Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Die Irrtümer der Demokratie einer mit dein Gesetzgebungsrecht ausgestatteten Volksvertretung gibt es also Allerdings kann die Regierung vermittelnd eingreifen, aber da sie keiner Angesichts dieser parlamentarischen Verlotterung ist es nicht wunderbar, Die Irrtümer der Demokratie einer mit dein Gesetzgebungsrecht ausgestatteten Volksvertretung gibt es also Allerdings kann die Regierung vermittelnd eingreifen, aber da sie keiner Angesichts dieser parlamentarischen Verlotterung ist es nicht wunderbar, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240013"/> <fw type="header" place="top"> Die Irrtümer der Demokratie</fw><lb/> <p xml:id="ID_2369" prev="#ID_2368"> einer mit dein Gesetzgebungsrecht ausgestatteten Volksvertretung gibt es also<lb/> infolge des Durchdringens der Interessenvertretung keine Harmonie, sonder»<lb/> nur einen fortgesetzten Kampf, der abwechselnd zur schroffen Majorisierung<lb/> der einzelnen Gruppen führen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_2370"> Allerdings kann die Regierung vermittelnd eingreifen, aber da sie keiner<lb/> begutachtenden, sondern einer gesetzgebenden Versammlung gegenübersteht, zwingt<lb/> ihr Beruf sie, fortwährend zu Mitteln zu greifen, die nichts weniger als<lb/> moralisch sind, und bei deren Anwendung sie immer skrupelloser werden muß,<lb/> je schärfer sich die Interessengegensätze in der Volksvertretung zuspitzen. Wie<lb/> oft kommt die Regierung in die Lage, nützliche aber unpopuläre Maßregel»<lb/> zu treffen, zwischen den streitenden Parteien den Mittelweg zu gehn und sich<lb/> dadurch den Angriffen aller auszusetzen! Ihre Bemühungen, die Parteien zu<lb/> überzeugen, sind in der Regel vergeblich; als konstitutioneller Regierung bleibt<lb/> ihr also nichts andres übrig, als sie zu gewinnen, und zwar dnrch Befrie¬<lb/> digung persönlicher Ehrsucht, durch Zuwendung finanzieller oder politischer<lb/> Vorteile, sodaß der tuo^o al, trgÄioo, der parlamentarische Kuhhandel, so ver¬<lb/> ächtlich ihn auch die Demokratie in der Theorie zurückweist, tatsächlich doch zu<lb/> einem wesentlichen Bestandteil der modernen repräsentativen Verfassungen ge¬<lb/> worden ist. Der Umstand aber, daß die Regierung gezwungen ist, die Zu¬<lb/> stimmung der Volksvertretungen zu notwendigen Maßnahmen zu erschleichen<lb/> und zu erkaufen, hat die Volksvertretungen und die Regierungen verderbt.<lb/> Den Regierungen wurde dadurch der Weg gezeigt, wie sie sich auch für die<lb/> nicht im allgemeinen Interesse liegenden Maßnahmen die Zustimmung des<lb/> „souveränen Volkes" verschaffe« könnten; in den Parlamenten aber wurde der<lb/> Fraktionsgeist großgezogen, der auch vor den schmutzigsten Geschäfte-, nicht<lb/> zurücksehend, wenn dabei nur die parlamentarischen Formen gewahrt werden,<lb/> und der schließlich ohne Rücksicht auf den Staatszweck nur opponiert, um sich<lb/> seinen Widerstand ablaufen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2371" next="#ID_2372"> Angesichts dieser parlamentarischen Verlotterung ist es nicht wunderbar,<lb/> daß schließlich die modernen Repräsentativverfasfungen auch von innen heraus<lb/> zu faulen begannen. Weil man sah, wie sich die souveränen Vertreter des „ein¬<lb/> heitlichen Volkswillens" in Cliquen schieden, die einander die Herrschaft streitig<lb/> machten mit der Absicht, einander zu unterdrücken, wie jede Clique aber den? Be¬<lb/> griffe des Volks den der Partei unterschob, da versagte schließlich auch die<lb/> „Souveränität des Parlaments," zumal dn die moderne Philosophie als natür¬<lb/> liche Reaktion auf deu Gleichheitsschwindel des politischen Kollektivismus die<lb/> Autorität der demokratischen Lehre schon erschüttert hatte. Indem sich der<lb/> demokratische Lehrsatz von dem allgemeinen Willen und dessen Repräsentation<lb/> von Tag zu Tag deutlicher als ein Irrtum herausstellte, griff man wieder<lb/> auf die Souveränität des Einzelwillens zurück und zögerte nicht, die Lehren<lb/> Nietzsches ins politische Leben einzuführen und mit dein Schillerschen Worte:<lb/> "Mehrheit ist Unsinn" den ganzen ebenso künstlichem wie mühevollen Ban<lb/> unsrer Reprüsentativverfasflingen über den Haufen zu werfen. Zunächst kam<lb/> das Wort vou dem „Rechte der Minorität" in Schwang, aus ihm entwickelte<lb/> sich dann bald ganz folgerichtig die Obstruktion. Nun ging der andre Teil</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0457]
Die Irrtümer der Demokratie
einer mit dein Gesetzgebungsrecht ausgestatteten Volksvertretung gibt es also
infolge des Durchdringens der Interessenvertretung keine Harmonie, sonder»
nur einen fortgesetzten Kampf, der abwechselnd zur schroffen Majorisierung
der einzelnen Gruppen führen muß.
Allerdings kann die Regierung vermittelnd eingreifen, aber da sie keiner
begutachtenden, sondern einer gesetzgebenden Versammlung gegenübersteht, zwingt
ihr Beruf sie, fortwährend zu Mitteln zu greifen, die nichts weniger als
moralisch sind, und bei deren Anwendung sie immer skrupelloser werden muß,
je schärfer sich die Interessengegensätze in der Volksvertretung zuspitzen. Wie
oft kommt die Regierung in die Lage, nützliche aber unpopuläre Maßregel»
zu treffen, zwischen den streitenden Parteien den Mittelweg zu gehn und sich
dadurch den Angriffen aller auszusetzen! Ihre Bemühungen, die Parteien zu
überzeugen, sind in der Regel vergeblich; als konstitutioneller Regierung bleibt
ihr also nichts andres übrig, als sie zu gewinnen, und zwar dnrch Befrie¬
digung persönlicher Ehrsucht, durch Zuwendung finanzieller oder politischer
Vorteile, sodaß der tuo^o al, trgÄioo, der parlamentarische Kuhhandel, so ver¬
ächtlich ihn auch die Demokratie in der Theorie zurückweist, tatsächlich doch zu
einem wesentlichen Bestandteil der modernen repräsentativen Verfassungen ge¬
worden ist. Der Umstand aber, daß die Regierung gezwungen ist, die Zu¬
stimmung der Volksvertretungen zu notwendigen Maßnahmen zu erschleichen
und zu erkaufen, hat die Volksvertretungen und die Regierungen verderbt.
Den Regierungen wurde dadurch der Weg gezeigt, wie sie sich auch für die
nicht im allgemeinen Interesse liegenden Maßnahmen die Zustimmung des
„souveränen Volkes" verschaffe« könnten; in den Parlamenten aber wurde der
Fraktionsgeist großgezogen, der auch vor den schmutzigsten Geschäfte-, nicht
zurücksehend, wenn dabei nur die parlamentarischen Formen gewahrt werden,
und der schließlich ohne Rücksicht auf den Staatszweck nur opponiert, um sich
seinen Widerstand ablaufen zu lassen.
Angesichts dieser parlamentarischen Verlotterung ist es nicht wunderbar,
daß schließlich die modernen Repräsentativverfasfungen auch von innen heraus
zu faulen begannen. Weil man sah, wie sich die souveränen Vertreter des „ein¬
heitlichen Volkswillens" in Cliquen schieden, die einander die Herrschaft streitig
machten mit der Absicht, einander zu unterdrücken, wie jede Clique aber den? Be¬
griffe des Volks den der Partei unterschob, da versagte schließlich auch die
„Souveränität des Parlaments," zumal dn die moderne Philosophie als natür¬
liche Reaktion auf deu Gleichheitsschwindel des politischen Kollektivismus die
Autorität der demokratischen Lehre schon erschüttert hatte. Indem sich der
demokratische Lehrsatz von dem allgemeinen Willen und dessen Repräsentation
von Tag zu Tag deutlicher als ein Irrtum herausstellte, griff man wieder
auf die Souveränität des Einzelwillens zurück und zögerte nicht, die Lehren
Nietzsches ins politische Leben einzuführen und mit dein Schillerschen Worte:
"Mehrheit ist Unsinn" den ganzen ebenso künstlichem wie mühevollen Ban
unsrer Reprüsentativverfasflingen über den Haufen zu werfen. Zunächst kam
das Wort vou dem „Rechte der Minorität" in Schwang, aus ihm entwickelte
sich dann bald ganz folgerichtig die Obstruktion. Nun ging der andre Teil
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