen können.
Jeder Lehrer, dem das Wohl seiner Schüler ernstlich am Herzen liegt, muß den
Wunsch haben, daß sie nicht einseitige Fachmenschen werden. Aber daß die obligate
Philosophie des Rigvrosums die Aufgabe erfüllt, den jungen Mann in einer er¬
sprießlichen Weise mit der Philosophie bekannt zu machen, muß ich nach meinen
Erfahrungen bezweifeln. Auch Schuppe selbst gibt das eigentlich ehrlich zu; er
hat durch die Erfahrung gelernt — und der Mehrzahl seiner Spezialkollegen geht
es ebenso —, seine Examensnnforderungen sehr herabzusetzen und sich zufrieden zu
geben, wenn „auch nur in einem Punkte einiges Verständnis des philosophischen
Gednukens erreicht worden" ist; er hofft nämlich, daß den jungen Doktoren der
Appetit beim Essen gekommen ist und sie jetzt soviel Interesse für die Philosophie
gewonnen haben, daß sie sich nach dem Examen weiter mit ihr beschäftigen. Ich
halte diese Hoffnung für ganz utopisch und fürchte, daß wer in der Prüfnngsnvt
in Philosophische Bücher hineingeguckt hat. sie nach dem Examen meist nicht wieder
ansieht.

Die jungen Leute, die an unsern philosophischen Fakultäten studieren, haben
meist als ihr eigentliches Ziel das Oberlehrerexamen im Auge. Sie bedürfen zu
diesem mindestens dreier Spezialfächer und wollen gewöhnlich in zweien davon die
Lehrbefnhigung für alle Klnsseu erreichen, in einem oder zweien die für mittlere.
Die meisten von ihnen, anch solche, deren Mittel nicht allzu knnpp sind, haben
den begreiflichen Wunsch, mit der gesetzlich als Mindestmaß vorgeschriebnen Zeit
von acht Semestern auszukommen und sie anch dann nicht beträchtlich zu überschreiten,
wenn sie — was ganz in ihr Belieben gestellt ist — das Doktorexamen machen;
das geschieht dann gewöhnlich vor dem Staatsexamen. Ein Student von mittlerer
Begabung — mit solche» muß man doch rechnen — ist während dieser Zeit durch
seine Spezialfächer so gut wie ganz in Anspruch genommen; er muß nicht bloß über
jedes eine Reihe von Vorlesungen hören und durcharbeiten, er muß außerdem an
verschiednen Seminarien, Laboratorien, Praktika teilnehmen und dort wissenschaftliche
Arbeiten anfertigen, die ihn für einige Zeit ganz in Anspruch nehmen. Aber schon
der Zwang, verschiedne Fächer ernsthaft und gründlich zu treiben, verhindert eine
günz einseitige Ausbildung: der Mathematiker muß ja Physik und etwa noch Bo¬
tanik und Zoologie studieren, der Historiker Geographie und Deutsch, der klassische
Philolog z. B. Geschichte; also auch in dem ungünstigen Falle, daß ihm seiue Lehrer
in zwei Fächern keine weiten Ideenkreise geben, wird doch wohl der des dritten
dazu imstande sein. Aber wenn nun der Student neben seinem Fachstudium etwas
freie Zeit übrig behalt, soll er denn durchaus gezwungen sein, sie auf Philosophie
zu verwenden, wenn er diesem Fache kein Interesse entgegen bringt? Er hat viel¬
leicht von der Schule oder aus dem Elternhause Interesse für Kunstgeschichte oder
Literatur oder naturwissenschaftliche Fragen mitgebracht, und er wird dann gern
die Gelegenheit ergreifen, eine Vorlesung über Raffael, Goethe oder Darwin zu
hören und daraus'vielleicht Anregung fürs ganze Leben mitzunehmen, ^etzt muß
er aber auch philosophische Vorlesungen hören, oder er fühlt steh verpflichtet, sie
wenigstens zu belegen; er hat vielleicht gar keinen nennenswerten Nutzen davon,
anch wenn er regelmäßig hingeht, weil er es nur ans Pflichtgefühl tut. Endlich


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[0571] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gebildeten und die Einzelwissenschaften und kommt zu dem Schlüsse, daß es besser sei, gnr nicht zu promovieren, wenn man sich nicht einen weitem Blick verschafft und dem Spezicilfache seine Stellung innerhalb des großen Ganzen richtig ange¬ wiesen habe. Man kann das Meiste von dem, was der Greifswalder Philosoph ausführt, als berechtigt anerkennen und doch in der praktischen Frage andrer Meinung sein; und da diese Fragen jetzt wieder in Fluß zu kommen scheinen und man viel¬ leicht gnr eine Neuregelung des Promotionswesens erwarten kann, so lohnt es sich dielleicht, einige Worte darüber zu sagen. Daß eine Beschäftigung mit der Philosophie, d. h. das Streben, sich eine um¬ fassende Weltanschauung zu erarbeiten, sehr wertvoll ist in einer Zeit, die nnter dein Zeichen des Spezialistentums steht, wird kein Einsichtiger leugnen können. Jeder Lehrer, dem das Wohl seiner Schüler ernstlich am Herzen liegt, muß den Wunsch haben, daß sie nicht einseitige Fachmenschen werden. Aber daß die obligate Philosophie des Rigvrosums die Aufgabe erfüllt, den jungen Mann in einer er¬ sprießlichen Weise mit der Philosophie bekannt zu machen, muß ich nach meinen Erfahrungen bezweifeln. Auch Schuppe selbst gibt das eigentlich ehrlich zu; er hat durch die Erfahrung gelernt — und der Mehrzahl seiner Spezialkollegen geht es ebenso —, seine Examensnnforderungen sehr herabzusetzen und sich zufrieden zu geben, wenn „auch nur in einem Punkte einiges Verständnis des philosophischen Gednukens erreicht worden" ist; er hofft nämlich, daß den jungen Doktoren der Appetit beim Essen gekommen ist und sie jetzt soviel Interesse für die Philosophie gewonnen haben, daß sie sich nach dem Examen weiter mit ihr beschäftigen. Ich halte diese Hoffnung für ganz utopisch und fürchte, daß wer in der Prüfnngsnvt in Philosophische Bücher hineingeguckt hat. sie nach dem Examen meist nicht wieder ansieht. Die jungen Leute, die an unsern philosophischen Fakultäten studieren, haben meist als ihr eigentliches Ziel das Oberlehrerexamen im Auge. Sie bedürfen zu diesem mindestens dreier Spezialfächer und wollen gewöhnlich in zweien davon die Lehrbefnhigung für alle Klnsseu erreichen, in einem oder zweien die für mittlere. Die meisten von ihnen, anch solche, deren Mittel nicht allzu knnpp sind, haben den begreiflichen Wunsch, mit der gesetzlich als Mindestmaß vorgeschriebnen Zeit von acht Semestern auszukommen und sie anch dann nicht beträchtlich zu überschreiten, wenn sie — was ganz in ihr Belieben gestellt ist — das Doktorexamen machen; das geschieht dann gewöhnlich vor dem Staatsexamen. Ein Student von mittlerer Begabung — mit solche» muß man doch rechnen — ist während dieser Zeit durch seine Spezialfächer so gut wie ganz in Anspruch genommen; er muß nicht bloß über jedes eine Reihe von Vorlesungen hören und durcharbeiten, er muß außerdem an verschiednen Seminarien, Laboratorien, Praktika teilnehmen und dort wissenschaftliche Arbeiten anfertigen, die ihn für einige Zeit ganz in Anspruch nehmen. Aber schon der Zwang, verschiedne Fächer ernsthaft und gründlich zu treiben, verhindert eine günz einseitige Ausbildung: der Mathematiker muß ja Physik und etwa noch Bo¬ tanik und Zoologie studieren, der Historiker Geographie und Deutsch, der klassische Philolog z. B. Geschichte; also auch in dem ungünstigen Falle, daß ihm seiue Lehrer in zwei Fächern keine weiten Ideenkreise geben, wird doch wohl der des dritten dazu imstande sein. Aber wenn nun der Student neben seinem Fachstudium etwas freie Zeit übrig behalt, soll er denn durchaus gezwungen sein, sie auf Philosophie zu verwenden, wenn er diesem Fache kein Interesse entgegen bringt? Er hat viel¬ leicht von der Schule oder aus dem Elternhause Interesse für Kunstgeschichte oder Literatur oder naturwissenschaftliche Fragen mitgebracht, und er wird dann gern die Gelegenheit ergreifen, eine Vorlesung über Raffael, Goethe oder Darwin zu hören und daraus'vielleicht Anregung fürs ganze Leben mitzunehmen, ^etzt muß er aber auch philosophische Vorlesungen hören, oder er fühlt steh verpflichtet, sie wenigstens zu belegen; er hat vielleicht gar keinen nennenswerten Nutzen davon, anch wenn er regelmäßig hingeht, weil er es nur ans Pflichtgefühl tut. Endlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/571>, abgerufen am 24.11.2024.