Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz Otto Eduard Schmidt von ^ Großenhain und die Großenhainer Pflege as sächsische Elbtal zeigt seit Jahrzehnten eine so rasch fortschrei¬ Diesem Zustande rastloser Entwicklung, unablässigen Entstehns und Ver- Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz Otto Eduard Schmidt von ^ Großenhain und die Großenhainer Pflege as sächsische Elbtal zeigt seit Jahrzehnten eine so rasch fortschrei¬ Diesem Zustande rastloser Entwicklung, unablässigen Entstehns und Ver- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239711"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341877_239555/figures/grenzboten_341877_239555_239711_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz<lb/><note type="byline"> Otto Eduard Schmidt</note> von<lb/> ^ Großenhain und die Großenhainer Pflege</head><lb/> <p xml:id="ID_737"> as sächsische Elbtal zeigt seit Jahrzehnten eine so rasch fortschrei¬<lb/> tende Besiedlung mit Wohnhäusern und Fabrikgebäuden, daß der<lb/> Zeitpunkt nicht mehr fern zu sein scheint, wo die ganze Strecke des<lb/> offnen breiten Flußtals vom Ende der Talenge des Elbscmdstein-<lb/> gebirges bei Pirna bis zum Südabhange der Meißner Sparberge ein<lb/> einziges zusanunenhängendes Häusermeer, ein sächsisches London sein wird, dessen<lb/> kraftvoll schlagende Herzkammern in dem links - und dem rechtselbischeu Dresden<lb/> liegen. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war es noch eine kleine<lb/> Reise, wenn jemand in der schwerfälligen Postkutsche von Dresden nach Meißen<lb/> fuhr, zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts waren Meißen und anderseits<lb/> much Pirna der Hauptstadt so nahe gerückt, daß beide in deu Vorortsverkehr<lb/> der Eisenbahn aufgenommen wurden. In deu Verkehrsadern dieses gigantischen<lb/> Häuserleibes brausen schon jetzt Tag und Nacht die Eisenbahnzüge, klingeln<lb/> die elektrischen Bahnen, schnauben die Schleppdampfer, die Eil- und die Per¬<lb/> sonendampfer zu Berg und zu Tal, rollen die Lastwagen, rasseln die Maschinen,<lb/> qualmen die Schlote, Hetzen die Menschen sich und andre ab, werden die Güter,<lb/> die beweglichen wie die unbeweglichen, nach den eisernen Gesetzen der Gesell¬<lb/> schaftswissenschaft in unaufhörlichem Wechsel herüber und hinüber geschoben.</p><lb/> <p xml:id="ID_738" next="#ID_739"> Diesem Zustande rastloser Entwicklung, unablässigen Entstehns und Ver-<lb/> gehns entspricht anch die Wohn- und die Siedlungsweise der Einwohner. Die<lb/> Verwandlung, die sich hier vor unsern Augen vollzieht, hat fast etwas Ameri¬<lb/> kanisches. Noch vor dreißig Jahren war Loschwitz ein ländlicher Ort, der die<lb/> sanften Reize der Körner-Schillerschen Zeit in fast unveränderter Reinheit wieder¬<lb/> strahlte; jetzt ist es ein menschenwimmelnder Vorort, sein an der Elbe liegender<lb/> Kern ein Stadtviertel in „geschlossener Bauweise," die bergigen Ränder sind voll<lb/> vou übereinaudergeschachtelteu sogenannten Landhäusern, die aber in Wahrheit<lb/> meist nur übel angebrachte schwerfällige städtische Steinkolosse sind. So denke<lb/> ich mir etwa die „Ländlichkeit" des römischen Tusculums oder Tiburs in den<lb/> ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit! — Noch vor dreißig Jahren ging ich als<lb/> Primaner mit der langen Pfeife von Dresden-Friedrichstadt nach dem Bauern¬<lb/> dorfe „Froschcotte" (Cotta) spazieren; drang man aber einmal zur Traubenzeit<lb/> weiter stromabwärts bis in einen der kleinen mit Weinlauben überwachsuen<lb/> Gasthofsgürten der Elbdörfer Kemnitz oder Stetzsch vor, so saß man in der<lb/> unberührtesten Dörflichkeit, wo die Bauern in Hemdärmeln beim Glase Schieler¬<lb/> wein Kegel schoben. Heute ist an alleu diesen Punkten längst die städtische<lb/> steinerne Mietkaserne mit dem „Hypothekentnrm" als Siegerin eingezogen, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
[Abbildung]
Herbstbilder von der Roter und der pulsnitz
Otto Eduard Schmidt von
^ Großenhain und die Großenhainer Pflege
as sächsische Elbtal zeigt seit Jahrzehnten eine so rasch fortschrei¬
tende Besiedlung mit Wohnhäusern und Fabrikgebäuden, daß der
Zeitpunkt nicht mehr fern zu sein scheint, wo die ganze Strecke des
offnen breiten Flußtals vom Ende der Talenge des Elbscmdstein-
gebirges bei Pirna bis zum Südabhange der Meißner Sparberge ein
einziges zusanunenhängendes Häusermeer, ein sächsisches London sein wird, dessen
kraftvoll schlagende Herzkammern in dem links - und dem rechtselbischeu Dresden
liegen. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war es noch eine kleine
Reise, wenn jemand in der schwerfälligen Postkutsche von Dresden nach Meißen
fuhr, zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts waren Meißen und anderseits
much Pirna der Hauptstadt so nahe gerückt, daß beide in deu Vorortsverkehr
der Eisenbahn aufgenommen wurden. In deu Verkehrsadern dieses gigantischen
Häuserleibes brausen schon jetzt Tag und Nacht die Eisenbahnzüge, klingeln
die elektrischen Bahnen, schnauben die Schleppdampfer, die Eil- und die Per¬
sonendampfer zu Berg und zu Tal, rollen die Lastwagen, rasseln die Maschinen,
qualmen die Schlote, Hetzen die Menschen sich und andre ab, werden die Güter,
die beweglichen wie die unbeweglichen, nach den eisernen Gesetzen der Gesell¬
schaftswissenschaft in unaufhörlichem Wechsel herüber und hinüber geschoben.
Diesem Zustande rastloser Entwicklung, unablässigen Entstehns und Ver-
gehns entspricht anch die Wohn- und die Siedlungsweise der Einwohner. Die
Verwandlung, die sich hier vor unsern Augen vollzieht, hat fast etwas Ameri¬
kanisches. Noch vor dreißig Jahren war Loschwitz ein ländlicher Ort, der die
sanften Reize der Körner-Schillerschen Zeit in fast unveränderter Reinheit wieder¬
strahlte; jetzt ist es ein menschenwimmelnder Vorort, sein an der Elbe liegender
Kern ein Stadtviertel in „geschlossener Bauweise," die bergigen Ränder sind voll
vou übereinaudergeschachtelteu sogenannten Landhäusern, die aber in Wahrheit
meist nur übel angebrachte schwerfällige städtische Steinkolosse sind. So denke
ich mir etwa die „Ländlichkeit" des römischen Tusculums oder Tiburs in den
ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit! — Noch vor dreißig Jahren ging ich als
Primaner mit der langen Pfeife von Dresden-Friedrichstadt nach dem Bauern¬
dorfe „Froschcotte" (Cotta) spazieren; drang man aber einmal zur Traubenzeit
weiter stromabwärts bis in einen der kleinen mit Weinlauben überwachsuen
Gasthofsgürten der Elbdörfer Kemnitz oder Stetzsch vor, so saß man in der
unberührtesten Dörflichkeit, wo die Bauern in Hemdärmeln beim Glase Schieler¬
wein Kegel schoben. Heute ist an alleu diesen Punkten längst die städtische
steinerne Mietkaserne mit dem „Hypothekentnrm" als Siegerin eingezogen, und
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