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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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von einer Weltreise

Denken. Seine Leidenschaften verwirren und fesseln ihn nicht. Er kann sie
festhalten, wie Hunde an der Leine, und loslassen wie Hunde von der Leine.
Das können in dem Maße die andern Nassen nicht; entweder sie haben keinen
Mut, oder sie haben nicht die Ruhe des Mutes.

Wenn man von wilden Menschen spricht, so möge man sich unter dem
Worte Wildheit nur Unberührtheit von jeder Zucht vorstellen, so wie man
von einem wilden Reh, einer Gemse spricht, nicht aber Gefährlichkeit. Natür¬
lich können Neger, Chinesen und Malaien auch gefährlich sein. Aber die
wildesten und gefährlichsten Menschen auf der Erde, das sind nie Farbige,
sondern das sind verwilderte Weiße. Man erzählt von den gefährlichsten
chinesischen Seeräuberhorden, daß ihre Anführer Weiße gewesen seien. Wenn
man von Wilden spricht, so setze man hinzu: arme Wilde. Das zeichnet die
Wirklichkeit am besten.

Es ist doch lächerlich, mit wie geringen Waffenmitteln die Engländer
ihr großes Kolonialreich, darunter das Reich von dreihundert Millionen, Indien,
bisher beherrscht haben.

Hunderttausend weiße Soldatei, sind es vielleicht, die das leisten müssen
und bald in den Bergen des Himalaya, bald im Sudan, bald an der Goldküste
oder gegen die Kaffern Siege gegen große Überzahl erfochten haben. Wie
gering diese Machtmittel bisher gewesen sind, das sieht man jetzt erst, da es
ihnen nicht gelingt, ein kleines Völkchen von 30000 holländischen Bauern zu
überwinden. Warum gelingt ihnen hier nicht, was sie sonst gegen die zehn¬
fache Überzahl vermocht haben? Weil es eben auch Weiße sind, Germanen,
die einen Willen haben, der ebenso stark ist wie der ihrige, ebenso ausdauernd
und langatmig und ebenso vorausdenkend ist.

Die Beherrschung der farbigen Nassen ist für den Weißen nur allzu leicht.
Trotz des Rassenhasses des Unterworfnen, trotz des Hochmuts und der Roheit,
womit man sie gewöhnlich behandelt, trotz der lächerlich geringen Minderzahl
der Weißen unter der tausendfachen Mehrheit der Einheimischen kennt man
draußen keine Gefahr. In manchen europäischen und manchen amerikanischen
Großstädten ist es vielleicht nicht feig, sondern vorsichtig, wenn man nur mit
dem Revolver in der Nacht ausgeht. In den afrikanischen und asiatischen
Küstenstädten würde der ausgelacht werden, der mit der Waffe ginge. Ich
erinnere mich an eine Nacht in einem kleinen afrikanischen Hafen, wo es nur
wenig Europäer gab. Einer war bis spät in die Nacht an Bord geblieben
und hatte sich schwer betrunken. Am Fallreep lag sein Boot mit acht Negern
bemannt, die sich schwatzend die langen Stunden Vertrieben. Schließlich ver¬
luden wir ihn mit sehr viel Schwierigkeit in sein Boot, und als er taumelnd
sich am Nuder niedergelassen hatte, gab er das Zeichen zum Losfahren, indem
er mit seinem Stiefel die vor ihm sitzenden Neger in den Nacken trat. Die
treuen Kerle hatten ihn noch zwanzig Minuten lang durch die dunkle Nacht
an Land zu rudern.

Auf der Reise von Singapore nach Hongkong hatten wir dreihundert
chinesische Deckpassagiere, während wir an Bord, Schiffsleute und Passagiere,
höchstens dreißig Weiße waren. Diese Chinesen wurden auf dem Vorderschiff


von einer Weltreise

Denken. Seine Leidenschaften verwirren und fesseln ihn nicht. Er kann sie
festhalten, wie Hunde an der Leine, und loslassen wie Hunde von der Leine.
Das können in dem Maße die andern Nassen nicht; entweder sie haben keinen
Mut, oder sie haben nicht die Ruhe des Mutes.

Wenn man von wilden Menschen spricht, so möge man sich unter dem
Worte Wildheit nur Unberührtheit von jeder Zucht vorstellen, so wie man
von einem wilden Reh, einer Gemse spricht, nicht aber Gefährlichkeit. Natür¬
lich können Neger, Chinesen und Malaien auch gefährlich sein. Aber die
wildesten und gefährlichsten Menschen auf der Erde, das sind nie Farbige,
sondern das sind verwilderte Weiße. Man erzählt von den gefährlichsten
chinesischen Seeräuberhorden, daß ihre Anführer Weiße gewesen seien. Wenn
man von Wilden spricht, so setze man hinzu: arme Wilde. Das zeichnet die
Wirklichkeit am besten.

Es ist doch lächerlich, mit wie geringen Waffenmitteln die Engländer
ihr großes Kolonialreich, darunter das Reich von dreihundert Millionen, Indien,
bisher beherrscht haben.

Hunderttausend weiße Soldatei, sind es vielleicht, die das leisten müssen
und bald in den Bergen des Himalaya, bald im Sudan, bald an der Goldküste
oder gegen die Kaffern Siege gegen große Überzahl erfochten haben. Wie
gering diese Machtmittel bisher gewesen sind, das sieht man jetzt erst, da es
ihnen nicht gelingt, ein kleines Völkchen von 30000 holländischen Bauern zu
überwinden. Warum gelingt ihnen hier nicht, was sie sonst gegen die zehn¬
fache Überzahl vermocht haben? Weil es eben auch Weiße sind, Germanen,
die einen Willen haben, der ebenso stark ist wie der ihrige, ebenso ausdauernd
und langatmig und ebenso vorausdenkend ist.

Die Beherrschung der farbigen Nassen ist für den Weißen nur allzu leicht.
Trotz des Rassenhasses des Unterworfnen, trotz des Hochmuts und der Roheit,
womit man sie gewöhnlich behandelt, trotz der lächerlich geringen Minderzahl
der Weißen unter der tausendfachen Mehrheit der Einheimischen kennt man
draußen keine Gefahr. In manchen europäischen und manchen amerikanischen
Großstädten ist es vielleicht nicht feig, sondern vorsichtig, wenn man nur mit
dem Revolver in der Nacht ausgeht. In den afrikanischen und asiatischen
Küstenstädten würde der ausgelacht werden, der mit der Waffe ginge. Ich
erinnere mich an eine Nacht in einem kleinen afrikanischen Hafen, wo es nur
wenig Europäer gab. Einer war bis spät in die Nacht an Bord geblieben
und hatte sich schwer betrunken. Am Fallreep lag sein Boot mit acht Negern
bemannt, die sich schwatzend die langen Stunden Vertrieben. Schließlich ver¬
luden wir ihn mit sehr viel Schwierigkeit in sein Boot, und als er taumelnd
sich am Nuder niedergelassen hatte, gab er das Zeichen zum Losfahren, indem
er mit seinem Stiefel die vor ihm sitzenden Neger in den Nacken trat. Die
treuen Kerle hatten ihn noch zwanzig Minuten lang durch die dunkle Nacht
an Land zu rudern.

Auf der Reise von Singapore nach Hongkong hatten wir dreihundert
chinesische Deckpassagiere, während wir an Bord, Schiffsleute und Passagiere,
höchstens dreißig Weiße waren. Diese Chinesen wurden auf dem Vorderschiff


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[0096] von einer Weltreise Denken. Seine Leidenschaften verwirren und fesseln ihn nicht. Er kann sie festhalten, wie Hunde an der Leine, und loslassen wie Hunde von der Leine. Das können in dem Maße die andern Nassen nicht; entweder sie haben keinen Mut, oder sie haben nicht die Ruhe des Mutes. Wenn man von wilden Menschen spricht, so möge man sich unter dem Worte Wildheit nur Unberührtheit von jeder Zucht vorstellen, so wie man von einem wilden Reh, einer Gemse spricht, nicht aber Gefährlichkeit. Natür¬ lich können Neger, Chinesen und Malaien auch gefährlich sein. Aber die wildesten und gefährlichsten Menschen auf der Erde, das sind nie Farbige, sondern das sind verwilderte Weiße. Man erzählt von den gefährlichsten chinesischen Seeräuberhorden, daß ihre Anführer Weiße gewesen seien. Wenn man von Wilden spricht, so setze man hinzu: arme Wilde. Das zeichnet die Wirklichkeit am besten. Es ist doch lächerlich, mit wie geringen Waffenmitteln die Engländer ihr großes Kolonialreich, darunter das Reich von dreihundert Millionen, Indien, bisher beherrscht haben. Hunderttausend weiße Soldatei, sind es vielleicht, die das leisten müssen und bald in den Bergen des Himalaya, bald im Sudan, bald an der Goldküste oder gegen die Kaffern Siege gegen große Überzahl erfochten haben. Wie gering diese Machtmittel bisher gewesen sind, das sieht man jetzt erst, da es ihnen nicht gelingt, ein kleines Völkchen von 30000 holländischen Bauern zu überwinden. Warum gelingt ihnen hier nicht, was sie sonst gegen die zehn¬ fache Überzahl vermocht haben? Weil es eben auch Weiße sind, Germanen, die einen Willen haben, der ebenso stark ist wie der ihrige, ebenso ausdauernd und langatmig und ebenso vorausdenkend ist. Die Beherrschung der farbigen Nassen ist für den Weißen nur allzu leicht. Trotz des Rassenhasses des Unterworfnen, trotz des Hochmuts und der Roheit, womit man sie gewöhnlich behandelt, trotz der lächerlich geringen Minderzahl der Weißen unter der tausendfachen Mehrheit der Einheimischen kennt man draußen keine Gefahr. In manchen europäischen und manchen amerikanischen Großstädten ist es vielleicht nicht feig, sondern vorsichtig, wenn man nur mit dem Revolver in der Nacht ausgeht. In den afrikanischen und asiatischen Küstenstädten würde der ausgelacht werden, der mit der Waffe ginge. Ich erinnere mich an eine Nacht in einem kleinen afrikanischen Hafen, wo es nur wenig Europäer gab. Einer war bis spät in die Nacht an Bord geblieben und hatte sich schwer betrunken. Am Fallreep lag sein Boot mit acht Negern bemannt, die sich schwatzend die langen Stunden Vertrieben. Schließlich ver¬ luden wir ihn mit sehr viel Schwierigkeit in sein Boot, und als er taumelnd sich am Nuder niedergelassen hatte, gab er das Zeichen zum Losfahren, indem er mit seinem Stiefel die vor ihm sitzenden Neger in den Nacken trat. Die treuen Kerle hatten ihn noch zwanzig Minuten lang durch die dunkle Nacht an Land zu rudern. Auf der Reise von Singapore nach Hongkong hatten wir dreihundert chinesische Deckpassagiere, während wir an Bord, Schiffsleute und Passagiere, höchstens dreißig Weiße waren. Diese Chinesen wurden auf dem Vorderschiff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/96>, abgerufen am 01.09.2024.