Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Eine Inselreihe durch das griechische Meer möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wurden sie in ebenso geistreicher Da sämtliche Schlafkabinen um deu Salon herumlagen, so sah man, Nach dem möglichst rasch beendeten Frühstück eilte man anf Deck, wo sich Die Unreinlichkeit des Schuhwerks wäre aber noch nicht das Schlimmste Eine Inselreihe durch das griechische Meer möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wurden sie in ebenso geistreicher Da sämtliche Schlafkabinen um deu Salon herumlagen, so sah man, Nach dem möglichst rasch beendeten Frühstück eilte man anf Deck, wo sich Die Unreinlichkeit des Schuhwerks wäre aber noch nicht das Schlimmste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239912"/> <fw type="header" place="top"> Eine Inselreihe durch das griechische Meer</fw><lb/> <p xml:id="ID_1728" prev="#ID_1727"> möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wurden sie in ebenso geistreicher<lb/> Weise wiederholt, wie etwa in Paris vor einigen Jahren das berühmte:<lb/> voulkx-vous av8 Komarä«? all los «g.is8 dölss, ils ont volles s-nx pattss!<lb/> Wenn einer seinen Hut nicht finden konnte, wenn einer eine Zitrone haben<lb/> wollte, wenn einer bei Besichtigungen etwas, wovon die Rede war, nicht gleich<lb/> sah, immer hieß es: ?n krüh to insli? und immer ertönte aus mehreren<lb/> Mündern zugleich die Autwort: Roll lixote! Das dauerte so lange, bis<lb/> dieser Scherz an seiner Abgeschmacktheit erstarb.</p><lb/> <p xml:id="ID_1729"> Da sämtliche Schlafkabinen um deu Salon herumlagen, so sah man,<lb/> während man frühstückte, bald die eine bald die andre Tür sich öffnen und<lb/> durch möglichst schmale Spalten weißlich schimmernde Arme langen, um Krüge<lb/> auf den Boden zu setzen, während von innen eine weibliche Stimme 5Ihrn!<lb/> (Wasser) rief. Wurden die Krüge dann, oft nach geraumer Zeit, vom Auf¬<lb/> wärter gefüllt zurückgebracht, so langten dieselben Arme heraus, um sie in<lb/> Empfang zu nehmen. Manche Damen jedoch vermieden dieses Handierer, in¬<lb/> dem sie möglichst früh aufstanden und mit den ersten Herren zusammen am<lb/> Frühstückstisch erschienen. Im Salon selbst kampierten übrigens auch drei bis<lb/> vier Herren, und zwar auf Diwans in dem hintern, durch einen Vorhang abge¬<lb/> trennten Teil. Deren Toilette machte sich durch mannigfaltige Plausch-,<lb/> Prust- und Klappertöne bemerklich. Überhaupt geschah alles, was auf dem<lb/> Schiffe vorgenommen wurde, für das Gehör einfach öffentlich. Denn die<lb/> Kabinenwünde und -Türen waren so dünn, daß jedes lant gesprochne Wort,<lb/> jedes stärkere Geräusch in den Nebengelassen und im Salon zu hören war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1730"> Nach dem möglichst rasch beendeten Frühstück eilte man anf Deck, wo sich<lb/> die Insassen der zweiten Klasse gewöhnlich schon zahlreich eingefunden hatten.<lb/> Nun kam es darauf an, möglichst bald zum Stiefelwichser zu gelangen. Es<lb/> war nämlich für die ganze Gesellschaft ein einziger sogenannter Imstro iSchuh-<lb/> wichsjunge) mitgenommen worden. Vor dem stand man um in langer<lb/> Reihe. Natürlich ließen sich die Damen, obgleich sie theoretisch zu proklamieren<lb/> pflegten, daß sie keinerlei besondre Rücksichten wünschten, dabei gern den ihnen<lb/> von den Herren eingeräumten Vortritt gefallen, sodaß man unter Umständen<lb/> recht lange warten konnte, bis man endlich zur Schuhbürste gnädig zugelassen<lb/> wurde. Dazu kam noch ein andrer Mißstand. Ain ersten Tage nämlich hatte<lb/> jeder selbst das Schuhwichsen mit zehn Lepta fünf Pfennigen) bezahlt, und<lb/> der Junge hatte deshalb mit einem wahren Feuereifer gearbeitet. Da machte<lb/> Dörpfeld bekannt, daß niemand dein Jungen etwas geben solle; er werde ans<lb/> der gemeinsamen Kasse bezahlt. Kaum merkte dieser, daß er nichts mehr extra<lb/> bekam, so war es mit seinem Diensteifer vorbei. Er wichste nicht nur mit<lb/> gleich giltigster Schläfrigkeit, sondern mit ostentativer Nonchalance, erschien<lb/> jeden Tag später auf Deck, ja er war zuletzt oft gar nicht zu finden, sondern<lb/> schlief in irgend einer verborgnen Schiffsecke den sichern Schlaf des festbesol¬<lb/> deten Staatsbürgers. Wir gewöhnten uns also allmählich daran, mit unge-<lb/> putztcn Stiefeln herumzulaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1731" next="#ID_1732"> Die Unreinlichkeit des Schuhwerks wäre aber noch nicht das Schlimmste<lb/> gewesen. Wenn es nur bei Tisch und sollst auf dein Schiff ein klein wenig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0356]
Eine Inselreihe durch das griechische Meer
möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wurden sie in ebenso geistreicher
Weise wiederholt, wie etwa in Paris vor einigen Jahren das berühmte:
voulkx-vous av8 Komarä«? all los «g.is8 dölss, ils ont volles s-nx pattss!
Wenn einer seinen Hut nicht finden konnte, wenn einer eine Zitrone haben
wollte, wenn einer bei Besichtigungen etwas, wovon die Rede war, nicht gleich
sah, immer hieß es: ?n krüh to insli? und immer ertönte aus mehreren
Mündern zugleich die Autwort: Roll lixote! Das dauerte so lange, bis
dieser Scherz an seiner Abgeschmacktheit erstarb.
Da sämtliche Schlafkabinen um deu Salon herumlagen, so sah man,
während man frühstückte, bald die eine bald die andre Tür sich öffnen und
durch möglichst schmale Spalten weißlich schimmernde Arme langen, um Krüge
auf den Boden zu setzen, während von innen eine weibliche Stimme 5Ihrn!
(Wasser) rief. Wurden die Krüge dann, oft nach geraumer Zeit, vom Auf¬
wärter gefüllt zurückgebracht, so langten dieselben Arme heraus, um sie in
Empfang zu nehmen. Manche Damen jedoch vermieden dieses Handierer, in¬
dem sie möglichst früh aufstanden und mit den ersten Herren zusammen am
Frühstückstisch erschienen. Im Salon selbst kampierten übrigens auch drei bis
vier Herren, und zwar auf Diwans in dem hintern, durch einen Vorhang abge¬
trennten Teil. Deren Toilette machte sich durch mannigfaltige Plausch-,
Prust- und Klappertöne bemerklich. Überhaupt geschah alles, was auf dem
Schiffe vorgenommen wurde, für das Gehör einfach öffentlich. Denn die
Kabinenwünde und -Türen waren so dünn, daß jedes lant gesprochne Wort,
jedes stärkere Geräusch in den Nebengelassen und im Salon zu hören war.
Nach dem möglichst rasch beendeten Frühstück eilte man anf Deck, wo sich
die Insassen der zweiten Klasse gewöhnlich schon zahlreich eingefunden hatten.
Nun kam es darauf an, möglichst bald zum Stiefelwichser zu gelangen. Es
war nämlich für die ganze Gesellschaft ein einziger sogenannter Imstro iSchuh-
wichsjunge) mitgenommen worden. Vor dem stand man um in langer
Reihe. Natürlich ließen sich die Damen, obgleich sie theoretisch zu proklamieren
pflegten, daß sie keinerlei besondre Rücksichten wünschten, dabei gern den ihnen
von den Herren eingeräumten Vortritt gefallen, sodaß man unter Umständen
recht lange warten konnte, bis man endlich zur Schuhbürste gnädig zugelassen
wurde. Dazu kam noch ein andrer Mißstand. Ain ersten Tage nämlich hatte
jeder selbst das Schuhwichsen mit zehn Lepta fünf Pfennigen) bezahlt, und
der Junge hatte deshalb mit einem wahren Feuereifer gearbeitet. Da machte
Dörpfeld bekannt, daß niemand dein Jungen etwas geben solle; er werde ans
der gemeinsamen Kasse bezahlt. Kaum merkte dieser, daß er nichts mehr extra
bekam, so war es mit seinem Diensteifer vorbei. Er wichste nicht nur mit
gleich giltigster Schläfrigkeit, sondern mit ostentativer Nonchalance, erschien
jeden Tag später auf Deck, ja er war zuletzt oft gar nicht zu finden, sondern
schlief in irgend einer verborgnen Schiffsecke den sichern Schlaf des festbesol¬
deten Staatsbürgers. Wir gewöhnten uns also allmählich daran, mit unge-
putztcn Stiefeln herumzulaufen.
Die Unreinlichkeit des Schuhwerks wäre aber noch nicht das Schlimmste
gewesen. Wenn es nur bei Tisch und sollst auf dein Schiff ein klein wenig
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