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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Professor, Vnkel Zinnober, Rosamunde und Aruesen

Sie wandte den Kopf ab und drängte ihn von sich. Dein ganzer Bart ist
ja voll SchneeI sagte sie, und als er stutzte und danach griff, lachte sie leise und
huschte durch die Wohnstubenthür.

Am Tisch saß der Vater mit dem weißen Haar, ihr den Rücken zukehrend,
vor einem dicken Buche -- es war die Bibel --, worin er gelesen hatte, während
die Mutter nebenan schcifterte. Nach alter Gepflogenheit wurde zuerst das Weih-
unchtsevangelium vom Geheimrat gelesen, bevor es dann drüben klingelte. Onkel
Zinnober hatte sich dem Vater gegenüber in einen Lehnstuhl gesetzt und blitzte München
aus den schwarzen Augen an, während er die Daumen umeinander drehte.

Sie beugte sich über den Vater, hinter seinem Stuhl stehend, und sagte:
Guten Abend/Vnder. -- Guten Abend, Kind! -- Aber wie sie das Wort "Vater"
^gte, stutzte sie und warf rasch einen Blick auf den gleichmütig die Daumen
umeinander drehenden und vor sich niedersehenden Onkel. Sie wurde plötzlich
dunkelrot, fiel dein Vater um den Hals und küßte ihn leidenschaftlich auf Stiru,
Mund und Augen.

Aber Kind, was hast du denn? fragte der Geheimrat erstaunt; doch in dem¬
selben Augenblick verschloß ihm eine Hand die Augen. Waldemar war ganz leise
hereingeschlichen.

Wer ists? jubelte Ärmchen.

Deine Hand ists uicht! sagte der Vater und griff nach der, die über seinen
-lugen lag.

Onkel Zinnober, Ärmchen! Seid ihr denn endlich da? Ich bin ja längst
fertig! rief die Stimme der Mutter durch die Thürspalte. Heller Lichterglanz blitzte
hervor. Denn ging die Thür ganz nnprogrmnmmäßig ein ganzes Stück auf. Die
Frau Geheimrätin stand da, als wäre sie -- heute, am heiligen Abend! -- in
eine Salzsäule verwandelt worden wie weiland Loth Frau. Der Lichterbaum
hinter ihr strahlte in funkelnder Pracht.

Waldemar!

Der Vater fuhr herum und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Die
fesselnde Hand hatte ihn freigelassen und haschte nach einer andern. Aber Ärmchen
log an dem Onkel vorbei und an der starren Mutter vorüber in das Christbaum-
zunmer, und der Professor Waldemar stürzte hinter ihr her, und die Fran Geheimrat
^ef, während much ihr Mann, der aufgesprungen war, an ihr vorübereilte: Nein,
"lese Kinder! Dn hört doch alles ans! Aber ihr Herz sagte ihr, was passiert sei,
und helle Thränen glänzten auf ihren rundlichen Wangen, als sie sich wandte und
de" andern folgte.

Onkel Zinnober aber rieb sich die Hände wie besessen und grinste dabei über
ganze Gesicht wie ein Satan; dann tanzte er ganz leise einen Menuett, ehe
auch ex hinüberging zu dem Lichterbaum. Und dabei hingen ihm, was gar nicht
5U seinem auffälligen Benehmen paßte, zwei dicke glänzende Perlen um Schnurrbart,
"" jed Hans Grunow er Spitze eine.




Der Professor, Vnkel Zinnober, Rosamunde und Aruesen

Sie wandte den Kopf ab und drängte ihn von sich. Dein ganzer Bart ist
ja voll SchneeI sagte sie, und als er stutzte und danach griff, lachte sie leise und
huschte durch die Wohnstubenthür.

Am Tisch saß der Vater mit dem weißen Haar, ihr den Rücken zukehrend,
vor einem dicken Buche — es war die Bibel —, worin er gelesen hatte, während
die Mutter nebenan schcifterte. Nach alter Gepflogenheit wurde zuerst das Weih-
unchtsevangelium vom Geheimrat gelesen, bevor es dann drüben klingelte. Onkel
Zinnober hatte sich dem Vater gegenüber in einen Lehnstuhl gesetzt und blitzte München
aus den schwarzen Augen an, während er die Daumen umeinander drehte.

Sie beugte sich über den Vater, hinter seinem Stuhl stehend, und sagte:
Guten Abend/Vnder. — Guten Abend, Kind! — Aber wie sie das Wort „Vater"
^gte, stutzte sie und warf rasch einen Blick auf den gleichmütig die Daumen
umeinander drehenden und vor sich niedersehenden Onkel. Sie wurde plötzlich
dunkelrot, fiel dein Vater um den Hals und küßte ihn leidenschaftlich auf Stiru,
Mund und Augen.

Aber Kind, was hast du denn? fragte der Geheimrat erstaunt; doch in dem¬
selben Augenblick verschloß ihm eine Hand die Augen. Waldemar war ganz leise
hereingeschlichen.

Wer ists? jubelte Ärmchen.

Deine Hand ists uicht! sagte der Vater und griff nach der, die über seinen
-lugen lag.

Onkel Zinnober, Ärmchen! Seid ihr denn endlich da? Ich bin ja längst
fertig! rief die Stimme der Mutter durch die Thürspalte. Heller Lichterglanz blitzte
hervor. Denn ging die Thür ganz nnprogrmnmmäßig ein ganzes Stück auf. Die
Frau Geheimrätin stand da, als wäre sie — heute, am heiligen Abend! — in
eine Salzsäule verwandelt worden wie weiland Loth Frau. Der Lichterbaum
hinter ihr strahlte in funkelnder Pracht.

Waldemar!

Der Vater fuhr herum und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Die
fesselnde Hand hatte ihn freigelassen und haschte nach einer andern. Aber Ärmchen
log an dem Onkel vorbei und an der starren Mutter vorüber in das Christbaum-
zunmer, und der Professor Waldemar stürzte hinter ihr her, und die Fran Geheimrat
^ef, während much ihr Mann, der aufgesprungen war, an ihr vorübereilte: Nein,
«lese Kinder! Dn hört doch alles ans! Aber ihr Herz sagte ihr, was passiert sei,
und helle Thränen glänzten auf ihren rundlichen Wangen, als sie sich wandte und
de» andern folgte.

Onkel Zinnober aber rieb sich die Hände wie besessen und grinste dabei über
ganze Gesicht wie ein Satan; dann tanzte er ganz leise einen Menuett, ehe
auch ex hinüberging zu dem Lichterbaum. Und dabei hingen ihm, was gar nicht
5U seinem auffälligen Benehmen paßte, zwei dicke glänzende Perlen um Schnurrbart,
"» jed Hans Grunow er Spitze eine.




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[0697] Der Professor, Vnkel Zinnober, Rosamunde und Aruesen Sie wandte den Kopf ab und drängte ihn von sich. Dein ganzer Bart ist ja voll SchneeI sagte sie, und als er stutzte und danach griff, lachte sie leise und huschte durch die Wohnstubenthür. Am Tisch saß der Vater mit dem weißen Haar, ihr den Rücken zukehrend, vor einem dicken Buche — es war die Bibel —, worin er gelesen hatte, während die Mutter nebenan schcifterte. Nach alter Gepflogenheit wurde zuerst das Weih- unchtsevangelium vom Geheimrat gelesen, bevor es dann drüben klingelte. Onkel Zinnober hatte sich dem Vater gegenüber in einen Lehnstuhl gesetzt und blitzte München aus den schwarzen Augen an, während er die Daumen umeinander drehte. Sie beugte sich über den Vater, hinter seinem Stuhl stehend, und sagte: Guten Abend/Vnder. — Guten Abend, Kind! — Aber wie sie das Wort „Vater" ^gte, stutzte sie und warf rasch einen Blick auf den gleichmütig die Daumen umeinander drehenden und vor sich niedersehenden Onkel. Sie wurde plötzlich dunkelrot, fiel dein Vater um den Hals und küßte ihn leidenschaftlich auf Stiru, Mund und Augen. Aber Kind, was hast du denn? fragte der Geheimrat erstaunt; doch in dem¬ selben Augenblick verschloß ihm eine Hand die Augen. Waldemar war ganz leise hereingeschlichen. Wer ists? jubelte Ärmchen. Deine Hand ists uicht! sagte der Vater und griff nach der, die über seinen -lugen lag. Onkel Zinnober, Ärmchen! Seid ihr denn endlich da? Ich bin ja längst fertig! rief die Stimme der Mutter durch die Thürspalte. Heller Lichterglanz blitzte hervor. Denn ging die Thür ganz nnprogrmnmmäßig ein ganzes Stück auf. Die Frau Geheimrätin stand da, als wäre sie — heute, am heiligen Abend! — in eine Salzsäule verwandelt worden wie weiland Loth Frau. Der Lichterbaum hinter ihr strahlte in funkelnder Pracht. Waldemar! Der Vater fuhr herum und stieß einen Ruf der Überraschung aus. Die fesselnde Hand hatte ihn freigelassen und haschte nach einer andern. Aber Ärmchen log an dem Onkel vorbei und an der starren Mutter vorüber in das Christbaum- zunmer, und der Professor Waldemar stürzte hinter ihr her, und die Fran Geheimrat ^ef, während much ihr Mann, der aufgesprungen war, an ihr vorübereilte: Nein, «lese Kinder! Dn hört doch alles ans! Aber ihr Herz sagte ihr, was passiert sei, und helle Thränen glänzten auf ihren rundlichen Wangen, als sie sich wandte und de» andern folgte. Onkel Zinnober aber rieb sich die Hände wie besessen und grinste dabei über ganze Gesicht wie ein Satan; dann tanzte er ganz leise einen Menuett, ehe auch ex hinüberging zu dem Lichterbaum. Und dabei hingen ihm, was gar nicht 5U seinem auffälligen Benehmen paßte, zwei dicke glänzende Perlen um Schnurrbart, "» jed Hans Grunow er Spitze eine.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/697>, abgerufen am 01.09.2024.