Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Eine Inselreihe durch das griechische Meer Menschen ist unter der glühenden Lava und dem Aschenregen für immer In der Ferne aber, wo das blaue Meer mit dem blauen Himmel zu¬ Im Süden dagegen, wo das Meer im Sonnenlicht flimmerte und die Als wir aus den freien Platz vor dem Kloster zurückkehrten, fanden wir Eine Inselreihe durch das griechische Meer Menschen ist unter der glühenden Lava und dem Aschenregen für immer In der Ferne aber, wo das blaue Meer mit dem blauen Himmel zu¬ Im Süden dagegen, wo das Meer im Sonnenlicht flimmerte und die Als wir aus den freien Platz vor dem Kloster zurückkehrten, fanden wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239980"/> <fw type="header" place="top"> Eine Inselreihe durch das griechische Meer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2118" prev="#ID_2117"> Menschen ist unter der glühenden Lava und dem Aschenregen für immer<lb/> begraben worden. Der Name des Volkes ist verklungen, aber in der Tiefe<lb/> unter der Lava findet der grabende Forscher Gefäßscherben und primitive Werk¬<lb/> zeuge, die von seiner Existenz und seiner Lebensweise Kunde geben. Auf dieses<lb/> unbekannte Volk sind dann Griechen dorischen Stammes gefolgt, und neues<lb/> Leben ist auch aus diesen Ruinen erblüht. Wir schauen mit Freude herab auf<lb/> wohlgebaute Flecken und Dörfer und auf prangende Rebengefilde, die die<lb/> ganze schräge Außenfläche vom Rande bis zum Strande bedecken. Der Wein<lb/> von Santorin gilt als der feurigste und edelste der griechischen Weine. Denn<lb/> die Traube kocht nirgends einen köstlichem Saft, als auf verwittertem vulka¬<lb/> nischem Boden und auf den Hängen heißer Berge, deren Füße die bläuliche<lb/> Woge des Meeres kühlt. Die Russen lieben diesen Wein ganz besonders. Er<lb/> wird größtenteils nach Odessa exportiert, und dafür werden die der Insel<lb/> gänzlich fehlenden Produkte, Getreide und Holz, eingeführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2119"> In der Ferne aber, wo das blaue Meer mit dem blauen Himmel zu¬<lb/> sammenfloß, sahen wir am Horizonte dunkle, gezackte Felseninseln. Sie sind<lb/> — wie unser Geograph uns sagte — von gebildeten Menschen noch nicht be¬<lb/> sucht worden, und ihre Natur und ihre Bewohner sind deshalb den Männern<lb/> der Wissenschaft noch unbekannt. Dem türkischen Steuereintreiber werden sie<lb/> wohl bekannt sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2120"> Im Süden dagegen, wo das Meer im Sonnenlicht flimmerte und die<lb/> Mittagsglut einen feinen weißlichen Schleier über dem Horizont wob, da sah<lb/> unser staunendes Auge eine wahre Wundererscheinung. Von dem Schleier hob<lb/> sich anfangs fast unmerklich, dann aber in der reinern Luft klar und scharf<lb/> hervortretend, eine mächtige, vielzackige, schroffe Bergmasse ab, deren Gipfel<lb/> und Hänge vom Weißesten Schnee des Nordens erglänzten. Es war der über<lb/> 150 Kilometer entfernte Jda auf Kreta. Es kann kaum einen ergreifenderu,<lb/> majestätischem Anblick geben als diesen einsamen, über den Wassern schwebenden<lb/> Schneeriesen. Wohl wirkt auch die Kette weißer Alpenhäupter gewaltig auf<lb/> den, der sie von der Ebne aus schaut. Aber man sieht sie doch von ihrem<lb/> mütterlichen Boden aufsteige,?, man sieht die Füße, auf denen sie ruhn. Der<lb/> Jda dagegen erhob sich aus Meer und Dunst gleich einer Mürchenerscheinung,<lb/> einer in den Himmel hinein gebauten Geisterburg. Das Auge konnte sich nicht<lb/> losreißen von dieser Erscheinung, die das Herz mit unwiderstehlicher Gewalt<lb/> emporzog zu den ewigen Gewalten, die nach dein Glauben der Griechen einst<lb/> segenspendend auf diesem Gipfel thronten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2121" next="#ID_2122"> Als wir aus den freien Platz vor dem Kloster zurückkehrten, fanden wir<lb/> weder Menschen noch Tiere mehr vor. Die Tiere waren von den Agojaten<lb/> zur Sellada hinuntergeführt worden, dem tiefeingeschnittenen, schmalen Sattel,<lb/> der die beiden Gipfel des Kalkgebirges verbindet. Der Abstieg vom heiligen<lb/> Elias dorthin ist nämlich so steil und schwierig, daß man den Weg, statt zu<lb/> reiten, besser geht oder vielmehr klettert. Das taten wir denn auch und sahen<lb/> unten an beiden Seiten des Grates die Gräber der alten Therüer, in denen<lb/> viele interessante Vasen, Terrakottafiguren und Glasgefüßc gefunden worden<lb/> sind, wie wir sie schou im Museum zu Phira besichtigt hatten. Augenblicklich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0424]
Eine Inselreihe durch das griechische Meer
Menschen ist unter der glühenden Lava und dem Aschenregen für immer
begraben worden. Der Name des Volkes ist verklungen, aber in der Tiefe
unter der Lava findet der grabende Forscher Gefäßscherben und primitive Werk¬
zeuge, die von seiner Existenz und seiner Lebensweise Kunde geben. Auf dieses
unbekannte Volk sind dann Griechen dorischen Stammes gefolgt, und neues
Leben ist auch aus diesen Ruinen erblüht. Wir schauen mit Freude herab auf
wohlgebaute Flecken und Dörfer und auf prangende Rebengefilde, die die
ganze schräge Außenfläche vom Rande bis zum Strande bedecken. Der Wein
von Santorin gilt als der feurigste und edelste der griechischen Weine. Denn
die Traube kocht nirgends einen köstlichem Saft, als auf verwittertem vulka¬
nischem Boden und auf den Hängen heißer Berge, deren Füße die bläuliche
Woge des Meeres kühlt. Die Russen lieben diesen Wein ganz besonders. Er
wird größtenteils nach Odessa exportiert, und dafür werden die der Insel
gänzlich fehlenden Produkte, Getreide und Holz, eingeführt.
In der Ferne aber, wo das blaue Meer mit dem blauen Himmel zu¬
sammenfloß, sahen wir am Horizonte dunkle, gezackte Felseninseln. Sie sind
— wie unser Geograph uns sagte — von gebildeten Menschen noch nicht be¬
sucht worden, und ihre Natur und ihre Bewohner sind deshalb den Männern
der Wissenschaft noch unbekannt. Dem türkischen Steuereintreiber werden sie
wohl bekannt sein.
Im Süden dagegen, wo das Meer im Sonnenlicht flimmerte und die
Mittagsglut einen feinen weißlichen Schleier über dem Horizont wob, da sah
unser staunendes Auge eine wahre Wundererscheinung. Von dem Schleier hob
sich anfangs fast unmerklich, dann aber in der reinern Luft klar und scharf
hervortretend, eine mächtige, vielzackige, schroffe Bergmasse ab, deren Gipfel
und Hänge vom Weißesten Schnee des Nordens erglänzten. Es war der über
150 Kilometer entfernte Jda auf Kreta. Es kann kaum einen ergreifenderu,
majestätischem Anblick geben als diesen einsamen, über den Wassern schwebenden
Schneeriesen. Wohl wirkt auch die Kette weißer Alpenhäupter gewaltig auf
den, der sie von der Ebne aus schaut. Aber man sieht sie doch von ihrem
mütterlichen Boden aufsteige,?, man sieht die Füße, auf denen sie ruhn. Der
Jda dagegen erhob sich aus Meer und Dunst gleich einer Mürchenerscheinung,
einer in den Himmel hinein gebauten Geisterburg. Das Auge konnte sich nicht
losreißen von dieser Erscheinung, die das Herz mit unwiderstehlicher Gewalt
emporzog zu den ewigen Gewalten, die nach dein Glauben der Griechen einst
segenspendend auf diesem Gipfel thronten.
Als wir aus den freien Platz vor dem Kloster zurückkehrten, fanden wir
weder Menschen noch Tiere mehr vor. Die Tiere waren von den Agojaten
zur Sellada hinuntergeführt worden, dem tiefeingeschnittenen, schmalen Sattel,
der die beiden Gipfel des Kalkgebirges verbindet. Der Abstieg vom heiligen
Elias dorthin ist nämlich so steil und schwierig, daß man den Weg, statt zu
reiten, besser geht oder vielmehr klettert. Das taten wir denn auch und sahen
unten an beiden Seiten des Grates die Gräber der alten Therüer, in denen
viele interessante Vasen, Terrakottafiguren und Glasgefüßc gefunden worden
sind, wie wir sie schou im Museum zu Phira besichtigt hatten. Augenblicklich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |