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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Eine Inselreihe durch das griechische Meer

dem Abend von Jos Anhaltendes und Hervorragendes leistete. In einer Art
Schmollwinkel des Schiffes saßen wir auf Triumph- und Klappstühlen und
sangen, während das Schiff langsam in die offne See hinausfuhr, und der
Mond über dem Berge aufging, ein Volks- oder ein Kunstlied nach dem
andern. Bald sammelte sich um die Sänger ein zahlreiches Publikum. Der
Geheimrat Adler, der Schwiegervater Dörpfelds, der vor fünfundzwanzig
Jahren die Ausgrabungen von Olympia geleitet und jetzt die weite Reise
nicht gescheut hatte, um das Land seiner Mannesarbeit noch einmal zu schauen,
sowie seine Gemahlin und anch die IlMÄ -- so wurde Dörpfelds Gattin all¬
gemein genannt -- mit ihren Töchtern, den äkZxinissaks, standen lauschend
unter der Korona und spendeten dem Sängerchor Beifall. Auch die Ameri¬
kaner und Amerikanerinnen zeigten für die deutschen Lieder reges Interesse.
Später versuchten sie sich sogar selbst darin und sangen zum Beispiel mit
Vorliebe: "O Tannebaum, o Tcinnebcmm." Ja, das deutsche Volkslied ist
eine Macht auf dem Erdball und eine der stärksten Stützen des Deutschtums!
Als wir uns endlich nach Mitternacht zur Ruhe begaben, taten wir es in
dein frohen Gefühl, daß der nächste Tag ein Glanzpunkt der ganzen Reise
werden würde.

Thera wartete unser. Wir waren über diese Insel, die auch den Namen
Santorin, d. i. Santa Irene, führt, schon durch eine kleine Schrift ihres
archäologischen Erforschers, Hillers von Gärtringen, unterrichtet worden, die
uns Herr Bruckner in stillen Stunden der Seefahrt vorgelesen hatte. Die
Spannung, in der wir ohnehin waren, war dnrch diesen Bericht noch vermehrt
worden. Thera ist in geologischer, landschaftlicher und archäologischer Be¬
ziehung die merkwürdigste und wichtigste von allen Kykladen. Sie ist vulka¬
nischen Ursprungs und hat um 2000 v. Chr., als sie über und über mit Wald
bedeckt und von arbeitsamen Menschen bewohnt war nud scheinbar völlig ruhig
dalag, eine Doppelkatastrophe erlebt, gegen die der Ausbruch des Vesuvs ein
.Kinderspiel gewesen sein muß. Eine plötzliche Eruption des unterirdischen Feuers
öffnete einen Krater, der die Insel alsbald mit Lava, Schlacken und Bimsstein
bedeckte, sodaß alles Pflanzen- und Tierleben getötet wurde. Dann strömte durch
eine der Spalten das Meerwasser in das feurige Innere des Vulkans, und es
folgte nun der Eruption eine noch grausigere Dampfexplosion, die den Deckel
des Kessels, den Kraterkegel, sprengte und den Ring an verschiednen Stellen
zerriß. Jetzt ist Thera eine halbkreisförmige Sichel. Zwischen ihren End¬
punkten liegen die Insel Therasia und mehrere kleinere Eilande, deren unter-
brochne Umrißlinien den ursprünglichen ringförmigen Schluß des Ganzen
deutlich zeigen. Daß so außerordentliche, gewaltige Ereignisse höchst eigen¬
tümliche, ja in ihrer Art geradezu einzige landschaftliche Gebilde ergeben müssen,
liegt auf der Hand, und die sollten wir nun sehen. Am frühen Morgen des
nächsten Tages -- es war ein schöner, wolkenloser Maimorgen -- fuhr unser
Schiff langsam um die Nordspitze der vulkanischen Sichel herum in den innern
Hafen, der geologisch betrachtet ein Kratersee ist, hinein.

Ein ganz erstaunlicher, fast unheimlicher Anblick bot sich uns, als wir
das Deck betraten. Vor uns erhob sich die ringförmig gebogne Felswand,


Eine Inselreihe durch das griechische Meer

dem Abend von Jos Anhaltendes und Hervorragendes leistete. In einer Art
Schmollwinkel des Schiffes saßen wir auf Triumph- und Klappstühlen und
sangen, während das Schiff langsam in die offne See hinausfuhr, und der
Mond über dem Berge aufging, ein Volks- oder ein Kunstlied nach dem
andern. Bald sammelte sich um die Sänger ein zahlreiches Publikum. Der
Geheimrat Adler, der Schwiegervater Dörpfelds, der vor fünfundzwanzig
Jahren die Ausgrabungen von Olympia geleitet und jetzt die weite Reise
nicht gescheut hatte, um das Land seiner Mannesarbeit noch einmal zu schauen,
sowie seine Gemahlin und anch die IlMÄ — so wurde Dörpfelds Gattin all¬
gemein genannt — mit ihren Töchtern, den äkZxinissaks, standen lauschend
unter der Korona und spendeten dem Sängerchor Beifall. Auch die Ameri¬
kaner und Amerikanerinnen zeigten für die deutschen Lieder reges Interesse.
Später versuchten sie sich sogar selbst darin und sangen zum Beispiel mit
Vorliebe: „O Tannebaum, o Tcinnebcmm." Ja, das deutsche Volkslied ist
eine Macht auf dem Erdball und eine der stärksten Stützen des Deutschtums!
Als wir uns endlich nach Mitternacht zur Ruhe begaben, taten wir es in
dein frohen Gefühl, daß der nächste Tag ein Glanzpunkt der ganzen Reise
werden würde.

Thera wartete unser. Wir waren über diese Insel, die auch den Namen
Santorin, d. i. Santa Irene, führt, schon durch eine kleine Schrift ihres
archäologischen Erforschers, Hillers von Gärtringen, unterrichtet worden, die
uns Herr Bruckner in stillen Stunden der Seefahrt vorgelesen hatte. Die
Spannung, in der wir ohnehin waren, war dnrch diesen Bericht noch vermehrt
worden. Thera ist in geologischer, landschaftlicher und archäologischer Be¬
ziehung die merkwürdigste und wichtigste von allen Kykladen. Sie ist vulka¬
nischen Ursprungs und hat um 2000 v. Chr., als sie über und über mit Wald
bedeckt und von arbeitsamen Menschen bewohnt war nud scheinbar völlig ruhig
dalag, eine Doppelkatastrophe erlebt, gegen die der Ausbruch des Vesuvs ein
.Kinderspiel gewesen sein muß. Eine plötzliche Eruption des unterirdischen Feuers
öffnete einen Krater, der die Insel alsbald mit Lava, Schlacken und Bimsstein
bedeckte, sodaß alles Pflanzen- und Tierleben getötet wurde. Dann strömte durch
eine der Spalten das Meerwasser in das feurige Innere des Vulkans, und es
folgte nun der Eruption eine noch grausigere Dampfexplosion, die den Deckel
des Kessels, den Kraterkegel, sprengte und den Ring an verschiednen Stellen
zerriß. Jetzt ist Thera eine halbkreisförmige Sichel. Zwischen ihren End¬
punkten liegen die Insel Therasia und mehrere kleinere Eilande, deren unter-
brochne Umrißlinien den ursprünglichen ringförmigen Schluß des Ganzen
deutlich zeigen. Daß so außerordentliche, gewaltige Ereignisse höchst eigen¬
tümliche, ja in ihrer Art geradezu einzige landschaftliche Gebilde ergeben müssen,
liegt auf der Hand, und die sollten wir nun sehen. Am frühen Morgen des
nächsten Tages — es war ein schöner, wolkenloser Maimorgen — fuhr unser
Schiff langsam um die Nordspitze der vulkanischen Sichel herum in den innern
Hafen, der geologisch betrachtet ein Kratersee ist, hinein.

Ein ganz erstaunlicher, fast unheimlicher Anblick bot sich uns, als wir
das Deck betraten. Vor uns erhob sich die ringförmig gebogne Felswand,


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[0420] Eine Inselreihe durch das griechische Meer dem Abend von Jos Anhaltendes und Hervorragendes leistete. In einer Art Schmollwinkel des Schiffes saßen wir auf Triumph- und Klappstühlen und sangen, während das Schiff langsam in die offne See hinausfuhr, und der Mond über dem Berge aufging, ein Volks- oder ein Kunstlied nach dem andern. Bald sammelte sich um die Sänger ein zahlreiches Publikum. Der Geheimrat Adler, der Schwiegervater Dörpfelds, der vor fünfundzwanzig Jahren die Ausgrabungen von Olympia geleitet und jetzt die weite Reise nicht gescheut hatte, um das Land seiner Mannesarbeit noch einmal zu schauen, sowie seine Gemahlin und anch die IlMÄ — so wurde Dörpfelds Gattin all¬ gemein genannt — mit ihren Töchtern, den äkZxinissaks, standen lauschend unter der Korona und spendeten dem Sängerchor Beifall. Auch die Ameri¬ kaner und Amerikanerinnen zeigten für die deutschen Lieder reges Interesse. Später versuchten sie sich sogar selbst darin und sangen zum Beispiel mit Vorliebe: „O Tannebaum, o Tcinnebcmm." Ja, das deutsche Volkslied ist eine Macht auf dem Erdball und eine der stärksten Stützen des Deutschtums! Als wir uns endlich nach Mitternacht zur Ruhe begaben, taten wir es in dein frohen Gefühl, daß der nächste Tag ein Glanzpunkt der ganzen Reise werden würde. Thera wartete unser. Wir waren über diese Insel, die auch den Namen Santorin, d. i. Santa Irene, führt, schon durch eine kleine Schrift ihres archäologischen Erforschers, Hillers von Gärtringen, unterrichtet worden, die uns Herr Bruckner in stillen Stunden der Seefahrt vorgelesen hatte. Die Spannung, in der wir ohnehin waren, war dnrch diesen Bericht noch vermehrt worden. Thera ist in geologischer, landschaftlicher und archäologischer Be¬ ziehung die merkwürdigste und wichtigste von allen Kykladen. Sie ist vulka¬ nischen Ursprungs und hat um 2000 v. Chr., als sie über und über mit Wald bedeckt und von arbeitsamen Menschen bewohnt war nud scheinbar völlig ruhig dalag, eine Doppelkatastrophe erlebt, gegen die der Ausbruch des Vesuvs ein .Kinderspiel gewesen sein muß. Eine plötzliche Eruption des unterirdischen Feuers öffnete einen Krater, der die Insel alsbald mit Lava, Schlacken und Bimsstein bedeckte, sodaß alles Pflanzen- und Tierleben getötet wurde. Dann strömte durch eine der Spalten das Meerwasser in das feurige Innere des Vulkans, und es folgte nun der Eruption eine noch grausigere Dampfexplosion, die den Deckel des Kessels, den Kraterkegel, sprengte und den Ring an verschiednen Stellen zerriß. Jetzt ist Thera eine halbkreisförmige Sichel. Zwischen ihren End¬ punkten liegen die Insel Therasia und mehrere kleinere Eilande, deren unter- brochne Umrißlinien den ursprünglichen ringförmigen Schluß des Ganzen deutlich zeigen. Daß so außerordentliche, gewaltige Ereignisse höchst eigen¬ tümliche, ja in ihrer Art geradezu einzige landschaftliche Gebilde ergeben müssen, liegt auf der Hand, und die sollten wir nun sehen. Am frühen Morgen des nächsten Tages — es war ein schöner, wolkenloser Maimorgen — fuhr unser Schiff langsam um die Nordspitze der vulkanischen Sichel herum in den innern Hafen, der geologisch betrachtet ein Kratersee ist, hinein. Ein ganz erstaunlicher, fast unheimlicher Anblick bot sich uns, als wir das Deck betraten. Vor uns erhob sich die ringförmig gebogne Felswand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/420>, abgerufen am 24.11.2024.