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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Preußische Toleranz vor Friedrich dem Großen.

Ein schönes Beispiel
religiöser Toleranz aus dem vorfriderieianischeu Preußen lesen wir in den "Quellen
und Forschungen, herausgegeben vom Königlich preußischen historischen Institut in
Rom" 1902, S. 125ff. Es beweist, daß, wenn auch Friedrich der Große erst den
Katholiken in den rein evangelischen Provinzen Brandenburg und Pommern eine freie
Bewegung im größern Stile gewährt hat, seine Vorgänger im allgemeinen es an
Entgegenkommen gegenüber der katholischen Kirche nicht haben fehlen lassen. Des
großen Friedrichs Ahnen fühlten wohl, daß wahre Frömmigkeit Toleranz gegenüber
Andersgläubigen verlangt, im Gegensatz zu dem römische" Stuhl, der heute noch
den Glauben des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, der noch drzu eine eigne
Gesandtschaft bei ihm unterhalt, als "Ketzerei" bezeichnet, und dessen Preßorgane
Konvulsionen bekommen, weil Se. Peter auf protestantische Kirchen in Nom schauen
muß. Max Lehmann sagt von Friedrich Wilhelm dem Ersten (Preußen und die
katholische Kirche, I S. 408), daß es sein religiöses Gemüt unerträglich fand, einem
andern die Mittel zu religiöser Erhebung zu versagen, mochten diese auch immerhin
von einer fremden, ja feindlichen Kirche gereicht werden. Das von Walter Friedens¬
burg in den "Quellen und Forschungen" publizierte "Denkmal preußischer Toleranz
im achtzehnten Jahrhundert" (aus der Bibliothek Corsini; Ranke hatte schon darauf
hingewiesen) ist eine Bestätigung dieser einzig und allein frommen Gesinnung, die
in der Toleranz liegt, von unverdächtigster katholischer Seite herrührend. Es sind
Missionsberichte katholischer Ordensgeistlicher aus Preußen vom Jahre 1730, von
dem Päpstlichen Nuntius in Köln zusammengefaßt und in italienischer Sprache dem
Staatssekretär nach Nom übermittelt. Der Anfang lautet in Übersetzung: "Aus den
Relationen der Missionäre verschiedner Orden, die sich in den Staaten des Mark¬
grafen von Brandenburg aufhalten und die von den günstigen Dispositionen be¬
richten, die der Markgraf gegenüber der katholischen Kirche erkennen läßt, sodaß
sie sich im allgemeinen freier Religionsübung erfreuen kann, namentlich in Berlin,
Potsdam, Spandau, Halle und Hnmmersleben (Kloster im Halberstädtischen), und
daß es jedem Häretiker erlaubt ist, frei zum katholischen Glauben überzutreten,
was auch zahlreiche Konversionen im Gefolge hat." Aus den darauffolgenden
Spezialnachrichten sei bemerkt, daß der Markgraf von Brandenburg in Berlin,
Potsdam, Spandau auf seine Kosten katholische Missionäre unterhält und denen
Berlins erlaubt, mehrmals im Jahre bis zur schwedischen und zur polnischen
Grenze zu reisen, damit sie der militärischen Seelsorge für die katholischen Truppen
nachkommen können. Dabei wird noch hervorgehoben, daß der Gottesdienst auf
den "mu omzrovoli" Plätzen und Straßen auch der Stadt Berlin abgehalten werden
darf. Desgleichen ist die katholische Fürsorge für die Kranken, Gefangnen und
zum Tode Verurteilten geregelt und eine religiöse Erziehung der Soldatenkinder
gesichert. Die zwei Dominikaner in Potsdam erhalten jeder jährlich 300 Jmperiale
als Gehalt und haben die Pflicht, für Beichte (drei- bis viermal obligatorisch) und
Gottesdienst der Soldaten zu sorgen, auch die säumigen anzuzeigen. Und daß dabei
nicht allein an die durch die Ausübung der Religion zu sichernde militärische Er¬
ziehung und Disziplin gedacht wurde, beweist der Umstand, daß an den verschiedensten
Stellen eigne katholische Kapellen errichtet wurden, so in Magdeburg, Frankfurt a. O,
Adersleben, Althaldensleben und in Marienstühl-Egeln, wo früher für die beiden
Konfessionen gemeinsame -- namentlich die Cistercienserinnen peinlich berührende --
Gotteshäuser bestanden hatten. Und nicht genug kann der Ordensbericht loben, daß
dem Abt Martinus von Neuzeit, einem Cistercienser, die Kapelle des königlichen
Schlosses in Berlin eingeräumt wurde, damit er dort mit allem Prunk und der
vom Fürsten zur Verfügung gestellten Musik das Hochamt abhalte, und daß das
große kirchliche Schauspiel am zweiten Pfingsttage in Potsdam wiederholt wurde.
"Und zu beiden feierlichen Ämtern hatte sich der Markgraf mit seiner ganzen
Familie in größter Bescheidenheit eingestellt und wegen der großen Anzahl der
Katholischen die Vergrößerung der Kirche angeordnet, er, von dem man doch sicher


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Preußische Toleranz vor Friedrich dem Großen.

Ein schönes Beispiel
religiöser Toleranz aus dem vorfriderieianischeu Preußen lesen wir in den „Quellen
und Forschungen, herausgegeben vom Königlich preußischen historischen Institut in
Rom" 1902, S. 125ff. Es beweist, daß, wenn auch Friedrich der Große erst den
Katholiken in den rein evangelischen Provinzen Brandenburg und Pommern eine freie
Bewegung im größern Stile gewährt hat, seine Vorgänger im allgemeinen es an
Entgegenkommen gegenüber der katholischen Kirche nicht haben fehlen lassen. Des
großen Friedrichs Ahnen fühlten wohl, daß wahre Frömmigkeit Toleranz gegenüber
Andersgläubigen verlangt, im Gegensatz zu dem römische» Stuhl, der heute noch
den Glauben des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, der noch drzu eine eigne
Gesandtschaft bei ihm unterhalt, als „Ketzerei" bezeichnet, und dessen Preßorgane
Konvulsionen bekommen, weil Se. Peter auf protestantische Kirchen in Nom schauen
muß. Max Lehmann sagt von Friedrich Wilhelm dem Ersten (Preußen und die
katholische Kirche, I S. 408), daß es sein religiöses Gemüt unerträglich fand, einem
andern die Mittel zu religiöser Erhebung zu versagen, mochten diese auch immerhin
von einer fremden, ja feindlichen Kirche gereicht werden. Das von Walter Friedens¬
burg in den „Quellen und Forschungen" publizierte „Denkmal preußischer Toleranz
im achtzehnten Jahrhundert" (aus der Bibliothek Corsini; Ranke hatte schon darauf
hingewiesen) ist eine Bestätigung dieser einzig und allein frommen Gesinnung, die
in der Toleranz liegt, von unverdächtigster katholischer Seite herrührend. Es sind
Missionsberichte katholischer Ordensgeistlicher aus Preußen vom Jahre 1730, von
dem Päpstlichen Nuntius in Köln zusammengefaßt und in italienischer Sprache dem
Staatssekretär nach Nom übermittelt. Der Anfang lautet in Übersetzung: „Aus den
Relationen der Missionäre verschiedner Orden, die sich in den Staaten des Mark¬
grafen von Brandenburg aufhalten und die von den günstigen Dispositionen be¬
richten, die der Markgraf gegenüber der katholischen Kirche erkennen läßt, sodaß
sie sich im allgemeinen freier Religionsübung erfreuen kann, namentlich in Berlin,
Potsdam, Spandau, Halle und Hnmmersleben (Kloster im Halberstädtischen), und
daß es jedem Häretiker erlaubt ist, frei zum katholischen Glauben überzutreten,
was auch zahlreiche Konversionen im Gefolge hat." Aus den darauffolgenden
Spezialnachrichten sei bemerkt, daß der Markgraf von Brandenburg in Berlin,
Potsdam, Spandau auf seine Kosten katholische Missionäre unterhält und denen
Berlins erlaubt, mehrmals im Jahre bis zur schwedischen und zur polnischen
Grenze zu reisen, damit sie der militärischen Seelsorge für die katholischen Truppen
nachkommen können. Dabei wird noch hervorgehoben, daß der Gottesdienst auf
den „mu omzrovoli" Plätzen und Straßen auch der Stadt Berlin abgehalten werden
darf. Desgleichen ist die katholische Fürsorge für die Kranken, Gefangnen und
zum Tode Verurteilten geregelt und eine religiöse Erziehung der Soldatenkinder
gesichert. Die zwei Dominikaner in Potsdam erhalten jeder jährlich 300 Jmperiale
als Gehalt und haben die Pflicht, für Beichte (drei- bis viermal obligatorisch) und
Gottesdienst der Soldaten zu sorgen, auch die säumigen anzuzeigen. Und daß dabei
nicht allein an die durch die Ausübung der Religion zu sichernde militärische Er¬
ziehung und Disziplin gedacht wurde, beweist der Umstand, daß an den verschiedensten
Stellen eigne katholische Kapellen errichtet wurden, so in Magdeburg, Frankfurt a. O,
Adersleben, Althaldensleben und in Marienstühl-Egeln, wo früher für die beiden
Konfessionen gemeinsame — namentlich die Cistercienserinnen peinlich berührende —
Gotteshäuser bestanden hatten. Und nicht genug kann der Ordensbericht loben, daß
dem Abt Martinus von Neuzeit, einem Cistercienser, die Kapelle des königlichen
Schlosses in Berlin eingeräumt wurde, damit er dort mit allem Prunk und der
vom Fürsten zur Verfügung gestellten Musik das Hochamt abhalte, und daß das
große kirchliche Schauspiel am zweiten Pfingsttage in Potsdam wiederholt wurde.
»Und zu beiden feierlichen Ämtern hatte sich der Markgraf mit seiner ganzen
Familie in größter Bescheidenheit eingestellt und wegen der großen Anzahl der
Katholischen die Vergrößerung der Kirche angeordnet, er, von dem man doch sicher


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[0248] Maßgebliches und Unmaßgebliches Preußische Toleranz vor Friedrich dem Großen. Ein schönes Beispiel religiöser Toleranz aus dem vorfriderieianischeu Preußen lesen wir in den „Quellen und Forschungen, herausgegeben vom Königlich preußischen historischen Institut in Rom" 1902, S. 125ff. Es beweist, daß, wenn auch Friedrich der Große erst den Katholiken in den rein evangelischen Provinzen Brandenburg und Pommern eine freie Bewegung im größern Stile gewährt hat, seine Vorgänger im allgemeinen es an Entgegenkommen gegenüber der katholischen Kirche nicht haben fehlen lassen. Des großen Friedrichs Ahnen fühlten wohl, daß wahre Frömmigkeit Toleranz gegenüber Andersgläubigen verlangt, im Gegensatz zu dem römische» Stuhl, der heute noch den Glauben des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, der noch drzu eine eigne Gesandtschaft bei ihm unterhalt, als „Ketzerei" bezeichnet, und dessen Preßorgane Konvulsionen bekommen, weil Se. Peter auf protestantische Kirchen in Nom schauen muß. Max Lehmann sagt von Friedrich Wilhelm dem Ersten (Preußen und die katholische Kirche, I S. 408), daß es sein religiöses Gemüt unerträglich fand, einem andern die Mittel zu religiöser Erhebung zu versagen, mochten diese auch immerhin von einer fremden, ja feindlichen Kirche gereicht werden. Das von Walter Friedens¬ burg in den „Quellen und Forschungen" publizierte „Denkmal preußischer Toleranz im achtzehnten Jahrhundert" (aus der Bibliothek Corsini; Ranke hatte schon darauf hingewiesen) ist eine Bestätigung dieser einzig und allein frommen Gesinnung, die in der Toleranz liegt, von unverdächtigster katholischer Seite herrührend. Es sind Missionsberichte katholischer Ordensgeistlicher aus Preußen vom Jahre 1730, von dem Päpstlichen Nuntius in Köln zusammengefaßt und in italienischer Sprache dem Staatssekretär nach Nom übermittelt. Der Anfang lautet in Übersetzung: „Aus den Relationen der Missionäre verschiedner Orden, die sich in den Staaten des Mark¬ grafen von Brandenburg aufhalten und die von den günstigen Dispositionen be¬ richten, die der Markgraf gegenüber der katholischen Kirche erkennen läßt, sodaß sie sich im allgemeinen freier Religionsübung erfreuen kann, namentlich in Berlin, Potsdam, Spandau, Halle und Hnmmersleben (Kloster im Halberstädtischen), und daß es jedem Häretiker erlaubt ist, frei zum katholischen Glauben überzutreten, was auch zahlreiche Konversionen im Gefolge hat." Aus den darauffolgenden Spezialnachrichten sei bemerkt, daß der Markgraf von Brandenburg in Berlin, Potsdam, Spandau auf seine Kosten katholische Missionäre unterhält und denen Berlins erlaubt, mehrmals im Jahre bis zur schwedischen und zur polnischen Grenze zu reisen, damit sie der militärischen Seelsorge für die katholischen Truppen nachkommen können. Dabei wird noch hervorgehoben, daß der Gottesdienst auf den „mu omzrovoli" Plätzen und Straßen auch der Stadt Berlin abgehalten werden darf. Desgleichen ist die katholische Fürsorge für die Kranken, Gefangnen und zum Tode Verurteilten geregelt und eine religiöse Erziehung der Soldatenkinder gesichert. Die zwei Dominikaner in Potsdam erhalten jeder jährlich 300 Jmperiale als Gehalt und haben die Pflicht, für Beichte (drei- bis viermal obligatorisch) und Gottesdienst der Soldaten zu sorgen, auch die säumigen anzuzeigen. Und daß dabei nicht allein an die durch die Ausübung der Religion zu sichernde militärische Er¬ ziehung und Disziplin gedacht wurde, beweist der Umstand, daß an den verschiedensten Stellen eigne katholische Kapellen errichtet wurden, so in Magdeburg, Frankfurt a. O, Adersleben, Althaldensleben und in Marienstühl-Egeln, wo früher für die beiden Konfessionen gemeinsame — namentlich die Cistercienserinnen peinlich berührende — Gotteshäuser bestanden hatten. Und nicht genug kann der Ordensbericht loben, daß dem Abt Martinus von Neuzeit, einem Cistercienser, die Kapelle des königlichen Schlosses in Berlin eingeräumt wurde, damit er dort mit allem Prunk und der vom Fürsten zur Verfügung gestellten Musik das Hochamt abhalte, und daß das große kirchliche Schauspiel am zweiten Pfingsttage in Potsdam wiederholt wurde. »Und zu beiden feierlichen Ämtern hatte sich der Markgraf mit seiner ganzen Familie in größter Bescheidenheit eingestellt und wegen der großen Anzahl der Katholischen die Vergrößerung der Kirche angeordnet, er, von dem man doch sicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/248>, abgerufen am 24.11.2024.