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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zustände, die noch vor siebzig Jahren in diesen Gegenden herrschten, wegen der
Energie und der Anspruchlosigkeit, mit der sich die Reisenden ihnen anbequemt hatten
oder ihrer Herr geworden waren, und wegen der erstaunlich reichen wissenschaft¬
lichen Ausbeute, die man gehabt hatte, und für deren gebührendes Bekanntwerden
sich sofort Männer wie Professor Lichtenstein, Karl Ritter, Alexander von Humboldt,
Leopold von Buch interessierten. Auch der Übergang über die Alpen aus dem
Martellthal, ein Paß, der heutzutage zu den vielbetretener Touristeubahnen gehört,
und rin dem es Keyserling im Jahre 1836 versuchte, war damals der wissen¬
schaftlichen Welt noch so fremd, daß die Schilderung seines Befundes, wie er sie
auf Leopold von Vnchs Veranlassung verfaßte, im neuen Jahrbuch für Mineralogie,
Geographie, Geologie und Petrefaktenkunde, Jahrgang 1837, abgedruckt wurde.

Eine Forschungsreise, die der Graf mit dem Botaniker Dr. Grisebach in die
Balkanländer, nach Makedonien und Jllyrien vorgehabt hatte, war nicht zustande ge¬
kommen. In Goldingen, wohin sich seine Eltern von Kabillen ans zurückgezogen
hatten, und wo er sich während der ersten Monate des Jahres 1840 aufgehalten
hatte, wurde ihm von dem Baron Alexander von Meyendorff der Vorschlag ge¬
macht, sich an einer geognostischen Exploration zu beteiligen, durch die nnter den
Auspizien der russischen Regierung und mit ihrer Beihilfe für einen Teil des russischen
Reichs Ermittlungen angestellt werden sollten über die Ausdehnung und Ertrags¬
fähigkeit vorhandner oder noch vermuteter Steinkohlenlager. Keyserling erklärte sich
zur Teilnahme bereit. Zwei ausländische Autoritäten, der spätere Sir Roderick
Murchison, damals noch Mr. Murchison und der als Geognost bekannte Edouard
de Verneuil, hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Die Reise, deren Ergebnisse, nament¬
lich was die Umgebung von Tula und Kaluga, sowie von Orel und von Tschugujef,
dem Hauptort der Militärkolonien, anlangte, den Wünschen und Hoffnungen des
kaiserlichen Finanzministeriums entsprachen, hatte den für die spätern Lebensschicksale
des Grafen bedeutsamen Nebenerfolg, daß er im Hause des hochbegabten und ein¬
flußreichen Finanzministers Georg Grafen Cancrin bekannt wurde und sich Anfang 1844
mit dessen ältester Tochter Zeneide verheiratete.

Diese Verbindung, der ein Sohn und zwei Tochter entsprossen, hat zwar in
der großen Hauptsache sein Lebensglück begründet, scheint ihn aber doch, soweit
das kurzsichtige menschliche Auge nicht zur Verwirklichung gekommne Eventualitäten
erkennen kann, behindert zu haben, dem höchsten ihm durch seine Begabung ge¬
steckten Ziele zuzustreben und sich als bahnbrechender Naturforscher allerersten Ranges,
namentlich aber als klassifizierender Systematiker mit immer wachsendem Erfolge
und immer zunehmender Autorität zu bethätigen. Daß er die Befähigung dazu
hatte, darin stimmt das ans uns gekommene Zeugnis der maßgebendsten unter
seinen Zeitgenosse" überein.

Seine Gemahlin hatte ihm das esthlcindische Gut Raiküll südlich von Reval
und zwei benachbarte kleinere livländische Güter, darunter das Holzgut Könno, das
der Sohn, Graf Leo, später übernahm und bewohnte, als Mitgift zugebracht. Es
handelte sich für ihn darum, deu, wie es scheint, dnrch rücksichtslose Ausbeutung
der Vorbesitzer oder durch die Ungunst der Zeiten etwas hernntergekommnen Besitz,
auf den man natürlich wegen der Einkünfte angewiesen war, durch weise, zeit¬
gemäße Vorkehrungen in die Höhe zu bringen. Unter ihnen stand die Ersetzung
des seitherigen Fronverhältnisses durch freie Pachtverträge in erster Reihe.¬

Bei der Schwierigkeit, die es gehabt haben würde, sich in einem so ent
scheidenden Augenblicke durch einen Fremden vertreten zu lassen, war es die Not¬
wendigkeit, mit dem Auge des Herrn selbst nach dem Rechten zu sehen, die den
Grafen an die Scholle fesselte und einen guten Teil seiner Zeit in Anspruch nahm,
obwohl sie ihn andrerseits nicht hinderte, in den verschiedensten ständischen und staat¬
lichen Andern, namentlich als Ritterschaftshauptmann. Landeshauptmann, Landrichter,
Kurator der Universität Dorpat Hervorragendes zu leisten. Dabei leitete er die Er¬
ziehung seiner Kinder, erteilte ihnen vielfach selbst Unterricht, war schriftstellerisch thätig,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zustände, die noch vor siebzig Jahren in diesen Gegenden herrschten, wegen der
Energie und der Anspruchlosigkeit, mit der sich die Reisenden ihnen anbequemt hatten
oder ihrer Herr geworden waren, und wegen der erstaunlich reichen wissenschaft¬
lichen Ausbeute, die man gehabt hatte, und für deren gebührendes Bekanntwerden
sich sofort Männer wie Professor Lichtenstein, Karl Ritter, Alexander von Humboldt,
Leopold von Buch interessierten. Auch der Übergang über die Alpen aus dem
Martellthal, ein Paß, der heutzutage zu den vielbetretener Touristeubahnen gehört,
und rin dem es Keyserling im Jahre 1836 versuchte, war damals der wissen¬
schaftlichen Welt noch so fremd, daß die Schilderung seines Befundes, wie er sie
auf Leopold von Vnchs Veranlassung verfaßte, im neuen Jahrbuch für Mineralogie,
Geographie, Geologie und Petrefaktenkunde, Jahrgang 1837, abgedruckt wurde.

Eine Forschungsreise, die der Graf mit dem Botaniker Dr. Grisebach in die
Balkanländer, nach Makedonien und Jllyrien vorgehabt hatte, war nicht zustande ge¬
kommen. In Goldingen, wohin sich seine Eltern von Kabillen ans zurückgezogen
hatten, und wo er sich während der ersten Monate des Jahres 1840 aufgehalten
hatte, wurde ihm von dem Baron Alexander von Meyendorff der Vorschlag ge¬
macht, sich an einer geognostischen Exploration zu beteiligen, durch die nnter den
Auspizien der russischen Regierung und mit ihrer Beihilfe für einen Teil des russischen
Reichs Ermittlungen angestellt werden sollten über die Ausdehnung und Ertrags¬
fähigkeit vorhandner oder noch vermuteter Steinkohlenlager. Keyserling erklärte sich
zur Teilnahme bereit. Zwei ausländische Autoritäten, der spätere Sir Roderick
Murchison, damals noch Mr. Murchison und der als Geognost bekannte Edouard
de Verneuil, hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Die Reise, deren Ergebnisse, nament¬
lich was die Umgebung von Tula und Kaluga, sowie von Orel und von Tschugujef,
dem Hauptort der Militärkolonien, anlangte, den Wünschen und Hoffnungen des
kaiserlichen Finanzministeriums entsprachen, hatte den für die spätern Lebensschicksale
des Grafen bedeutsamen Nebenerfolg, daß er im Hause des hochbegabten und ein¬
flußreichen Finanzministers Georg Grafen Cancrin bekannt wurde und sich Anfang 1844
mit dessen ältester Tochter Zeneide verheiratete.

Diese Verbindung, der ein Sohn und zwei Tochter entsprossen, hat zwar in
der großen Hauptsache sein Lebensglück begründet, scheint ihn aber doch, soweit
das kurzsichtige menschliche Auge nicht zur Verwirklichung gekommne Eventualitäten
erkennen kann, behindert zu haben, dem höchsten ihm durch seine Begabung ge¬
steckten Ziele zuzustreben und sich als bahnbrechender Naturforscher allerersten Ranges,
namentlich aber als klassifizierender Systematiker mit immer wachsendem Erfolge
und immer zunehmender Autorität zu bethätigen. Daß er die Befähigung dazu
hatte, darin stimmt das ans uns gekommene Zeugnis der maßgebendsten unter
seinen Zeitgenosse» überein.

Seine Gemahlin hatte ihm das esthlcindische Gut Raiküll südlich von Reval
und zwei benachbarte kleinere livländische Güter, darunter das Holzgut Könno, das
der Sohn, Graf Leo, später übernahm und bewohnte, als Mitgift zugebracht. Es
handelte sich für ihn darum, deu, wie es scheint, dnrch rücksichtslose Ausbeutung
der Vorbesitzer oder durch die Ungunst der Zeiten etwas hernntergekommnen Besitz,
auf den man natürlich wegen der Einkünfte angewiesen war, durch weise, zeit¬
gemäße Vorkehrungen in die Höhe zu bringen. Unter ihnen stand die Ersetzung
des seitherigen Fronverhältnisses durch freie Pachtverträge in erster Reihe.¬

Bei der Schwierigkeit, die es gehabt haben würde, sich in einem so ent
scheidenden Augenblicke durch einen Fremden vertreten zu lassen, war es die Not¬
wendigkeit, mit dem Auge des Herrn selbst nach dem Rechten zu sehen, die den
Grafen an die Scholle fesselte und einen guten Teil seiner Zeit in Anspruch nahm,
obwohl sie ihn andrerseits nicht hinderte, in den verschiedensten ständischen und staat¬
lichen Andern, namentlich als Ritterschaftshauptmann. Landeshauptmann, Landrichter,
Kurator der Universität Dorpat Hervorragendes zu leisten. Dabei leitete er die Er¬
ziehung seiner Kinder, erteilte ihnen vielfach selbst Unterricht, war schriftstellerisch thätig,


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[0632] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zustände, die noch vor siebzig Jahren in diesen Gegenden herrschten, wegen der Energie und der Anspruchlosigkeit, mit der sich die Reisenden ihnen anbequemt hatten oder ihrer Herr geworden waren, und wegen der erstaunlich reichen wissenschaft¬ lichen Ausbeute, die man gehabt hatte, und für deren gebührendes Bekanntwerden sich sofort Männer wie Professor Lichtenstein, Karl Ritter, Alexander von Humboldt, Leopold von Buch interessierten. Auch der Übergang über die Alpen aus dem Martellthal, ein Paß, der heutzutage zu den vielbetretener Touristeubahnen gehört, und rin dem es Keyserling im Jahre 1836 versuchte, war damals der wissen¬ schaftlichen Welt noch so fremd, daß die Schilderung seines Befundes, wie er sie auf Leopold von Vnchs Veranlassung verfaßte, im neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geographie, Geologie und Petrefaktenkunde, Jahrgang 1837, abgedruckt wurde. Eine Forschungsreise, die der Graf mit dem Botaniker Dr. Grisebach in die Balkanländer, nach Makedonien und Jllyrien vorgehabt hatte, war nicht zustande ge¬ kommen. In Goldingen, wohin sich seine Eltern von Kabillen ans zurückgezogen hatten, und wo er sich während der ersten Monate des Jahres 1840 aufgehalten hatte, wurde ihm von dem Baron Alexander von Meyendorff der Vorschlag ge¬ macht, sich an einer geognostischen Exploration zu beteiligen, durch die nnter den Auspizien der russischen Regierung und mit ihrer Beihilfe für einen Teil des russischen Reichs Ermittlungen angestellt werden sollten über die Ausdehnung und Ertrags¬ fähigkeit vorhandner oder noch vermuteter Steinkohlenlager. Keyserling erklärte sich zur Teilnahme bereit. Zwei ausländische Autoritäten, der spätere Sir Roderick Murchison, damals noch Mr. Murchison und der als Geognost bekannte Edouard de Verneuil, hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Die Reise, deren Ergebnisse, nament¬ lich was die Umgebung von Tula und Kaluga, sowie von Orel und von Tschugujef, dem Hauptort der Militärkolonien, anlangte, den Wünschen und Hoffnungen des kaiserlichen Finanzministeriums entsprachen, hatte den für die spätern Lebensschicksale des Grafen bedeutsamen Nebenerfolg, daß er im Hause des hochbegabten und ein¬ flußreichen Finanzministers Georg Grafen Cancrin bekannt wurde und sich Anfang 1844 mit dessen ältester Tochter Zeneide verheiratete. Diese Verbindung, der ein Sohn und zwei Tochter entsprossen, hat zwar in der großen Hauptsache sein Lebensglück begründet, scheint ihn aber doch, soweit das kurzsichtige menschliche Auge nicht zur Verwirklichung gekommne Eventualitäten erkennen kann, behindert zu haben, dem höchsten ihm durch seine Begabung ge¬ steckten Ziele zuzustreben und sich als bahnbrechender Naturforscher allerersten Ranges, namentlich aber als klassifizierender Systematiker mit immer wachsendem Erfolge und immer zunehmender Autorität zu bethätigen. Daß er die Befähigung dazu hatte, darin stimmt das ans uns gekommene Zeugnis der maßgebendsten unter seinen Zeitgenosse» überein. Seine Gemahlin hatte ihm das esthlcindische Gut Raiküll südlich von Reval und zwei benachbarte kleinere livländische Güter, darunter das Holzgut Könno, das der Sohn, Graf Leo, später übernahm und bewohnte, als Mitgift zugebracht. Es handelte sich für ihn darum, deu, wie es scheint, dnrch rücksichtslose Ausbeutung der Vorbesitzer oder durch die Ungunst der Zeiten etwas hernntergekommnen Besitz, auf den man natürlich wegen der Einkünfte angewiesen war, durch weise, zeit¬ gemäße Vorkehrungen in die Höhe zu bringen. Unter ihnen stand die Ersetzung des seitherigen Fronverhältnisses durch freie Pachtverträge in erster Reihe.¬ Bei der Schwierigkeit, die es gehabt haben würde, sich in einem so ent scheidenden Augenblicke durch einen Fremden vertreten zu lassen, war es die Not¬ wendigkeit, mit dem Auge des Herrn selbst nach dem Rechten zu sehen, die den Grafen an die Scholle fesselte und einen guten Teil seiner Zeit in Anspruch nahm, obwohl sie ihn andrerseits nicht hinderte, in den verschiedensten ständischen und staat¬ lichen Andern, namentlich als Ritterschaftshauptmann. Landeshauptmann, Landrichter, Kurator der Universität Dorpat Hervorragendes zu leisten. Dabei leitete er die Er¬ ziehung seiner Kinder, erteilte ihnen vielfach selbst Unterricht, war schriftstellerisch thätig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/632>, abgerufen am 01.09.2024.