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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Moderne englische Schutzzöllner

gebrochen sei. Sei dies eingetreten, so gingen die Preise rasch wieder in die
Höhe, sodaß auch die Konsumenten nnr vorübergehenden Nutzen aus dieser
Konkurrenz zögen, während die Produzenten dauernd geschädigt würden.
Dieser Zustand müsse aber lähmend ans die Unternehmungslust der Fabri¬
kanten einwirken; denn Energie und Initiative sei nur dort zu finden, wo die
Aussicht auf einen Gewinn winke. Dieselben Ursachen verhinderten auch da?
Aufkommen neuer Industrien, weil Erfindungen als das Ergebnis mühsamer
strebender Arbeit ebenfalls nur dort gemacht würden, wo mau einen ent
sprechenden Gewinn erwarten könne. Erfindungen ans genialer Intuition
seien äußerst selten. Tatsächlich sei auch in den letzten zwanzig Jahren in
England keine Industrie von Bedeutung eingeführt, keine wichtigere Erfindung
gemacht worden.

Ebenso ist nach Bhug die Lehre, daß jeder nur die Waren produziere,
die er am beseelt und billigsten erzeugen könne, ein Trugschluß. Denn der
Produzent habe durchaus nicht immer die Möglichkeit, ans einer zurückgehenden
Industrie seine Kapitalien zurückziehn, was außerdem immer mit einer Kapital-
Vernichtung verbunden sei. Industrien aber, die in der Ausdehnung begriffe"
wären, seien in England nicht vorhanden, sodaß der Übergang praktisch eine
Unmöglichkeit sei. Diese Aussichtslosigkeit in der Lage der englischen Industrie
verhindre auch, daß die englische Jngend eine gute Erziehung erhalte. Denn
ein Mensch strebe nur dann danach, seine Kenntnisse zu erweitern, wenn er
glaube, sie verwerten zu können. Dnzn sei aber in einem Lande des Frei
Handels keine Aussicht. Es fehle also auch das Streben nach besserer Aus¬
bildung, obwohl die Engländer an natürlicher Begabung hinter keinem Volke
zurückstünden.

Diese Entwicklung der englischen Verhältnisse führt Byng zu der Frage,
ob die englische Industrie noch Leistungsfähigkeit genng habe, die ungeheure
Einfuhr zu bezahlen, lind ob die übrigen auf die Zahlnngsbilanz einwirkenden
Umstände bedeutend genug seien, die immer stärker anschwellenden Einfuhr-
Überschüsse auszugleichen. Nach dem Verfasser ist das nicht mehr der Fall,
auch nach den optimistischsten Berechnungen der eben erwähnten Umstünde
sei die Zahlungsbilanz passiv; England müsse seine Verpflichtungen durch
Kapitalausfuhr decken. Der Freihandel schädige also England anch direkt.
Byng bestreitet demnach auch den dritten Satz der Freihändler, daß die Ein¬
fuhr durch die Ausfuhr bezahlt werden müsse, indem er die Möglichkeit von
Knpitalübertragungeu zugibt. Auch die übrigen Umstände, die die Zahlungs¬
bilanz außer der Ausfuhr aktiv beeinflussen, gehn nach dem Verfasser in ihrer
Bedeutung zurück. Das Verleihen von Kapitalien an das Ausland habe zum
Teil einem Zurückströmen der verliehenen Summen Platz gemacht. Die Schiff¬
fahrt würde nicht weiter ausgedehnt; sie gehe sogar wenigstens beim Personen-
transport zurück. Es hat also der Produzent nach Byng keinen Vorteil
vom Freihandel mehr, wenn er anch zugibt, daß die Freihnudelspolitik in den
Jahren unmittelbar nach ihrer Einführung (1846 bis 1875) sogar dem Produ¬
zenten Gewinn gebracht habe.

Der Untersuchung der Frage, ob die Freihandelspolitik deu übrigen Klassen


Moderne englische Schutzzöllner

gebrochen sei. Sei dies eingetreten, so gingen die Preise rasch wieder in die
Höhe, sodaß auch die Konsumenten nnr vorübergehenden Nutzen aus dieser
Konkurrenz zögen, während die Produzenten dauernd geschädigt würden.
Dieser Zustand müsse aber lähmend ans die Unternehmungslust der Fabri¬
kanten einwirken; denn Energie und Initiative sei nur dort zu finden, wo die
Aussicht auf einen Gewinn winke. Dieselben Ursachen verhinderten auch da?
Aufkommen neuer Industrien, weil Erfindungen als das Ergebnis mühsamer
strebender Arbeit ebenfalls nur dort gemacht würden, wo mau einen ent
sprechenden Gewinn erwarten könne. Erfindungen ans genialer Intuition
seien äußerst selten. Tatsächlich sei auch in den letzten zwanzig Jahren in
England keine Industrie von Bedeutung eingeführt, keine wichtigere Erfindung
gemacht worden.

Ebenso ist nach Bhug die Lehre, daß jeder nur die Waren produziere,
die er am beseelt und billigsten erzeugen könne, ein Trugschluß. Denn der
Produzent habe durchaus nicht immer die Möglichkeit, ans einer zurückgehenden
Industrie seine Kapitalien zurückziehn, was außerdem immer mit einer Kapital-
Vernichtung verbunden sei. Industrien aber, die in der Ausdehnung begriffe»
wären, seien in England nicht vorhanden, sodaß der Übergang praktisch eine
Unmöglichkeit sei. Diese Aussichtslosigkeit in der Lage der englischen Industrie
verhindre auch, daß die englische Jngend eine gute Erziehung erhalte. Denn
ein Mensch strebe nur dann danach, seine Kenntnisse zu erweitern, wenn er
glaube, sie verwerten zu können. Dnzn sei aber in einem Lande des Frei
Handels keine Aussicht. Es fehle also auch das Streben nach besserer Aus¬
bildung, obwohl die Engländer an natürlicher Begabung hinter keinem Volke
zurückstünden.

Diese Entwicklung der englischen Verhältnisse führt Byng zu der Frage,
ob die englische Industrie noch Leistungsfähigkeit genng habe, die ungeheure
Einfuhr zu bezahlen, lind ob die übrigen auf die Zahlnngsbilanz einwirkenden
Umstände bedeutend genug seien, die immer stärker anschwellenden Einfuhr-
Überschüsse auszugleichen. Nach dem Verfasser ist das nicht mehr der Fall,
auch nach den optimistischsten Berechnungen der eben erwähnten Umstünde
sei die Zahlungsbilanz passiv; England müsse seine Verpflichtungen durch
Kapitalausfuhr decken. Der Freihandel schädige also England anch direkt.
Byng bestreitet demnach auch den dritten Satz der Freihändler, daß die Ein¬
fuhr durch die Ausfuhr bezahlt werden müsse, indem er die Möglichkeit von
Knpitalübertragungeu zugibt. Auch die übrigen Umstände, die die Zahlungs¬
bilanz außer der Ausfuhr aktiv beeinflussen, gehn nach dem Verfasser in ihrer
Bedeutung zurück. Das Verleihen von Kapitalien an das Ausland habe zum
Teil einem Zurückströmen der verliehenen Summen Platz gemacht. Die Schiff¬
fahrt würde nicht weiter ausgedehnt; sie gehe sogar wenigstens beim Personen-
transport zurück. Es hat also der Produzent nach Byng keinen Vorteil
vom Freihandel mehr, wenn er anch zugibt, daß die Freihnudelspolitik in den
Jahren unmittelbar nach ihrer Einführung (1846 bis 1875) sogar dem Produ¬
zenten Gewinn gebracht habe.

Der Untersuchung der Frage, ob die Freihandelspolitik deu übrigen Klassen


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[0517] Moderne englische Schutzzöllner gebrochen sei. Sei dies eingetreten, so gingen die Preise rasch wieder in die Höhe, sodaß auch die Konsumenten nnr vorübergehenden Nutzen aus dieser Konkurrenz zögen, während die Produzenten dauernd geschädigt würden. Dieser Zustand müsse aber lähmend ans die Unternehmungslust der Fabri¬ kanten einwirken; denn Energie und Initiative sei nur dort zu finden, wo die Aussicht auf einen Gewinn winke. Dieselben Ursachen verhinderten auch da? Aufkommen neuer Industrien, weil Erfindungen als das Ergebnis mühsamer strebender Arbeit ebenfalls nur dort gemacht würden, wo mau einen ent sprechenden Gewinn erwarten könne. Erfindungen ans genialer Intuition seien äußerst selten. Tatsächlich sei auch in den letzten zwanzig Jahren in England keine Industrie von Bedeutung eingeführt, keine wichtigere Erfindung gemacht worden. Ebenso ist nach Bhug die Lehre, daß jeder nur die Waren produziere, die er am beseelt und billigsten erzeugen könne, ein Trugschluß. Denn der Produzent habe durchaus nicht immer die Möglichkeit, ans einer zurückgehenden Industrie seine Kapitalien zurückziehn, was außerdem immer mit einer Kapital- Vernichtung verbunden sei. Industrien aber, die in der Ausdehnung begriffe» wären, seien in England nicht vorhanden, sodaß der Übergang praktisch eine Unmöglichkeit sei. Diese Aussichtslosigkeit in der Lage der englischen Industrie verhindre auch, daß die englische Jngend eine gute Erziehung erhalte. Denn ein Mensch strebe nur dann danach, seine Kenntnisse zu erweitern, wenn er glaube, sie verwerten zu können. Dnzn sei aber in einem Lande des Frei Handels keine Aussicht. Es fehle also auch das Streben nach besserer Aus¬ bildung, obwohl die Engländer an natürlicher Begabung hinter keinem Volke zurückstünden. Diese Entwicklung der englischen Verhältnisse führt Byng zu der Frage, ob die englische Industrie noch Leistungsfähigkeit genng habe, die ungeheure Einfuhr zu bezahlen, lind ob die übrigen auf die Zahlnngsbilanz einwirkenden Umstände bedeutend genug seien, die immer stärker anschwellenden Einfuhr- Überschüsse auszugleichen. Nach dem Verfasser ist das nicht mehr der Fall, auch nach den optimistischsten Berechnungen der eben erwähnten Umstünde sei die Zahlungsbilanz passiv; England müsse seine Verpflichtungen durch Kapitalausfuhr decken. Der Freihandel schädige also England anch direkt. Byng bestreitet demnach auch den dritten Satz der Freihändler, daß die Ein¬ fuhr durch die Ausfuhr bezahlt werden müsse, indem er die Möglichkeit von Knpitalübertragungeu zugibt. Auch die übrigen Umstände, die die Zahlungs¬ bilanz außer der Ausfuhr aktiv beeinflussen, gehn nach dem Verfasser in ihrer Bedeutung zurück. Das Verleihen von Kapitalien an das Ausland habe zum Teil einem Zurückströmen der verliehenen Summen Platz gemacht. Die Schiff¬ fahrt würde nicht weiter ausgedehnt; sie gehe sogar wenigstens beim Personen- transport zurück. Es hat also der Produzent nach Byng keinen Vorteil vom Freihandel mehr, wenn er anch zugibt, daß die Freihnudelspolitik in den Jahren unmittelbar nach ihrer Einführung (1846 bis 1875) sogar dem Produ¬ zenten Gewinn gebracht habe. Der Untersuchung der Frage, ob die Freihandelspolitik deu übrigen Klassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/517>, abgerufen am 24.11.2024.