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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Reichs umsomehr berührt worden, als die Person des Kaisers im Mittelpunkt
dieser Reden und Widerreden stand. Die Person des Kaisers kann aber weder im
Guten noch im Bösen vom Reichsgedanken getrennt werden. Dieser hat seit dein
Dreikaiserjahre manche schwere Belastungsprobe seiner Tragfähigkeit siegreich über¬
standen, es kann aber nicht frommen, solche Proben immer wieder zu erneuern.
Sicherlich gilt dies von allen Beteiligten, die dabei in Betracht kommen Wenn
aber dem Kaiser gegenüber der Hinweis wiederholt wird, daß der Reichstag und
der deutsche Kaiser an einem Tage geboren seien, so sollte anch der Reichstag
dessen eingedenk sein, wenn innerhalb der Wände seines Sitzungssaales der Kaiser
persönlich angegriffen wird Kaiser Bundesrat und Reichstag bilden gemeinlam
die krönende Spitze des Reichsbaues, dessen Fundamente mit dem Blute der Tau¬
sende gekittet sind, die pou Wen bis zur Loire gebettet liegen. Keiner der drei
kumm auf Kosten eines der ander" steigen, gleichmäßig sie alle trifft. Was dem
einen von ihnen geschieht.

Herr Sabatier hat die Note angeschlagen, und die sozialdemokratischen Redner
haben sie noch stärker betont, daß der Kaiser nur "der Präsident des deutschen
Bundes" sei, der "den Namen Deutscher Kaiser" führe. Mau braucht also eines
Tages uur den "Namen" zu kassieren, so bleibt nichts übrig als der Präsident
des deutschen Bundes, den in "deutsche Republik" umzuwandeln Herr Bebel der
sozialdemokratischen Mehrheit überläßt, die er für die dereinstige Regierungszeit des
heutigen Kronprinzen in Aussicht nimmt. Früher pflegte Herr Bebel seine poli¬
tischen Wechsel nur kurzer Sicht zu ziehn. Da die Weltgeschichte sie aber nicht
honoriert hat, so hat er wenigstens hierin die politische Kurzsichtigkeit aufgegeben
und zieht langfristige Sichten für seine Wechsel vor. Ob er damit die Weltgeschichte
geneigter machen wird, sie einzulösen, darf bezweifelt werden. Es müßte sonderbar
zugehn, und es müßten die unglaublichsten Fehler gemacht werden, wenn nicht die
Monarchie die Sozinldemokratie überleben sollte. Freilich werden die Monarchen
umsichtig und klug, energisch und tapfer sein müssen, aber gerade in dieser Be¬
ziehung enthält der Charakter des Deutschen Reichs als Bundesstaat Bürgschaften,
die dem Einheitsstaate fehlen würden. Der Kaiser ist im Jahre 1870 als primus
mehr zM-es gekürt worden. Dieser Umstand wird es jedem Nachfolger Wilhelms
des Ersten zur Pflicht machen, der erste unter seinesgleichen in Deutschland zu
sein, nicht uur durch die Geburt, sondern auch durch die Nbnng des angebornen
Amtes. Denn nicht die Geburt zum König von Preußen, sondern Hingebung und
Pflichttreue, Tapferkeit und Umsicht werden ihn als den xrimus mehr Mros erhalten.
Wilhelm dem Ersten die Kaiserkrone mizubieteu, ist den deutschen Fürsten leicht ge¬
macht worden, weil er als Regent wie als Feldherr, als Fürst wie als Mensch so
hervorragende und vorbildliche Eigenschaften gezeigt hatte, daß seine königliche Gestalt
längst über Dentschland schwebte, bevor König Ludwig dem berühmten Bismnrckischen
Konzept seinen Namen lieh.

Herr Sabatier hat auf dem Münchner Zentrumsdelegiertentage als Nachklang
zur Kaiserfeier noch einmal Protest eingelegt gegen die Auffassung des Reichskanzlers,
daß die Kaiseridee mit den teuersten Erinnerungen des deutschen Volkes unsre Welt-
stellung und unsre Zukunft repräsentiere. Herr Sabatier sieht hierin eine große
Gefahr sür das Reich, der Artikel 11 habe mir den Sinn eines Präsidiums unter
Gleichen. Herr Sabatier vergißt, daß erstlich in diesem Artikel 11 doch die ganze
preußische Hausmacht des Kaisers steckt, sodann daß die Verfassung noch eine ganze
Reihe von Artikeln enthält, die diesem Artikel Z1 Leben und Inhalt geben. So
stürmisch der Beifall anch gewesen sein mag den Nerr Sabatier auf billige Weise
von seinem Münchner Auditorium eingeheimst hat -- jede deutsche Flagge in den
bayrischen Bergen, jede deutsche Kokarde an einer bayrischen Svldatenmütze wiegt
tnnsende seiner Worte auf. Nicht der Artikel i 1, sondern die Gesamtheit der Ver¬
fassung hat den Kaiser geformt und ihn zu der mächtigen Herrschergestalt gemacht,
die im Namen von nahezu sechzig Millionen Deutschen im Rate der Volker spricht
und handelt; nicht zu einem Reichsbnreauvorsteher, der allenfalls die Ermächtigung
hat, abends den Schlüssel abziehn und mit nach Hanse nehmen zu dürfen. Deutsch-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Reichs umsomehr berührt worden, als die Person des Kaisers im Mittelpunkt
dieser Reden und Widerreden stand. Die Person des Kaisers kann aber weder im
Guten noch im Bösen vom Reichsgedanken getrennt werden. Dieser hat seit dein
Dreikaiserjahre manche schwere Belastungsprobe seiner Tragfähigkeit siegreich über¬
standen, es kann aber nicht frommen, solche Proben immer wieder zu erneuern.
Sicherlich gilt dies von allen Beteiligten, die dabei in Betracht kommen Wenn
aber dem Kaiser gegenüber der Hinweis wiederholt wird, daß der Reichstag und
der deutsche Kaiser an einem Tage geboren seien, so sollte anch der Reichstag
dessen eingedenk sein, wenn innerhalb der Wände seines Sitzungssaales der Kaiser
persönlich angegriffen wird Kaiser Bundesrat und Reichstag bilden gemeinlam
die krönende Spitze des Reichsbaues, dessen Fundamente mit dem Blute der Tau¬
sende gekittet sind, die pou Wen bis zur Loire gebettet liegen. Keiner der drei
kumm auf Kosten eines der ander» steigen, gleichmäßig sie alle trifft. Was dem
einen von ihnen geschieht.

Herr Sabatier hat die Note angeschlagen, und die sozialdemokratischen Redner
haben sie noch stärker betont, daß der Kaiser nur „der Präsident des deutschen
Bundes" sei, der „den Namen Deutscher Kaiser" führe. Mau braucht also eines
Tages uur den „Namen" zu kassieren, so bleibt nichts übrig als der Präsident
des deutschen Bundes, den in „deutsche Republik" umzuwandeln Herr Bebel der
sozialdemokratischen Mehrheit überläßt, die er für die dereinstige Regierungszeit des
heutigen Kronprinzen in Aussicht nimmt. Früher pflegte Herr Bebel seine poli¬
tischen Wechsel nur kurzer Sicht zu ziehn. Da die Weltgeschichte sie aber nicht
honoriert hat, so hat er wenigstens hierin die politische Kurzsichtigkeit aufgegeben
und zieht langfristige Sichten für seine Wechsel vor. Ob er damit die Weltgeschichte
geneigter machen wird, sie einzulösen, darf bezweifelt werden. Es müßte sonderbar
zugehn, und es müßten die unglaublichsten Fehler gemacht werden, wenn nicht die
Monarchie die Sozinldemokratie überleben sollte. Freilich werden die Monarchen
umsichtig und klug, energisch und tapfer sein müssen, aber gerade in dieser Be¬
ziehung enthält der Charakter des Deutschen Reichs als Bundesstaat Bürgschaften,
die dem Einheitsstaate fehlen würden. Der Kaiser ist im Jahre 1870 als primus
mehr zM-es gekürt worden. Dieser Umstand wird es jedem Nachfolger Wilhelms
des Ersten zur Pflicht machen, der erste unter seinesgleichen in Deutschland zu
sein, nicht uur durch die Geburt, sondern auch durch die Nbnng des angebornen
Amtes. Denn nicht die Geburt zum König von Preußen, sondern Hingebung und
Pflichttreue, Tapferkeit und Umsicht werden ihn als den xrimus mehr Mros erhalten.
Wilhelm dem Ersten die Kaiserkrone mizubieteu, ist den deutschen Fürsten leicht ge¬
macht worden, weil er als Regent wie als Feldherr, als Fürst wie als Mensch so
hervorragende und vorbildliche Eigenschaften gezeigt hatte, daß seine königliche Gestalt
längst über Dentschland schwebte, bevor König Ludwig dem berühmten Bismnrckischen
Konzept seinen Namen lieh.

Herr Sabatier hat auf dem Münchner Zentrumsdelegiertentage als Nachklang
zur Kaiserfeier noch einmal Protest eingelegt gegen die Auffassung des Reichskanzlers,
daß die Kaiseridee mit den teuersten Erinnerungen des deutschen Volkes unsre Welt-
stellung und unsre Zukunft repräsentiere. Herr Sabatier sieht hierin eine große
Gefahr sür das Reich, der Artikel 11 habe mir den Sinn eines Präsidiums unter
Gleichen. Herr Sabatier vergißt, daß erstlich in diesem Artikel 11 doch die ganze
preußische Hausmacht des Kaisers steckt, sodann daß die Verfassung noch eine ganze
Reihe von Artikeln enthält, die diesem Artikel Z1 Leben und Inhalt geben. So
stürmisch der Beifall anch gewesen sein mag den Nerr Sabatier auf billige Weise
von seinem Münchner Auditorium eingeheimst hat — jede deutsche Flagge in den
bayrischen Bergen, jede deutsche Kokarde an einer bayrischen Svldatenmütze wiegt
tnnsende seiner Worte auf. Nicht der Artikel i 1, sondern die Gesamtheit der Ver¬
fassung hat den Kaiser geformt und ihn zu der mächtigen Herrschergestalt gemacht,
die im Namen von nahezu sechzig Millionen Deutschen im Rate der Volker spricht
und handelt; nicht zu einem Reichsbnreauvorsteher, der allenfalls die Ermächtigung
hat, abends den Schlüssel abziehn und mit nach Hanse nehmen zu dürfen. Deutsch-


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[0375] Maßgebliches und Unmaßgebliches des Reichs umsomehr berührt worden, als die Person des Kaisers im Mittelpunkt dieser Reden und Widerreden stand. Die Person des Kaisers kann aber weder im Guten noch im Bösen vom Reichsgedanken getrennt werden. Dieser hat seit dein Dreikaiserjahre manche schwere Belastungsprobe seiner Tragfähigkeit siegreich über¬ standen, es kann aber nicht frommen, solche Proben immer wieder zu erneuern. Sicherlich gilt dies von allen Beteiligten, die dabei in Betracht kommen Wenn aber dem Kaiser gegenüber der Hinweis wiederholt wird, daß der Reichstag und der deutsche Kaiser an einem Tage geboren seien, so sollte anch der Reichstag dessen eingedenk sein, wenn innerhalb der Wände seines Sitzungssaales der Kaiser persönlich angegriffen wird Kaiser Bundesrat und Reichstag bilden gemeinlam die krönende Spitze des Reichsbaues, dessen Fundamente mit dem Blute der Tau¬ sende gekittet sind, die pou Wen bis zur Loire gebettet liegen. Keiner der drei kumm auf Kosten eines der ander» steigen, gleichmäßig sie alle trifft. Was dem einen von ihnen geschieht. Herr Sabatier hat die Note angeschlagen, und die sozialdemokratischen Redner haben sie noch stärker betont, daß der Kaiser nur „der Präsident des deutschen Bundes" sei, der „den Namen Deutscher Kaiser" führe. Mau braucht also eines Tages uur den „Namen" zu kassieren, so bleibt nichts übrig als der Präsident des deutschen Bundes, den in „deutsche Republik" umzuwandeln Herr Bebel der sozialdemokratischen Mehrheit überläßt, die er für die dereinstige Regierungszeit des heutigen Kronprinzen in Aussicht nimmt. Früher pflegte Herr Bebel seine poli¬ tischen Wechsel nur kurzer Sicht zu ziehn. Da die Weltgeschichte sie aber nicht honoriert hat, so hat er wenigstens hierin die politische Kurzsichtigkeit aufgegeben und zieht langfristige Sichten für seine Wechsel vor. Ob er damit die Weltgeschichte geneigter machen wird, sie einzulösen, darf bezweifelt werden. Es müßte sonderbar zugehn, und es müßten die unglaublichsten Fehler gemacht werden, wenn nicht die Monarchie die Sozinldemokratie überleben sollte. Freilich werden die Monarchen umsichtig und klug, energisch und tapfer sein müssen, aber gerade in dieser Be¬ ziehung enthält der Charakter des Deutschen Reichs als Bundesstaat Bürgschaften, die dem Einheitsstaate fehlen würden. Der Kaiser ist im Jahre 1870 als primus mehr zM-es gekürt worden. Dieser Umstand wird es jedem Nachfolger Wilhelms des Ersten zur Pflicht machen, der erste unter seinesgleichen in Deutschland zu sein, nicht uur durch die Geburt, sondern auch durch die Nbnng des angebornen Amtes. Denn nicht die Geburt zum König von Preußen, sondern Hingebung und Pflichttreue, Tapferkeit und Umsicht werden ihn als den xrimus mehr Mros erhalten. Wilhelm dem Ersten die Kaiserkrone mizubieteu, ist den deutschen Fürsten leicht ge¬ macht worden, weil er als Regent wie als Feldherr, als Fürst wie als Mensch so hervorragende und vorbildliche Eigenschaften gezeigt hatte, daß seine königliche Gestalt längst über Dentschland schwebte, bevor König Ludwig dem berühmten Bismnrckischen Konzept seinen Namen lieh. Herr Sabatier hat auf dem Münchner Zentrumsdelegiertentage als Nachklang zur Kaiserfeier noch einmal Protest eingelegt gegen die Auffassung des Reichskanzlers, daß die Kaiseridee mit den teuersten Erinnerungen des deutschen Volkes unsre Welt- stellung und unsre Zukunft repräsentiere. Herr Sabatier sieht hierin eine große Gefahr sür das Reich, der Artikel 11 habe mir den Sinn eines Präsidiums unter Gleichen. Herr Sabatier vergißt, daß erstlich in diesem Artikel 11 doch die ganze preußische Hausmacht des Kaisers steckt, sodann daß die Verfassung noch eine ganze Reihe von Artikeln enthält, die diesem Artikel Z1 Leben und Inhalt geben. So stürmisch der Beifall anch gewesen sein mag den Nerr Sabatier auf billige Weise von seinem Münchner Auditorium eingeheimst hat — jede deutsche Flagge in den bayrischen Bergen, jede deutsche Kokarde an einer bayrischen Svldatenmütze wiegt tnnsende seiner Worte auf. Nicht der Artikel i 1, sondern die Gesamtheit der Ver¬ fassung hat den Kaiser geformt und ihn zu der mächtigen Herrschergestalt gemacht, die im Namen von nahezu sechzig Millionen Deutschen im Rate der Volker spricht und handelt; nicht zu einem Reichsbnreauvorsteher, der allenfalls die Ermächtigung hat, abends den Schlüssel abziehn und mit nach Hanse nehmen zu dürfen. Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/375>, abgerufen am 27.07.2024.