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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

keine großen Kriege mehr geben. Ein großer Krieg ist immer, wirtschaftlich
genommen, ein so riesenhaftes Unglück, daß auch größere Interessengegensätze
materieller Art im allgemeinen Unglück des Krieges verschwinden. Aber anch
die Völker machen ihre Kriege nicht nüchternen Sinnes. So selten, wie
zwischen zwei Menschen ein Streit absichtlich und kaltblütig berechnet entsteht,
vielmehr nur zu oft so, daß zwei im Streit sind, schneller als sie es ahnen,
und ohne daß sie es wollen, so selten ist auch der Völkerstreit beabsichtigt.
Darum schieben sie sich gegenseitig die Schuld des Anfanges zu, und keiner
wills gewesen sein. Streit nud Krieg gleichen einer Lawine. Der Anfang
ist unfindbar klein, aber seine Wirkung wächst unaufhaltsam, bis sich das
Unheil vollendet hat. Unvorsichtigkeit kann auch aus materiellen Dingen den
Ursprung eines Krieges machen. Materielle Interessen können wohl einen
Krieg anfachen, aber nicht rechtfertigen.

Es kann einem Volke gnr keine größere Wohlthat geschehn, als wenn
ihm eine wirklich ideale Aufgabe gestellt wird, für die es Gut und Blut ein¬
setzen kann, eine Aufgabe, wie die vou 1813. Ein Volk, das eine solche
Aufgabe nicht hat, verhüllt und verkleidet anch noch die materiellen Interessen
mit idealen Gründen und nennt sie Kulturabgaben. Auch wir Deutschen
siud ein Volk, dem es augenblicklich zu gilt geht; wir haben nichts weiter zu
thun, als Handelstarife beraten. Aber schneller, als wir es ahnen, können
wir vor ernstern Aufgaben stehn. Denn das Zeitalter der ungewollten und
doch unvermeidlichen europäische!! Kriege ist schwerlich für immer vorbei.


Georg Schiele


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von Dritte Reihe
9. Auf absteigenden Aste

> err Alfred Sauerbrei dichtete. Frnu Sauerbrei und die beide" Töchter
Riekchen und Lottchen sowie das Dienstmädchen schlichen init leisen
Schritten durch das Haus, als wenn jemand schwer krank sei. Wachtel,
der Werkführer der Fabrik, der gekommen war, die neusten Farben
für die amerikanischen Handschuhe vorzulegen, war mit Glanz hin-
--> ausbefördert worden und hatte seine Lederproben vor der Küchenthür
im Zorn an die Erde geworfen.

Aber Herr Wachtel, hatte die Küchenfee gesagt, Sie wissen doch, wie der Herr
ist, wenn er dichtet.

Darauf hatte Herr Wachtel seine Proben wieder zusammengesucht und einen
körperlichen Eid geschworen, daß er nicht nochmals hinauf gehe; jetzt könnte der
Herr selber runter kommen.

Herr Alfred Sauerbrei dichtete. Zwar ziemte sich das eigentlich nicht für
einen Polkenröder Bürger und Haudschuhfabrikanten. Keiner dieser hochansehn¬
lichen Herren würde sich haben beikommen lassen, etwas zu thun, was nicht um
der eigentlichen Lebensaufgabe, nämlich mit der des Verdienens (mit dem großen


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

keine großen Kriege mehr geben. Ein großer Krieg ist immer, wirtschaftlich
genommen, ein so riesenhaftes Unglück, daß auch größere Interessengegensätze
materieller Art im allgemeinen Unglück des Krieges verschwinden. Aber anch
die Völker machen ihre Kriege nicht nüchternen Sinnes. So selten, wie
zwischen zwei Menschen ein Streit absichtlich und kaltblütig berechnet entsteht,
vielmehr nur zu oft so, daß zwei im Streit sind, schneller als sie es ahnen,
und ohne daß sie es wollen, so selten ist auch der Völkerstreit beabsichtigt.
Darum schieben sie sich gegenseitig die Schuld des Anfanges zu, und keiner
wills gewesen sein. Streit nud Krieg gleichen einer Lawine. Der Anfang
ist unfindbar klein, aber seine Wirkung wächst unaufhaltsam, bis sich das
Unheil vollendet hat. Unvorsichtigkeit kann auch aus materiellen Dingen den
Ursprung eines Krieges machen. Materielle Interessen können wohl einen
Krieg anfachen, aber nicht rechtfertigen.

Es kann einem Volke gnr keine größere Wohlthat geschehn, als wenn
ihm eine wirklich ideale Aufgabe gestellt wird, für die es Gut und Blut ein¬
setzen kann, eine Aufgabe, wie die vou 1813. Ein Volk, das eine solche
Aufgabe nicht hat, verhüllt und verkleidet anch noch die materiellen Interessen
mit idealen Gründen und nennt sie Kulturabgaben. Auch wir Deutschen
siud ein Volk, dem es augenblicklich zu gilt geht; wir haben nichts weiter zu
thun, als Handelstarife beraten. Aber schneller, als wir es ahnen, können
wir vor ernstern Aufgaben stehn. Denn das Zeitalter der ungewollten und
doch unvermeidlichen europäische!! Kriege ist schwerlich für immer vorbei.


Georg Schiele


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von Dritte Reihe
9. Auf absteigenden Aste

> err Alfred Sauerbrei dichtete. Frnu Sauerbrei und die beide» Töchter
Riekchen und Lottchen sowie das Dienstmädchen schlichen init leisen
Schritten durch das Haus, als wenn jemand schwer krank sei. Wachtel,
der Werkführer der Fabrik, der gekommen war, die neusten Farben
für die amerikanischen Handschuhe vorzulegen, war mit Glanz hin-
—> ausbefördert worden und hatte seine Lederproben vor der Küchenthür
im Zorn an die Erde geworfen.

Aber Herr Wachtel, hatte die Küchenfee gesagt, Sie wissen doch, wie der Herr
ist, wenn er dichtet.

Darauf hatte Herr Wachtel seine Proben wieder zusammengesucht und einen
körperlichen Eid geschworen, daß er nicht nochmals hinauf gehe; jetzt könnte der
Herr selber runter kommen.

Herr Alfred Sauerbrei dichtete. Zwar ziemte sich das eigentlich nicht für
einen Polkenröder Bürger und Haudschuhfabrikanten. Keiner dieser hochansehn¬
lichen Herren würde sich haben beikommen lassen, etwas zu thun, was nicht um
der eigentlichen Lebensaufgabe, nämlich mit der des Verdienens (mit dem großen


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[0440] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben keine großen Kriege mehr geben. Ein großer Krieg ist immer, wirtschaftlich genommen, ein so riesenhaftes Unglück, daß auch größere Interessengegensätze materieller Art im allgemeinen Unglück des Krieges verschwinden. Aber anch die Völker machen ihre Kriege nicht nüchternen Sinnes. So selten, wie zwischen zwei Menschen ein Streit absichtlich und kaltblütig berechnet entsteht, vielmehr nur zu oft so, daß zwei im Streit sind, schneller als sie es ahnen, und ohne daß sie es wollen, so selten ist auch der Völkerstreit beabsichtigt. Darum schieben sie sich gegenseitig die Schuld des Anfanges zu, und keiner wills gewesen sein. Streit nud Krieg gleichen einer Lawine. Der Anfang ist unfindbar klein, aber seine Wirkung wächst unaufhaltsam, bis sich das Unheil vollendet hat. Unvorsichtigkeit kann auch aus materiellen Dingen den Ursprung eines Krieges machen. Materielle Interessen können wohl einen Krieg anfachen, aber nicht rechtfertigen. Es kann einem Volke gnr keine größere Wohlthat geschehn, als wenn ihm eine wirklich ideale Aufgabe gestellt wird, für die es Gut und Blut ein¬ setzen kann, eine Aufgabe, wie die vou 1813. Ein Volk, das eine solche Aufgabe nicht hat, verhüllt und verkleidet anch noch die materiellen Interessen mit idealen Gründen und nennt sie Kulturabgaben. Auch wir Deutschen siud ein Volk, dem es augenblicklich zu gilt geht; wir haben nichts weiter zu thun, als Handelstarife beraten. Aber schneller, als wir es ahnen, können wir vor ernstern Aufgaben stehn. Denn das Zeitalter der ungewollten und doch unvermeidlichen europäische!! Kriege ist schwerlich für immer vorbei. Georg Schiele Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Dritte Reihe 9. Auf absteigenden Aste > err Alfred Sauerbrei dichtete. Frnu Sauerbrei und die beide» Töchter Riekchen und Lottchen sowie das Dienstmädchen schlichen init leisen Schritten durch das Haus, als wenn jemand schwer krank sei. Wachtel, der Werkführer der Fabrik, der gekommen war, die neusten Farben für die amerikanischen Handschuhe vorzulegen, war mit Glanz hin- —> ausbefördert worden und hatte seine Lederproben vor der Küchenthür im Zorn an die Erde geworfen. Aber Herr Wachtel, hatte die Küchenfee gesagt, Sie wissen doch, wie der Herr ist, wenn er dichtet. Darauf hatte Herr Wachtel seine Proben wieder zusammengesucht und einen körperlichen Eid geschworen, daß er nicht nochmals hinauf gehe; jetzt könnte der Herr selber runter kommen. Herr Alfred Sauerbrei dichtete. Zwar ziemte sich das eigentlich nicht für einen Polkenröder Bürger und Haudschuhfabrikanten. Keiner dieser hochansehn¬ lichen Herren würde sich haben beikommen lassen, etwas zu thun, was nicht um der eigentlichen Lebensaufgabe, nämlich mit der des Verdienens (mit dem großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/440>, abgerufen am 01.09.2024.