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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte Hohentmiels

Würdigen Schlosses, dessen Grundmauern wohl bis in die Tage Kaiser Heinrichs
des Vierten zurückgehn. Noch ragt der gewaltige Bergfried, wenn er muh
durch den Zahn der Zeit längst die Bekrönung verloren hat. wie ein sterbender
Gigant über die umgebenden Gebäude, aber aus seiner Mitte steigt siegreich
eine schlanke Dampfesse in die Luft: in die Ruine des Schlosses ist eben eine
Fabrik eingebaut worden, und der alte Bergfried birgt das Kesselhans. Gibt
es einen tresfenderu Ausdruck für die Tatsache, daß der alte Feudalstaat
durch den modernen Industriestaat überwältigt worden ist? Jetzt herrschen
Wollsäcke, Ölfässer und schwirrende Unter an der Stelle, wo einst der weit¬
gebietende "Vogt vom Hahn" seines Amtes waltete und deu ehrenfester Adel
der Umgegend um sich sammelte. Da ritten sie wohl oft zu Rat und Gelag
durch die Tore herein, die wohledeln Herren von Marus und von Skaffa, die
von Quersn und von Ebersbach, von Baselitz und Blattersleben, von Promnitz
und von Kalkreuth, späterhin auch die Pflugk und Köckeritz, die Lüttichau
und Milkau, und wie alle die Geschlechter heißen, die auf deu zahlreichen
Rittergütern der Großenhainer Pflege in Lust und Leid gesessen haben. Sie
sind zum größten Teil längst ausgestorben, ihre Namen schlummern in den
Pergamenten der Urkunden, aber das Gehäuse ihres Daseins ist uns doch in
vielen Fällen geblieben, die phantastische Wasserburg, in deren tiefen Gruben
die Teichrose blüht und der melancholische Schwan seine Bahnen zieht. Und
auch noch ein lebensprühendes Restchen der alten Feudalität ist gerade hier
vorhanden: die wiederauflebende Großenhainer Parforcejagd. Gerade als ich
an der Stelle des alten Naundorfer Tores die Stadt verließ, ritten drei vor-
nehme Kavaliere in grell roten Fracks, weißen Westen und schwarzen Mützen
langsam und feierlich herein -- der berittene Diener in gemessener Entfernung.
Vermutlich sollte zu Ehren des nahen Hubertustagcs ein Keiler ausgesetzt
werden. Es mag wohl ein schönes und hochgemutes Vergnügen sein, über Stock
und Stein, über Hecken und Gräbei, hinter der Meute herzureiten, aber gefährlich
ists auch: die schöne Ahnfrau der Habsburger, Maria von Burgund, fand dabei
ihren frühen Tod. Wünschen wir also den kühnen Reitern, daß sie mit heiler
^.?ant davonkommen!




Zur Geschichte Hohentwiels
Albert Lambert'erger van

S sind im Jahre 1901 gerade hundert Jahre gewesen, daß
die einst so berühmte, heiß umfochtne, von Konrad Widerhvld
im Dreißigjährigen Kriege tapfer verteidigte Festung Hvhentwiel
nach ihrer schmähliche" Übergabe durch den Generalmajor v. Bil-
---M--ij finger und den Oberstleutnant Wolff an den französischen General
^andamme zerstört wurde. Vergebens hatte sich der württembergische Herzog
Miedrich durch den Kriegspräsidenten von Nicolai bei dem französischen Minister
Alexandre Berthier verwandt, auf Grund des einst von Vandamme gegebnen
Versprechens, die Festung in demselben Zustande wieder zurückzugeben, wieL


Zur Geschichte Hohentmiels

Würdigen Schlosses, dessen Grundmauern wohl bis in die Tage Kaiser Heinrichs
des Vierten zurückgehn. Noch ragt der gewaltige Bergfried, wenn er muh
durch den Zahn der Zeit längst die Bekrönung verloren hat. wie ein sterbender
Gigant über die umgebenden Gebäude, aber aus seiner Mitte steigt siegreich
eine schlanke Dampfesse in die Luft: in die Ruine des Schlosses ist eben eine
Fabrik eingebaut worden, und der alte Bergfried birgt das Kesselhans. Gibt
es einen tresfenderu Ausdruck für die Tatsache, daß der alte Feudalstaat
durch den modernen Industriestaat überwältigt worden ist? Jetzt herrschen
Wollsäcke, Ölfässer und schwirrende Unter an der Stelle, wo einst der weit¬
gebietende „Vogt vom Hahn" seines Amtes waltete und deu ehrenfester Adel
der Umgegend um sich sammelte. Da ritten sie wohl oft zu Rat und Gelag
durch die Tore herein, die wohledeln Herren von Marus und von Skaffa, die
von Quersn und von Ebersbach, von Baselitz und Blattersleben, von Promnitz
und von Kalkreuth, späterhin auch die Pflugk und Köckeritz, die Lüttichau
und Milkau, und wie alle die Geschlechter heißen, die auf deu zahlreichen
Rittergütern der Großenhainer Pflege in Lust und Leid gesessen haben. Sie
sind zum größten Teil längst ausgestorben, ihre Namen schlummern in den
Pergamenten der Urkunden, aber das Gehäuse ihres Daseins ist uns doch in
vielen Fällen geblieben, die phantastische Wasserburg, in deren tiefen Gruben
die Teichrose blüht und der melancholische Schwan seine Bahnen zieht. Und
auch noch ein lebensprühendes Restchen der alten Feudalität ist gerade hier
vorhanden: die wiederauflebende Großenhainer Parforcejagd. Gerade als ich
an der Stelle des alten Naundorfer Tores die Stadt verließ, ritten drei vor-
nehme Kavaliere in grell roten Fracks, weißen Westen und schwarzen Mützen
langsam und feierlich herein — der berittene Diener in gemessener Entfernung.
Vermutlich sollte zu Ehren des nahen Hubertustagcs ein Keiler ausgesetzt
werden. Es mag wohl ein schönes und hochgemutes Vergnügen sein, über Stock
und Stein, über Hecken und Gräbei, hinter der Meute herzureiten, aber gefährlich
ists auch: die schöne Ahnfrau der Habsburger, Maria von Burgund, fand dabei
ihren frühen Tod. Wünschen wir also den kühnen Reitern, daß sie mit heiler
^.?ant davonkommen!




Zur Geschichte Hohentwiels
Albert Lambert'erger van

S sind im Jahre 1901 gerade hundert Jahre gewesen, daß
die einst so berühmte, heiß umfochtne, von Konrad Widerhvld
im Dreißigjährigen Kriege tapfer verteidigte Festung Hvhentwiel
nach ihrer schmähliche» Übergabe durch den Generalmajor v. Bil-
—-M--ij finger und den Oberstleutnant Wolff an den französischen General
^andamme zerstört wurde. Vergebens hatte sich der württembergische Herzog
Miedrich durch den Kriegspräsidenten von Nicolai bei dem französischen Minister
Alexandre Berthier verwandt, auf Grund des einst von Vandamme gegebnen
Versprechens, die Festung in demselben Zustande wieder zurückzugeben, wieL


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[0167] Zur Geschichte Hohentmiels Würdigen Schlosses, dessen Grundmauern wohl bis in die Tage Kaiser Heinrichs des Vierten zurückgehn. Noch ragt der gewaltige Bergfried, wenn er muh durch den Zahn der Zeit längst die Bekrönung verloren hat. wie ein sterbender Gigant über die umgebenden Gebäude, aber aus seiner Mitte steigt siegreich eine schlanke Dampfesse in die Luft: in die Ruine des Schlosses ist eben eine Fabrik eingebaut worden, und der alte Bergfried birgt das Kesselhans. Gibt es einen tresfenderu Ausdruck für die Tatsache, daß der alte Feudalstaat durch den modernen Industriestaat überwältigt worden ist? Jetzt herrschen Wollsäcke, Ölfässer und schwirrende Unter an der Stelle, wo einst der weit¬ gebietende „Vogt vom Hahn" seines Amtes waltete und deu ehrenfester Adel der Umgegend um sich sammelte. Da ritten sie wohl oft zu Rat und Gelag durch die Tore herein, die wohledeln Herren von Marus und von Skaffa, die von Quersn und von Ebersbach, von Baselitz und Blattersleben, von Promnitz und von Kalkreuth, späterhin auch die Pflugk und Köckeritz, die Lüttichau und Milkau, und wie alle die Geschlechter heißen, die auf deu zahlreichen Rittergütern der Großenhainer Pflege in Lust und Leid gesessen haben. Sie sind zum größten Teil längst ausgestorben, ihre Namen schlummern in den Pergamenten der Urkunden, aber das Gehäuse ihres Daseins ist uns doch in vielen Fällen geblieben, die phantastische Wasserburg, in deren tiefen Gruben die Teichrose blüht und der melancholische Schwan seine Bahnen zieht. Und auch noch ein lebensprühendes Restchen der alten Feudalität ist gerade hier vorhanden: die wiederauflebende Großenhainer Parforcejagd. Gerade als ich an der Stelle des alten Naundorfer Tores die Stadt verließ, ritten drei vor- nehme Kavaliere in grell roten Fracks, weißen Westen und schwarzen Mützen langsam und feierlich herein — der berittene Diener in gemessener Entfernung. Vermutlich sollte zu Ehren des nahen Hubertustagcs ein Keiler ausgesetzt werden. Es mag wohl ein schönes und hochgemutes Vergnügen sein, über Stock und Stein, über Hecken und Gräbei, hinter der Meute herzureiten, aber gefährlich ists auch: die schöne Ahnfrau der Habsburger, Maria von Burgund, fand dabei ihren frühen Tod. Wünschen wir also den kühnen Reitern, daß sie mit heiler ^.?ant davonkommen! Zur Geschichte Hohentwiels Albert Lambert'erger van S sind im Jahre 1901 gerade hundert Jahre gewesen, daß die einst so berühmte, heiß umfochtne, von Konrad Widerhvld im Dreißigjährigen Kriege tapfer verteidigte Festung Hvhentwiel nach ihrer schmähliche» Übergabe durch den Generalmajor v. Bil- —-M--ij finger und den Oberstleutnant Wolff an den französischen General ^andamme zerstört wurde. Vergebens hatte sich der württembergische Herzog Miedrich durch den Kriegspräsidenten von Nicolai bei dem französischen Minister Alexandre Berthier verwandt, auf Grund des einst von Vandamme gegebnen Versprechens, die Festung in demselben Zustande wieder zurückzugeben, wieL

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/167>, abgerufen am 24.11.2024.