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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Westen überschritt nur einmal, unter Alexander dein Großen, die Scheidelinie
flüchtig um ein weniges. Umgekehrt drangen mongolische und turanische Scharen
wiederholt nach dem Westen vor. Jetzt hat sich die Bewegung geändert, der
Schwerpunkt hat sich nach dem Westen verschoben, der erobernd ostwärts vorgeht,
und die Völker des Ostens, in ihrer frühern Tatkraft gänzlich gelähmt, beugen sich
vor dem von ihnen als unabänderlich erkannten Geschick. In diesen Gebieten liegt
Rußlands weltgeschichtlicher Beruf, an dieses Werk sind seine Kräfte auf Jahr¬
hunderte hinaus gebunden; und wenn sich auch immer wieder europäische Frage"
in den Vordergrund der russischen Politik drängen, so werden sie doch den dort
"ach Osten drängenden Strom der Weltgeschichte nicht aufhalten.

Durch die transkaspische Bahn ist Rußland in Zentralasien als zivilisierende
Macht aufgetreten und hat europäische Kultur verbreitet, wenn diese zunächst auch noch
ein kosakisches Gewand trägt. Sogar Engländer, wenn sie vorurteilsfrei zu sein ver¬
mögen, gestehn das zu: "Rußlands Vorgehn in diesen Gegenden bedeutet Fort¬
schritt und Zivilisation in barbarischen Ländern, Sklaverei und Menschendiebstahl
hören auf, und der Handel wird mancher Fessel entledigt." Tatsächlich steht gegen¬
wärtig in Chiwa und Bochara, wo noch vor dreißig Jahren jeder ankommende
"Ungläubige" in beständiger Lebensgefahr schwebte, das griechisch-orthodoxe Kreuz
geduldet nicht fern von der Moschee; die jahrhundertealten Hindernisse, die die
von undurchdringlichen Steppen umschlossenen Oasen Mittelasiens von der euro¬
päischen Kultur trennte", sind beseitigt. In den früher öden unwirtschaftlichen
Wüsten, wo Menschen niemals hatten weilen können, haben sich Massen von
Arbeitern und Handwerkern, Kaufleuten und Soldaten gesammelt; sie bauen Häuser
und Kirchen, Kasernen und Werkstätten, Apotheken, Fabriken und Geschnftsnieder-
lagen, sie pflanzen Baumschulen und befestigen den beweglichen Sandboden. Aus
den Ruinen von Kiön-Arome, Aschabad, Merw. Tschardschui, Bochara und Samar-
kand entstehn neue Städte mit ansehnlichem Handel und gedeihlichem Wohlstand,
mit zahlreichen Bewohnern, die sich von Jahr zu Jahr mehren.

Die Geschichte der transkaspischen Bahn ist sozusagen die Geschichte des
russischen Erfolgs in Zentralasien. Die Erschließung dieser durchaus fruchtbare"
Strecken durch den Bau der Militärbahn hat eine förmliche Umwälzung in der
wirtschaftlichen Natur des transkaspischen Gebiets mit sich gebracht und die Ver¬
brauchsfähigkeit der ehemaligen Charade von Chiwa und Bochara sowie Afghanistans
für russische Waren auf das Vielfache gesteigert. Namentlich infolge des durch
Arbeit erzielten Geldverdienstes hat sich die Bevölkerung, die bis dahin ein freies
Räuberleben geführt und ihre Plündcruugszüge im Norden bis Chiwa, im Süden
bis nach Khorassan ausgedehnt hatte, allmählich an ein geregeltes seßhaftes Leben
gewöhnt. Diese Erfolge find nicht mit einemmal und nur in ihrem letzten Verlauf
in raschem Tempo erreicht worden. Jahrzehntelang hatte man schon die Er¬
öffnung einer Wasserstraße bis zum afghanischen Gebiet durch die Ableitung des
Ann-Darja (Oxus) in das Knspische Meer erwogen. Aus leicht begreiflichen Gründen
verzögerte sich die Ausführung dieses kostspieligen und in seinem Erfolge keineswegs
gesicherten Planes. Um der gegen die räuberischen Telle-Turkmenen unternommenen
Strafexpedition des Generals Skobeleff den Nachschub vou Waffen, Munition und
Proviant zu sichern, wurde 1881/2 mit den vom letzten türkischen Kriege her im
Kaukasus unbenutzt lagernden Vorräten an Schienen und unteren Baumaterial eine
Militärbnhn vom Kaspischen Meer bis zur Achat-Telle-Ocise gebaut; als sich aber
England wegen der Einverleibung von Merw in den russischen Neichsverband und
wegen des niemals ganz aufgeklärten "Zwischenfalls" von Penschdeh sehr kriegerisch
gebärdete, wurde 1885 der Weiterbau nach Merw und kurz darauf bis Samarkand
angeordnet und binnen zwei Jahren durchgeführt. Die transkaspische Bahn durch¬
schneidet 400 Werst wasserlose Wüste, 160 Werst Halbwüste und nur 400 Werst
Kulturland. Für eine durchziehende Armee würde das Land keine Lebensmittel
bieten, auch die Zahl der Brunnen ist noch ungenügend. Gerade zwischen dem


Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Westen überschritt nur einmal, unter Alexander dein Großen, die Scheidelinie
flüchtig um ein weniges. Umgekehrt drangen mongolische und turanische Scharen
wiederholt nach dem Westen vor. Jetzt hat sich die Bewegung geändert, der
Schwerpunkt hat sich nach dem Westen verschoben, der erobernd ostwärts vorgeht,
und die Völker des Ostens, in ihrer frühern Tatkraft gänzlich gelähmt, beugen sich
vor dem von ihnen als unabänderlich erkannten Geschick. In diesen Gebieten liegt
Rußlands weltgeschichtlicher Beruf, an dieses Werk sind seine Kräfte auf Jahr¬
hunderte hinaus gebunden; und wenn sich auch immer wieder europäische Frage»
in den Vordergrund der russischen Politik drängen, so werden sie doch den dort
»ach Osten drängenden Strom der Weltgeschichte nicht aufhalten.

Durch die transkaspische Bahn ist Rußland in Zentralasien als zivilisierende
Macht aufgetreten und hat europäische Kultur verbreitet, wenn diese zunächst auch noch
ein kosakisches Gewand trägt. Sogar Engländer, wenn sie vorurteilsfrei zu sein ver¬
mögen, gestehn das zu: „Rußlands Vorgehn in diesen Gegenden bedeutet Fort¬
schritt und Zivilisation in barbarischen Ländern, Sklaverei und Menschendiebstahl
hören auf, und der Handel wird mancher Fessel entledigt." Tatsächlich steht gegen¬
wärtig in Chiwa und Bochara, wo noch vor dreißig Jahren jeder ankommende
„Ungläubige" in beständiger Lebensgefahr schwebte, das griechisch-orthodoxe Kreuz
geduldet nicht fern von der Moschee; die jahrhundertealten Hindernisse, die die
von undurchdringlichen Steppen umschlossenen Oasen Mittelasiens von der euro¬
päischen Kultur trennte», sind beseitigt. In den früher öden unwirtschaftlichen
Wüsten, wo Menschen niemals hatten weilen können, haben sich Massen von
Arbeitern und Handwerkern, Kaufleuten und Soldaten gesammelt; sie bauen Häuser
und Kirchen, Kasernen und Werkstätten, Apotheken, Fabriken und Geschnftsnieder-
lagen, sie pflanzen Baumschulen und befestigen den beweglichen Sandboden. Aus
den Ruinen von Kiön-Arome, Aschabad, Merw. Tschardschui, Bochara und Samar-
kand entstehn neue Städte mit ansehnlichem Handel und gedeihlichem Wohlstand,
mit zahlreichen Bewohnern, die sich von Jahr zu Jahr mehren.

Die Geschichte der transkaspischen Bahn ist sozusagen die Geschichte des
russischen Erfolgs in Zentralasien. Die Erschließung dieser durchaus fruchtbare»
Strecken durch den Bau der Militärbahn hat eine förmliche Umwälzung in der
wirtschaftlichen Natur des transkaspischen Gebiets mit sich gebracht und die Ver¬
brauchsfähigkeit der ehemaligen Charade von Chiwa und Bochara sowie Afghanistans
für russische Waren auf das Vielfache gesteigert. Namentlich infolge des durch
Arbeit erzielten Geldverdienstes hat sich die Bevölkerung, die bis dahin ein freies
Räuberleben geführt und ihre Plündcruugszüge im Norden bis Chiwa, im Süden
bis nach Khorassan ausgedehnt hatte, allmählich an ein geregeltes seßhaftes Leben
gewöhnt. Diese Erfolge find nicht mit einemmal und nur in ihrem letzten Verlauf
in raschem Tempo erreicht worden. Jahrzehntelang hatte man schon die Er¬
öffnung einer Wasserstraße bis zum afghanischen Gebiet durch die Ableitung des
Ann-Darja (Oxus) in das Knspische Meer erwogen. Aus leicht begreiflichen Gründen
verzögerte sich die Ausführung dieses kostspieligen und in seinem Erfolge keineswegs
gesicherten Planes. Um der gegen die räuberischen Telle-Turkmenen unternommenen
Strafexpedition des Generals Skobeleff den Nachschub vou Waffen, Munition und
Proviant zu sichern, wurde 1881/2 mit den vom letzten türkischen Kriege her im
Kaukasus unbenutzt lagernden Vorräten an Schienen und unteren Baumaterial eine
Militärbnhn vom Kaspischen Meer bis zur Achat-Telle-Ocise gebaut; als sich aber
England wegen der Einverleibung von Merw in den russischen Neichsverband und
wegen des niemals ganz aufgeklärten „Zwischenfalls" von Penschdeh sehr kriegerisch
gebärdete, wurde 1885 der Weiterbau nach Merw und kurz darauf bis Samarkand
angeordnet und binnen zwei Jahren durchgeführt. Die transkaspische Bahn durch¬
schneidet 400 Werst wasserlose Wüste, 160 Werst Halbwüste und nur 400 Werst
Kulturland. Für eine durchziehende Armee würde das Land keine Lebensmittel
bieten, auch die Zahl der Brunnen ist noch ungenügend. Gerade zwischen dem


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[0120] Maßgebliches und Unmaßgebliches der Westen überschritt nur einmal, unter Alexander dein Großen, die Scheidelinie flüchtig um ein weniges. Umgekehrt drangen mongolische und turanische Scharen wiederholt nach dem Westen vor. Jetzt hat sich die Bewegung geändert, der Schwerpunkt hat sich nach dem Westen verschoben, der erobernd ostwärts vorgeht, und die Völker des Ostens, in ihrer frühern Tatkraft gänzlich gelähmt, beugen sich vor dem von ihnen als unabänderlich erkannten Geschick. In diesen Gebieten liegt Rußlands weltgeschichtlicher Beruf, an dieses Werk sind seine Kräfte auf Jahr¬ hunderte hinaus gebunden; und wenn sich auch immer wieder europäische Frage» in den Vordergrund der russischen Politik drängen, so werden sie doch den dort »ach Osten drängenden Strom der Weltgeschichte nicht aufhalten. Durch die transkaspische Bahn ist Rußland in Zentralasien als zivilisierende Macht aufgetreten und hat europäische Kultur verbreitet, wenn diese zunächst auch noch ein kosakisches Gewand trägt. Sogar Engländer, wenn sie vorurteilsfrei zu sein ver¬ mögen, gestehn das zu: „Rußlands Vorgehn in diesen Gegenden bedeutet Fort¬ schritt und Zivilisation in barbarischen Ländern, Sklaverei und Menschendiebstahl hören auf, und der Handel wird mancher Fessel entledigt." Tatsächlich steht gegen¬ wärtig in Chiwa und Bochara, wo noch vor dreißig Jahren jeder ankommende „Ungläubige" in beständiger Lebensgefahr schwebte, das griechisch-orthodoxe Kreuz geduldet nicht fern von der Moschee; die jahrhundertealten Hindernisse, die die von undurchdringlichen Steppen umschlossenen Oasen Mittelasiens von der euro¬ päischen Kultur trennte», sind beseitigt. In den früher öden unwirtschaftlichen Wüsten, wo Menschen niemals hatten weilen können, haben sich Massen von Arbeitern und Handwerkern, Kaufleuten und Soldaten gesammelt; sie bauen Häuser und Kirchen, Kasernen und Werkstätten, Apotheken, Fabriken und Geschnftsnieder- lagen, sie pflanzen Baumschulen und befestigen den beweglichen Sandboden. Aus den Ruinen von Kiön-Arome, Aschabad, Merw. Tschardschui, Bochara und Samar- kand entstehn neue Städte mit ansehnlichem Handel und gedeihlichem Wohlstand, mit zahlreichen Bewohnern, die sich von Jahr zu Jahr mehren. Die Geschichte der transkaspischen Bahn ist sozusagen die Geschichte des russischen Erfolgs in Zentralasien. Die Erschließung dieser durchaus fruchtbare» Strecken durch den Bau der Militärbahn hat eine förmliche Umwälzung in der wirtschaftlichen Natur des transkaspischen Gebiets mit sich gebracht und die Ver¬ brauchsfähigkeit der ehemaligen Charade von Chiwa und Bochara sowie Afghanistans für russische Waren auf das Vielfache gesteigert. Namentlich infolge des durch Arbeit erzielten Geldverdienstes hat sich die Bevölkerung, die bis dahin ein freies Räuberleben geführt und ihre Plündcruugszüge im Norden bis Chiwa, im Süden bis nach Khorassan ausgedehnt hatte, allmählich an ein geregeltes seßhaftes Leben gewöhnt. Diese Erfolge find nicht mit einemmal und nur in ihrem letzten Verlauf in raschem Tempo erreicht worden. Jahrzehntelang hatte man schon die Er¬ öffnung einer Wasserstraße bis zum afghanischen Gebiet durch die Ableitung des Ann-Darja (Oxus) in das Knspische Meer erwogen. Aus leicht begreiflichen Gründen verzögerte sich die Ausführung dieses kostspieligen und in seinem Erfolge keineswegs gesicherten Planes. Um der gegen die räuberischen Telle-Turkmenen unternommenen Strafexpedition des Generals Skobeleff den Nachschub vou Waffen, Munition und Proviant zu sichern, wurde 1881/2 mit den vom letzten türkischen Kriege her im Kaukasus unbenutzt lagernden Vorräten an Schienen und unteren Baumaterial eine Militärbnhn vom Kaspischen Meer bis zur Achat-Telle-Ocise gebaut; als sich aber England wegen der Einverleibung von Merw in den russischen Neichsverband und wegen des niemals ganz aufgeklärten „Zwischenfalls" von Penschdeh sehr kriegerisch gebärdete, wurde 1885 der Weiterbau nach Merw und kurz darauf bis Samarkand angeordnet und binnen zwei Jahren durchgeführt. Die transkaspische Bahn durch¬ schneidet 400 Werst wasserlose Wüste, 160 Werst Halbwüste und nur 400 Werst Kulturland. Für eine durchziehende Armee würde das Land keine Lebensmittel bieten, auch die Zahl der Brunnen ist noch ungenügend. Gerade zwischen dem

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/120>, abgerufen am 01.09.2024.