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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

eins eine Genossenschaft von drei Personen berechnet. Gut, so nehmen wir eine
dritte hinzu, sagte Trudchen. Die Vermieterin drang darauf, sich bald zu ent¬
scheiden, da noch andre Herrschaften -- und so weiter --, und so entschloß sich
Trudchen Leverkühn kurz und mietete die Wohnung.

In dieser Stunde begannen die Sorgen. Es war nicht so leicht, wie sie
gedacht hatte, eine dritte Teilnehmerin zu finden. Ein Konfektioneuse oder so etwas
durfte es doch nicht sein. Und ans die Anzeige im Blatte meldeten sich nur wenig
Reflektanten. Endlich nach endlosen Verhandlungen und vielen Enttäuschungen,
und nachdem Trudchen, weil sie doch die Wohnung gemietet hatte und also die
Verantwortung trug, schon ganz nervös geworden war, endlich fand sich eine dritte
Teilnehmerin, ein Fräulein Scherbitz, eine an der Hauptpostkasse angestellte Dame,
die glücklicherweise nicht Uniform trug, aber so steif war, wie mau es von einem
ordentlichen Kassierer nur verlangen konnte. Man teilte also die Wohnung nnter
sich und behielt eine Kammer und die Küche übrig für den dienenden Geist.

Neue Sorgen. Genusse alte Damen, die als maßgebende Personen angesehen
werden müssen, und die von der Genossenschaft gehört hatten, erklärten, es sei
unpassend, daß drei junge Mädchen allein und unbeschützt eine eigne Wohnung
bezögen. Trudchen entrüstete sich, redete von unwürdiger Sklaverei, in der das weib¬
liche Geschlecht gehalten würde, und fragte, warum man denn für die Studenten keine
Anstandsdamen hielte, die brauchten es nötiger als sie. Aber was half es? Gegen
Vorurteile kämpfen Götter selbst vergeblich. Eine Hnnsdame zu engagieren verbot
der Ersparuugskveffizieut, aber man konnte ja eine alte Köchin anstellen. Ging
wieder nicht, denn es war unmöglich, die verschiednen Interessen zu vereinige".
Trudcheu konnte nur zwischen zwölf und zwei Uhr essen. Fräulein Scherbitz hatte bis
fünf Uhr Dienst, und Eleonore Grossi wollte sich überhaupt an keine bestimmte
Zeit binden.

Da erblühte unerwartet ein großes Glück. Von gewisser tantenhafter Seite
wurde auf Jungfer Antonie, gemeinhin die berühmte Antonie genannt, aufmerksam
gemacht. Besagte Antonie war bei dem Herrn Schloßprediger fünfunddreißig Jahre
im Dienste gewesen und hatte ihrer Zeit jenachdem als Cerberus oder Mittels¬
person eine große Rolle gespielt, ja sie hatte zu den Stützen der Schloßgemcinde
gezählt, solange nämlich, als der Herr Schloßprediger lebte. Als dieser gestorben war,
"ut man sich um andre Sonnen sammelte, wurde die zuvor unentbehrliche Antonie
schnöde beiseite gesetzt, was ihr einen großen Schmerz bereitete und sie ver¬
anlaßte, ihre Meinung von dem Werte der Mitwelt sehr herabzusetzen. Also dieses
Juwel wurde den drei Koalisierten vorgeschlagen. Trudchen^ suchte klopfenden Herzens
das Juwel ans und fand es in einer Bodenstube eines Hinterhauses Kaffee trinkend.
Sie trug ihr Anliegen vor und fand Erhörung. Nur eine Bedingung stellte
Antonie, es müsse ihr erlaubt sei", alle Missions- und Bibelstunden zu besuchen.
Dies wurde bereitwilligst zugestanden; aber Antonie erweiterte die Erlaubnis aus
eigner Machtvollkommenheit auch dahin, zu allen Trauungen von Bedeutung nud zu
allen Begräbnissen von dritter Klasse an gehn zu dürfen. Sie war also reichlich
viel abwesend.

Man zog ein. Jungfer Antonie erhielt ihre Kammer und ihre Küche, wofür
sie die Verpflichtung hatte, gewisse häusliche Arbeite" zu verrichten und die Aufsicht
über das Logis zu führen. Trudchen verwandte die freie Zeit einer ganzen Woche
dazu, ihre Zimmer zu einem Schmuckkästchen zu machen, Fräulein Scherbitz be¬
handelte ihr Zimmer geringschätzig, stellte ein paar alte eckige Möbel hübsch
ordentlich hinein und war fertig. Und Eleonore Grossi war sehr aufgeregt und
machte viele Umstände, bis ihr Flügel endlich den richtigen Standpunkt gefunden
hatte. Dann setzte sie sich hin, sang Wagnersche Töne und ließ alles stehn und
liegen, wie man es hineingetragen hatte. Hierauf erschien die berühmte Antonie,
einen laugen Strickstrumpf in der Hand. Sie blieb in der Thür stehn, sah sich
die Unordnung mit mißbilligenden Blicken an und sagte: Fräulein, das mich ich


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

eins eine Genossenschaft von drei Personen berechnet. Gut, so nehmen wir eine
dritte hinzu, sagte Trudchen. Die Vermieterin drang darauf, sich bald zu ent¬
scheiden, da noch andre Herrschaften — und so weiter —, und so entschloß sich
Trudchen Leverkühn kurz und mietete die Wohnung.

In dieser Stunde begannen die Sorgen. Es war nicht so leicht, wie sie
gedacht hatte, eine dritte Teilnehmerin zu finden. Ein Konfektioneuse oder so etwas
durfte es doch nicht sein. Und ans die Anzeige im Blatte meldeten sich nur wenig
Reflektanten. Endlich nach endlosen Verhandlungen und vielen Enttäuschungen,
und nachdem Trudchen, weil sie doch die Wohnung gemietet hatte und also die
Verantwortung trug, schon ganz nervös geworden war, endlich fand sich eine dritte
Teilnehmerin, ein Fräulein Scherbitz, eine an der Hauptpostkasse angestellte Dame,
die glücklicherweise nicht Uniform trug, aber so steif war, wie mau es von einem
ordentlichen Kassierer nur verlangen konnte. Man teilte also die Wohnung nnter
sich und behielt eine Kammer und die Küche übrig für den dienenden Geist.

Neue Sorgen. Genusse alte Damen, die als maßgebende Personen angesehen
werden müssen, und die von der Genossenschaft gehört hatten, erklärten, es sei
unpassend, daß drei junge Mädchen allein und unbeschützt eine eigne Wohnung
bezögen. Trudchen entrüstete sich, redete von unwürdiger Sklaverei, in der das weib¬
liche Geschlecht gehalten würde, und fragte, warum man denn für die Studenten keine
Anstandsdamen hielte, die brauchten es nötiger als sie. Aber was half es? Gegen
Vorurteile kämpfen Götter selbst vergeblich. Eine Hnnsdame zu engagieren verbot
der Ersparuugskveffizieut, aber man konnte ja eine alte Köchin anstellen. Ging
wieder nicht, denn es war unmöglich, die verschiednen Interessen zu vereinige».
Trudcheu konnte nur zwischen zwölf und zwei Uhr essen. Fräulein Scherbitz hatte bis
fünf Uhr Dienst, und Eleonore Grossi wollte sich überhaupt an keine bestimmte
Zeit binden.

Da erblühte unerwartet ein großes Glück. Von gewisser tantenhafter Seite
wurde auf Jungfer Antonie, gemeinhin die berühmte Antonie genannt, aufmerksam
gemacht. Besagte Antonie war bei dem Herrn Schloßprediger fünfunddreißig Jahre
im Dienste gewesen und hatte ihrer Zeit jenachdem als Cerberus oder Mittels¬
person eine große Rolle gespielt, ja sie hatte zu den Stützen der Schloßgemcinde
gezählt, solange nämlich, als der Herr Schloßprediger lebte. Als dieser gestorben war,
»ut man sich um andre Sonnen sammelte, wurde die zuvor unentbehrliche Antonie
schnöde beiseite gesetzt, was ihr einen großen Schmerz bereitete und sie ver¬
anlaßte, ihre Meinung von dem Werte der Mitwelt sehr herabzusetzen. Also dieses
Juwel wurde den drei Koalisierten vorgeschlagen. Trudchen^ suchte klopfenden Herzens
das Juwel ans und fand es in einer Bodenstube eines Hinterhauses Kaffee trinkend.
Sie trug ihr Anliegen vor und fand Erhörung. Nur eine Bedingung stellte
Antonie, es müsse ihr erlaubt sei», alle Missions- und Bibelstunden zu besuchen.
Dies wurde bereitwilligst zugestanden; aber Antonie erweiterte die Erlaubnis aus
eigner Machtvollkommenheit auch dahin, zu allen Trauungen von Bedeutung nud zu
allen Begräbnissen von dritter Klasse an gehn zu dürfen. Sie war also reichlich
viel abwesend.

Man zog ein. Jungfer Antonie erhielt ihre Kammer und ihre Küche, wofür
sie die Verpflichtung hatte, gewisse häusliche Arbeite» zu verrichten und die Aufsicht
über das Logis zu führen. Trudchen verwandte die freie Zeit einer ganzen Woche
dazu, ihre Zimmer zu einem Schmuckkästchen zu machen, Fräulein Scherbitz be¬
handelte ihr Zimmer geringschätzig, stellte ein paar alte eckige Möbel hübsch
ordentlich hinein und war fertig. Und Eleonore Grossi war sehr aufgeregt und
machte viele Umstände, bis ihr Flügel endlich den richtigen Standpunkt gefunden
hatte. Dann setzte sie sich hin, sang Wagnersche Töne und ließ alles stehn und
liegen, wie man es hineingetragen hatte. Hierauf erschien die berühmte Antonie,
einen laugen Strickstrumpf in der Hand. Sie blieb in der Thür stehn, sah sich
die Unordnung mit mißbilligenden Blicken an und sagte: Fräulein, das mich ich


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[0741] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben eins eine Genossenschaft von drei Personen berechnet. Gut, so nehmen wir eine dritte hinzu, sagte Trudchen. Die Vermieterin drang darauf, sich bald zu ent¬ scheiden, da noch andre Herrschaften — und so weiter —, und so entschloß sich Trudchen Leverkühn kurz und mietete die Wohnung. In dieser Stunde begannen die Sorgen. Es war nicht so leicht, wie sie gedacht hatte, eine dritte Teilnehmerin zu finden. Ein Konfektioneuse oder so etwas durfte es doch nicht sein. Und ans die Anzeige im Blatte meldeten sich nur wenig Reflektanten. Endlich nach endlosen Verhandlungen und vielen Enttäuschungen, und nachdem Trudchen, weil sie doch die Wohnung gemietet hatte und also die Verantwortung trug, schon ganz nervös geworden war, endlich fand sich eine dritte Teilnehmerin, ein Fräulein Scherbitz, eine an der Hauptpostkasse angestellte Dame, die glücklicherweise nicht Uniform trug, aber so steif war, wie mau es von einem ordentlichen Kassierer nur verlangen konnte. Man teilte also die Wohnung nnter sich und behielt eine Kammer und die Küche übrig für den dienenden Geist. Neue Sorgen. Genusse alte Damen, die als maßgebende Personen angesehen werden müssen, und die von der Genossenschaft gehört hatten, erklärten, es sei unpassend, daß drei junge Mädchen allein und unbeschützt eine eigne Wohnung bezögen. Trudchen entrüstete sich, redete von unwürdiger Sklaverei, in der das weib¬ liche Geschlecht gehalten würde, und fragte, warum man denn für die Studenten keine Anstandsdamen hielte, die brauchten es nötiger als sie. Aber was half es? Gegen Vorurteile kämpfen Götter selbst vergeblich. Eine Hnnsdame zu engagieren verbot der Ersparuugskveffizieut, aber man konnte ja eine alte Köchin anstellen. Ging wieder nicht, denn es war unmöglich, die verschiednen Interessen zu vereinige». Trudcheu konnte nur zwischen zwölf und zwei Uhr essen. Fräulein Scherbitz hatte bis fünf Uhr Dienst, und Eleonore Grossi wollte sich überhaupt an keine bestimmte Zeit binden. Da erblühte unerwartet ein großes Glück. Von gewisser tantenhafter Seite wurde auf Jungfer Antonie, gemeinhin die berühmte Antonie genannt, aufmerksam gemacht. Besagte Antonie war bei dem Herrn Schloßprediger fünfunddreißig Jahre im Dienste gewesen und hatte ihrer Zeit jenachdem als Cerberus oder Mittels¬ person eine große Rolle gespielt, ja sie hatte zu den Stützen der Schloßgemcinde gezählt, solange nämlich, als der Herr Schloßprediger lebte. Als dieser gestorben war, »ut man sich um andre Sonnen sammelte, wurde die zuvor unentbehrliche Antonie schnöde beiseite gesetzt, was ihr einen großen Schmerz bereitete und sie ver¬ anlaßte, ihre Meinung von dem Werte der Mitwelt sehr herabzusetzen. Also dieses Juwel wurde den drei Koalisierten vorgeschlagen. Trudchen^ suchte klopfenden Herzens das Juwel ans und fand es in einer Bodenstube eines Hinterhauses Kaffee trinkend. Sie trug ihr Anliegen vor und fand Erhörung. Nur eine Bedingung stellte Antonie, es müsse ihr erlaubt sei», alle Missions- und Bibelstunden zu besuchen. Dies wurde bereitwilligst zugestanden; aber Antonie erweiterte die Erlaubnis aus eigner Machtvollkommenheit auch dahin, zu allen Trauungen von Bedeutung nud zu allen Begräbnissen von dritter Klasse an gehn zu dürfen. Sie war also reichlich viel abwesend. Man zog ein. Jungfer Antonie erhielt ihre Kammer und ihre Küche, wofür sie die Verpflichtung hatte, gewisse häusliche Arbeite» zu verrichten und die Aufsicht über das Logis zu führen. Trudchen verwandte die freie Zeit einer ganzen Woche dazu, ihre Zimmer zu einem Schmuckkästchen zu machen, Fräulein Scherbitz be¬ handelte ihr Zimmer geringschätzig, stellte ein paar alte eckige Möbel hübsch ordentlich hinein und war fertig. Und Eleonore Grossi war sehr aufgeregt und machte viele Umstände, bis ihr Flügel endlich den richtigen Standpunkt gefunden hatte. Dann setzte sie sich hin, sang Wagnersche Töne und ließ alles stehn und liegen, wie man es hineingetragen hatte. Hierauf erschien die berühmte Antonie, einen laugen Strickstrumpf in der Hand. Sie blieb in der Thür stehn, sah sich die Unordnung mit mißbilligenden Blicken an und sagte: Fräulein, das mich ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/741>, abgerufen am 01.09.2024.