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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen ans dem polnischen Insurrektionskriege

rufen, und nachdem dieser festgestellt hatte, dnß der kriegsgefangne geistliche Herr,
der -- wie ich und die Mehrzahl meiner Kameraden -- heute zum erstenmal im
Feuer gewesen war, eine nicht unbedeutende Verwundung erhalten und die Kugel
noch in der Wade sitzen habe, fuhr v. G. fort: "Das ändert die Sache, "ein,
Mann Gottes, Sie sollen nicht gehn, Sie sollen aber auch nicht fahren, Sie sind
verwundet, Sie haben Ihre Feuerprobe -- wenn auch ans der falschen Seite -- doch
gut bestanden, Sie sind in Ihrer Art ein Ehrenmann. Sie sollen Ihre volle
Freiheit wieder erhalten, ich werde es verantworten. Kehren Sie heim! Predigen
Sie Ihren Landsleuten den Frieden und sagen Sie ihnen, daß ich, der Major
v. G., meine Gefangnen nobel behandle, wenn sie in ihrer Art Ehrenmänner sind."

Noch harrte unser eine ernste Arbeit. Noch lagen unsre Toten an den Straßen¬
ecken und Barrikadentrümmern, wo sie gekämpft hatten. Es galt, ihnen ein Ehren¬
grab zu schaffen. Major v. G. ließ in der folgenden Nacht in der Nähe unsers
Biwakplntzes zwei große Gräber graben, wo unsre Toten noch vor Tngesgrauen
mit militärischen Ehren bestattet wurden. Die Stelle wurde durch ein einfaches
hölzernes Kreuz bezeichnet. Jetzt mag sie kaum noch kenntlich sein:

Bei einem der Leichenhaufen, nahe an dem Schrimmer Ausgang, lag ein
Mann von vornehm schönem Antlitz, leichenblaß, bei dem es zweifelhaft schien, ob
er schon tot, oder ob noch ein Funke Leben in ihm war; durch den geöffneten Rock
sah man auf der Brust eine dreieckige, blutige Wunde, die augenscheinlich von einem
preußischen Bajonette herrührte. Der Verwundete schlug die Angen matt zu den
umstehenden Soldaten auf und gab mit einer schwachen Gebärde, die anfänglich
nicht verstanden wurde, sein Verlangen nach einem kühlen Trunk zu erkennen.
Ein Kamerad brachte eine Scherbe mit Wasser herbei, er hielt sie lange an die
bleichen Lippen, diese zuckten nach einmal, aber der Verwundete hatte nicht mehr
soviel Lebenskraft, den Labetrunk zu sich zu nehmen. Einige der umstehenden
Offiziere kannten den Sterbenden: "Das war Dombrowski," sagte eine Stimme.
Der Sprößling eines edeln polnischen Geschlechts war hier als Chef der polnischen
Jnsurgentenbanden im Strnßenkampf gefallen. Mir und meinen Kameraden schien
es, als käme von seinen Lippen der alte Schmerzensruf Koseiuszkos 1<'1mis ^oloniao!
Die Worte hatten aber jetzt noch einen andern Sinn, als einst in dem Munde
Koseinszkos. Sie bedeuteten: Das Ende Polens ist beschlossen; Polen ist durch
keinen Krieg und keinen Aufstand, durch keinen Reichstag und keine Verhandlung
wieder herzustellen, aber ihr Erben der ehemaligen polnischen Nation, wollt ihr
die Keime eurer künftigen Bedeutung und Wohlfahrt retten, so schließt euch ernst
und aufrichtig an die überlegne Macht, der ihr angehört, und lernt von ihr, wie
Religion und Gesittung, Arbeit und Pflichterfüllung, Gesetz und Freiheit den Frieden
und den Fortschritt der Menschheit zu gemeinsamen großen Zielen fördern!'

Von der Walstatt bei Xions brach unser Korps gegen Neustadt an der Warthe
auf, wo ein Zusammentreffen und andern Jnsurgentenhaufen zu erwarten war.
Wie wir jedoch unterwegs erfuhren, waren diese sämtlich nach Miloslaw gezogen,
einem Ort, der an diesem Tage (30. April) von einer andern Kolonne, bei der
unser zweites Bataillon stand, angegriffen wurde. Nur ein Detachement unsers
Korps wurde bei Neustadt über den Fluß gesetzt und gegen Miloslaw vorgeschoben.
Den Verlauf des Gefechts bei Miloslaw setzen wir als bekannt voraus. Mangel
an einheitlicher Führung und Unterschätzung des Gegners machten den preußischen
Angriff auf den verschanzten Ort scheitern. Bei der Deckung des Rückzugs zeichnete
sich unser zweites Bataillon aus, hatte aber leider auch schwere Verluste zu beklagen,
darunter zwei allgemein geachtete und beliebte Kameraden, die Leutnants von Ath-
enäum und von Gahette. Rebmann, dessen Name durch seine Zeichnungen (Bilder
aus dem Leutnantsleben) in militärischen Kreisen auch weiter bekannt geworden
war, war in der Stadt gefallen und zurückgelassen worden, doch wurde die Stelle,


Erinnerungen ans dem polnischen Insurrektionskriege

rufen, und nachdem dieser festgestellt hatte, dnß der kriegsgefangne geistliche Herr,
der — wie ich und die Mehrzahl meiner Kameraden — heute zum erstenmal im
Feuer gewesen war, eine nicht unbedeutende Verwundung erhalten und die Kugel
noch in der Wade sitzen habe, fuhr v. G. fort: „Das ändert die Sache, «ein,
Mann Gottes, Sie sollen nicht gehn, Sie sollen aber auch nicht fahren, Sie sind
verwundet, Sie haben Ihre Feuerprobe — wenn auch ans der falschen Seite — doch
gut bestanden, Sie sind in Ihrer Art ein Ehrenmann. Sie sollen Ihre volle
Freiheit wieder erhalten, ich werde es verantworten. Kehren Sie heim! Predigen
Sie Ihren Landsleuten den Frieden und sagen Sie ihnen, daß ich, der Major
v. G., meine Gefangnen nobel behandle, wenn sie in ihrer Art Ehrenmänner sind."

Noch harrte unser eine ernste Arbeit. Noch lagen unsre Toten an den Straßen¬
ecken und Barrikadentrümmern, wo sie gekämpft hatten. Es galt, ihnen ein Ehren¬
grab zu schaffen. Major v. G. ließ in der folgenden Nacht in der Nähe unsers
Biwakplntzes zwei große Gräber graben, wo unsre Toten noch vor Tngesgrauen
mit militärischen Ehren bestattet wurden. Die Stelle wurde durch ein einfaches
hölzernes Kreuz bezeichnet. Jetzt mag sie kaum noch kenntlich sein:

Bei einem der Leichenhaufen, nahe an dem Schrimmer Ausgang, lag ein
Mann von vornehm schönem Antlitz, leichenblaß, bei dem es zweifelhaft schien, ob
er schon tot, oder ob noch ein Funke Leben in ihm war; durch den geöffneten Rock
sah man auf der Brust eine dreieckige, blutige Wunde, die augenscheinlich von einem
preußischen Bajonette herrührte. Der Verwundete schlug die Angen matt zu den
umstehenden Soldaten auf und gab mit einer schwachen Gebärde, die anfänglich
nicht verstanden wurde, sein Verlangen nach einem kühlen Trunk zu erkennen.
Ein Kamerad brachte eine Scherbe mit Wasser herbei, er hielt sie lange an die
bleichen Lippen, diese zuckten nach einmal, aber der Verwundete hatte nicht mehr
soviel Lebenskraft, den Labetrunk zu sich zu nehmen. Einige der umstehenden
Offiziere kannten den Sterbenden: „Das war Dombrowski," sagte eine Stimme.
Der Sprößling eines edeln polnischen Geschlechts war hier als Chef der polnischen
Jnsurgentenbanden im Strnßenkampf gefallen. Mir und meinen Kameraden schien
es, als käme von seinen Lippen der alte Schmerzensruf Koseiuszkos 1<'1mis ^oloniao!
Die Worte hatten aber jetzt noch einen andern Sinn, als einst in dem Munde
Koseinszkos. Sie bedeuteten: Das Ende Polens ist beschlossen; Polen ist durch
keinen Krieg und keinen Aufstand, durch keinen Reichstag und keine Verhandlung
wieder herzustellen, aber ihr Erben der ehemaligen polnischen Nation, wollt ihr
die Keime eurer künftigen Bedeutung und Wohlfahrt retten, so schließt euch ernst
und aufrichtig an die überlegne Macht, der ihr angehört, und lernt von ihr, wie
Religion und Gesittung, Arbeit und Pflichterfüllung, Gesetz und Freiheit den Frieden
und den Fortschritt der Menschheit zu gemeinsamen großen Zielen fördern!'

Von der Walstatt bei Xions brach unser Korps gegen Neustadt an der Warthe
auf, wo ein Zusammentreffen und andern Jnsurgentenhaufen zu erwarten war.
Wie wir jedoch unterwegs erfuhren, waren diese sämtlich nach Miloslaw gezogen,
einem Ort, der an diesem Tage (30. April) von einer andern Kolonne, bei der
unser zweites Bataillon stand, angegriffen wurde. Nur ein Detachement unsers
Korps wurde bei Neustadt über den Fluß gesetzt und gegen Miloslaw vorgeschoben.
Den Verlauf des Gefechts bei Miloslaw setzen wir als bekannt voraus. Mangel
an einheitlicher Führung und Unterschätzung des Gegners machten den preußischen
Angriff auf den verschanzten Ort scheitern. Bei der Deckung des Rückzugs zeichnete
sich unser zweites Bataillon aus, hatte aber leider auch schwere Verluste zu beklagen,
darunter zwei allgemein geachtete und beliebte Kameraden, die Leutnants von Ath-
enäum und von Gahette. Rebmann, dessen Name durch seine Zeichnungen (Bilder
aus dem Leutnantsleben) in militärischen Kreisen auch weiter bekannt geworden
war, war in der Stadt gefallen und zurückgelassen worden, doch wurde die Stelle,


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[0680] Erinnerungen ans dem polnischen Insurrektionskriege rufen, und nachdem dieser festgestellt hatte, dnß der kriegsgefangne geistliche Herr, der — wie ich und die Mehrzahl meiner Kameraden — heute zum erstenmal im Feuer gewesen war, eine nicht unbedeutende Verwundung erhalten und die Kugel noch in der Wade sitzen habe, fuhr v. G. fort: „Das ändert die Sache, «ein, Mann Gottes, Sie sollen nicht gehn, Sie sollen aber auch nicht fahren, Sie sind verwundet, Sie haben Ihre Feuerprobe — wenn auch ans der falschen Seite — doch gut bestanden, Sie sind in Ihrer Art ein Ehrenmann. Sie sollen Ihre volle Freiheit wieder erhalten, ich werde es verantworten. Kehren Sie heim! Predigen Sie Ihren Landsleuten den Frieden und sagen Sie ihnen, daß ich, der Major v. G., meine Gefangnen nobel behandle, wenn sie in ihrer Art Ehrenmänner sind." Noch harrte unser eine ernste Arbeit. Noch lagen unsre Toten an den Straßen¬ ecken und Barrikadentrümmern, wo sie gekämpft hatten. Es galt, ihnen ein Ehren¬ grab zu schaffen. Major v. G. ließ in der folgenden Nacht in der Nähe unsers Biwakplntzes zwei große Gräber graben, wo unsre Toten noch vor Tngesgrauen mit militärischen Ehren bestattet wurden. Die Stelle wurde durch ein einfaches hölzernes Kreuz bezeichnet. Jetzt mag sie kaum noch kenntlich sein: Bei einem der Leichenhaufen, nahe an dem Schrimmer Ausgang, lag ein Mann von vornehm schönem Antlitz, leichenblaß, bei dem es zweifelhaft schien, ob er schon tot, oder ob noch ein Funke Leben in ihm war; durch den geöffneten Rock sah man auf der Brust eine dreieckige, blutige Wunde, die augenscheinlich von einem preußischen Bajonette herrührte. Der Verwundete schlug die Angen matt zu den umstehenden Soldaten auf und gab mit einer schwachen Gebärde, die anfänglich nicht verstanden wurde, sein Verlangen nach einem kühlen Trunk zu erkennen. Ein Kamerad brachte eine Scherbe mit Wasser herbei, er hielt sie lange an die bleichen Lippen, diese zuckten nach einmal, aber der Verwundete hatte nicht mehr soviel Lebenskraft, den Labetrunk zu sich zu nehmen. Einige der umstehenden Offiziere kannten den Sterbenden: „Das war Dombrowski," sagte eine Stimme. Der Sprößling eines edeln polnischen Geschlechts war hier als Chef der polnischen Jnsurgentenbanden im Strnßenkampf gefallen. Mir und meinen Kameraden schien es, als käme von seinen Lippen der alte Schmerzensruf Koseiuszkos 1<'1mis ^oloniao! Die Worte hatten aber jetzt noch einen andern Sinn, als einst in dem Munde Koseinszkos. Sie bedeuteten: Das Ende Polens ist beschlossen; Polen ist durch keinen Krieg und keinen Aufstand, durch keinen Reichstag und keine Verhandlung wieder herzustellen, aber ihr Erben der ehemaligen polnischen Nation, wollt ihr die Keime eurer künftigen Bedeutung und Wohlfahrt retten, so schließt euch ernst und aufrichtig an die überlegne Macht, der ihr angehört, und lernt von ihr, wie Religion und Gesittung, Arbeit und Pflichterfüllung, Gesetz und Freiheit den Frieden und den Fortschritt der Menschheit zu gemeinsamen großen Zielen fördern!' Von der Walstatt bei Xions brach unser Korps gegen Neustadt an der Warthe auf, wo ein Zusammentreffen und andern Jnsurgentenhaufen zu erwarten war. Wie wir jedoch unterwegs erfuhren, waren diese sämtlich nach Miloslaw gezogen, einem Ort, der an diesem Tage (30. April) von einer andern Kolonne, bei der unser zweites Bataillon stand, angegriffen wurde. Nur ein Detachement unsers Korps wurde bei Neustadt über den Fluß gesetzt und gegen Miloslaw vorgeschoben. Den Verlauf des Gefechts bei Miloslaw setzen wir als bekannt voraus. Mangel an einheitlicher Führung und Unterschätzung des Gegners machten den preußischen Angriff auf den verschanzten Ort scheitern. Bei der Deckung des Rückzugs zeichnete sich unser zweites Bataillon aus, hatte aber leider auch schwere Verluste zu beklagen, darunter zwei allgemein geachtete und beliebte Kameraden, die Leutnants von Ath- enäum und von Gahette. Rebmann, dessen Name durch seine Zeichnungen (Bilder aus dem Leutnantsleben) in militärischen Kreisen auch weiter bekannt geworden war, war in der Stadt gefallen und zurückgelassen worden, doch wurde die Stelle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/680>, abgerufen am 01.09.2024.