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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Shakespeares Falstaff vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet

es ist kein einziges freundliches darunter. Das mildeste ist noch das Wort
des Prinzen: "Dies ist ein seltsamer Gesell." Von hier aber findet sich eine
ganze Stufenleiter immer schärferer Ausdrücke bis zu der drastischen Bezeich¬
nung Lord Bardolphs: "Heinrich Monmouths feistes Schwein, Sir John."
Sogar sein Zechkumpan Bardolph sagt über die Auskunftsmittel, auf die
Falstaff verfällt, um sein schmähliches Davonlaufen bei Gadshill zu bemänteln:
"Ich tat, was ich seit sieben Jahren nicht getan habe, ich wurde rot über
seine abscheulichen Einfülle." Das schärfste Urteil aber fällt sein älter Freund,
Prinz Heinrich, über ihn, nachdem er König geworden ist, und diese Szene
ist der Schlüssel zu der Stellung, die die Figur Fälstaffs in dem Dramen-
eyklns Shakespeares einnimmt; vergegenwärtigen wir sie uns deshalb.

Falstaff, voll fieberhafter Ungeduld, ist die ganze Nacht geritten und
kommt mit Schaal, Pistol und Bardolph völlig beschmutzt noch eben zur
rechten Zeit an. Der König kommt im Krönnngszuge, voran Falstasfs Tod¬
feind, der Oberrichter.


Falstaff:

Heil, König Heinz! mein königlicher Heinz!


Pistol:

Der Himmel schütze dich, erhabner Ruhmcssproß!

: Gott schütz dich, Herzensjunge!


Falstaff
König:

Sprecht mit dem eiteln Mann, Herr Oberrichter.


Oberrichter:

Seid ihr bei Sinnen? wißt ihr, was ihr sagt?


Falstaff:

Mein Fürst, mein Jens! dich red ich an, mein Herz!


König:

Ich kenn dich, Alter, nicht; an dein Gebet!

Wie schlecht steht einem Schalksnarr" Weißes Haar!
Ich träumte lang von einem solchen Mann,
So aufgeschwellt vom Schlemmen, alt und ruchlos:
Doch, nun erwacht, veracht ich meinen Traum.
Den Leib vermindre, mehre deine Tugend,
Laß ab vom Schwelgen, wisse, daß das Grab
Dir dreimal weiter gähnt als andern Menschen.

Also auch für Shakespeare ist Falstaff in erster Reihe Trunkenbold.


Erwidre nicht mit einem Narrenspaß,
Denk nicht, ich sei das Ding noch, das ich war;
Der Himmel weiß, und merken solls die Welt,
Daß ich mein vorges Selbst hinweggetan,
Wie nun auch die, so mir Gesellschaft hielten.

Diese Szene mit ihrem hoheitvollen Ernste, deren Mittelpunkt geradezu
der "Narr" Falstaff ist, beseitigt den letzten Zweifel. Der Dichter sagt uns
hier mit aller Deutlichkeit, daß dieser Falstaff nicht etwa nnr als komisches
Beiwerk zur Unterhaltung des Zuschauers dienen soll, daß er ihn vielmehr
durchaus ernst genommen haben will, und daß er in dem Gang der Handlung
eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Welche Aufgabe das ist, das haben
wir nun zu untersuchen. (Schluß folgt"




Shakespeares Falstaff vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet

es ist kein einziges freundliches darunter. Das mildeste ist noch das Wort
des Prinzen: „Dies ist ein seltsamer Gesell." Von hier aber findet sich eine
ganze Stufenleiter immer schärferer Ausdrücke bis zu der drastischen Bezeich¬
nung Lord Bardolphs: „Heinrich Monmouths feistes Schwein, Sir John."
Sogar sein Zechkumpan Bardolph sagt über die Auskunftsmittel, auf die
Falstaff verfällt, um sein schmähliches Davonlaufen bei Gadshill zu bemänteln:
„Ich tat, was ich seit sieben Jahren nicht getan habe, ich wurde rot über
seine abscheulichen Einfülle." Das schärfste Urteil aber fällt sein älter Freund,
Prinz Heinrich, über ihn, nachdem er König geworden ist, und diese Szene
ist der Schlüssel zu der Stellung, die die Figur Fälstaffs in dem Dramen-
eyklns Shakespeares einnimmt; vergegenwärtigen wir sie uns deshalb.

Falstaff, voll fieberhafter Ungeduld, ist die ganze Nacht geritten und
kommt mit Schaal, Pistol und Bardolph völlig beschmutzt noch eben zur
rechten Zeit an. Der König kommt im Krönnngszuge, voran Falstasfs Tod¬
feind, der Oberrichter.


Falstaff:

Heil, König Heinz! mein königlicher Heinz!


Pistol:

Der Himmel schütze dich, erhabner Ruhmcssproß!

: Gott schütz dich, Herzensjunge!


Falstaff
König:

Sprecht mit dem eiteln Mann, Herr Oberrichter.


Oberrichter:

Seid ihr bei Sinnen? wißt ihr, was ihr sagt?


Falstaff:

Mein Fürst, mein Jens! dich red ich an, mein Herz!


König:

Ich kenn dich, Alter, nicht; an dein Gebet!

Wie schlecht steht einem Schalksnarr» Weißes Haar!
Ich träumte lang von einem solchen Mann,
So aufgeschwellt vom Schlemmen, alt und ruchlos:
Doch, nun erwacht, veracht ich meinen Traum.
Den Leib vermindre, mehre deine Tugend,
Laß ab vom Schwelgen, wisse, daß das Grab
Dir dreimal weiter gähnt als andern Menschen.

Also auch für Shakespeare ist Falstaff in erster Reihe Trunkenbold.


Erwidre nicht mit einem Narrenspaß,
Denk nicht, ich sei das Ding noch, das ich war;
Der Himmel weiß, und merken solls die Welt,
Daß ich mein vorges Selbst hinweggetan,
Wie nun auch die, so mir Gesellschaft hielten.

Diese Szene mit ihrem hoheitvollen Ernste, deren Mittelpunkt geradezu
der „Narr" Falstaff ist, beseitigt den letzten Zweifel. Der Dichter sagt uns
hier mit aller Deutlichkeit, daß dieser Falstaff nicht etwa nnr als komisches
Beiwerk zur Unterhaltung des Zuschauers dienen soll, daß er ihn vielmehr
durchaus ernst genommen haben will, und daß er in dem Gang der Handlung
eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Welche Aufgabe das ist, das haben
wir nun zu untersuchen. (Schluß folgt»




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[0418] Shakespeares Falstaff vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet es ist kein einziges freundliches darunter. Das mildeste ist noch das Wort des Prinzen: „Dies ist ein seltsamer Gesell." Von hier aber findet sich eine ganze Stufenleiter immer schärferer Ausdrücke bis zu der drastischen Bezeich¬ nung Lord Bardolphs: „Heinrich Monmouths feistes Schwein, Sir John." Sogar sein Zechkumpan Bardolph sagt über die Auskunftsmittel, auf die Falstaff verfällt, um sein schmähliches Davonlaufen bei Gadshill zu bemänteln: „Ich tat, was ich seit sieben Jahren nicht getan habe, ich wurde rot über seine abscheulichen Einfülle." Das schärfste Urteil aber fällt sein älter Freund, Prinz Heinrich, über ihn, nachdem er König geworden ist, und diese Szene ist der Schlüssel zu der Stellung, die die Figur Fälstaffs in dem Dramen- eyklns Shakespeares einnimmt; vergegenwärtigen wir sie uns deshalb. Falstaff, voll fieberhafter Ungeduld, ist die ganze Nacht geritten und kommt mit Schaal, Pistol und Bardolph völlig beschmutzt noch eben zur rechten Zeit an. Der König kommt im Krönnngszuge, voran Falstasfs Tod¬ feind, der Oberrichter. Falstaff: Heil, König Heinz! mein königlicher Heinz! Pistol: Der Himmel schütze dich, erhabner Ruhmcssproß! : Gott schütz dich, Herzensjunge! Falstaff König: Sprecht mit dem eiteln Mann, Herr Oberrichter. Oberrichter: Seid ihr bei Sinnen? wißt ihr, was ihr sagt? Falstaff: Mein Fürst, mein Jens! dich red ich an, mein Herz! König: Ich kenn dich, Alter, nicht; an dein Gebet! Wie schlecht steht einem Schalksnarr» Weißes Haar! Ich träumte lang von einem solchen Mann, So aufgeschwellt vom Schlemmen, alt und ruchlos: Doch, nun erwacht, veracht ich meinen Traum. Den Leib vermindre, mehre deine Tugend, Laß ab vom Schwelgen, wisse, daß das Grab Dir dreimal weiter gähnt als andern Menschen. Also auch für Shakespeare ist Falstaff in erster Reihe Trunkenbold. Erwidre nicht mit einem Narrenspaß, Denk nicht, ich sei das Ding noch, das ich war; Der Himmel weiß, und merken solls die Welt, Daß ich mein vorges Selbst hinweggetan, Wie nun auch die, so mir Gesellschaft hielten. Diese Szene mit ihrem hoheitvollen Ernste, deren Mittelpunkt geradezu der „Narr" Falstaff ist, beseitigt den letzten Zweifel. Der Dichter sagt uns hier mit aller Deutlichkeit, daß dieser Falstaff nicht etwa nnr als komisches Beiwerk zur Unterhaltung des Zuschauers dienen soll, daß er ihn vielmehr durchaus ernst genommen haben will, und daß er in dem Gang der Handlung eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Welche Aufgabe das ist, das haben wir nun zu untersuchen. (Schluß folgt»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/418>, abgerufen am 24.11.2024.