Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Gerichtsoffizier oder Regimentsjustizbeamte?

n Nummer 21 der Zeitschrift "Die Gegenwart" vom 24. Mai 1902
findet sich unter der Überschrift "Zu Befehl, Herr Leutnant" ein
kurzer Artikel, der es sich, an deu Gumbinner Prozeß anknüpfend,
zur Aufgabe macht, "weitere Kreise mit der Eigenart des untcr-
snchnngsfnhrenden Offiziers bekannt zu macheu." Gemeine ist
der Gerichtsoffizier. Zugleich werden kräftige Seitenhiebe gegen die Institution
des Gerichtsherrn geführt.

Aus dem Umstände, daß der Verhandlnngsleiter in dem Gumbinner Prozeß
Soldaten, die als Zeugen auftraten, darauf aufmerksam gemacht hat, daß
sie vor Gericht stünden und uicht die Autwort "zu Befehl" zu geben, auch
nicht stillzustehn brauchten, schließt der Verfasser des Artikels, daß dem deutschen
Soldaten der Respekt vor dem Vorgesetzten so in Fleisch und Blut übergegangen
sei. daß diese Gehorsamsgewöhnung die Rechtspflege im Heere lahmen könnte.
Besonders schwarz malt er die Folgen bei den Verhandlungen der niedern
Gerichtsbarkeit aus. Der uutersuchungsführende Offizier wird als ein viel zu
junger, vorn Kommandeur vollständig abhängiger Streber mit ungenügender
Schul- und Charakterbildung, ohne jede Menschenkenntnis und Lebenserfahrung
hingestellt, der nur eins wisse, daß er nach oben zu gehorchen, nach unten zu
befehlen habe. Seine Vorbildung beruhe auf einem sechswöchigem Studium
der Strafgesetzbücher und der Militärstrafgerichtsordnnng. In seiner Privat-
wohnung, mit einem Kameraden zusammen -- so sagt die "Gegenwart" --
halte er zwischen seinen reichlichen Hauptgeschäften als Bataillonsadjntnnt, von
Eitbriefen unterbrochen, die Verhöre ab, nur darauf bedacht, schnell alles genau
so herauszubekommen, wie es der Kommandeur wünscht, oder dem Bild ent¬
sprechend, das dieser sich von der Sache gemacht hat. Es wird uun an den
Reichstag die Forderung gestellt, den nutersuchungsfnhrenden Offizier "als den
eigentlich schlimmsten Auswuchs unsrer Militärjustiz" schleunigst abzuschaffen
und durch eine" bürgerlichen Untersuchungsrichter zu ersetzen. Ein Gerichts¬
referendar oder jüngerer Assessor wird es allerdings nicht sein dürfen, denn
nach der "Gegenwart" erlangt der gebildete Durchschnittsmensch erst nach dem
dreißigsten Lebensjahre die Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich klar und sicher
auszudrücken.

Bei dem Gumbinner Prozeß hat unsre junge Militürstrafgerichtsordiuing
eine ihrer ersten und wahrlich eine äußerst harte Probe bestanden. Der Fall
hat außerordentliches Aussehe" erregt. Er steht bis jetzt einzig in der Ge¬
schichte der preußischen Armee da und wird es auch, so hoffen nur zuversicht¬
lich, bleiben. Bei der Ungeheuerlichkeit des Gumbinner Falls und der Neuheit
des Verfahrens ist es nicht auffüllig, daß Reibungen eingetreten sind, die von




Gerichtsoffizier oder Regimentsjustizbeamte?

n Nummer 21 der Zeitschrift „Die Gegenwart" vom 24. Mai 1902
findet sich unter der Überschrift „Zu Befehl, Herr Leutnant" ein
kurzer Artikel, der es sich, an deu Gumbinner Prozeß anknüpfend,
zur Aufgabe macht, „weitere Kreise mit der Eigenart des untcr-
snchnngsfnhrenden Offiziers bekannt zu macheu." Gemeine ist
der Gerichtsoffizier. Zugleich werden kräftige Seitenhiebe gegen die Institution
des Gerichtsherrn geführt.

Aus dem Umstände, daß der Verhandlnngsleiter in dem Gumbinner Prozeß
Soldaten, die als Zeugen auftraten, darauf aufmerksam gemacht hat, daß
sie vor Gericht stünden und uicht die Autwort „zu Befehl" zu geben, auch
nicht stillzustehn brauchten, schließt der Verfasser des Artikels, daß dem deutschen
Soldaten der Respekt vor dem Vorgesetzten so in Fleisch und Blut übergegangen
sei. daß diese Gehorsamsgewöhnung die Rechtspflege im Heere lahmen könnte.
Besonders schwarz malt er die Folgen bei den Verhandlungen der niedern
Gerichtsbarkeit aus. Der uutersuchungsführende Offizier wird als ein viel zu
junger, vorn Kommandeur vollständig abhängiger Streber mit ungenügender
Schul- und Charakterbildung, ohne jede Menschenkenntnis und Lebenserfahrung
hingestellt, der nur eins wisse, daß er nach oben zu gehorchen, nach unten zu
befehlen habe. Seine Vorbildung beruhe auf einem sechswöchigem Studium
der Strafgesetzbücher und der Militärstrafgerichtsordnnng. In seiner Privat-
wohnung, mit einem Kameraden zusammen — so sagt die „Gegenwart" —
halte er zwischen seinen reichlichen Hauptgeschäften als Bataillonsadjntnnt, von
Eitbriefen unterbrochen, die Verhöre ab, nur darauf bedacht, schnell alles genau
so herauszubekommen, wie es der Kommandeur wünscht, oder dem Bild ent¬
sprechend, das dieser sich von der Sache gemacht hat. Es wird uun an den
Reichstag die Forderung gestellt, den nutersuchungsfnhrenden Offizier „als den
eigentlich schlimmsten Auswuchs unsrer Militärjustiz" schleunigst abzuschaffen
und durch eine» bürgerlichen Untersuchungsrichter zu ersetzen. Ein Gerichts¬
referendar oder jüngerer Assessor wird es allerdings nicht sein dürfen, denn
nach der „Gegenwart" erlangt der gebildete Durchschnittsmensch erst nach dem
dreißigsten Lebensjahre die Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich klar und sicher
auszudrücken.

Bei dem Gumbinner Prozeß hat unsre junge Militürstrafgerichtsordiuing
eine ihrer ersten und wahrlich eine äußerst harte Probe bestanden. Der Fall
hat außerordentliches Aussehe» erregt. Er steht bis jetzt einzig in der Ge¬
schichte der preußischen Armee da und wird es auch, so hoffen nur zuversicht¬
lich, bleiben. Bei der Ungeheuerlichkeit des Gumbinner Falls und der Neuheit
des Verfahrens ist es nicht auffüllig, daß Reibungen eingetreten sind, die von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239200"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341875_238787/figures/grenzboten_341875_238787_239200_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gerichtsoffizier oder Regimentsjustizbeamte?</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2088"> n Nummer 21 der Zeitschrift &#x201E;Die Gegenwart" vom 24. Mai 1902<lb/>
findet sich unter der Überschrift &#x201E;Zu Befehl, Herr Leutnant" ein<lb/>
kurzer Artikel, der es sich, an deu Gumbinner Prozeß anknüpfend,<lb/>
zur Aufgabe macht, &#x201E;weitere Kreise mit der Eigenart des untcr-<lb/>
snchnngsfnhrenden Offiziers bekannt zu macheu." Gemeine ist<lb/>
der Gerichtsoffizier. Zugleich werden kräftige Seitenhiebe gegen die Institution<lb/>
des Gerichtsherrn geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2089"> Aus dem Umstände, daß der Verhandlnngsleiter in dem Gumbinner Prozeß<lb/>
Soldaten, die als Zeugen auftraten, darauf aufmerksam gemacht hat, daß<lb/>
sie vor Gericht stünden und uicht die Autwort &#x201E;zu Befehl" zu geben, auch<lb/>
nicht stillzustehn brauchten, schließt der Verfasser des Artikels, daß dem deutschen<lb/>
Soldaten der Respekt vor dem Vorgesetzten so in Fleisch und Blut übergegangen<lb/>
sei. daß diese Gehorsamsgewöhnung die Rechtspflege im Heere lahmen könnte.<lb/>
Besonders schwarz malt er die Folgen bei den Verhandlungen der niedern<lb/>
Gerichtsbarkeit aus. Der uutersuchungsführende Offizier wird als ein viel zu<lb/>
junger, vorn Kommandeur vollständig abhängiger Streber mit ungenügender<lb/>
Schul- und Charakterbildung, ohne jede Menschenkenntnis und Lebenserfahrung<lb/>
hingestellt, der nur eins wisse, daß er nach oben zu gehorchen, nach unten zu<lb/>
befehlen habe. Seine Vorbildung beruhe auf einem sechswöchigem Studium<lb/>
der Strafgesetzbücher und der Militärstrafgerichtsordnnng. In seiner Privat-<lb/>
wohnung, mit einem Kameraden zusammen &#x2014; so sagt die &#x201E;Gegenwart" &#x2014;<lb/>
halte er zwischen seinen reichlichen Hauptgeschäften als Bataillonsadjntnnt, von<lb/>
Eitbriefen unterbrochen, die Verhöre ab, nur darauf bedacht, schnell alles genau<lb/>
so herauszubekommen, wie es der Kommandeur wünscht, oder dem Bild ent¬<lb/>
sprechend, das dieser sich von der Sache gemacht hat. Es wird uun an den<lb/>
Reichstag die Forderung gestellt, den nutersuchungsfnhrenden Offizier &#x201E;als den<lb/>
eigentlich schlimmsten Auswuchs unsrer Militärjustiz" schleunigst abzuschaffen<lb/>
und durch eine» bürgerlichen Untersuchungsrichter zu ersetzen. Ein Gerichts¬<lb/>
referendar oder jüngerer Assessor wird es allerdings nicht sein dürfen, denn<lb/>
nach der &#x201E;Gegenwart" erlangt der gebildete Durchschnittsmensch erst nach dem<lb/>
dreißigsten Lebensjahre die Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich klar und sicher<lb/>
auszudrücken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2090" next="#ID_2091"> Bei dem Gumbinner Prozeß hat unsre junge Militürstrafgerichtsordiuing<lb/>
eine ihrer ersten und wahrlich eine äußerst harte Probe bestanden. Der Fall<lb/>
hat außerordentliches Aussehe» erregt. Er steht bis jetzt einzig in der Ge¬<lb/>
schichte der preußischen Armee da und wird es auch, so hoffen nur zuversicht¬<lb/>
lich, bleiben. Bei der Ungeheuerlichkeit des Gumbinner Falls und der Neuheit<lb/>
des Verfahrens ist es nicht auffüllig, daß Reibungen eingetreten sind, die von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] [Abbildung] Gerichtsoffizier oder Regimentsjustizbeamte? n Nummer 21 der Zeitschrift „Die Gegenwart" vom 24. Mai 1902 findet sich unter der Überschrift „Zu Befehl, Herr Leutnant" ein kurzer Artikel, der es sich, an deu Gumbinner Prozeß anknüpfend, zur Aufgabe macht, „weitere Kreise mit der Eigenart des untcr- snchnngsfnhrenden Offiziers bekannt zu macheu." Gemeine ist der Gerichtsoffizier. Zugleich werden kräftige Seitenhiebe gegen die Institution des Gerichtsherrn geführt. Aus dem Umstände, daß der Verhandlnngsleiter in dem Gumbinner Prozeß Soldaten, die als Zeugen auftraten, darauf aufmerksam gemacht hat, daß sie vor Gericht stünden und uicht die Autwort „zu Befehl" zu geben, auch nicht stillzustehn brauchten, schließt der Verfasser des Artikels, daß dem deutschen Soldaten der Respekt vor dem Vorgesetzten so in Fleisch und Blut übergegangen sei. daß diese Gehorsamsgewöhnung die Rechtspflege im Heere lahmen könnte. Besonders schwarz malt er die Folgen bei den Verhandlungen der niedern Gerichtsbarkeit aus. Der uutersuchungsführende Offizier wird als ein viel zu junger, vorn Kommandeur vollständig abhängiger Streber mit ungenügender Schul- und Charakterbildung, ohne jede Menschenkenntnis und Lebenserfahrung hingestellt, der nur eins wisse, daß er nach oben zu gehorchen, nach unten zu befehlen habe. Seine Vorbildung beruhe auf einem sechswöchigem Studium der Strafgesetzbücher und der Militärstrafgerichtsordnnng. In seiner Privat- wohnung, mit einem Kameraden zusammen — so sagt die „Gegenwart" — halte er zwischen seinen reichlichen Hauptgeschäften als Bataillonsadjntnnt, von Eitbriefen unterbrochen, die Verhöre ab, nur darauf bedacht, schnell alles genau so herauszubekommen, wie es der Kommandeur wünscht, oder dem Bild ent¬ sprechend, das dieser sich von der Sache gemacht hat. Es wird uun an den Reichstag die Forderung gestellt, den nutersuchungsfnhrenden Offizier „als den eigentlich schlimmsten Auswuchs unsrer Militärjustiz" schleunigst abzuschaffen und durch eine» bürgerlichen Untersuchungsrichter zu ersetzen. Ein Gerichts¬ referendar oder jüngerer Assessor wird es allerdings nicht sein dürfen, denn nach der „Gegenwart" erlangt der gebildete Durchschnittsmensch erst nach dem dreißigsten Lebensjahre die Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich klar und sicher auszudrücken. Bei dem Gumbinner Prozeß hat unsre junge Militürstrafgerichtsordiuing eine ihrer ersten und wahrlich eine äußerst harte Probe bestanden. Der Fall hat außerordentliches Aussehe» erregt. Er steht bis jetzt einzig in der Ge¬ schichte der preußischen Armee da und wird es auch, so hoffen nur zuversicht¬ lich, bleiben. Bei der Ungeheuerlichkeit des Gumbinner Falls und der Neuheit des Verfahrens ist es nicht auffüllig, daß Reibungen eingetreten sind, die von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/412>, abgerufen am 01.09.2024.