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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Mitwelt- und Maisenvorsorgung

und Waisenversicherung ja doch nichts andres bedeute, als eine Entlastung
der Konnnunalarmeuverwaltung, der man auch ferner die Versorgung der
Witwen und der Waisen überlassen könne. Dabei übersehe man vollständig die
Hauptsache: "Haben wir eine Witwen- und Waisenversicherung, daun haben
die Witwen, die Waisen und die Kinder der Witwen einen Rechtsanspruch
auf die Unterstützung, und sie sind befreit von dem Odium, um Armenunter-
stützung einkommen und solche in Empfang nehmen zu müssen." Während er
in der Kommission bei der ersten Begründung seines Antrags ausdrücklich
gesagt hatte, die nötigen Mittel könnten zur Hälfte aus den Zinsen des an¬
zusammelnden Fpnds und aus den jährlichen Mehreinnahmen, "zur andern
Hälfte aber durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber" aufgebracht
werdeu, erklärte er am 21. November im Reichstage: "Heute, meine Herren,
scheidet für uns die Frage, ob für die Witwen- und Waisenversicherung Bei¬
träge zu erheben sind, vollkommen aus. Keiner meiner Freunde -- ich er¬
kläre das ausdrücklich --, der meinem Antrage zustimmt, bindet sich durch
diese Zustimmung dafür, daß in dem künftigen, spätestens am 1. Januar 1910
in Kraft tretenden Gesetze betreffend die Einrichtung einer Witwen- und Waisen¬
versicherung auch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeiter vorgesehen werden
sollen." Der Grund dafür sei, "daß im Kreise seiner Freunde lebhafte Be¬
denken obwalteten, die Landwirtschaft und das Handwerk mit neuen Beiträgen
für eine Witwen- und Waisenversicherung zu belasten."

Es würden danach die Gesamtkosten aus Reichsmitteln gedeckt werden
müssen. Ihre Höhe kann auch nicht annähernd voraus gesehen werden, wurde
aber in der Kommission auf mindestens hundert Millionen im Jahre geschützt.
Wahrscheinlich werden sich die Kosten beträchtlich höher stellen, ohne daß der
neue Zolltarif die geringste Gewähr dafür bietet, daß auch nur ein bescheidner
Teil davon durch die Mehrerträge der im Paragraph 15 aufgeführten Zölle
gedeckt werden wird. Sollte wirklich auf der Grundlage dieser Mehrerträge
die Witwen- und Waiscnversorgnng durchgeführt werden, so würden die zu
versorgenden Personen -- die man hier unberechtigterweise als "Versicherte"
bezeichnet -- jedenfalls mir auf eine ganz geringe, zur Deckung des Lebens¬
unterhalts bei weitem nicht ausreichende Jahresnnterstützung rechnen können.

Der Abgeordnete Trimborn berief sich am 21. November mit besonderm
Nachdruck darauf, daß der Reichskanzler am 5. Mürz 1901 im Reichstag
erklärt habe, er werde bei einer erheblichen Steigerung der Einnahmen aus
den Zöllen vorschlagen, diese Mehreimmhmen, soweit sie aus den Zöllen auf
die Lebensmittel flössen, "ganz wesentlich zur Hebung der Wohlfahrtsein-
richtungen im Reiche und zum Besten der weniger günstig gestellten Klassen
der Bevölkerung zu verwenden." Diese Erklärung ist einerseits viel bescheidner
als der Antrag Trimborn und der Paragraph 15, aber anderseits viel
weniger eng begrenzt. Von einer "Versicherung" der Witwen und der Waisen
ist darin ebensowenig die Rede wie von einer Einschränkung der Verwendung
der Mehrerträge auf die sogenannten "arbeitenden Klassen." Das, was der
Kanzler in Aussicht gestellt hat, konnte er mit gutem Gewissen in Aussicht
stellen. Das hauptsächlich veranlaßt uns zu nachfolgenden Betrachtungen und


Mitwelt- und Maisenvorsorgung

und Waisenversicherung ja doch nichts andres bedeute, als eine Entlastung
der Konnnunalarmeuverwaltung, der man auch ferner die Versorgung der
Witwen und der Waisen überlassen könne. Dabei übersehe man vollständig die
Hauptsache: „Haben wir eine Witwen- und Waisenversicherung, daun haben
die Witwen, die Waisen und die Kinder der Witwen einen Rechtsanspruch
auf die Unterstützung, und sie sind befreit von dem Odium, um Armenunter-
stützung einkommen und solche in Empfang nehmen zu müssen." Während er
in der Kommission bei der ersten Begründung seines Antrags ausdrücklich
gesagt hatte, die nötigen Mittel könnten zur Hälfte aus den Zinsen des an¬
zusammelnden Fpnds und aus den jährlichen Mehreinnahmen, „zur andern
Hälfte aber durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber" aufgebracht
werdeu, erklärte er am 21. November im Reichstage: „Heute, meine Herren,
scheidet für uns die Frage, ob für die Witwen- und Waisenversicherung Bei¬
träge zu erheben sind, vollkommen aus. Keiner meiner Freunde — ich er¬
kläre das ausdrücklich --, der meinem Antrage zustimmt, bindet sich durch
diese Zustimmung dafür, daß in dem künftigen, spätestens am 1. Januar 1910
in Kraft tretenden Gesetze betreffend die Einrichtung einer Witwen- und Waisen¬
versicherung auch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeiter vorgesehen werden
sollen." Der Grund dafür sei, „daß im Kreise seiner Freunde lebhafte Be¬
denken obwalteten, die Landwirtschaft und das Handwerk mit neuen Beiträgen
für eine Witwen- und Waisenversicherung zu belasten."

Es würden danach die Gesamtkosten aus Reichsmitteln gedeckt werden
müssen. Ihre Höhe kann auch nicht annähernd voraus gesehen werden, wurde
aber in der Kommission auf mindestens hundert Millionen im Jahre geschützt.
Wahrscheinlich werden sich die Kosten beträchtlich höher stellen, ohne daß der
neue Zolltarif die geringste Gewähr dafür bietet, daß auch nur ein bescheidner
Teil davon durch die Mehrerträge der im Paragraph 15 aufgeführten Zölle
gedeckt werden wird. Sollte wirklich auf der Grundlage dieser Mehrerträge
die Witwen- und Waiscnversorgnng durchgeführt werden, so würden die zu
versorgenden Personen — die man hier unberechtigterweise als „Versicherte"
bezeichnet — jedenfalls mir auf eine ganz geringe, zur Deckung des Lebens¬
unterhalts bei weitem nicht ausreichende Jahresnnterstützung rechnen können.

Der Abgeordnete Trimborn berief sich am 21. November mit besonderm
Nachdruck darauf, daß der Reichskanzler am 5. Mürz 1901 im Reichstag
erklärt habe, er werde bei einer erheblichen Steigerung der Einnahmen aus
den Zöllen vorschlagen, diese Mehreimmhmen, soweit sie aus den Zöllen auf
die Lebensmittel flössen, „ganz wesentlich zur Hebung der Wohlfahrtsein-
richtungen im Reiche und zum Besten der weniger günstig gestellten Klassen
der Bevölkerung zu verwenden." Diese Erklärung ist einerseits viel bescheidner
als der Antrag Trimborn und der Paragraph 15, aber anderseits viel
weniger eng begrenzt. Von einer „Versicherung" der Witwen und der Waisen
ist darin ebensowenig die Rede wie von einer Einschränkung der Verwendung
der Mehrerträge auf die sogenannten „arbeitenden Klassen." Das, was der
Kanzler in Aussicht gestellt hat, konnte er mit gutem Gewissen in Aussicht
stellen. Das hauptsächlich veranlaßt uns zu nachfolgenden Betrachtungen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/190>, abgerufen am 24.11.2024.