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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Deutsch-Österreich

o lange das Deutschtum in Osterreich herrschend und maßgebend
war, hat es immer eine zivilisatorische Aufgabe ausgeübt, aber
in Österreich machen sich alle Einflüsse, die auf das Deutschtum
im Reiche nachteilig wirken, in verstärktem Maße fühlbar. Sehr
"zahlreich war ursprünglich das germanische Element überhaupt
^de, denn überall, wo die Deutschen kolonisierten, genügte eine Handvoll
Menschen, ein ganzes Land mit fremdem Volk im Zaum zu halten und ihm
Putsches Gepräge zu geben. Es ist in der Hauptsache richtig, daß die Deutschen
Österreich geschaffen haben, nur muß man nicht die Deutschösterreicher allem
uwunter verstehn, am wenigsten die heutige Generation; es haben alle Deutschen
"ut daran geholfen. Denn Österreich ist nicht aus seinen deutschen stamm¬
enden herausgewachsen, sondern es verdankt seine Entstehung der Türkengefahr.
Um diese abzuwehren, schlossen sich die deutschen Fürsten und Herren, manch¬
mal auch andre, den auf dem deutscheu Kaiserthron sitzenden Habsburgern an,
und der Schutz des Christentums war die treibende Ursache. So wurde schlie߬
et) Osterreich das Ergebnis von Allianzen und Erbvertrügen, die zwischen
Kronen von Ungarn und Böhmen mit dem deutschen Kaiser, dessen Haus-
'nacht in den Alpenländern lag, abgeschlossen wurden. Gemäß seiner Ent¬
stehung war also Österreichs Aufgabe, den Russen im Orient zuvorzukommen
und das byzantinische Erbe unter Zustimmung und Hilfe des ganzen mittlern
und westlichen Europas in Besitz zu nehmen, statt sich in fruchtlosen Kämpfen
^gen die deutsche und die italienische Nationalität, gegen Preußen und Fraul¬
ich abzuquälen.

Osterreich ist also eine aus deutscher Wurzel erwachsene Macht, aber im
^ause der Zeit sind ihr so viele fremde Reiser aufgepfropft worden, daß es
Zwar immer noch seine besten Lebenskräfte aus deutschem Samen zog, doch
aber aufgehört hatte, schlechthin ein deutscher Staat zu sein. Seit Leopold I.
P das Reich zu einem wohlabgerundeten Ganzen im Südosten herangewachsen,
^eder Besitz im heutigen Belgien und in Westdeutschland wurde nach und nach
preisgegeben, und damit ist Österreich stetig ans Deutschland hinausgewachsen.
Muster historischer Sinn wird in diesem regelmäßigen Entwicklungsgange nicht


G"nzboten IV 1902 l>4


Deutsch-Österreich

o lange das Deutschtum in Osterreich herrschend und maßgebend
war, hat es immer eine zivilisatorische Aufgabe ausgeübt, aber
in Österreich machen sich alle Einflüsse, die auf das Deutschtum
im Reiche nachteilig wirken, in verstärktem Maße fühlbar. Sehr
«zahlreich war ursprünglich das germanische Element überhaupt
^de, denn überall, wo die Deutschen kolonisierten, genügte eine Handvoll
Menschen, ein ganzes Land mit fremdem Volk im Zaum zu halten und ihm
Putsches Gepräge zu geben. Es ist in der Hauptsache richtig, daß die Deutschen
Österreich geschaffen haben, nur muß man nicht die Deutschösterreicher allem
uwunter verstehn, am wenigsten die heutige Generation; es haben alle Deutschen
"ut daran geholfen. Denn Österreich ist nicht aus seinen deutschen stamm¬
enden herausgewachsen, sondern es verdankt seine Entstehung der Türkengefahr.
Um diese abzuwehren, schlossen sich die deutschen Fürsten und Herren, manch¬
mal auch andre, den auf dem deutscheu Kaiserthron sitzenden Habsburgern an,
und der Schutz des Christentums war die treibende Ursache. So wurde schlie߬
et) Osterreich das Ergebnis von Allianzen und Erbvertrügen, die zwischen
Kronen von Ungarn und Böhmen mit dem deutschen Kaiser, dessen Haus-
'nacht in den Alpenländern lag, abgeschlossen wurden. Gemäß seiner Ent¬
stehung war also Österreichs Aufgabe, den Russen im Orient zuvorzukommen
und das byzantinische Erbe unter Zustimmung und Hilfe des ganzen mittlern
und westlichen Europas in Besitz zu nehmen, statt sich in fruchtlosen Kämpfen
^gen die deutsche und die italienische Nationalität, gegen Preußen und Fraul¬
ich abzuquälen.

Osterreich ist also eine aus deutscher Wurzel erwachsene Macht, aber im
^ause der Zeit sind ihr so viele fremde Reiser aufgepfropft worden, daß es
Zwar immer noch seine besten Lebenskräfte aus deutschem Samen zog, doch
aber aufgehört hatte, schlechthin ein deutscher Staat zu sein. Seit Leopold I.
P das Reich zu einem wohlabgerundeten Ganzen im Südosten herangewachsen,
^eder Besitz im heutigen Belgien und in Westdeutschland wurde nach und nach
preisgegeben, und damit ist Österreich stetig ans Deutschland hinausgewachsen.
Muster historischer Sinn wird in diesem regelmäßigen Entwicklungsgange nicht


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[0515] [Abbildung] Deutsch-Österreich o lange das Deutschtum in Osterreich herrschend und maßgebend war, hat es immer eine zivilisatorische Aufgabe ausgeübt, aber in Österreich machen sich alle Einflüsse, die auf das Deutschtum im Reiche nachteilig wirken, in verstärktem Maße fühlbar. Sehr «zahlreich war ursprünglich das germanische Element überhaupt ^de, denn überall, wo die Deutschen kolonisierten, genügte eine Handvoll Menschen, ein ganzes Land mit fremdem Volk im Zaum zu halten und ihm Putsches Gepräge zu geben. Es ist in der Hauptsache richtig, daß die Deutschen Österreich geschaffen haben, nur muß man nicht die Deutschösterreicher allem uwunter verstehn, am wenigsten die heutige Generation; es haben alle Deutschen "ut daran geholfen. Denn Österreich ist nicht aus seinen deutschen stamm¬ enden herausgewachsen, sondern es verdankt seine Entstehung der Türkengefahr. Um diese abzuwehren, schlossen sich die deutschen Fürsten und Herren, manch¬ mal auch andre, den auf dem deutscheu Kaiserthron sitzenden Habsburgern an, und der Schutz des Christentums war die treibende Ursache. So wurde schlie߬ et) Osterreich das Ergebnis von Allianzen und Erbvertrügen, die zwischen Kronen von Ungarn und Böhmen mit dem deutschen Kaiser, dessen Haus- 'nacht in den Alpenländern lag, abgeschlossen wurden. Gemäß seiner Ent¬ stehung war also Österreichs Aufgabe, den Russen im Orient zuvorzukommen und das byzantinische Erbe unter Zustimmung und Hilfe des ganzen mittlern und westlichen Europas in Besitz zu nehmen, statt sich in fruchtlosen Kämpfen ^gen die deutsche und die italienische Nationalität, gegen Preußen und Fraul¬ ich abzuquälen. Osterreich ist also eine aus deutscher Wurzel erwachsene Macht, aber im ^ause der Zeit sind ihr so viele fremde Reiser aufgepfropft worden, daß es Zwar immer noch seine besten Lebenskräfte aus deutschem Samen zog, doch aber aufgehört hatte, schlechthin ein deutscher Staat zu sein. Seit Leopold I. P das Reich zu einem wohlabgerundeten Ganzen im Südosten herangewachsen, ^eder Besitz im heutigen Belgien und in Westdeutschland wurde nach und nach preisgegeben, und damit ist Österreich stetig ans Deutschland hinausgewachsen. Muster historischer Sinn wird in diesem regelmäßigen Entwicklungsgange nicht G«nzboten IV 1902 l>4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/515>, abgerufen am 01.09.2024.